Baustelle Parlament
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Baustelle Parlament

Warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht geeignet ist

  1. 108 Seiten
  2. German
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Warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht geeignet ist

Über dieses Buch

Das vorliegende Buch enthält zahlreiche Kommentare des Autors, kann aber auch als Einführung in das Österreichische Bundesverfassungs-Gesetz (B-VG) gelesen werden, wenn man nur die ausgewählten, kursiv geschriebenen Verfassungsartikel liest und alle Kommentare und Kritiken ausblendet. Der Leser erhält hier einen Überblick über alle Themen der Verfassung, die gesellschaftspolitisch von Relevanz sind und kann sich damit eine eigene Meinung über Form und Inhalt des B-VG bilden; und auch darüber, was nicht Inhalt der Verfassung ist.Das B-VG wird im Jahr 2020 einhundert Jahre alt. Warum die Fundamente und zahlreiche spätere Zubauten der österreichischen Verfassung in schlechter Verfassung sind, das erklärt der Philosoph Hubert Thurnhofer in allgemein verständlicher Sprache. Mit kritischen Fragen öffnet er die Tür von der bestehenden, antiquierten zu einer neuen, modernen Verfassung, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird. Vergleiche mit dem Grundgesetz Deutschlands und der Bundesverfassung der Schweiz zeigen, dass Verfassungen nicht nur Spielregeln festsetzen, sondern auch inhaltliche Vorgaben machen können. Vorarbeiten und Analysen zu weiteren Themen der Verfassung publiziert der Autor auf www.ethos.at

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Information

Die Verfassung in schlechter Verfassung

Artikel 1-9a B-VG

Vielgerühmtes, vielgeprüftes, vielgeliebtes Österreich! Als Bürger dieses Landes bin ich der Überzeugung, dass ich nicht nur unsere Bundeshymne, sondern auch unsere Verfassung kennen sollte. Nun legt das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) mit Nebenverfassungsrecht bei einem Umfang von 550 Seiten (621 Seiten inklusive Sachregister, Ausgabe MANZ'sche Verlagsbuchhandlung, 2014) die Vermutung nahe, dessen Lektüre sei nur für Experten geeignet. Vermutlich unterschreibt die absolute Mehrheit der Österreicher diese Vermutung. Doch als Bürger dieses Landes möchte ich mich nicht mit Vermutungen abspeisen lassen, sondern habe mich der Lektüre hingegeben. Naja, sagen wir ausgeliefert. Meine Diagnose (ich weiß, mangels rechtswissenschaftlicher Ausbildung ist sie naiv): Unsere Verfassung ist in einer schlechten, ja sogar bedauerlichen Verfassung!
Das VOLK kommt im B-VG nur zwei Mal vor: in Artikel 1 und 91, das BUNDESVOLK erhält seinen Platz in den Artikeln 44 und 60.
Artikel 1. Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.
Artikel 91. (1) Das Volk hat an der Rechtsprechung mitzuwirken.
Artikel 44. (3) Jede Gesamtänderung der Bundesverfassung … ist nach Beendigung des Verfahrens gemäß Art. 42, jedoch vor der Beurkundung durch den Bundespräsidenten, einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen.
Artikel 60. (1) Der Bundespräsident wird vom Bundesvolk auf Grund des gleichen, unmittelbaren, persönlichen, freien und geheimen Wahlrechtes der zum Nationalrat wahlberechtigten Männer und Frauen gewählt; stellt sich nur ein Wahlwerber der Wahl, so ist die Wahl in Form einer Abstimmung durchzuführen. Art. 26 Abs. 5 bis 8 ist sinngemäß anzuwenden.
Wenn das Recht vom Volk aus geht, so stellt sich die Frage: wo kehrt es danach ein? Die Antwort lautet: im Staatsapparat. Anders gesagt: das Recht geht vom Volk aus und ist dann ausschließlich im Staatsapparat zuhause! Schon ab Artikel 2 (die meisten Artikel sind in viele Absätze gegliedert) erfährt das Volk, dass es im B-VG um den Staatsapparat, seine Institutionen und Bediensteten geht.
Artikel 2. (1) Österreich ist ein Bundesstaat. (2) Der Bundesstaat wird gebildet aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg, Wien. (3) Änderungen im Bestand der Länder oder eine Einschränkung der in diesem Absatz und in Art. 3 vorgesehenen Mitwirkung der Länder bedürfen auch verfassungsgesetzlicher Regelungen der Länder.
Artikel 3. (1) Das Bundesgebiet umfasst die Gebiete der Bundesländer. (2) Staatsverträge, mit denen die Bundesgrenzen geändert werden, dürfen nur mit Zustimmung der betroffenen Länder abgeschlossen werden. (3) Grenzänderungen innerhalb des Bundesgebietes bedürfen übereinstimmender Gesetze des Bundes und der betroffenen Länder. Für Grenzbereinigungen innerhalb des Bundesgebietes genügen übereinstimmende Gesetze der betroffenen Länder. (4) Sofern es sich nicht um Grenzbereinigungen handelt, bedürfen Beschlüsse des Nationalrates über Grenzänderungen gemäß Abs. 2 und 3 der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.
Schon in den Artikeln 2 und 3 spiegelt sich der Zeitgeist nach dem Ende einer Epoche, die Robert Musil Kakanien nannte. Hier geht es darum, Maßnahmen zu setzen, damit sich die Jahrhunderte alten Usancen der europäischen Adelsdynastien nicht mehr wiederholen. Denn in der rund 1000-jährigen Geschichte Österreichs bis 1918 war es üblich, dass Herzog- und Fürstentümer Gebietsansprüche am Schlachtfeld anmeldeten und über anschließende Friedensverträge regelten. Auch Schenkungen oder Gebietsverschiebungen durch Erbschaften waren an der Tagesordnung. So übergab Kaiser Otto II im Frühjahr 976 „den spärlich besiedelten Landstrich, den man in den offiziellen Urkunden immer noch 'Awarenland', 'Orientalische Mark' oder einfach 'Östliche Gegend' (nicht aber, wie erst ab dem 19. Jahrhundert, 'Ostmark') genannt hatte einem an seinem Hof anscheinend bereits als fähigen und treuen Anhänger geführten Grafen Luitpold. Damit begann die eigentliche Geschichte Österreichs. … Markgraf Luitpold, der erste Babenberger...“ (Vajda, 41)
Nachdem es in Österreich seit 99 Jahren keine Grenzverschiebungen innerhalb der Bundesländer gibt, könnte man Artikel 3 komplett streichen und Artikel 2 auf Absatz 1 und 2 kürzen. Man könnte aber auch darüber nachdenken, ob das kleine Land Österreich innerhalb der großen EU heute noch neun Bundesländer benötigt, die nicht nur als Verwaltungseinheiten dienen, sondern auch zusätzlich mit eigenen Legislativen ausgerüstet sind. Immerhin hat die Steiermark begonnen Gemeinden und Bezirke zu fusionieren. Das ging, abgesehen von ein paar verbalen Aufständen von Bürgermeistern, die ihren Einflussbereich verloren haben, ziemlich reibungslos über die Bühne. Bei den Bürgern dagegen war ein Ansteigen von Selbstmorden aufgrund von Identitätsverlust nicht zu verzeichnen.
Artikel 4. (1) Das Bundesgebiet bildet ein einheitliches Währungs-, Wirtschafts- und Zollgebiet. (2) Innerhalb des Bundes dürfen Zwischenzolllinien oder sonstige Verkehrsbeschränkungen nicht errichtet werden.
Auch dieser Artikel lebt von der historischen Erinnerung an hunderte Zollschranken innerhalb Europas. Was soll man im Jahr 2020 dazu sagen? Danke, dass uns die Verfassung vor der Schnapsidee schützt am Semmering oder in Simmering Zoll- und Grenzschranken aufzustellen. Nach 25 Jahren in der EU sind bei den Bürgern zumindest zwei Änderungen im täglichen Leben angekommen: freier Warenverkehr und freier Personenverkehr. Jeder, der in einem EU-Land Urlaub macht erlebt die Annehmlichkeiten dieser Grundsätze ganz persönlich.
Artikel 5. (1) Bundeshauptstadt und Sitz der obersten Organe des Bundes ist Wien. (2) Für die Dauer außergewöhnlicher Verhältnisse kann der Bundespräsident auf Antrag der Bundesregierung den Sitz oberster Organe des Bundes in einen anderen Ort des Bundesgebietes verlegen.
Mag sein, dass dieser Artikel vor einer dauerhaften Verlegung der Bundeshauptstadt nach Brüssel schützt. Jedenfalls konnte er nicht verhindern den Regierungssitz der „Ostmark“ nach Berlin zu verlegen, obwohl für die „Dauer außergewöhnlicher Verhältnisse“ sicher nicht sieben Jahre Diktatur vorgesehen waren. Somit war das letzte historische Ereignis, von dem dieser Artikel inspiriert sein konnte, die Türkenbelagerung Wiens 1683. Kaiser Leopold I. flüchtete damals über Linz nach Passau, wo er „mit bemerkenswerter Energie, aber auch mit viel diplomatischem Taktgefühl die umfassenden Hilfsmaßnahmen für Wien zu organisieren begann“. (Vajda, 306) Es ist bekannt, dass der polnische König Jan Sobieski mit seinem Heer Wien befreite. Weniger bekannt ist, dass er dafür einen Sold von 500.000 Gulden kassierte. Leopold I. hat zur Finanzierung dieses Krieges so etwas wie eine erste europäische Union zur Leistung von Transferzahlungen organisiert: „Papst Innozenz XI stellte über eineinhalb Millionen Gulden zur Verfügung, und Spanien, Portugal, die Toskana sowie Genua machten eine weitere Million flüssig“. (Vajda, 310)
Artikel 6. (1) Für die Republik Österreich besteht eine einheitliche Staatsbürgerschaft. (2) Jene Staatsbürger, die in einem Land den Hauptwohnsitz haben, sind dessen Landesbürger; die Landesgesetze können jedoch vorsehen, dass auch Staatsbürger, die in einem Land einen Wohnsitz, nicht aber den Hauptwohnsitz haben, dessen Landesbürger sind. (3) Der Hauptwohnsitz einer Person ist dort begründet, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen einer Person auf mehrere Wohnsitze zu, so hat sie jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem sie das überwiegende Naheverhältnis hat. (4) In den Angelegenheiten der Durchführung der Wahl des Bundespräsidenten, von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern und zum Europäischen Parlament, der Wahl des Bürgermeisters durch die zur Wahl des Gemeinderates Berechtigten, in den Angelegenheiten der Durchführung von Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen auf Grund der Bundesverfassung oder einer Landesverfassung sowie in den Angelegenheiten der unmittelbaren Mitwirkung der zum Gemeinderat Wahlberechtigten an der Besorgung der Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde gelten für die Dauer einer Festnahme oder Anhaltung im Sinne des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, die letzten, außerhalb des Ortes einer Festnahme oder Anhaltung gelegenen Wohnsitze und der letzte, außerhalb des Ortes einer Festnahme oder Anhaltung gelegene Hauptwohnsitz vor der Festnahme oder Anhaltung als Wohnsitze beziehungsweise Hauptwohnsitz der festgenommenen oder angehaltenen Person.
In einem Satz zusammengefasst: Der Artikel 6 regelt Staatsbürgerschaft und Wohnsitz. Darüber hinaus ist der Artikel ein gutes Beispiel dafür, dass Gesetze Probleme oft erst schaffen, die sie eigentlich vermeiden sollten. Es ist plausibel, dass die Frage des Wohnsitzes für die Sicherheit des Landes (Kontrollmöglichkeit) notwendig ist. Dagegen kann Erfassung aller Steuerzahler nicht im Fokus dieses Artikels stehen, denn dafür gibt es laut Artikel 13 ein eigenes Finanz-Verfassungsgesetz. Wozu sind diese Detailregelungen des Wohnsitzes in der Verfassung erforderlich? Damit der Staat bei Wahlen exakt weiß, welcher Gemeinde die Stimme von Häfenbrüdern zuzuordnen sind. Das ist der Inhalt von Absatz 4. Bei einer freien Wahl geht es eben um jede Stimme, sogar um die von inhaftierten Bürgern.
Trotz enger Verflechtung der Staatsbürgerschaft mit der Frage des Wohnsitzes ist Artikel 6 nicht geeignet, der Entwicklung unserer Zeit Rechnung zu tragen. Laut UN-Bericht von 2017 leben weltweit 258 Millionen Menschen außerhalb ihrer Heimat. Rund zehn Prozent der in Österreich lebenden Bevölkerung sind lediglich „Wohnbürger“, wie Soziologen diese Gruppe nennen. Wohnbürger haben nicht die gleichen Rechte wie die übrigen Staatsbürger, doch die Klärung der Gleichbehandlung ist unmöglich, denn das Thema Migration bleibt im B-VG ausgeklammert.
Artikel 7. (1) Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. (2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten sind zulässig. (3) Amtsbezeichnungen können in der Form verwendet werden, die das Geschlecht des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin zum Ausdruck bringt. Gleiches gilt für Titel, akademische Grade und Berufsbezeichnungen. (4) Den öffentlich Bediensteten, einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres, ist die ungeschmälerte Ausübung ihrer politischen Rechte gewährleistet.
Der Artikel 7 erfasst den ersten substanziellen Grundwert unserer Verfassung: Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Aber nicht alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, wenn es darum geht österreichische Staatsbürger zu werden. So ist es ein Privileg der Landeshauptleute (verfassungsmäßig gedeckt durch Artikel 11, Absatz 1, siehe nächstes Kapitel) Staatsbürgerschaften an prominente Ausländer zu verleihen. Eine Geste, in der sich manche Landesfürsten offenbar wohl fühlen, weil sie an alte Zeiten erinnert, als manche Stände noch über dem Gesetz standen.
So hat der Salzburger „Landesfürst“ Wilfried Haslauer den Künstler Georg Baselitz 2015 "im besonderen Interesse der Republik Österreich" eingebürgert. Was genau könnte das besondere Interesse der Republik an einem Künstler sein, der in Deutschland 2013 ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung hatte, der sich trotz dutzender öffentlicher Ankäufe und trotz dutzender Ausstellungen in staatlich finanzierten Museen darüber alteriert, dass der Staat kein Geld für die Kunst habe. Tausende österreichische Künstler, die tatsächlich noch nie einen Cent vom Staat bekommen haben, sind vermutlich höchst erfreut über dieses „Interesse der Republik“ an der Ungleichbehandlung der Kunstschaffenden.
Schön, dass die staatstragenden Institutionen Bund, Länder und Gemeinden wenigstens die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau verfassungsgemäß garantieren. Doch ist es wirklich substanziell für die Verfassung des Landes, dass Amtstitel gegendert werden (können, nicht müssen)? Und ist es tatsächlich erforderlich, das Volk darüber extra in Kenntnis zu setzen, dass auch öffentlich Bedienstete einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres unter den Artikel 7, der ohnehin für alle Staatsbürger gilt, zu subsumieren sind?
Aus didaktischen Gründen zitiere ich Artikel 8 und 8a in voller Länge.
Artikel 8. (1) Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik. (2) Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern. (3) Die Österreichische Gebärdensprache ist als eigenständige Sprache anerkannt. Das Nähere bestimmen die Gesetze.
Artikel 8a. (1) Die Farben der Republik Österreich sind rot-weißrot. Die Flagge besteht aus drei gleichbreiten waagrechten Streifen, von denen der mittlere weiß, der obere und der untere rot sind (2) Das Wappen der Republik Österreich (Bundeswappen) besteht aus einem freischwebenden, einköpfigen, schwarzen, golden gewaffneten und rot bezungten Adler, dessen Brust mit einem roten, von einem silbernen Querbalken durchzogenen Schild belegt ist. Der Adler trägt auf seinem Haupt eine goldene Mauerkrone mit drei sichtbaren Zinnen. Die beiden Fänge umschließt eine gesprengte Eisenkette. Er trägt im rechten Fang eine goldene Sichel mit einwärts gekehrter Schneide, im linken Fang einen goldenen Hammer. (3) Nähere Bestimmungen, insbesondere über den Schutz der Farben und des Wappens sowie über das Siegel der Republik werden durch Bundesgesetz getroffen.
Nun wissen wir was Lehrer in der ersten Stunde Staatsbürgerkunde unterrichten müssen. Wir lernen, dass man Verfassungsartikel, auch wenn sie Nebensätze enthalten, so formulieren kann, dass sie jeder Grundschullehrer versteht. Wir lernen weiters, dass Verfassungsartikel nie alleine kommen, sondern immer weiterführen, weshalb wir die Gesetze (also normale Bundesgesetze ohne Verfassungsrang) brauchen, die das Nähere bestimmen. Nicht zuletzt lernen wir, dass eine Flagge, die lustlos vom Mast hängt, weil kein Wind bläst, der dafür sorgt, dass die Streifen der Flagge in der Waagrechten bleiben, verfassungswidrig ist.
Hier soll nicht der Eindruck entstehen, dass die österreichische Verfassung lediglich ein Objekt der Satire ist. Den folgenden Artikel 9 zitiere ich daher kommentarlos.
Artikel 9. (1) Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes gelten als Bestandteile des Bundesrechtes. (2) Durch Gesetz oder durch einen gemäß Art. 50 Abs. 1 genehmigten Staatsvertrag können einzelne Hoheitsrechte auf andere Staaten oder zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden. In gleicher Weise können die Tätigkeit von Organen anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen im Inland und die Tätigkeit österreichischer Organe im Ausland geregelt sowie die Übertragung einzelner Hoheitsrechte anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen auf österreichische Organe vorgesehen werden. Dabei kann auch vorgesehen werden, dass österreichische Organe der Weisungsbefugnis der Organe anderer Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen oder diese der Weisungsbefugnis österreichischer Organe unterstellt werden.
Kommentarlos, aber mit zwei Fragen, zitiere ich den Artikel 9a, mit dem im Jahr 1975 (Regierung Bruno Kreisky) das Kapitel „umfassende Landesverteidigung“ in die Verfassung aufgenommen wurde.
1. Welcher Absatz von 1 bis 4 könnte dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen?
2. Welche Bestimmung lässt den zwingenden Schluss zu, dass Österreich Luftraumüberwachungsflugzeuge zur Verwirklichung einer umfassenden Landesverteidigung benötigt?
Artikel 9a. (1) Österreich bekennt sich zur umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. Hiebei sind auch die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfähigkeit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen zu schützen und zu verteidigen. (2) Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirts...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Prolog
  3. Die Verfassung in schlechter Verfassung: Artikel 1 bis 9a
  4. Beamtenstaat im Geiste Kakaniens: 1862, 1867, 1988 und Artikel 10 bis 13 sowie 24 bis 49
  5. Unsere Verfassung kennt keine Bildung: Artikel 14, 14a und eine Auswahl von 14b bis 23k
  6. Das freie Mandat: Der Souverän (Artikel 56) und die Regierung (Artikel 19)
  7. Staatsvertrag und Neutralität: Österreichs Demokratie ist völkerrechtlich verankert
  8. Die Todesstrafe als Bruchlinie: Artikel 85, Menschenrechtskonvention und Charta der Grundrechte
  9. Finanzkapitalismus unterwandert die Demokratie: Artikel 50, 50a bis 50d
  10. Kann die Verfassung das Bargeld retten?: „Die Verwendung von Bargeld unterliegt keinen Einschränkungen“
  11. Die Bevorzugung des ORF ist verfassungswidrig: Rundfunkgesetz und Artikel 11 Charta der Grundrechte
  12. Der Rest ist Bürokratismus: Drittes bis Neuntes Hauptstück des B-VG
  13. Ein kleiner Ausflug in die Schweiz: Und: der Gesellschaftsvertrag von Jean-Jacques Rousseau
  14. Epilog
  15. Literatur
  16. Hubert Thurnhofer
  17. Über den Autor
  18. Impressum