Elf Briefe über Wiederverkörperung
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Elf Briefe über Wiederverkörperung

Erweiterte Neuausgabe

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Elf Briefe über Wiederverkörperung

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Über dieses Buch

Es ist absurd, sich den vermeintlichen "natürlichen Einzelmenschen" Schiller als die Metamorphose eines früheren "natürlichen Einzelmenschen" vorzustellen. Es ist absurd, sich vorzustellen, dass Schiller kurzerhand "sich" wieder verkörpert; Schillers Geistesmensch ist Teilnehmer an der "Wiederverkörperung des Geistes". Die sich wiederverkörpernde menschliche Gattungs­wesenheit ist EINER, d. h. sie ist der Geist eines faktisch wirklichen Menschen, der seine physische Körperlichkeit als SEELE dem Weltvorgange zur Verfügung stellt. Die Körper der Meier, Müller, Schiller usw. sind unmittelbar Bestandteile der Seele (Weltseele).Karl Ballmers Problem lautet: Die "werten Mitanthroposophen" machen sich es mit der Erarbeitung der Welt Rudolf Steiners zu leicht. Die eigenen Vorurteile, die christlich-abendländische Denkart einschließlich der Schwärmerei für die "orientalisierende Liebhaberei" der Wiederverkörperung werden nicht hinterfragt. Darstellungen der Reinkarnationslehre Steiners geraten so auf das Niveau des "Konversationslexikons"; der Wiederverkörperungsgedanke als eine "Zentralidee des 20. Jahrhunderts" wird ruhiggestellt und in das bürgerliche Selbstverständnis eingeordnet, als "Vorgang der natürlichen Lebensordnung", ähnlich wie "der katholische Metaphysiker von der natürlichen Unsterblichkeit der Seele daherredet".Ballmers "Elf Briefe" sind die Fortsetzung des "Experimentes", das mit dem "Briefwechsel über die motorischen Nerven" begonnen wurde: Das Ziel ist, die "anthroposophisch-akademische Gruppenseele" zur Selbsterkenntnis anzuregen, damit nicht "in hundert oder zweihundert Jahren stotternd nachgeholt werden muss, was heute zu sehen versäumt wird".In der Neuausgabe werden den "Elf Briefen" hilfreiche weitere Texte aus dem Nachlass an die Seite gestellt, unter anderem zu Steiners Vertiefung der Haeckelschen Abstammungslehre (Entwicklung der Menschen-FORM) und zum Zeitbegriff. Das "Problem der WELTSCHÖPFUNG" wird durchdacht anhand von Steiners Vortrag über "Blut ist ein ganz besonderer Saft", wo es heißt: "Ein 'Ich-Wesen' muss fähig sein, die Außenwelt in sich aufzunehmen, und innerhalb seiner selbst wieder zu erzeugen."

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Elf Briefe über Wiederverkörperung
(1953/1954)

Erster Brief

8. Mai 1953
Sehr geehrter Herr Dr. L.!
Wie sich Tante Lieschen die Wiederverkörperung vorstellt – –
Verzeihen Sie, sehr geehrter Herr Dr. L., die Unhöflichkeit dieser Anmerkung zu Ihrem Aufsatze „Über die Bedeutung der Wiederverkörperungslehre für das Verständnis der Geschichte“ im Mai-Heft der „Blätter für Anthroposophie“.
Mit freundlichen Grüßen
Zweiter Brief
10. Mai 1953
Sehr geehrter Herr Dr. L.!
Man kann nicht sagen, dass die Menschen (die Meier, Müller, Huber, Schiller) „sich wiederverkörpern“; sondern man muss sagen: in wiederholten Erdenleben sind die Menschen (Meier, Müller, Huber, Schiller) Teilnehmer an den Wiederverkörperungen des (groß geschriebenen) MENSCHEN.
Nach dem Buche „Theosophie“ ist Schiller: die Teilnahme seines „Geistesmenschen“ an einer der Inkarnationen des groß geschriebenen MENSCHEN.
Es darf von den anthroposophischen Akademikern verlangt werden, dass sie Kenntnis nehmen von den Inhalten des vor fünfzig Jahren erschienenen Buches „Theosophie“. Die physische Gestalt Schillers, heißt es in „Theosophie“ (1. Aufl. S. 51), ist eine Wiederverkörperung der „menschlichen Gattungswesenheit“, d. h. des groß geschriebenen Menschen. Die menschliche Gattung, heißt es, ist eine. Die menschliche Gattungswesenheit ist Einer. Als „Geistesmensch“ ist Schiller seine eigene Gattung. Der Geistesmensch Schiller hat seine physische Gestalt – diese ist eine Wiederverkörperung der menschlichen Gattungswesenheit, die als Gattung Einer ist – „an sich getragen“. Das heißt: Schiller ist Teilnehmer an einer der Verkörperungen des groß geschriebenen MENSCHEN.
Der Theosoph Rudolf Steiner sieht keine Nötigung, die von Ernst Haeckel sichergestellten Tatsachen der Entwicklung haeckelisch zu interpretieren. Warum übrigens konnte Haeckel an seinem Forschungsobjekte eine selbständige „Seele“ nicht entdecken? Doch wohl aus dem einfachen Grunde, weil es den substanziellen BEGRIFF „Mensch“ (= Seele = Ich = Physischer Mensch als Geist) nur dann gibt, wenn er jetzt und hier geschaffen wird. Die Erschaffung des Begriffes „Mensch“ ermöglichte die theosophische Vertiefung Haeckels. Diese besteht in der theosophischen Lehre von der „Wiederverkörperung des Geistes“. – Man sollte heute bemerken, dass bei Haeckel unvermutet das ehrwürdige Universalienproblem wieder auferstanden ist, das im Mittelalter ungelöst bei den Scholastikern liegen blieb. Auf Haeckels „Stamm“, der nach theosophischer Anschauung die GATTUNG (den Begriff) „Mensch“ bedeutet, richtet sich erneut die alte Frage: Sind die Gattungsbegriffe Realitäten oder nur zusammenfassende Nomina? Können „Ideen“ Wirklichkeiten sein? Gehört Haeckels „Stamm“ nicht auch zu den nominalistischen Fiktionen, trotzdem er eine überreiche Fülle von empirischen Inhalten anzubieten scheint und Haeckel ihn als kausierend vorstellt (die Phylogenese die „Ursache“ der Ontogenese)? Und Goethes „Typus“ – ist das nicht ebenfalls die Sackgasse des Idealismus? – Die moderne Lösung des Universalienproblems statuiert: Indem der Platoniker Aristoteles das Programm Platons als Lehre von Stoff und Form, von Möglichkeit und Wirklichkeit der Naturdinge durchzuführen versuchte, musste er scheitern, wenn er nicht imstande war, von der Identität von Stoff und Form beim wirklichen Menschen auszugehen. – Das „Verhältnis“ von Stoff und Form kann nur ein Selbstverhältnis der Welt, d. h. „Gottes“, sein. Die Welt als Stoff (Bewusstsein) und Form (Wissen) ist der Physische Mensch als Sein Begriff (= Ich = Seele). – Vom anthroposophischen Gesichtspunkte aus ist einzig Jean Paul Sartre redlich, der verkündet, dass es den Begriff des Menschen nicht gibt.
Die Kapitelüberschrift „Wiederverkörperung des Geistes“ bedeutet: Weltschöpfung. Wären die Meier, Müller, Huber und Schiller nicht Teilnehmer, sondern „ sich Wiederverkörpernde“, so müsste angenommen werden, die Meier, Müller, Huber und Schiller seien ihre eigenen Weltschöpfer. Diese Unterstellung wird man doch wohl lieber vermeiden wollen.
Ihr

Dritter Brief

11. Mai 1953
Sehr geehrter Herr Dr. L.!
Glauben Sie nicht, dass ich Sie mit meiner Zuschrift vom 8. Mai kränken wollte. Es geht um viel Ernsteres als um meine persönliche Ansicht. Ich halte den Zeitpunkt für gekommen, die akademische „Gruppenseele“, von der in meiner Arbeit über die motorischen Nerven die Rede ist, zur Selbsterkenntnis anzuregen.
Ich hätte am 8. Mai, um auszudrücken, was ich ausdrücken wollte, ebensogut auch einen anderen Text setzen können, zum Beispiel diesen:
Ein ausgewachsener Lizenziat der Theologie lässt den folgenden Bocksgesang ertönen: „Wie Goethe in der einzelnen Pflanze die Urpflanze wahrnahm, so nimmt das denkerisch klare Geisterkennen im irdisch-verkörperten, sterblichen Menschen die unsterbliche Individualität wahr, die von Erdenleben zu Erdenleben schreitet. – Methodisch musste sich Rudolf Steiner der Wiederverkörperungsgedanke angesichts des Menschenreichs ergeben, so wie sich Goethe der Gedanke der Urpflanze und der Metamorphose dem Pflanzenreich gegenüber ergab.“ (DIE DREI, 18. Jahrg. S. 344). Ich meine, solch ein Seelengärtner sollte sich durch „denkerisch klares Geisterkennen“ zu der nützlichen Einsicht verhelfen, dass er ein Schwindler ist.
Oder, um die Schwindeleien der akademischen Gruppenseele zu kennzeichnen, hätte ich mich ebensogut auf die Publikation „GOETHE IN UNSERER ZEIT“ (Dornach, 1949) beziehen können. Dort (S. 161) bietet Dr. P. den Gedanken an: Ein natürlicher Einzelmensch, also z. B. Schiller, sei die „Metamorphose“ eines früheren Einzelmenschen X, indem X und Schiller Verkörperungen einer geistigen Individualität (des „Geistesmenschen“ Schiller) sind. Das von X zu Schiller sich hinüber „Metamorphosierende“ wird als der „verbindende Typus“ bezeichnet. Daraus würde folgen, dass der „verbindende Typus“ (also der „Geistesmensch“ Schiller) Weltschöpfer ist. Ich meine mich höflich auszudrücken, wenn ich diesen hochgradigen Unsinn als Schwindel bezeichne.
Oder – es gibt ein anspruchsvolles Buch über „Die Reinkarnation des Menschen als Phänomen der Metamorphose“. Man wird dem Fleiß, den Dr. W. auf dieses Buch verwendet hat, die Hochachtung nicht versagen wollen. Im übrigen liegt die Bedeutung dieses Buches darin, dass sein Verfasser auch nicht den Schimmer einer Ahnung davon zu haben scheint, dass die Kapitelüberschrift „Wiederverkörperung des Geistes“ die schonende Umschreibung und Übersetzung des Begriffes „WELTSCHÖPFUNG“ ist. Es ist lediglich eine Frage des Geschmacks, ob man von Unverstand oder von Schwindel sprechen will.
Ihre eigene Darstellung der Wiederverkörperung, sehr geehrter Herr Dr. L., könnte ebensogut einen andern Exponenten der akademischen „Gruppenseele“ zum Verfasser haben. Sie schrieben (Blätter für Anthroposophie, 5. Jahrg. S. 173): „Am treffendsten ließe sich daher die Beziehung zwischen aufeinanderfolgenden Verkörperungen wohl als eine solche der Metamorphose fassen. Nur ist dann deutlich voneinander zu unterscheiden die Metamorphose der Pflanze, die Goethe entdeckt hat, und die „Metamorphose des Menschen“, wie sie eben in Reinkarnation und Karma sich vollzieht. Im Pflanzenreich verläuft die Metamorphose so, dass ein Übersinnliches, das als solches für die Sinne verborgen bleibt, in einer Reihe verschiedener physischer Gestalten sich abbildet, die in kontinuierlicher Folge auseinander hervorgehen. Im Menschenreich dagegen verwandelt sich in rhythmischem Wechsel ein Sinnlich-Natürliches als solches in ein Geistig-Moralisches und ein Geistig-Moralisches als solches in ein Sinnlich-Natürliches, indem ein Geistig-Wesenhaftes selbst abwechselt zwischen einem Dasein im Elemente des rein Physischen und einem solchen im Elemente des rein Geistigen.“ – Sie scheinen nicht zu bemerken, dass Sie mit diesen Sätzen weiter nichts geben als eine Beschreibung des Wortes „Wiederverkörperung“, wie es etwa im Konversationslexikon vorkommt.
Mit der Formel „Wiederverkörperung des Geistes“ ist das Problem der WELTSCHÖPFUNG gestellt, von dem die Theologen dahertönen – bei ihrem Hornberger Schießen. Es ist stark rührend, wenn Herr Dr. W. mitteilt (S. 7 seines Buches über die Wiederverkörperung): er sei sowohl in Europa wie in Amerika Theologen begegnet, welche die „Eingliederung der Reinkarnations-Idee in das christliche Weltbild“ nicht nur für möglich, sondern für notwendig ansehen. – Was doch die Theologen für Sorgen haben, bevor sie auf den Gedanken kommen, es wäre sehr an der Zeit, dass das „christliche Weltbild“ durch das Weltbild der Anthroposophie abgelöst wird!
Ihr

Vierter Brief

12. Mai 1953
Sehr geehrter Herr Dr. L.!
Die Herren Repräsentanten der akademischen Gruppenseele sprechen ebenso anspruchsvoll wie undelikat vom „Subjekt der Wiederverkörperung“ (vgl. DIE DREI, 18. Jahrg. Heft 6). Wenn nun die Menschen (die Meier, Huber, Schiller usw.) Teilnehmer sind an den Wiederverkörperungen des MENSCHEN, so ist „der Mensch“ das primäre Subjekt der Wiederverkörperung, während die „Geistesmenschen“ der Meier, Huber, Schiller usw. als sekundäre Subjekte der Wiederverkörperung bezeichnet werden können.
Die Theologen spitzen die Ohren, wenn die Gruppenseele zum „Subjekt der Wiederverkörperung“ Musik macht. Wie werde ich zu einem verantwortungsfähigen Theologen über die in dem Buche „Theosophie“ geschilderte „Wiederverkörperung des Geistes“ sprechen? Ich werde dem Theologen zu sagen haben: Das Subjekt der Wiederverkörperung ist der von euch Theologen als Schöpfer beschriebene Gott. Denn in der Theosophie figuriert „der Mensch“ an der Stelle, an die von den Theologen „Gott“ gesetzt wird. Die theologischen Abstraktionen „Schöpfer“ und „Schöpfung“ bekommen in der Theosophie und Anthroposophie erstmals einen Inhalt; die Theologen können die Gelegenheit wahrnehmen, unter dem Titel „der Mensch“ das absolut transzendente Wesen zu erfragen, dem sie voreilig den Namen „Gott“ gegeben haben.
Der Theologe lernt: Die „Geistesmenschen“ der Meier, Huber, Schiller usw. sind Teilnehmer an den Wiederverkörperungen Gottes. Seine Wiederverkörperungen sind Schöpfung des Schöpfers, und der Schöpfer ist diese seine Schöpfung. Selbst Karl Barth wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass die anthroposophische menschliche „Gattungswesenheit“ nun doch nicht in dem Kapitel über Ludwig Feuerbach zu bewältigen ist. Und was eine katholische Naseweisheit betrifft, die blindlings mit der Diagnose „Pantheismus“ zur Hand ist, so sei ihr das sorgfältige Studium der Anthroposophie empfohlen.
Herr Dr. P. sagt (DIE DREI, 18. Jahrg. S. 346): „Die Bemühung um das präzise Erkennen des Subjektes der Wiederverkörperung lohnt sich. Sie besteht in einem Erkenntnisgange, der viel weiter führt als bloß zu einer Definition des Ichbegriffes, da er den Menschen (Dr. P. meint: die Meier, Huber usw.) lehrt, sein eigenes Ich und das anderer Menschen zu beobachten.“ Dazu sage ich – mit Verlaub: Schwindel! Ich betrachte es als meine Aufgabe, die akademische Gruppenseele darauf aufmerksam zu machen, dass sie – schwindelt.
Ihr

Fünfter Brief

13. Mai 1953
Sehr geehrter Herr Dr. L.!
Der Lizenziat der Theologie E. B. nimmt mit „denkerisch klarem Geisterkennen“ in den Menschen deren unsterbliche Individualität wahr, die von Erdenleben zu Erdenleben schreitet (DIE DREI, 18. Jahrg. S. 344). Wer nicht gerade im ersten Semester seines Anthroposophiestudiums steht, wird sich gegen einen derartigen Renommierschwatz distanzieren wollen. Man kann aus den Materialien der Geisteswissenschaft die Prämisse entnehmen, nach der sich die von E. B. gemeinte Wahrnehmung der von Erdenleben zu Erdenleben schreitenden Individualitäten zu richten hat. Die Materialien lehren, dass auf dem hier in Betracht kommenden Gebiete dem höheren Erkennen die Eigentümlichkeit anhaftet, dass das zu erkennende Objekt vom Erkenner zugleich geschaffen wird. Wünscht der Herr Lizenziat als der Schöpfer der Individualitäten, die er von Erdenleben zu Erdenleben schreiten sieht, respektiert zu werden?
Der Theologe gerät in Verlegenheit und in die Gefahr des Unredlichseins, wenn er den Gedanken denken soll, dass die unsterblichen Menschenindividualitäten Geschöpfe eines Schöpfers sind; er kann sich bei dem Gedanken eines Schöpfers nichts denken. Dem Theologen, der sich auch nichts dabei denken kann, wenn er zufällig Anthroposoph ist, entspricht es dann, dem „Metamorphosen“-Gedanken der schwindelnden akademischen Gruppenseele zu huldigen, der die natürlichen Einzelmenschen Müller, Huber, Schiller usw. als ihre je eigenen Schöpfer fingiert.
Die von E. B. beehrte „unsterbliche Seele“ oder „unsterbliche Individualität“ gehört zum Trauminventarium der Menschheit durch die Jahrtausende. Wo es aus Gewohnheit und im althergebrachten Stil das schöngeistige Zwitschern über die „unsterbliche Seele“ gibt, da kann es dann gewiss auch die so sehr ansprechende „Idee“ der wiederholten Erdenleben geben – mit der ganzen Unverbindlichkeit einer idealistischen „Idee“. Man soll aber nur nicht etwa die anthroposophische Geisteswissenschaft mit der Unterstellung beleidigen, ihr Respekt vor den Tatsachen der modernen Naturerkenntnis sei derart unentwickelt, dass sie ihrerseits im bekannten Stile von Religionsbekenntnissen und hehren Idealismen von „unsterblicher Seele“ spreche. Die „moderne Weltanschauung“, wenn sie gründlich und redlich ist, kennt keine „unsterbliche Seele“. Als Rudolf Steiner in seiner „Philosophie der Freiheit“ die „Grundzüge einer modernen Weltanschauung“ beschrieb, gehörte die geschätzte „unsterbliche Seele“ nicht zum Inventar dieser Weltanschauung. Leute von besonderer Unbegabtheit haben daraus den Schluss gezogen, der Autor der „Philosophie der Freiheit“ habe seine Weltanschauung geändert, um die wiederholten Erdenleben zu verkünden. Das ist ein treuherziger Unsinn. Vielleicht ist die Deutlichkeit nützlich, mit der ich das Folgende sagen möchte: Es gibt genau so viel „unsterbliche Seele“, als jetzt und hier in der Gegenwart von der als Christus-Kraft wirkenden Geisteswissenschaft geschaffen wird. – Apropos Christentum: Nur sein absoluter Neubeginn kann dem Christentum seine Kontinuität garantieren.
Der anthroposophische Seelenglaube versteht unter „Ich“ nicht die („substanzielle“) Vernunftseele des Hl. Aristoteles, sondern versteht „Ich“ als das Selbstopfer des Christus-Impulses. Der anthroposophische Seelenglaube beginnt beim COGITO des Descartes, nämlich bei dem anthroposophischen Ursatz: Ich denke, also bin ich nicht. Um nun seiendes „Ich“ zu werden, habe ich mich mit dem Satze zu befassen: Ich werde vom MENSCHEN gedacht, also bin ich. Als freier Schöpfer meines „Ich“ bin ich die Wirkung und das Geschöpf eines Andern. Ich muss selbst schöpferisch werden, um mich als Geschöpf zu wissen.
(Der Abschiedsgruß der Anthroposophie an die christlichthomistische Seelenlehre des Kirchenvaters Aristoteles ist in dem Satze enthalten (Zyklus 34, 4, 8): „‘Bin ich denn wahrhaft eine Seele ohne den Christus?’ frägt man sich.“ – Nach Sankt Aristoteles gehört zu einem natürlichen Einzelmenschen eine „substanzielle“ Seele – wie der Henkel zum Milchtopf gehört. Die Mittelmeerreligion leugnet, dass als Prinzip und Schöpfer von Seele nur der Christus-Impuls in Betracht kommen kann. Es gibt somit – nach dem Herderschen Kirchenlexikon – eine „natürliche Unsterblichkeit“ der menschlichen Seele.)
Habe ich mir meine Vorstellung über das mich bezeichnende „Ich“ erobert, so können meine weiteren Eroberungen darin bestehen, dass ich mir Vorstellungen darüber bilde, wie solches „Ich“ die physische Menschengestalt – als eine der Verkörperungen der „menschlichen Gattungswesenheit“ – „an sich tragen“ („Theosophie“, 1. Aufl. S. 51) kann; oder anders gesagt: wie ich in dem göttlichen Körper des MENSCHEN als Untermieter wohne. Auf diesem Eroberungszuge habe ich dann Gelegenheit, mir die fatale Ansicht der akademischen Gruppenseele abzugewöhnen: ich sei als natürlicher Einzelmensch die „Metamorphose“ des natürlichen Einzelmenschen, der ich in meiner letzten Inkarnation war.
Ihr

Sechster Brief

16. Mai 1953
Sehr geehrter Herr Dr. L.!
Ich will hier die Sätze des Dr. P. über den lohnenden Erkenntnisgang wiederholen, die ich in...

Inhaltsverzeichnis

  1. Hinweise
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Elf Briefe über Wiederverkörperung (1953/1954)
  4. Aus den Arbeitsnotizen zu den Elf Briefen (1953)
  5. Weitere Briefe, Entwürfe und Notizen (1949–1954)
  6. Ernst Haeckels Bildnis – heute (1954)
  7. Im Hinblick auf „Blut ist ein ganz besonderer Saft“ (1952/54)
  8. Eine Zentralidee des 20. Jahrhunderts (1950)
  9. Nachwort der Herausgeber
  10. Anmerkungen
  11. Personenregister
  12. Impressum