1 Vorwort von Alexander
Diese Sammlung von Geschichten, über die Alzheimer Erkrankung meiner Großmutter, erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa einem Jahrzehnt. Das ist die Zeit von einem Kind bis zu einem jungen Erwachsenen. Wenn ich an diese Zeit zurück denke, habe ich keine negativen Gedanken. Natürlich war es manchmal anstrengend alles rund um die Alzheimer Erkrankung zu organisieren, aber eigentlich war dies ein normaler Lebensabschnitt. Wir haben mit Oma zusammen gelebt und uns gekümmert, eigentlich ganz normal. Wir haben uns alle mit Freunden getroffenen und schöne Dinge erlebt – es musste halt nur immer jemand auf Helene aufpassen. Natürlich lag bestimmt mehr Last auf den Schultern meiner Mutter als auf meinen. Auch für Karl war es sicherlich sehr anstrengend, neben seinem Beruf auch zu Hause noch gefordert zu sein. Dennoch möchte ich sagen, dass wir auch mit unserer kranken Mutter und Großmutter ein normales Leben geführt haben.
Die Geschichten in diesem Buch stellen natürlich meistens besondere Momente da. Manche sind traurig, vielleicht auch erschreckend, andere wiederum erheiternd. Viele Monate dazwischen waren einfach nur gute Zeiten.
Ich hoffe, dass dieses Büchlein seinen Leserinnen und Lesern etwas helfen kann. Entweder um die Angst vor der Krankheit zu nehmen und um Mut zu schöpfen, zu lesen, dass man dabei nicht alleine dahsteht. Oder auch um andere Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen besser zu verstehen.
Helenes Enkel – Alexander
2 Vorwort von Rose
Als ich die Diagnose „Alzheimer“ erfahre, habe ich das Gefühl der Boden unter meinen Füßen wird mir weggezogen und ich falle in ein tiefes Loch. Meine Mutter, die bisher voll im Leben stand, ist nun auf unsere Hilfe angewiesen.
In der letzten Zeit ist vieles schief gelaufen. Wir haben den Elektroherd abschalten müssen weil immer etwas angebrannt und ungenießbar auf den Tisch kam, sodass auch die Gefahr eines Hausbrandes bestand.
Die Jahre brachten viele Sorgen, aber auch viele Gegebenheiten die uns zum Schmunzel brachten, weil sie voller Liebe gemeint ausgesprochen wurden – trotz des traurigen Hintergrundes. Die Freunde, die uns geholfen haben, waren ganz besondere Menschen. Da gab es Sabine mit ihren vier Kindern, die zur Stelle war wenn wir sie brauchten. Wenn ich dachte, es geht nicht mehr weiter, kam sie mit dem Spruch: „Wir schaffen das schon“. Oft war Mutter mehrere Wochen im Haus von Sabine und wir konnten Kraft sammeln.
Auch Frau Dr. Schnittert war uns eine liebe Hilfe. Sie kam Mittwochs und ich konnte mit meinem Mann spazieren gehen, oder Erledigungen tätigen.
Und wenn es ganz eng wurde waren alle zur Stelle, auch meine Freundinnen, Christel, Gerlinde, Dagmar und Gudrun.
Herzlichen Dank, ich werde Euch alle nicht vergessen!
Eure Rosemarie Goldmann
3 Sie ist doch meine Mutter
Mir ist der Schrecken in alle Glieder gefahren. Ich habe das Gefühl ich zittere am ganzen Körper. Meine Mutter steht vor mir und weint bitterlich. Jetzt versuche ich sie zu trösten, obwohl ich sie gerade fürchterlich angeschrien habe: „Mama, das darf doch wohl nicht wahr sein! Ich habe Dich doch gerade vor dem Rathaus aus dem Auto steigen lassen. Und der Weg führt doch direkt zur Tür.“
Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen. Der Personalausweis meiner Mutter musste verlängert werden. Deshalb hatte ich sie mit in die Stadt genommen und vor dem Rathaus abgesetzt. Später wollten wir uns an der alten Kirche treffen.
Ich erledige noch einige Dinge, dann stehe ich an der Kirche. Da sehe ich sie auch schon kommen. Ich winke und gehe ihr entgegen. Doch meine Mutter wirkt so unsicher. Ihr Verhalten ist mir völlig fremd. Wir gehen aufeinander zu und ich frage: „Ist alles in Ordnung?“ „Womit?“, fragt sie zurück. „Mit Deinem Personalausweis, hast Du die Verlängerung beim Einwohnermeldeamt in die Wege geleitet?“ „Wo sollte ich dieses denn machen?“ Ich atme einmal durch. „Mama, im Rathaus. Du bist doch dort ausgestiegen.“ „Rose, Du kannst mir glauben, dort war kein Rathaus.“ Ich gehe hoch auf einhundertachtzig: „Wie kann man nur so blöd sein. Steht vor dem Rathaus und sieht es nicht! Und findet das Einwohnermeldeamt erst recht nicht!“ Und was ich noch alles gesagt habe. Und plötzlich das Weinen. Da wusste ich: hier ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Es ist so schwer zu verstehen. Meine resolute Mutter, die immer alles regeln konnte, steht plötzlich da und ist hilflos.
Ich sagte zu ihr: „Komm wir gehen Kaffee trinken.“ Aber sie will nur nach Hause in Ihre Wohnung.
Zu Hause machen wir es uns gemütlich. Es scheint alles wie gewohnt zu sein. Zu dem Geschehenen schweigen wir. Ich aus Scham über das Gesagte und meine Mutter wahrscheinlich über ihre jetzt offenbar gewordene Unzulänglichkeit.
Meine Entscheidung steht fest: Mutter braucht ärztliche Hilfe.
4 Meine Oma
Wir sitzen beim Mittagstisch. Plötzlich gibt es einen Knall und mein Sohn Alexander springt auf, verlässt den Tisch und läuft hoch in unsere Wohnung.
Ich rufe: „Was ist passiert?“ Es kommt keine Antwort. Sein Teller ist noch fast voll, was so geknallt hat ist das Besteck. Er hat es auf den Tellerrand fallen lassen. Ich nehme mir vor nachher mit meinem Sohn zu reden und bleibe bei Tisch sitzen. Meine Mutter und ich essen weiter, dann fragt sie: „Was hat der Junge?“ „Ich weiß es nicht“, sage ich, aber heute schmeckt mir das Essen nicht. Hausmannskost Gemüse und Eintöpfe habe ich so gerne bei meiner Mutter gegessen und Alexander sagt immer, die Reibekuchen bei Oma schmecken am besten.
Als wir fertig sind räumen wir den Tisch ab und ich sage: „Danke für das Essen, jetzt kann ich gleich loslegen mit anderen Dingen.“ Meine Mutter sagt: „Rose, es ist schon gut.“
Oben angekommen rufe ich Alexander. Er sitzt in seinem Zimmer und macht Schularbeiten. „Was ist los?“, frage ich. Da bricht es aus ihm heraus: „Mama, Du musst jetzt selber kochen. Was die Oma uns vorsetzt kann man nicht mehr essen.“
Ich kann kein Wort sagen, er hat ja recht, mir schmeckt es auch nicht mehr. Dann erzählt er: „Gestern Nachmittag war doch Frau Greta da. Die Oma hat mich gerufen, ich sollte Kaffee machen und als ich mit dem Kaffee herunter kam, standen die Teller und Tassen kreuz und quer. Ich habe alles richtig hingestellt. Frau Greta sagte mir, man könnte sich kaum mit Oma unterhalten, sie wäre so verwirrt. „Mama, was ist mit Oma passiert? Sie konnte doch backen und kochen, konnte Gemüse und Obst so gut zurecht machen, arbeitete im Garten, hat genäht und gestrickt. Jetzt kann Sie dies alles nicht mehr richtig.“
Ich sage: „Alexander, Du weißt, dass die Oma im Krankenhaus war, zur Untersuchung ihrer Durchblutungsstörungen. Der Arzt machte mir erst auch viel Mut, aber als ich nach ein paar Tagen kam meinte er, nachdem der Kopf geröntgt wurde, sehe er keine Hoffnung auf Besserung.“
„Alexander, sind wir uns einig? Wir machen mit Oma Gedächtnistraining. Ab jetzt koche ich und Oma isst bei uns.“
Nun sagt Alexander: „Auch ich werde für meine Oma da sein und sie immer unterstützen, sie ist doch die beste Oma der Welt.“
5 Elisabeth
Unsere Freundin Elisabeth kennen wir schon seit Jahrzehnten und sind miteinander vertraut. Wir hatten uns kennengelernt als ihre Kinder Petra und Klaus noch nicht laufen konnten. An manchen Tage war Petra bei uns, und meine Mutter hat ihr ein Kleidchen genäht und ich habe mit der Kleinen gespielt.
Heute gibt es Tage an denen ist meine Mutter nicht gut auf mich zu sprechen, weil sie meinen Wünschen nicht nachkommen kann. Ich bin ärgerlich und denke , dass sie sich nicht gut genug konzentriert. Meine Mutterfühlt sich ungerecht behandelt. Und so kam es, dass wir Unstimmigkeiten hatten.
Damals dachte ich, meine Mutter müsse sich geistig nur mehr anstrengen – an Krankheit habe ich seinerzeit noch nicht gedacht.
In ihrer Traurigkeit telefoniert Mutter mit Elisabeth und schon kommt eines der Kinder oder Schwiegerkinder und holt Mutter ab, um ihr einen schönen Nachmittag im Hause der großen Familie zu gestalten.
Ich weiß, wenn Mutter wieder zu Hause ist geht es ihr gut, sie hat alle ihre Sorgen über Bord geworfen. Elisabeth und die Kinder haben sie mit viel Vertrauen empfangen über alte Zeiten gesprochen und sie als Frau anerkannt.
Wenn ich frage: „Wie war es bei Elisabeth?“ Dann sagt sie: „Es war wie immer wunderschön.“
Leider ist Elisabeth auch nicht mehr gesund, sie verlässt nur selten ihre Wohnung.
6 Klippenfest
Gött sallen tem fi-ern komen!
Wo wed am fofftienten Juni gefi’ert,
jo, wo sall dat wall sein?
Bi Kaal, Rose un Helene op de Klippe
säggend nich nä!
Bloß nette Lüd send engeladen,
bliev...