
- 192 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Recht und Moral
Über dieses Buch
Zwischen Rechtsverständnissen, nach denen es nur juridische, nicht aber moralische Rechte geben kann, und einem individualethischen Ansatz, nach dem Personen moralische Rechte haben, gibt es einen anhaltenden Streit. Im Kontext mit der Bestimmung des Verhältnisses von Recht und Moral gibt es darüber hinaus ein zweites Spannungsfeld: die Frage, ob das Recht einer Begründung durch Moral bedarf, wenn es nicht nur auf Legalität, sondern auch auf Legitimität Anspruch erheben will.
Die Beiträge dieses Bandes sind - kontrovers - Differenzierungen zwischen Recht, Moral und Ethik und den Fragen gewidmet, wie sich Moral und Recht zueinander verhalten und ob moralische Ansprüche als Rechte verstanden werden können. Weitere Themen sind Gründe für die Transformation moralischer Ansprüche in positives Recht, der moralische Inhalt und die positiv-rechtliche Form der Menschen- und Grundrechte und philosophische Wege zu Ethik und Recht am Beispiel der gegenwärtigen arabisch-islamischen Philosophie.
Häufig gestellte Fragen
Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
- Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
- Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Recht und Moral von Hans Jörg Sandkühler im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Philosophy & Modern Philosophy. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.
Information
Moral und Recht? Recht oder Moral?
Zur Einführung
1.Moralische Erwartungen an das Recht
Wie verhalten sich Moral und Recht zueinander? Gibt es moralische Rechte‹?1 Ist es sinnvoll, diesen Begriff zu verwenden oder ist er Ausdruck einer Begriffsverwirrung, gar ein Kategorienfehler? Können moralische Ansprüche als Rechte verstanden werden? Und ist alles, was nicht positives Recht ist, nicht mehr als moralischer Anspruch? Mit diesen Fragen werde ich mich in sieben Abschnitten auseinandersetzen und zunächst zwei Beispiele zur Illustration des Sachverhalts anführen, dass moralische Ansprüche erst dann im strengen Sinne Rechte sind, wenn ihnen eine Norm des positiven Rechts entspricht.
Das erste Beispiel: Eine 39-jährige Französin ist mit ihrem Antrag gescheitert, das eingelagerte Sperma ihres verstorbenen Mannes für eine künstliche Befruchtung zu bekommen. Das Paar hatte sich dazu entschlossen, den Samen des Mannes einfrieren zu lassen, weil er an Krebs litt und offensichtlich war, dass er nach einer Chemotherapie keine Kinder mehr würde zeugen können. Ein Gericht hat die Klage abgewiesen. Die Rechtslage erlaube es nicht, das in einer Samenbank gelagerte Sperma für eine Befruchtung zu verwenden, wenn ›ein Teil des Paares‹ gestorben sei. Die intuitive moralische Einstellung zu diesem Beispiel dürfte sein, dass eine Frau ein moralisches Recht auf ein Kind hat, auch wenn es ihr juridisch nicht als Recht zugesprochen werden kann.2
Im zweiten Beispiel stimmt ein Rechtsanspruch mit bestehenden Rechtsnormen überein. Am 3. November 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGHMR) – nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsmittel und entgegen vorherigen Urteilen italienischer Gerichte – einer Individualklage gegen die Republik Italien stattgegeben. Der Leitsatz des Urteils lautet, Kruzifixe in Schulen verstießen gegen Art. 9 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und gegen Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention. Art. 9 betrifft die ›Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit‹:»1 Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. 2 Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendigen Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.«3 In Art. 2 des Zusatzprotokolls heißt es: »Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.«4 Der Klägerin wurde für erlittenen »moralischen Schaden« eine Entschädigung in Höhe von 5.000 € zugesprochen.5 Der italienische Staat hat umgehend angekündigt, gegen das Urteil des EuGHMR Beschwerde einzulegen,6 nicht aufgrund eines Rechtstitels, sondern im Namen des ›Rechts‹ einer Macht ohne Moral: »Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat im Streit um das Kruzifix-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein Machtwort gesprochen. ›Wir behalten das Kruzifix‹, erklärte der Regierungschef […]. Das Urteil sei schliesslich kein ›Zwangsurteil‹, sagte er. Daher würden die Kreuze in italienischen Klassenzimmern hängen bleiben – unabhängig vom Ausgang der Beschwerde seiner Regierung in Straßburg.«7
2.Gibt es moralische Rechte?
Zwischen institutionalistischen Rechtsverständnissen, denen zufolge es nur juridische, nicht aber moralische Rechte geben kann, und einem individualethischen Ansatz, dem zufolge Personen moralische Rechte haben, gibt es einen lang anhaltenden Streit. Er wird insbesondere hinsichtlich des Status der Menschenrechte8 ausgefochten.
Eine Position zugunsten der Annahme moralischer Rechte vertritt z. B. Stefan Gosepath: »Menschenrechte sind eine Untermenge moralischer Rechte.«9 An anderer Stelle spitzt er zu: »Menschenrechte sind […] auf eine besondere Weise moralisch-politische Rechte. Als moralische Rechte gelten Menschenrechte auch unabhängig von ihrer faktischen Anerkennung und Befolgung. Wenn wir sie als moralische Verpflichtung anerkennen, dann gelten sie vor aller positiven Rechtssetzung.«10 Es folgt bei Gosepath allerdings eine angesichts der These der vor-positiven Geltung moralischer Rechte bemerkenswerte Wendung: »Menschenrechte haben […] eine Komponente eingebaut, die uns moralisch verpflichtet, sie auch rechtlich zu konkretisieren und zu institutionalisieren. Moralische Rechte sind ›ungesättigt‹, solange sie nicht kodifiziert und interpretiert sind. […] Die faktische Anerkennung der Menschenrechte als spezielle moralische Rechte, die lebenswichtige Interessen durch effektive Institutionen schützen sollen, basiert – so meine Vermutung – auf einem globalen, minimalen und übergreifenden Konsens unterschiedlicher Moralauffassungen.«11
Auch Ernst Tugendhat hat von ›moralischen Rechten‹ gesprochen und erklärt, er verwende den Begriff des Rechts, »in einem unterbestimmten Sinn«, indem er »ihn einfach als Korrelat des Begriffs der Verpflichtung verstehe. Für alle x und y soll gelten, daß, wenn x eine Verpflichtung gegenüber y hat, dann hat y, wenn es gleichfalls eine Person und nicht identisch mit x ist, ein entsprechendes Recht. […] Jedes Mitglied einer moralischen Gemeinschaft – egal wie unegalitär sie ist, also auch in einer Kastengesellschaft – hat Verpflichtungen gegenüber anderen und auch Rechte.«12 Unter dem Titel ›Die Kontroverse um die Menschenrechte‹ hat Tugendhat aber – nicht anders als Gosepath – deutlich gemacht, worin der Grund der Transformation moralischer Rechte in positives Recht13 besteht: »[D]ie Menschenrechte können wie alle Rechte nur verliehene Rechte sein, und dass es sie gibt, hat den Sinn, dass sie zu verleihen Teil einer legitimen staatlichen Ordnung ist, und die These, dass sie universell existieren, kann also nur den Sinn haben, dass jede staatliche Ordnung, die sie nicht enthält, ihren Bürgern nicht verleiht, als nicht legitim anzusehen ist.«14
Im Zusammenhang mit der Bestimmung des Verhältnisses von Recht und Moral gibt es also ein zweites Spannungsfeld: die Frage, ob das Recht einer Begründung durch Moral bedarf, »wenn es nicht bloß auf Legalität, sondern auch auf Legitimität Anspruch erheben will«.15 Es ist offensichtlich, dass die Legitimitätsfrage nach den Erfahrungen sowohl des Nationalsozialismus, japanischen Militarismus als auch des Stalinismus vordringlich wurde und verstärkt zu einer an Gerechtigkeit orientierten Prüfung und Begrenzung des positiven Rechts geführt hat. Niemand, auch nicht der konsequenteste Rechtspositivist, kann sich noch zu der legalistischen Aussage ›Gesetz ist Gesetz‹ berechtigt wissen, d. h. zur Behauptung, jegliches Recht sei – weil ›gesetztes Recht‹ – als ›richtiges Recht‹ anzuerkennen. Die ›Rassen‹-Gesetzgebung und andere Gesetze des Nationalsozialismus haben Gustav Radbruch, den bedeutenden Rechtsphilosophen und Rechtspolitiker der Weimarer Republik, 1946 herausgefordert, mit der nach ihm benannten ›Formel‹ die Konsequenzen zu ziehen. In ›Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht‹ hat er geschrieben: »Keineswegs ist Recht alles das, ›was dem Volke nützt‹, sondern dem Volke nützt letzten Endes nur, was Recht ist, was Rechtssicherheit schafft und Gerechtigkeit erstrebt. […] Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ›unrichtiges Recht‹ der Gerechtigkeit zu weichen hat.«16
Die Frage nach der moralischen Legitimität des Rechts hat Schule gemacht, wie die Einführung des Straftatbestandes ›Verbrechen gegen die Menschlichkeit‹ im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, das ihm folgende Völkerstrafrecht und Art. 7 (2) der EMRK vom 4. November 1950 zeigen. Im Anschluß an Radbruch ist auch die folgende Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zu sehen: »Recht und Gerechtigkeit stehen nicht zur Disposition des Gesetzgebers. Die Vorstellung, daß ein Verfassungsgeber alles nach seinem Willen ordnen kann, würde einen Rückfall in die Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus bedeuten, wie sie in der juristischen Wissenschaft und Praxis seit längerem überwunden ist. Gerade die Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland hat gelehrt, daß auch der Gesetzgeber Unrecht setzen kann«.17
Einer Antwort auf die Fragen ›Moral und Recht? Recht oder Moral?‹ scheinen wir so näher gekommen zu sein. Sind wir es? Eher nicht. Drei weitere Fragen drängen sich auf:
(1) Wenn Gerechtigkeit nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht, dann scheint es sie zu geben, wie es Entitäten gibt. Was aber, wenn der Satz, den Hans Kelsen, der von den Nazis vertriebene demokratische Verfassungsrechtler und Rechtspositivist, in seiner Reinen Rechtslehre (1934, 21960) formuliert hat, zutrifft? »Gäbe es Gerechtigkeit in dem Sinne, in dem man sich auf ihre Existenz zu berufen pflegt, wenn man gewisse Interessen gegen andere durchsetzen will, dann wäre das positive Recht völlig überflüssig und seine Existenz ganz unbegreiflich«.18 Es müsste nichts normiert, nichts gesollt werden, lebten wir bereits im Zeichen von Gleichheit und Gerechtigkeit. In der Welt, in der wir leben, ist das, was gesollt ist, freilich keine offene Frage: Gesollt ist der Schutz der Menschenwürde. Ihre Unantastbarkeit ist ein fundamentaler moralischer Wert, der aus guten Gründen (s. u. 2 und 3) als fundamentaler Rechtssatz positiviert werden musste und in den Menschen- und Grundrechten konkretisiert ist. Die Würdenorm ist als Sollen notwendig, weil die Menschenwürde de facto verletzt wird.
(2) Welche Moral soll in pluralistischen Gesellschaften die Legitimität des Rechts begründen? Ist nicht der Befund zutreffend, den Uwe Wesel in Juristische Weltkunde. Eine Einführung in das Recht beschreibt? »Unsere Begriffe Ethik, Moral und Sittlichkeit […] umschreiben ein Feld innerer Einstellungen, für das sich heute im wesentlichen jeder einzelne selbst verantwortlich fühlt, unabhängig von anderen und von den eher äußerlichen Vorschriften des Rechts oder von Sitten und Gebräuchen.«19 Wie sollte angesichts der Vielfalt konkurrierender Moraleinstellungen, Überzeugungen und Wertpräferenzen eine Moral, eine Ethik, den privilegierten Anspruch erheben können, von allen als Grundlage ihres Handelns anerkannt zu werden? Eine atheis...
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Impressum
- Inhalt
- Vorbemerkung
- Hans Jörg Sandkühler: Moral und Recht? Recht oder Moral? Zur Einführung
- Dietmar von der Pfordten: Zur Differenzierung von Recht, Moral und Ethik
- Jean-François Kervégan: Gibt es moralische Rechte?
- Georg Mohr: Moralische Rechte gibt es nicht
- Dagmar Borchers: »Nonsense on Stilts«? Warum einige Utilitaristen Bentham widersprechen würden und moralische Rechte für sinnvoll halten
- Heiner Bielefeldt: Die Würde des Menschen – Fundament der Menschenrechte
- Georg Lohmann: Zur moralischen, juridischen und politischen Dimension der Menschenrechte
- Herlinde Pauer-Studer: Menschenrechte zwischen Moralisierung und politischer Instrumentalisierung
- Sarhan Dhouib: Philosophische Wege zu Recht und Ethik. Beispiele aus der arabisch-islamischen Philosophie der Gegenwart
- Autorinnen und Autoren
- Namenregister