Werk der letzten Neogotiker
St. Johannis-Kirche erhielt zwischen 1892 und 1894
ihr heutiges Gesicht
Gedenktafel im Chorraum von St. Johannis
Versteckt vor den Besuchern erinnert eine Gedenktafel im Altarraum der Johanniskirche an den Abschluss zweijähriger Restaurierungsarbeiten. Sie gaben dem Gotteshaus vor 125 Jahren ihr heutiges Aussehen.
Am 2. Dezember 1894, es war der Sonntag des 1. Advent, wurde die St. Johanniskirche in Gegenwart des 75-jährigen Großherzogs Friedrich Wilhelm, der 72-jährigen Großherzogin Augusta Caroline, des 46-jährigen Erbgroßherzogs Adolf Friedrich [V.] sowie der 16 und 14 Jahre alten Herzoginnen Marie und Jutta und des zwölfjährigen Herzogs [Adolf] Friedrich [VI.] durch den Superintendenten Langbein geweiht. Der Neubrandenburger Zeitung vom 29. November ist zu entnehmen, dass auch die Erbgroßherzogin angekündigt war und der Magistrat angesichts des zu erwartenden starken Andrangs Einladungskarten für den Festakt ausgegeben hatte. Tags darauf erfuhren die Leser nicht nur den Programmablauf der Kirchenweihe, sondern auch, dass am Tag der Kirchenweihe der Kirchenplatz vor Beendigung der Feier auch nur von Festteilnehmern betreten werden durfte.
Großherzog Friedrich Wilhelm
Die Prinzessinnen Maria Viktoria und Jutta von Mecklenburg-Strelitz
Was die 37-jährige Erbgroßherzogin Elisabeth von der Begleitung ihres Ehemannes nach Neubrandenburg abhielt und warum auch nicht das Nesthäkchen der Familie, der sechsjährige Herzog Carl Borwin, an der Kirchenweihe teilnahm, teilten weder die Neubrandenburger Zeitung noch ein Jahr später die auf das Jahr 1894 bezogenen Annalen des Staatskalenders von 1895 mit. Letztere erwähnten nur die Anwesenheit der „allerhöchsten Herrschaften“ bei der Kirchenweihe.
Erbgroßherzogin Elisabeth
Erbgroßherzog Adolf Friedrich V.
„Neubrandenburg, 2. Dec. Heute fand hier die Einweihung unserer St. Johanniskirche statt. Nachmittags 1 ½ Uhr versammelten sich die Theilnehmer an dem Festzuge auf dem Rathhause und begaben sich um 2 Uhr nach der St. Johanneskirche. In dem Festzuge waren vertreten: Die Mitglieder des Magistrats, die Geistlichkeit unserer Stadt, der Landessuperintendent Langbein = Neustrelitz, der Landgerichtspräsident Dr. Piper, der Consistorialrath Praefcke = Neustrelitz, der Präpositus der Neubrandenburger Synode, Pastor Becker = Warlin, der Baumeister Hartung = Berlin, die Leiter der städtischen Schulen, die Bürgerrepräsentanten, mehrere Vorstandsmitglieder der hiesigen Darlehenskasse, die beteiligten Baugewerksmeister und Handwerker u. s. w. Vor dem Portal an der Südseite der Kirche nahmen die Teilnehmer an dem Festzuge als dann Aufstellung um. I. Kgl. Hoheiten den Großherzog, die Großherzogin, den Erbgroßherzog, den Erbprinzen und die Prinzessinnen zu empfangen. Hr. Bürgermeister Hofrath Brückner begrüßte die Allerhöchsten Herrschaften in einer längeren Ansprache. Alsdann überreichte Hr. Baumeister Hartung den Schlüssel zur Kirche dem Bürgermeister Dr. Pries, dieser dem Superintendenten, welch‘ Letzterer ihn Hrn. Pastor Kort zum Öffnen der Kirche übergab.
Die eingeladenen Personen hatten sich bereits vorher in das Gotteshaus begeben und sangen, nachdem die Allerhöchsten Herrschaften sowie die Theilnehmer am Festzuge ihre Plätze eingenommen hatten, mit Posaunenbegleitung die ersten Strophen des Kirchenliedes ‚Wie soll ich dich empfangen‘. Hr. Superintendent Langbein hielt sodann auf Grund des verlesenen Psalms 24 die Weiherede, sprach kniend das Weihgebet und übergab die Kirche der gottesdienstlichen Bestimmung. Unter Begleitung der neuen Orgel, welche von Hrn. Musikdirektor Naubert1 gespielt wurde, sang die Gemeinde als Anfangslied die beiden ersten Strophen von ‚Nun danket alle Gott‘ und nach der Liturgie der ‚Verein für gemischten Chorgesang‘ unter Orgelbegleitung das Halleluja aus dem ‚Messias‘ von Händel. Nach dem Hauptliede ‚Ach wie heilig ist der Ort!‘ bestieg Herr Pastor Kort die Kanzel und hielt die Festpredigt nach Hagai 2,9. Die Schlußliturgie leitete Herr Superintendent Langbein, und mit dem Ausgangsliede ‚Lob ehr und Preis sei Gott‘ wurde der Festgottesdienst beendet. – Im Anschluss an diese Feier fand sodann im Großherzoglichen Palais hierselbst ein Dinner statt an welchem insgesamt 22 Personen theilnahmen. Nachmittags 6 Uhr kehrten die Allerhöchsten Herrschaften nebst Gefolge mit dem Courierzuge nach Neustrelitz zurück.“
NEUBRANDENBURGER ZEITUNG, 4. DEZEMBER 1894
Der auf der Gedenktafel erwähnte Hofrath Brückner war der Erste Bürgermeister Neubrandenburgs. Der 59-jährige Gustav Brückner war erst wenige Jahre zuvor von der zweiten an die erste Stelle gerückt, nachdem Wilhelm Ahlers, der das Amt bekleidet hatte, am 13. Juli 1889 gestorben war. Ahlers Vorgänger im Amt war der Vater seines Nachfolgers, Hofrat Friedrich Brückner. Er ging zwei Tage vor seinem Tod am 7. Januar 1883 in den Ruhestand und schuf so Platz auf dem Stuhl des Zweiten Bürgermeisters, welchen dann sein Sohn Gustav einnahm, bis er dann gut sechseinhalb Jahre später weiter aufrückte.
Nach Gustav Brückner nahm dann der Verwaltungsjurist Dr. Adolf Pries den Platz als Zweiter Bürgermeister ein. Der gebürtige Rostocker war 1887 als Senator und Syndikus nach Neubrandenburg gekommen. Nach dem Ausscheiden von Gustav Brückner aus dem Amt 1904 wurde Dr. Pries alleiniger Bürgermeister der Viertorestadt. Er blieb es bis 1923.
Pastor Heinrich Kort, der die erste Predigt hielt, war 1855 in Schönhausen bei Strasburg als Sohn eines Gärtners zur Welt gekommen. Er hatte von 1878 bis 1882 in Jena und Rostock Theologie studiert und war seit 1889 Pastor an St. Johannis und Diakon an St. Marien. Davor stand er zwei Jahre als Rektor der Mädchenschule in Schönberg vor.
Der 61-jährige Superintendent Gustav Langheim, der die Kirchweihe vollzog, war ein gebürtiger Friedländer, der nach einem Studium in Erlangen und Berlin als Hauslehrer in Damerow auf der Insel Usedom sowie als Hilfslehrer am Friedländer Gymnasium gearbeitet hatte, bevor er 1862 Rektor der Friedländer Bürgerschule und 1865 Rektor der höheren Töchterschule in Neustrelitz wurde, von 1870 bis 1877 Pastor in Weitin war und 1877 Konsistorialrat in Neustrelitz wurde, ehe man ihn zu Weihnachten 1886 zum Hofprediger und Superintendent berief. Wenige Monate vor dem festlichen Gottesdienst in St. Johannis hatte er nach 33-jähriger Ehe seine Frau verloren.
Die Johanniskirche von der Stargarder Straße aus gesehen
Eigentlich hätte die Wiedereinweihung der Johanniskirche schon früher stattfinden sollen. Doch am 12. Februar 1894 tobte mittags ein Orkan in Neubrandenburg, der nicht nur zehn starke Eichen auf dem Wall entwurzelte, sondern gegen 13.10 Uhr auch den neuerbauten Turm der Johanniskirche aus dem Gleichgewicht brachte.
„Mit großem Getöse stürzte der Thurm, die Spitze nach unten gerichtet, auf die zum Glück kurz zuvor polizeilich abgesperrte Bahnhofsstraße, grub sich tief ins Erdreich ein und fiel dann gegen das Postgebäude, dessen Mauerwerk etwas beschädigt wurde Der untere Theil des Thurmes, in welchem sich der Glockenstuhl befand, hatte an dem nördlichen Eckpfeiler Widerstand, zertrümmerte denselben theilweise, ebenso einen Theil des Kirchendaches und stürzte seitwärts auf den Platz neben der Kirche. Menschen sind glücklicherweise nicht verletzt worden.“
NEUBRANDENBURGER ZEITUNG, 13. FEBRUAR 1894
Das warf die Bauarbeiten sicher um einige Tage, wenn nicht sogar Wochen zurück. Trotzdem und obwohl beim Ausbau der Kirche in der Nähe der Kanzel unter dem Fußboden der Kirche ein Grabgewölbe gefunden worden war mit einem Kleid sowie einer Kappe aus gepresstem Samt, beides der Mode der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsprechend, hielt der Magistrat einer Zeitungsmeldung vom 17. Juni zufolge an der Absicht fest, die Johanniskirche im Herbst zu eröffnen.
Auf seiner Sitzung zwei Tage zuvor hatte der Magistrat den Repräsentanten vorgeschlagen, endlich „definitiv“ die Orgel beim Hoforgelbaumeister Sauer in Frankfurt/Oder zu bestellen, da es von der Bestellung bis zur Aufstellung vier Monate Zeit benötigen würde. 6870 Mark sollte die Sauer-Orgel kosten. 3000 Mark seien bereits gestiftet worden, 500 Mark würde man sparen, wenn dem Orgelbauer das alte Instrument überlassen würde. Erst Ende Januar hatte der M...