Kapitel 1
Somästhetik und Selbstsorge
Der Fall Foucault
I.
Zu den vielen Gründen, die Foucault zu einem bemerkenswerten Philosophen machen, gehört ein gleich in doppelter Hinsicht kühnes Vorhaben: Foucault will die antike Vorstellung von Philosophie als einer besonderen Lebensweise wiederaufleben lassen, und er besteht zudem darauf, dass diese sich explizit somatisch und ästhetisch äußert. Diese doppelte Dimension in Foucaults Spätwerk (sorgfältig ausgearbeitet nicht nur in den drei Bänden von Sexualität und Wahrheit und seinen letzten Vorlesungen am Collège de France, sondern auch in einer Vielzahl an Interviews und kurzen Artikeln) kommt pointiert in seinen zentralen Ideen einer »Ästhetik der Existenz«, den stilisierenden »Technologien des Selbst« und der Kultivierung des »Körpers und [seiner] Lüste« zum Ausdruck.1
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Foucault als exemplarischem, aber nicht unproblematischem Pionier auf einem Feld, das ich Somästhetik nenne. Ich verstehe darunter eine Disziplin, die den körperlichen Erfahrungen und ihrer kunstvollen Gestaltung wieder ihren Platz im Herzen der Philosophie als einer Lebenskunst zurückgibt. Die lange dominierende platonische Tradition, die durch den Cartesianismus und den Idealismus der letzten Jahrhunderte noch verstärkt wurde, hat uns für eine entscheidende Tatsache blind gemacht, die für das antike und nichtwestliche Denken zumeist außer Frage stand: Da wir durch und mit unserem Körper leben, denken und handeln, sollten seine Erforschung, die Sorge um ihn und seine Verbesserung (improvement) ein Kernanliegen der Philosophie sein, insbesondere wenn Philosophie (wie es einst war) als unverwechselbare Lebensform aufgefasst wird, als eine kritische, disziplinierte Selbstsorge, die Selbsterkenntnis und Selbstkultivierung umfasst.
Obwohl ein gesteigertes Körperbewusstsein heute gesellschaftlich en vogue ist, folgen die meisten Theoretiker dem französischen Philosophen Pierre Hadot und behandeln das philosophische Leben einseitig als Leben des Geistes.2 Hadot, der als erster das gegenwärtig bestehende Interesse (auch das Foucaults) an Philosophie als einer Lebensform revitalisierte, beschreibt sie mit Begriffen, die er der Programmatik therapeutischer Disziplinen entnimmt (z. B. »Meditation«, »Heilung der Leidenschaften«, »Selbstbeherrschung«). Philosophie besteht für ihn aus »geistigen Übungen«, und er grenzt diese scharf von körperlichen Übungen und Bedürfnissen ab. Hadot verfolgt diese Übungen bis zum sokratischen Dialog zurück und konzentriert sich in erster Linie auf die »stoisch-platonische« Tradition – damit fasst er jedoch bezeichnenderweise ihren geistigen Charakter und darüber hinaus den wesentlichen Zweck der Philosophie im Sinne des Phaidon, des körperfeindlichsten Dialogs Platons. Im Phaidon stellt Platon das philosophische Leben als Übung im Sterben dar, durch die Anstrengung, »die Seele so weit wie möglich vom Körper zu trennen, […] bis sie vollständig unabhängig ist«.3
Hadot wählt diese berühmte Stelle, um zum Ausdruck zu bringen, dass die Seele geistig danach strebe, sich von seinen Begierden und Leidenschaften zu »befreien«, »um zur Unabhängigkeit des Denkens vorzustoßen«.4 Geistige Übungen sieht er als Mittel, mit dessen Hilfe die »Philosophie sich den Willen des Körpers unterwirft, um den höheren Ansprüchen des Denkens gerecht zu werden«; sie seien als »Bemühung« zu verstehen, sich von einem »parteiischen, leidenschaftsbedingten, an den Körper und die Sinne gebundenen Gesichtspunkt frei zu machen und sich zu einem universalen und normativen Gesichtspunkt des Denkens aufzuschwingen«,5 auf dem wir das reine Wesen der Vernunft verkörpern.
Im Zuge der Bemerkung, dass man diese geistigen Übungen zur Festigung der Seele – in Analogie zu körperlichen Ertüchtigungen zur Stärkung des Körpers – als eine Form von »Geistesgymnastik« betrachten könne, gibt Hadot sogar zu, dass »das Gymnasium zugleich der Ort war, wo die körperlichen Übungen und der philosophische Unterricht abgehalten wurden«.6 Und dennoch scheint er merkwürdig widerwillig der Idee gegenüberzustehen, dass beide Tätigkeiten vom antiken Menschen bei der Praxis von Philosophie als Lebensform fruchtbar verbunden werden konnten. Auch wenn ich großen Respekt vor Hadots überragender Gelehrsamkeit auf dem Gebiet der antiken Philosophie habe, wage ich zu denken, dass sich dieser Zusammenhang aufdecken lässt, wenn wir einen Blick hinter den imposanten antisomatischen Schatten des platonischen Idealismus und seines enorm einflussreichen Ausdrucks im Phaidon werfen. Im Timaios beispielsweise fordert Platon »ein gleich(berechtigtes) und gesundes Gleichgewicht zwischen [Körper und Geist]. So sollte jeder, der sich [wie der Philosoph] mit Mathematik oder irgendeiner anderen anstrengenden intellektuellen Tätigkeit beschäftigt, auch seinem Körper die entsprechende Bewegung zukommen lassen, indem er am Sport teilnimmt.«7
Wenn wir hinter platonische Quellen zurückgehen, werden wir daran erinnert, dass Sokrates »darauf achtete, seinen Körper« durch regelmäßiges Tanztraining »zu bewegen und in Form zu halten«. »Der Körper«, so erklärte er, »ist für alle menschlichen Tätigkeiten wertvoll; und bei jedem Gebrauch von ihm ist es wichtig, dass man ihn so gut wie möglich schult. Denn selbst da, wo man des Körpers am wenigsten zu bedürfen scheint, beim Denken – wer weiß nicht, dass schwere Irrtümer häufig durch körperliche Erkrankungen verursacht werden.«8 Sokrates war nicht der einzige antike Philosoph, der körperliche Gesundheit preiste und körperliche Ertüchtigung und Vervollkommnung verteidigte. Vor ihm riet Kleobulus, ein Weiser, der sich durch »Körperkraft, Schönheit« und Kenntnis »der ägyptischen Philosophie« auszeichnete, »man solle fleißig den Körper üben«!9 Aristippus (ein hedonistischer Schüler von Sokrates und Begründer der kyrenäischen Schule) behauptete, »fleißige Körperübung fördere uns […] auf dem Wege zur Tugend«,10 während Zenon, Begründer des Stoizismus, gleichermaßen auf regelmäßige körperliche Übungen drang und behauptete, »sich um die Gesundheit, die Sinnesorgane [zu] kümmern« sei eine unbedingte Pflicht.11 Obwohl er geistige Freuden höher bewertete als körperliche, erklärte Epikur »Gesundheit des Körpers und Seelenruhe« zum doppelten Ziel des philosophischen Strebens nach einem »glücklichen Leben«.12
Diogenes, der Begründer des Kynismus, verteidigte noch entschiedener körperliches Training als notwendigen Schlüssel zur Entwicklung von Tugenden und einem guten Leben: »Er fügte auch Belege dafür bei, daß man durch Übung leicht zur Tüchtigkeit gelange.«13 Diogenes praktizierte die somatische Disziplin, die er selber propagierte, und er experimentierte dabei mit einer Vielzahl von Körperpraktiken, um sich auszuprobieren und abzuhärten: vom Essen roher Nahrungsmittel über Barfußlaufen im Schnee bis zum Masturbieren in der Öffentlichkeit und dem Sich-verprügeln-Lassen durch Trunkenbolde.
Die Anerkennung somatischer Übungen als eines entscheidenden Mittels zur Erlangung philosophischer Erleuchtung stellt das Herzstück asiatischer Praktiken wie Hatha Yoga, Zen Meditation und T’ai chi ch’uan dar. Wie der japanische Philosoph Yuasa Yasuo betont, wird das Konzept »persönlicher Kultivierung« oder des shugyo (hier besteht eine offenkundige Analogie zur »Selbstsorge«) im östlichen Denken als »Grundlage des Philosophierens« vorausgesetzt, weil »wahre philosophische Erkenntnis nicht einfach durch die Mittel theoretisch-begrifflichen Denkens erlangt werden könne«, sondern nur »mittels ›körperlicher Wertschätzung oder Verwirklichung‹ (tainin oder taikotu).«14 Von Anbeginn bestand die ostasiatische Philosophie auf der körperlichen Dimension der Erkenntnis und der Kultivierung des Selbst. Wenn Konfuzius in den Analects (Gesprächen) dafür eintritt, sich täglich selbst in seinem Streben nach Selbstverbesserung zu überprüfen, ist das Wort, das als »Selbst« übersetzt wird, tatsächlich das chinesische Wort für den Körper (shen). Menzius, dem zufolge die Sorge für den Körper die grundlegende Aufgabe und Verantwortung darstellt, ohne die wir alle unsere übrigen Aufgaben und Pflichten nicht erfolgreich erledigen können, behauptet, »Körper/Form und Erscheinung werden uns vom Himmel verliehen. Nur der moralisch vollendet Kultivierte (shengren) vermag sich eine vollendete Form zu geben«.15 Die klassischen taoistischen Denker Laotse und Chuangtse drängen auf ähnliche Weise auf die besondere Bedeutung der somatischen Sorge: »Demjenigen, der seinen Körper mehr liebt als die Beherrschung des Reichs, kann die Herrschaft über das Reich gegeben werden.«16 »Sie müssen nur auf Ihren Körper aufpassen und diesen schützen [und] andere Dinge werden von selbst gedeihen«; »der Weise ist [mit] den Mitteln beschäftigt, durch die er den Körper in seiner Ganzheit bewahren und für das Leben sorgen kann«; »indem er körperlich ganz ist, ist er geistig ganz; und geistig ganz zu sein ist der Weg des Weisen«.17
Hier ist weder der Ort, um diese alten nichtwestlichen Theorien somatischer Selbstsorge zu erforschen, noch um das Schattendasein der somatischen Philosophie in der Moderne zu erklären oder ihr zeitversetztes Wiederaufleben bei therapeutischen Theoretikern des zwanzigsten Jahrhunderts wie Wilhelm Reich, F. M Alexander oder Moshe Feldenkrais. So faszinierend diese Fragenkomplexe auch sein mögen, ziehe ich es hier vor, mich auf die Entwicklung einer Vorstellung von Philosophie als in besonderer Weise verkörperter und somatisch selbstreflexiver Praxis transformativer Kultivierung des Selbst zu konzentrieren, indem ich Foucaults reichhaltige, aber zugleich auch umstrittene Beiträge zu dieser Idee auslote.18 Zunächst werde ich Somästhetik als einen systematischen Rahmen vorschlagen, in dem seine Arbeiten sinnvoll verortet werden können. In einem zweiten Schritt werde ich dann wichtige Einwände sowohl gegenüber Foucaults spezifischem somästhetischen Programm als auch allgemeiner gegenüber der Idee von Somästhetik als einem theoretischen und praktischen Feld prüfen: Zu diesen Einwänden gehört der Vorwurf der Beschränktheit, des Sensualismus, der hedonistischen Belanglosigkeit und des apolitischen Narzissmus.
II.
Somästhetik kann provisorisch definiert werden als kritische und meliorative Erforschung der eigenen Erfahrungen und des Gebrauchs des eigenen Körpers als eines Ortes sinnlich-ästhetischer Wertschätzung (Aisthesis) und kreativer Selbsterschaffung. Sie widmet sich deswegen auch den Erkenntnissen, den Diskursen, Praktiken und Körperdisziplinen, die solche somatische Sorge strukturieren oder sie verbessern können. Wenn wir traditionelle philosophische Vorurteile gegenüber dem Körper beiseitelassen und uns stattdessen einfach die zentralen Gegenstände der Philosophie in Erinnerung rufen, nämlich Erkenntnis, Selbsterkenntnis, richtiges Handeln, Glück und Gerechtigkeit, dann sollte der philosophische Wert von Somästhetik auf der Hand liegen.
1. Da Erkenntnis zum größten Teil auf sinnlicher Wahrnehmung beruht, deren Verlässlichkeit sich oftmals als fragwürdig erweist, war die Philosophie lange mit der Kritik der Sinne beschäftigt. Sie zeigte deren Grenzen auf und versuchte, deren Täuschungen zu vermeiden, indem die Sinne der diskursiven Rationalität untergeordnet wurden. Die westliche Moderne hat sich dabei auf das philosophische Projekt der Analyse und Kritik sinnlicher propositionaler Urteile beschränkt, durch die die traditionelle Epistemologie sich definiert. Der durch die Somästhetik vorgeschlagene, komplementäre Weg besteht darin, die aktuelle Leistungsfähigkeit unserer Sinne durch eine verbesserte Kontrolle unseres Körpers zu korrigieren, da die Sinne zum Soma gehören und von diesem geprägt werden. Wenn der Körper unser primäres Instrument ist, mit dem wir die Welt begreifen, dann können wir mehr über die Welt erfahren, wenn wir den Zustand und den Gebrauch dieses Instruments verbessern. Jemand, der aufgrund eines steifen Nackens nicht in der Lage ist, den Kopf zu heben und nach hinten zu schauen (was typischerweise durch die schlechte Angewohnheit hervorgerufen wird, den Oberkörper zu verkrampfen, wodurch die Schultern und der Brustkorb daran gehindert werden, sich zu drehen), wird weniger sehen und auf weniger verlässliche Weise wahrnehmen. Wenn die Handmuskeln sich zu stark verspannen, sind wir weniger gut in der Lage, bei der Wahrnehmung der Beschaffenheit von weichen oder fein strukturierten Oberflächen subtile Nuancen zu unterscheiden. So wie Sokrates erkennt, dass körperliche Erkrankungen (durch fortgesetzte organische Fehlfunktionen oder geistige Erschöpfung) zu Irrtümern führen können, so versuchen Disziplinen wie die Alexander-Technik und die Feldenkrais-Methode (sowie ältere asiatische Praktiken des Hatha-Yoga und der Zen-Meditation) den Scharfsinn, die Gesundheit und die Kontrolle über unsere Sinne zu verbessern, indem sie die Aufmerksamkeit gegenüber dem Körper und die Beherrschung der somatischen Funktionen zu steigern versuchen, während sie uns zugleich aus dem Klammergriff falscher körperlicher Gewohnheiten befreien, die die Sinnesleistungen beeinträchtigen.
2. Wenn Selbsterkenntnis das zentrale Anliegen von Philosophie darstellt, dann darf das Wissen um die eigene körperliche Dimension nicht ignoriert werden. In Anerkennung der komplexen ontologischen Struktur des Körpers, nämlich zugleich als materielles Objekt in der Welt und als intentionale Subjektivität auf die Welt gerichtet zu sein, beschäftigt sich Somästhetik nicht nur mit der äußeren Form oder Repräsentation des Körpers, sondern auch mit seiner gelebten Erfahrung; Somästhetik arbeitet daran, uns unsere Empfindungen besser zu vergegenwärtigen und dadurch eine größere Einsicht sowohl in unsere vorübergehenden Stimmungen als auch in unsere dauerhaften Haltungen zu ermöglichen. Sie kann daher somatische Fehlfunktionen aufdecken und beheben, die normalerweise unbemerkt bleiben, selbst wenn sie unser Wohlbefinden beeinträchtigen. Zwei Beispiele: Wir achten kaum auf unseren Atem, dabei können sein Rhythmus und seine Tiefe uns rasch und verlässlich Aufschluss über unseren emotionalen Zustand geben. Bewusstes Atmen kann uns also vergegenwärtigen, dass wir wütend, angespannt oder ängstlich sind; andernfalls nehmen wir möglicherweise diese Empfindungen nicht bewusst wahr und sind anfällig für ihre Fehlleitungen. Ebenso kann eine chronische Muskelverspannung nicht nur Bewegungen einschränken, sondern auch zu Spannungen und Schmerzen führen, die unbemerkt bleiben, weil sie zur Gewohnheit geworden sind. Solange sie unbemerkt bleiben, können diese Verspannungen nicht gelöst werden, ebenso wenig wie die daraus resultierenden Behinderungen und Zustände des Unwohlseins. Erhöhte somästhetische Aufmerksamkeit auf unseren Muskeltonus kann solche unbewussten Zustände chronischer Verspannung aufdecken, und wenn wir uns solch eine somatische Fehlfunktion einmal klar vor Augen geführt haben, besteht die Chance, diese zu modifizieren und ihre ungesunden Konsequenzen zu vermeiden.
3. Ein drittes zentrales Ziel der Philosophie ist richtiges Handeln, für das wir Erkenntnis und Selbsterkenntnis, aber auch einen effektiven Willen benötigen. Da eine Handlung allein durch und mit dem Körper vollzogen werden kann, hängt unsere Willenskraft – die Fähigkeit, so zu handeln, wie wir wollen – von unserer somatischen Wirksamkeit ab. Es wird uns nicht weiterhelfen, die richtige Handlung zu kennen und zu wollen, wenn wir unseren Körper nicht dazu bewegen können, sie auszuführen. Und unsere überraschende Unfähigkeit, die einfachsten körperlichen Aufgaben auszuführen, wird nur noch von unserer erstaunlichen Blindheit gegenüber dieser Unfähigkeit übertroffen. Diese Fehler resultieren aus unzureichender somästhetischer Gegenwärtigkeit und Kontrolle.
Man denke nur an die sich abmühende Golfspielerin, die ihren Kopf unten und ihre Augen auf dem Ball zu halten versucht und die völlig davon überzeugt ist, genau das zu tun, obwohl sie kläglich scheitert. Ihr bewusster Wille ist erfolglos, weil zutiefst eingeprägte somatische Gewohnheiten sie überrumpeln. Sie bemerkt ihre Unfähigkeit noch nicht einmal, weil ihre gewohnheitsmäßige Sinneswahrnehmung derartig unangemessen und verzerrt ist, dass es sich anfühlt, als wenn die beabsichtigte Handlung tatsächlich so ausgeführt würde, wie sie es will. Diese Golferin hebt ihren Kopf gegen ihren Willen. Dabei zwingt sie niemand dazu, und es gibt auch keinen in ihr verschalteten Instinkt, der sie dazu treibt. Das Kopfheben ist also in diesem Sinn nicht unfreiwillig – und doch ist es nicht das, was sie bewusst tun will. Ihr freier Wille wird also durch repressive Gewohnheiten fehlgeleiteten Einsatzes und fehlgeleiteter Wahrnehmungen ihres Körpers blockiert.
Bei zu vielen unserer Handlungen sind wir wie die verfrüht ihren Kopf hebende Golfspielerin, deren Wille, wie stark er auch sein mag, machtlos bleibt, weil ihr die somatische Sensibilität fehlt, die ihm zur Wirkung verhelfen würde. Solche Fehlwahrnehmung und Schwächung des Willens hemmt jede Wirksamkeit. Diese Argumentationslinie, die heutzutage durch Körpertherapeuten außerhalb des Rahmens legitimierter Philosophie verfolgt wird, hat gleichwohl antike philosophische Referenzen. Diogenes der Kyniker war nicht der Einzige, der sich mit somatischer Selbstperfektionierung beschäftigte und rigorose Körperübung forderte, »bei deren regelmäßigem Betrieb sich eine Denkweise bildet, die dem tugendhaften Handeln Vorschub leistet«.19
4. Der Verfolg von Tugendhaftigkeit und Selbstbeherrschung ist traditionellerweise in das ethische Streben nach einem besseren Leben eingebunden. Wenn Philosophie sich mit dem Streben nach Glückseligkeit befasst, dann verdient die Auseinandersetzung der Somästhetik mit dem Körper als Ort und Medium unserer Lust eine deutlich größere philosophische Aufmerksamkeit. Selbst Glücksgefühle und Stimulationen durch so genanntes reines Denken sind (für uns körperliche Menschen) von somatischen Umständen beeinflusst und auf Muskelkontraktionen angewiesen. Sie können deswegen durch verbesserte somatische Gegenwärtigkeit und Disziplin verstärkt oder intensiver ausgekostet werden. Selbst Asketen, die sich kasteien, um einen höhe...