1. Glauben – eine liebevolle Beziehung
„Glauben“ – das ist ein unklares Wort. Wir müssen erklären, was wir damit meinen. Manchmal hört man: „Glauben heißt: nicht wissen“. Wenn es nur dies wäre, dann wäre der Glaube etwas Undeutliches, etwas Ungefähres. Dann könnte man froh sein, wenn man vom bloßen Glauben zu einem sicheren Wissen voranschreiten könnte. Viele Menschen denken sich das heute so: früher hatten die Menschen „Religion“, heute haben wir die „Wissenschaft“. Aber: Glaube ist etwas ganz anderes als ein „unsicheres“ Wissen, über das wir hinaus zu gelangen hätten. Ich möchte es so sagen: Glaube ist eine Beziehung, genauer: eine „Liebes-Beziehung“ zwischen dem lebendigen Gott und mir. Dieser lebendige Gott ist die Wirklichkeit, die sich mir bedingungslos zuwendet, die mein Leben und alles Leben, die ganze Welt, trägt und hält, Er ist die „Quelle des Lebens“ (Psalm 36,10). Liebes-Beziehung heißt nun auch: dieser Gott ist keine unpersönliche Kraft oder eine namenlose Macht. Dieser Gott hat ein Gesicht, und er hat Stimme. Ich darf erfahren, wie er mich anschaut, wie er zu mir redet, wir er mich führt, mich korrigiert. Dieser Gott ist Person: ein Gegenüber, das mich anredet, ein Gegenüber, zu dem ich „Du“ sagen kann. Er sucht mein Vertrauen, meine Hingabe – wie eine liebende Person es tut, und doch auch unendlich viel tiefer und weiter. Er steht hinter allem, er begegnet in allem.
Das ist zunächst ein Widerspruch, den wir logisch nicht auflösen können: Gott ist ein liebendes „Du“ und gleichzeitig die größte schöpferische Macht. Er ist in mir und in allem, und doch unendlich größer als ich und als alles. Gerade dieser „Widerspruch“ macht das besondere dieser Beziehung aus: Gott ist unendlich nah und unendlich fern. Nichts existiert ohne ihn und doch können wir ihn, den Nahen und Fernen, so leicht übersehen. So leicht, wie man eben das Alltägliche und Selbstverständliche übersieht. „Glaube“ heißt, in Beziehung zu leben zu dieser tragenden und alles umfassenden Wirklichkeit. Und zwar in einer Beziehung, die nicht nur sparsam ausgegrenzte Zeiten in meinem Leben hat: an einem Festtag etwa oder in einer Lebenskrise, wenn ich mich in meiner Not an eine Ahnung von Gott klammere. Das eine, der Ruf aus der Not, hat sein Recht ebenso wie das andere, die ausgegrenzten Zeiten. Die großen Festzeiten im Jahreslauf sind eine Erinnerung an die Gegenwart Gottes. Genauso gewinnen viele Menschen erst in einer Lebenskrise wieder Zugang zu Gott: wenn die Selbstverständlichkeiten wegbrechen, meine Gesundheit angegriffen ist oder der Partner an meiner Seite plötzlich nicht mehr da ist. Nicht nur in diesen „besonderen“ Zeiten aber möchte ich nach Gott fragen.
Vielmehr soll die Beziehung zu ihm meinen Alltag prägen: wenn ich den Tag beginne, ist Er da als mein erster Gesprächspartner, dem ich danke für den neuen Morgen. Ich höre auf sein Wort, das für mich als Bibellese möglichst am Beginn des Tages stehen soll, damit mein Tag von vorn herein eine gute Richtung bekommt. Am Abend, bevor ich zu Bett gehe, bedenke ich noch einmal die Begegnungen dieses Tages, die Worte, die ich geredet habe, die Aufgaben, die ich zu erfüllen versucht habe. Ich frage, wo ich Menschen etwas schuldig geblieben bin, wo ich jemanden verletzt habe, und ich freue mich über das, was gelungen ist. Alles das gehe ich aufmerksam durch und trage es vor Gott. Im Tageslauf gibt es immer wieder die Situationen, in denen ich Gott suche: vor einem schwierigen Gespräch bitte ich Gott um Beistand, vor der Tür eines Krankenzimmers bitte ich um die richtigen Worte, im Auto an der Ampel spreche ich die Gedanken meines Herzens vor Gott aus. Es gibt die Momente, in denen ich die Nähe Gottes als ein überwältigendes Glücksgefühl, als ein „Fließen“ spüre. Und es gibt diese Zeiten, in denen alles trocken und dürr bleibt, in denen sich Gott entzieht. Aber immer bleibt Er die Tiefe in allem, was ich tue, denke, rede und fühle. Meine Erfahrung ist großartig ausgedrückt in diesem Wort aus dem 15. Kapitel des Johannes-Evangeliums. Jesus sagt dort: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Dieses „Bleiben“ ist es, worauf es mir ankommt. „Glauben“ heißt: bei Gott bleiben, in der Wirklichkeit Gottes bleiben, Ihn suchen, mein Leben von Ihm prägen lassen. In allem, was misslingt, was in mir nicht so ist, wie es sein sollte: immer wieder Ihn suchen, von Ihm Wegweisung bekommen. So ist es: Ohne Ihn kann ich nichts tun!
Psalm 139
1 HERR, du durchschaust mich,
du kennst mich bis auf den Grund.
2 Ob ich sitze oder stehe, du weißt es,
du kennst meine Pläne von ferne.
3 Ob ich tätig bin oder ausruhe,
du siehst mich;
jeder Schritt, den ich mache, ist dir bekannt.
4 Noch ehe ein Wort auf meine Zunge kommt,
hast du, HERR, es schon gehört.
5 Von allen Seiten umgibst du mich,
ich bin ganz in deiner Hand.
6 Dass du mich so durch und durch kennst,
das übersteigt meinen Verstand;
es ist mir zu hoch, ich kann es nicht fassen.
7 Wohin kann ich gehen, um dir zu entrinnen,
wohin fliehen, damit du mich nicht siehst?
8 Steige ich hinauf in den Himmel –
du bist da.
Verstecke ich mich in der Totenwelt –
dort bist du auch.
9 Fliege ich dorthin, wo die Sonne aufgeht,
oder zum Ende des Meeres, wo sie versinkt:
10 auch dort wird deine Hand nach mir greifen,
auch dort lässt du mich nicht los.
11 Sage ich: »Finsternis soll mich bedecken,
rings um mich werde es Nacht«,
12 so hilft mir das nichts;
denn auch die Finsternis
ist für dich nicht dunkel
und die Nacht ist so hell wie der Tag.
13 Du hast mich geschaffen mit Leib und Geist,
mich zusammengefügt im Schoß meiner Mutter.
14 Dafür danke ich dir,
es erfüllt mich mit Ehrfurcht.
An mir selber erkenne ich:
Alle deine Taten sind Wunder!
15 Ich war dir nicht verborgen,
als ich im Dunkeln Gestalt annahm,
tief unten im Mutterschoß der Erde.
16 Du sahst mich schon fertig,
als ich noch ungeformt war.
Im Voraus hast du alles aufgeschrieben;
jeder meiner Tage war schon vorgezeichnet,
noch ehe der erste begann.
17 Wie rätselhaft sind mir deine Gedanken, Gott,
und wie unermesslich ist ihre Fülle!
18 Sie sind zahlreicher als der Sand am Meer.
Nächtelang denke ich über dich nach
und komme an kein Ende.
23 Durchforsche mich, Gott, sieh mir ins Herz,
prüfe meine Wünsche und Gedanken!
24 Und wenn ich in Gefahr bin, mich von dir zu entfernen,
dann bring mich zurück auf den Weg zu dir!
Johannes 15,1-8
1 Jesus sagt: »Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weinbauer. 2 Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt; aber die fruchttragenden Reben reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringen. 3 Ihr seid schon rein geworden durch das Wort, das ich euch verkündet habe. 4 Bleibt mit mir vereint, dann werde auch ich mit euch vereint bleiben. Nur wenn ihr mit mir vereint bleibt, könnt ihr Frucht bringen, genauso wie eine Rebe nur Frucht bringen kann, wenn sie am Weinstock bleibt. 5 Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt, so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts ausrichten. 6 Wer nicht mit mir vereint bleibt, wird wie eine abgeschnittene Rebe fortgeworfen und vertrocknet. Solche Reben werden gesammelt und ins Feuer geworfen, wo sie verbrennen. 7 Wenn ihr mit mir vereint bleibt und meine Worte in euch lebendig sind, könnt ihr den Vater um alles bitten, was ihr wollt, und ihr werdet es bekommen. 8 Die Herrlichkeit meines Vaters wird ja dadurch sichtbar, dass ihr reiche Frucht bringt und euch so als meine Jünger erweist. 9 So wie der Vater mich liebt, habe ich euch meine Liebe erwiesen. Bleibt in dieser Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote befolgt, dann bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich die Gebote meines Vaters befolgt habe und in seiner Liebe bleibe. 11 Ich habe euch dies gesagt, damit meine Freude euch erfüllt und an eurer Freude nichts mehr fehlt.
2. Jesus begegnen
Der Glaube hat Gründe. Gute Gründe sogar, wie ich finde. Dazu möchte ich später, vor allem im dritten Abschnitt noch einiges sagen. Und trotzdem ist es für mich so, dass nicht ein langwieriges Begründungsverfahren, ein vernünftiges Abwägen von Argumenten, von Pro und Contra, mich zum christlichen Glauben gebracht hat. Mein Kopf war da nicht ausgeschaltet, aber im Vordergrund stand etwas anderes. Ich komme aus einer christlichen Familie und bin mit den Geschichten der Bibel aufgewachsen. Es gab das Tischgebet und den sonntäglichen Kindergottesdienst. Und doch habe ich, genauso wenig wie ich durch Gründe und Argumente zum Glauben gekommen bin, den Glauben auch nicht „geerbt“. Man kann alles wissen und tausendmal gehört haben – und trotzdem fehlt der „Sinn“ für die Gegenwart und die Wirklichkeit Gottes. In meinem Leben habe ich die Erfahrung gemacht, dass diese Wirklichkeit Gottes plötzlich aufgeleuchtet ist – und mich dann überzeugt hat.
Eigentlich war das etwas sehr Schlichtes. Es war auf einer Jugendfreizeit, als ich 15 Jahre alt war. Wir waren mit unserer Jugendgruppe in Sardinien, drei Wochen zum Wandern in den sardischen Bergen. Am Abend lagen wir Jungen in unseren dünnen Schlafsäcken auf der Erde, ohne Zelt. Über uns der gewaltige Sternenhimmel, so groß, wie man ihn in unseren dicht besiedelten Landstrichen in Mitteleuropa gar nicht sehen kann. Und dann las unser Gruppenleiter wie an jedem Abend als Nachtgebet ein Psalmwort: Psalm 8. Dort steht, und es ist mir sehr genau im Gedächtnis geblieben: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du b...