1 Einleitung
Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum.
In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion.
In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.
Viktor Frankl (1905-1997)
Fehlermachen ist ein integraler Bestandteil des Menschseins. Wir machen ständig Fehler und diese Fehler sind uns in der Regel unangenehm. Sie sind meist mit Gefühlen von Scham oder Schuld verbunden – Emotionen, die eng mit der Selbstbewertung verknüpft sind (Tangney, 2002; Tangney, Stuewig & Mashek, 2007). Deshalb versuchen die meisten Menschen, Fehler zu vermeiden. Ein entspannterer Umgang mit Fehlern erleichtert es jedoch, aus ihnen zu lernen (Oser & Spychiger, 2005; Zhao, 2011). Einige Forscher plädieren daher für den Aufbau einer Fehlerkultur sowohl im Unternehmensbereich (Harteis, Bauer & Heid, 2006; Rausch, Seifried & Harteis, 2017) als auch in Schulen (Böhnke & Thiel, 2016; Oser & Spychiger, 2005) und anderen Bildungseinrichtungen (Tawfik, Rong & Choi, 2015). Beispielsweise gelten Fehler in vielen Start-Up-Unternehmen als Zeichen für Innovation und kreativen Mut und werden als wertvolle Quelle für Lernprozesse betrachtet. Auch die mit Fehlern einhergehenden negativen Affekte haben etwas Gutes: sie machen deutlich, wie wichtig der betroffenen Person die Angelegenheit ist. Je wichtiger, desto mehr negative Gefühle gehen mit dem gemachten Fehler einher. Negativer Affekt im Zusammenhang mit Fehlern und dem Lernen aus Fehlern kann insofern als adaptiv betrachtet werden, als er die Bedeutung des angestrebten Zielzustandes anzeigt und eine Wiederholung des Fehlers unwahrscheinlicher macht. Zu viel negativer Affekt fördert jedoch vermeidendes Verhalten und verhindert, dass der Fehlerkontext genauer betrachtet wird. Um aus einem Fehler lernen zu können, ist es notwendig, dass die handelnde Person sich ihres Fehlers auch bewusst wird. Die Aufmerksamkeit der Person muss demnach bei sich selbst und ihrem Handeln liegen. Eine effektive Fehleranalyse setzt die Fähigkeit voraus, starke Affekte regulieren zu können. Aufmerksamkeitsfokussierung und Emotionsregulation – diese beiden Fähigkeiten sind essentiell für einen adaptiven Umgang mit Fehlern. Eine Möglichkeit, sowohl die Fähigkeit der Aufmerksamkeitsfokussierung als auch die Emotionsregulationsfähigkeit zu stärken, bilden beispielsweise Achtsamkeitsübungen.
Dresel, Schober, Ziegler, Grassinger und Steuer (2013) gehen von der Annahme aus, dass die Adaptivität des Umgangs mit Fehlern als Trait, das heißt als eine stabile Persönlichkeitseigenschaft dargestellt werden kann. Aufgrund der oben genannten Fähigkeiten, die für einen adaptiven Umgang mit Fehlern relevant sind, stellt sich jedoch die Frage, ob diese Annahme haltbar ist. Da Aufmerksamkeit und Emotionsregulation trainierbar sind, ist es durchaus denkbar, dass die Adaptivität der Reaktion auf Fehler auch als State, als durch innere und äußere Einflüsse veränderbarer Zustand, konzipiert werden kann.
Achtsamkeit, eine besondere Form der Aufmerksamkeit, bei der der Fokus auf die Gegenwart gerichtet wird, ist derzeit Bestandteil einiger Therapieprogramme. Beispiele für Programme, die auf Achtsamkeit basieren oder Achtsamkeitsübungen beinhalten, sind die Mindfulness-Based Stress Reduction, die Akzeptanz- und Commitment-Therapie oder die Mindfulness-Based Cognitive Therapy. Die Ergebnisse von Studien, die die Wirksamkeit solcher achtsamkeitsbasierten Ansätze untersuchen, attestieren ihnen positive Effekte für die Behandlung von Suchterkrankungen (Bowen et al., 2009; Kamboj et al., 2017), Depressionen, Angststörungen (Hofmann, Sawyer, Witt & Oh, 2010) und Perfektionismus (James & Rimes, 2018).
Ob sich Perfektionismus, das Streben nach Fehlerfreiheit und Perfektion, positiv oder negativ auf Leistung und Wohlbefinden auswirkt, ist in der psychologischen Forschung ein sehr kontrovers diskutiertes Thema. Einige Forscher betrachten Perfektionismus insgesamt als Vulnerabilitätsfaktor (z.B. Hewitt und Flett 1991), andere betonen, dass bestimmte Facetten des Perfektionismus durchaus einen positiven Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche haben können (Stoeber & Otto, 2006). Verschiedene Studien zeigen, dass das Setzen hoher Standards tendenziell mit positivem Affekt wie Stolz, Lebenszufriedenheit, weniger externalen Kontrollüberzeugungen, ausgeprägterer Verträglichkeit und mehr Selbstbewusstsein und geringerem Vermeidungsverhalten assoziiert ist (Castro, Soares, Pereira & Macedo, 2017; Moroz & Dunkley, 2018; Neumeister, 2004; Stoeber & Otto, 2006; Stoeber, Harris & Moon, 2007; Stoeber & Yang, 2010).
Aber hohe Standards allein machen eine Person noch nicht zu einem Perfektionisten. Das Problem mit übermäßig hohen Standards ist, dass diese oft nicht erreicht werden (können). Wenn diese Kluft zwischen dem eigenen Anspruchsniveau und dem tatsächlichen Ergebnis von der betroffenen Person als sehr belastend erlebt wird, können psychopathologische Symptome die Folge sein. Perfektionisten stellen besonders hohe Ansprüche an die eigene Leistung. Aus diesem Grund scheitern sie in ihrem subjektiven Erleben häufiger als Menschen, die weniger hochgesteckte Ziele haben. Neben sehr hoch gesteckten Zielen ist Fehlersensibilität eine weitere Facette des Perfektionismus. Während für einige der Spruch „Aufstehen, Krönchen zurechtrücken und weitermachen“ passt, brauchen andere länger, um über einen Fehler oder Misserfolg hinwegzukommen. Fehlersensibilität scheint zudem mit größerer Versagensangst assoziiert zu sein (Correia, Rosado & Serpa, 2018). In einer Metaanalyse konnten Curran und Hill (2017) Belege dafür finden, dass Perfektionismus bei Studierenden in den USA, Kanada und Großbritannien zwischen 1986 und 2016 kontinuierlich zugenommen hat. Die Autoren gehen von der Annahme aus, dass die Zunahme von Perfektionismus eine mögliche Erklärung für den Zuwachs an psychischen Problemen bei jungen Menschen darstellt.
Sowohl dem Thema Achtsamkeit als auch dem Thema Perfektionismus wurden in den letzten Jahren in der psychologischen Forschung zahlreiche Forschungsarbeiten gewidmet. Jedoch handelt es sich bei den meisten Studien, die den Zusammenhang zwischen Perfektionismus und Achtsamkeit untersuchen, um korrelative Designs. Der Zusammenhang zwischen Perfektionismus und Umgang mit Fehlern oder Scheitern wird vor allem in der Sport- (Curran & Hill, 2018; Correia et al., 2018; Chen, Kee & Tsai, 2012), der Persönlichkeits- (Smith, Saklofske & Nordstokke, 2014; Smith, Saklofske & Yan, 2015; Stoeber et al., 2007; Stoeber, Kempe & Keogh, 2008; Stoeber, Hutchfield & Wood, 2008; Stoeber & Yang, 2010; Thompson, Foreman & Martin, 2000; van der Kaap-Deeder et al., 2016), der Klinischen- (Bekker, van de Meerendonk & Mollerus, 2004; Conroy, Kaye & Fifer, 2007; Johnston et al., 2018) und der Neuropsychologie (Stahl, 2010; Stahl, Acharki, Kresimon, Völler & Gibbons, 2015) untersucht. Die in der Arbeits- und Organisationspsychologie durchgeführten Studien untersuchen den Umgang mit Fehlern in der Regel im organisationalen Kontext (Frese & Keith, 2015). Sie legen den Fokus auf das Lernen aus Fehlern, die Vermeidung der Fehlerwiederholung und Fehlermanagement. Auch im Schulkontext wird der Fokus oft ähnlich gewählt. Die untersuchte Stichprobe besteht meist aus Schülerinnen und Schülern (Dresel et al., 2013; Grassinger & Dresel, 2017) oder Studierenden (Cullen, Muros, Rasch & Sackett, 2013).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die maladaptive Fokussierung auf Fehlervermeidung sich eher negativ auf Kreativität und innovatives Verhalten auszuwirken scheint und auch wenig förderlich für das psychische Wohlbefinden ist. In der vorliegenden Arbeit sollen daher Möglichkeiten untersucht werden, die dazu beitragen können, die Fehlertoleranz zu verbessern. Es gibt einige Studien, die den Zusammenhang zwischen Perfektionismus und dem Umgang mit Fehlern untersuchen. Nach Kenntnisstand der Verfasserin gibt es bisher jedoch keine experimentellen Studien, die untersuchen, ob sich die Adaptivität der Reaktionen auf Fehler oder Misserfolge von Perfektionisten durch eine kurze Online-Achtsamkeitsübung beeinflussen lässt oder ob die Adaptivität der Reaktionen auf Fehler als Trait konzeptioniert werden kann, wie es Dresel et al. (2013) postulieren. Das Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, diese Forschungslücken zu schließen.
Ein Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, ob sich die Adaptivität der Reaktionen auf Fehler manipulieren und somit als State konzipieren lässt. Zum anderen soll herausgefunden werden, ob sich eine sehr kurze und nur einmal durchgeführte Online-Achtsamkeitsübung dazu eignet, die Adaptivität der Reaktion auf Fehler zu beeinflussen und ob die Ausprägung von Fehlersensibilität und hohen Standards dabei eine bedeutsame Rolle spielen. Dabei soll außerdem auch untersucht werden, ob ältere Versuchsteilnehmer adaptiver mit Fehlern umgehen als jüngere.
Es ist nicht Ziel dieser Arbeit, allgemeine Aussagen über die Wirksamkeit von Achtsamkeitstrainings oder achtsamkeitsbasierter Therapieprogramme zu treffen. Außerdem werden explizit nur zwei Facetten des Perfektionismus (Hohe Standards und Fehlersensibilität) betrachtet, weil diese einen deutlichen Bezug zum Umgang mit Fehlern erkennen lassen. Demnach werden im Rahmen dieser Arbeit keine Angaben zu anderen Facetten des Perfektionismus oder zu Perfektionismus im Allgemeinen getroffen. Da die Untersuchung im Rahmen eines Online-Experiments stattfinden soll, ist es nicht möglich, die Komplexität einer Fehlersituation vollständig abzubilden. Vielmehr geht es darum, einen kleinen Teil des komplexen Geschehens herauszugreifen und diesen genauer zu untersuchen, sodass in diesem Bereich ein tiefgreifenderes Verständnis ermöglicht wird. So wird in der vorliegenden Arbeit beispielsweise nur einmaliges Scheitern untersucht, sodass die Ergebnisse nicht auf Situationen übertragbar sind, in denen eine Person wiederholt scheitert.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen sollen zunächst Forschungsstand und Theorie zum Umgang mit Fehlern (Kapitel 2.1), Achtsamkeit (Kapitel 2.2) und Perfektionismus (Kapitel 2.3) dargelegt und relevante Zusammenhänge der Konstrukte aufgezeigt werden (Kapitel 2.4). Dabei kommen einigen Forschungsarbeiten und Modellen besondere Bedeutung zu. Dies sind insbesondere die Arbeit zum Thema Adaptivität der Reaktion auf Fehler von Dresel et al. (2013), in deren Rahmen die Autoren einen Fragebogen zur Erfassung der Adaptivität der Reaktion auf Fehler auf affektiv-motivationaler sowie behavioraler Ebene entwickelt haben (siehe Abschnitt 2.1.1). Ein weiteres Modell, das für die Beantwortung der Forschungsfragen dieser Arbeit bedeutsam ist, ist das Modell Achtsamer Praxis von Shapiro et al. (2011). Die Autoren des Modells gehen von der Annahme aus, dass Achtsamkeit als zyklischer Prozess zu verstehen ist, der sich aus den Kernelementen Absicht, Aufmerksamkeit und Haltung zusammensetzt (siehe Abschnitt 2.2.3). Um den möglichen Einfluss von Achtsamkeitstraining auf den Umgang mit Fehlern und auch auf Perfektionismus verstehen zu können, ist zudem die Berücksichtigung des Prozessmodells der Emotionsregulation von Gross (Gross, 1998a, 1998b, 2001, 2013, 2015) hilfreich. Das Modell postuliert verschiedene Strategien der Emotionsregulation, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Emotionsgenese ansetzen (Abschnitt 2.4.3). Eine weitere wichtige Theorie für die Beantwortung der Fragestellung ist die Theorie der sozioemotionalen Selektivität (Carstensen 1992, 2006; Carstensen et al. 2003; Carstensen et al. 1999; Carstensen et al. 2011; Carstensen et al. 2000). Diese Theorie bietet eine mögliche Erklärung für die Befunde verschiedener Forschungsarbeiten, die zeigen, dass ältere Menschen weniger negativen Affekt berichten als jüngere. Mit ihrer Hilfe soll die Frage beantwortet werden, ob das Alter einen Einfluss darauf hat, wie adaptiv eine Person mit Fehlern umgeht (Abschnitt 2.4.3). Aus dem Forschungsstand und den genannten Theorien und Modellen lassen sich verschiedene Hypothesen ableiten, die in Kapitel 3 vorgestellt werden. Den oben genannten Forschungsfragen soll mithilfe eines computerbasiertes Online-Experiments nachgegangen werden, bei dem die Teilnehmer zufällig den Versuchsbedingungen zugeordnet werden. Die Experimentalgruppe nimmt dazu an einer Achtsamkeitsübung, die Kontrollgruppe an einer Entspannungsübung (Mindwanderingübung) teil (Kapitel 4). Anschließend werden die erfassten Daten mithilfe multivariater Methoden analysiert (Kapitel 5) und die Ergebnisse interpretiert (Kapitel 6). Dabei werden sowohl auf die Forschungslage als auch auf für die oben genannten zur Beantwortung der Fragestellung relevante Forschungsarbeiten und Modelle Bezug genommen.
2 Theoretischer und empirischer Hintergrund
In diesem Kapitel werden zunächst die für die vorliegende Arbeit bedeutsamen Begriffe Fehler, emotionale und motivationale Folgen von Fehlern, Achtsamkeit und Perfektionismus definiert und von verwandten Begriffen abgegrenzt. Dazu werden wichtige theoretische Modelle und aktuelle Forschungsergebnisse dargestellt, sowie Bezüge zur Praxis aufgezeigt.
2.1 Fehler
Fehler werden in der psychologischen Forschung hauptsächlich im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie und der Schulpsychologie untersucht. Fehlern kommt im Zusammenhang mit Lernen eine entscheidende Bedeutung zu. Durch Fehler kann gelernt werden, wie etwas nicht ist oder nicht funktioniert (siehe Abschnitt 2.1.2). Das mit Fehlern und Misserfolg verbundene emotionale Missempfinden führt dazu, dass Individuen im Allgemeinen versuchen, Fehler zu vermeiden.
2.1.1 Definitionskriterien und Abgrenzung zu verwandten Begriffen
Bisher existiert kein Konsens hinsichtlich einer einheitlichen Fehlerdefinition. Jedoch beinhalten die meisten Fehlerdefinitionen die Annahme, dass Fehler eine Abweichung von a) einem Verhalten darstellen, das als richtig betrachtet wird und von der handelnden Person hätte erreicht werden können, oder b) von einem Handlungsziel, das die handelnde Person eigentlich hätte erreichen können (Hofinger, 2008, S. 37). Hier wird der Autorin zufolge der Unterschied zwischen Fehler und Irrtum deutlich: Wenn Wissen und Fähigkeit einer Person ausreichen, um eine Aufgabe zu bewältigen, handelt es sich bei einer Abweichung um einen Fehler. Reichen Wissen und Fähigkeiten jedoch nicht aus, handelt es sich bei Abweichungen um einen Irrtum, da die handelnde Person von falschen Annahmen ausgegangen ist oder über ein zu geringes Wissen verfügt hat. Der Begriff Abweichung deutet darauf hin, dass eine zuvor implementierte Absicht (z.B. ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen) nicht umgesetzt werden kann und dass die Handlung oder das Ergebnis der Handlung anschließend als „Fehler“ bewertet wird (ebd.).
Außerdem lässt sich auch der Begriff Misserfolg vom Begriff des Fehlers abgrenzen. Misserfolg bezieht sich auf die negativen oder unerwünschten Konsequenzen, die aus dem Nichterreichen eines persönlichen Ziels resultieren. Ein Misserfolg kann demzufolge die Konsequenz eines Fehlers sein. Jedoch sind nicht alle Misserfolge auf vorangegangene Fehler zurückzuführen und nicht jeder Fehler ist mit einem Misserfolg verbunden (Zhao & Olivera, 2006). Ob ein Fehler als Misserfolg gewertet wird, hängt vom persönlichen Anspruchsniveau der handelnden Person ab (Dresel et al., 2013). Als Anspruchsniveau definieren Beckmann und Heckhausen (2018, S. 144) “[…] den für ein Individuum charakteristischen Gütegrad, bezogen auf die erreichte Leistungsfähigkeit, der für die Selbstbewertung eines erzielten Handlungsresultats entscheidend ist.“ Werden die eigenen Ansprüche nicht erfüllt, resultieren Emotionen negativer Valenz, wie etwa Scham oder Schuld. Eine angemessene Reaktion auf einen Fehler oder Misserfolg, die es einer Person ermöglicht, weiterhin ihre Ziele und Bedürfnisse zu verfolgen, wird im Folgenden als adaptiv bezeichnet.
Wie ein Fehler beurteilt wird, hängt auch von den Konsequenzen ab, die aus einem Fehler resultieren. Es macht einen großen Unterschied, ob eine fehlerhafte Handlung lediglich einen kleinen Sachschaden verursacht oder ob das eigene Handeln zu großen finanziellen Verlusten oder sogar Personenschäden führt. Auch welche Bedeutung dem Fehler durch die handelnde Person selbst beigemessen wird spielt eine Rolle dabei, welche affektiven, motivationalen und behavioralen Konsequenzen ein Fehler mit sich bringt (siehe Abschnitt 2.1.2). Ein Fehler kann außerdem als gravierendes demütigendes Ereignis erlebt werden oder als Lerngelegenheit, um die eigenen Fertigkeiten zu verbessern. In der Forschung spielen Fehler und ihr Potenzial für Lernprozesse eine wichtige Rolle. Die Bedeutung von Fehlern im Hinblick auf Lernerfahrungen und die damit oft verbundenen unangenehmen Emotionen werden in Abschnitt 2.1.2 näher betrachtet. In der vorliegenden Arbeit wird für die Teilnehmer eine Situation geschaffen, in der sie (falsches) negatives Feedback bekommen, weil sie (angeblich) Fehler gemacht haben. Die Unterscheidung zwischen Fehler und Scheitern liegt auch hier in der Bewertung der Situation durch die Teilnehmer, sodass im Folgenden die Begriffe Fehler und Scheitern synonym verwendet werden.
2.1.2 Einführung des Begriffs des „Negativen Wissens“ und dessen Bedeutung
Oser und Spychiger (2005) nehmen an, dass Fehlermachen nicht nur unangenehm ist, sondern dass genau dieses Unwohlsein eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass aus Fehlern gelernt wird. Aufgrund der mit Fehlern verknüpften unangenehmen Empfindungen versuchen Menschen, Fehler, insbesondere Fehlerwiederholungen, zu vermeiden. Die Autoren gehen außerdem davon aus, dass ein Sachverhalt oder eine Funktionsweise nur dann wirklich verstanden werden kann, wenn man weiß, wie etwas nicht ist oder funktioniert, man also Negatives Wissen über den interessierenden Bereich erworben hat.
Die Autoren (ebd., S. 26f.) unterscheiden vier Arten negativen Wissens: Das Wissen darüber…
- … wie sich etwas nicht verhält oder nicht ist (negativ deklarativ),
- … wie etwas nicht funktioniert (negativ prozedural),
- … welche Strategien nicht zielführend sind (negativ strategisch),
- … was in einer bestimmten Situation unangebracht ist (negativ schemaorientiert).
Den Autoren zufolge lässt sich Negatives Wissen in allen wichtigen Bereichen des Lebens nutzen und kann zum einen durch negative Erfahrungen (Fehler) und zum anderen durch „Konstruktions- und Abgrenzungsprozesse“ erworben werden,...