Kim
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Kim

Nordkoreas Diktator aus der Nähe

  1. 416 Seiten
  2. German
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Kim

Nordkoreas Diktator aus der Nähe

Über dieses Buch

Wer ist Kim Jong-un? Die Karikatur eines Staatsmannes mit seltsamer Frisur? Ein unkalkulierbarer Tyrann, Herr über 25 Millionen geknechtete Untertanen und die Atombombe? Oder ein Machtpolitiker, der sein erstarrtes Land vorsichtig reformiert? Um das Leben des nordkoreanischen Diktators ranken sich Mythen und Legenden, allzu viel blieb bisher im Dunkeln. Anna Fifield, vielfach ausgezeichnete Journalistin der "Washington Post", ist als Erste eine faszinierende Nahaufnahme Kim Jong-uns gelungen. Detailliert und kenntnisreich rekonstruiert sie dessen Leben und seine politischen Ambitionen. In jahrelanger Recherche hat sie Informationen zusammengetragen und überprüft. Dabei konnte sie auf vielfältige Quellen aus dem unmittelbaren Umfeld der Herrscherfamilie zurückgreifen: auf Tante und Onkel des Diktators, die heute in den USA leben, den langjährigen Sushi-Koch und Freund des jungen Kim, Dissidenten aus Nordkorea sowie Fluchthelfer in China und viele andere. Mit gesunder Skepsis und journalistischem Gespür zeichnet Fifield das Porträt des wohl seltsamsten Regimes der Welt – isoliert und zugleich weltpolitisch bedeutend – und seines Herrschers, dem es gelungen ist, im Karussell der Mächtigen eine Rolle zu spielen.

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Teil 1
Lehrjahre
Kapitel 1
Die Anfänge
»Der hoheitsvolle Genosse Kim Jong-un, vom Himmel geboren und empfangen von Paektu.«
Rodong Sinmun, 20. Dezember 2011
Wŏnsan ist ein Paradies auf Erden – oder zumindest eines in Nordkorea.
In einem Land mit zerklüfteten Bergen und steinigen Böden, sibirischen Frösten und Sturzfluten ist das Küstengebiet um Wŏnsan eine der wenigen reizvollen Landschaften. Hier gibt es weiße Sandstrände und einen natürlichen Hafen, der mit kleinen Inseln übersät ist. In Wŏnsan verbringen Nordkoreas obere Zehntausend den Sommer. Es ist ihre Côte d’Azur, ihr Monte Carlo.
Die Urlauber baden im Meer oder entspannen sich in den Pools ihrer Strandhäuser. Sie zutzeln das köstliche Fleisch aus den pelzigen Klauen der teuren Wollhandkrabbe, die hier heimisch ist, und löffeln den Rogen aus ihrem Inneren. Sie begeben sich zum nahe gelegenen Sijung-See, dessen 47 Grad heißer Schlamm revitalisierend wirken und Falten glätten soll, ein Jungbrunnen für erschöpfte, alte Parteikader. Insbesondere die Elite der Eliten hat ein Faible für diese Region: die Familie Kim, die seit mehr als siebzig Jahren die Geschicke Nordkoreas bestimmt.
Hierher kam 1945 auch ein junger antiimperialistischer Kämpfer mit dem Kampfnamen Kim Il-sung, als er in seine Heimat zurückkehrte, nachdem Japan im Zweiten Weltkrieg besiegt und von der Halbinsel vertrieben worden war.
Hier wuchs Kim Jong-il im Verborgenen auf, bei Kriegsende gerade einmal vier Jahre alt, während sich sein Vater an die Spitze des neu gegründeten Nordkorea manövrierte. Dieser Teil der Halbinsel wurde von der Sowjetunion und China unterstützt, die südliche Hälfte von den Vereinigten Staaten.
Und hier war es auch, wo ein kleiner Junge namens Kim Jong-un lange Sommer im Müßiggang verbrachte, an den Stränden herumtollte und in einem Bananenboot über die Wellen flitzte.
Als er am 8. Januar 1984 zur Welt kam – eine Jahreszahl, die dank des Romanciers George Orwell in der übrigen Welt für immer mit Unterdrückung und Dystopie in Verbindung gebracht werden sollte –, regierte der Großvater des Jungen die Demokratische Volksrepublik Korea seit sechsunddreißig Jahren. Er war der Große Führer, die Sonne der Nation und der »stets siegreiche hervorragende General Kim Il-sung«.
Der Vater des Jungen, ein sonderbarer Mann mit gedrungener Figur, ein Filmfan, dessen große Leidenschaft dem Kino galt und der kurz vor seinem zweiundvierzigsten Geburtstag stand, war zum Erben des Regimes bestimmt worden, womit er diesem die zweifelhafte Ehre verlieh, zur ersten kommunistischen Dynastie der Welt zu werden. Er bereitete sich darauf vor, der Geliebte Führer zu werden, der Glorreiche General, der vom Himmel Geborene, der Leitstern des 21. Jahrhunderts.
Wie sein Vater hielt er sich gern in Wŏnsan auf. Genauso der kleine Junge, der eines Tages in die Fußstapfen der beiden treten sollte. In seiner Kindheit und Jugend reiste Kim Jong-un im Sommer aus Pjöngjang und später von einer Schweizer Schule kommend hierher. Viele Jahre danach, als er mit seinem persönlichen Vergnügungspark prahlen wollte, holte er einen exzentrischen amerikanischen Basketballspieler zu Bootstouren und Partys nach Wŏnsan – es waren wilde Partys. Noch später sollte ein exzentrischer amerikanischer Immobilienmagnat, der es zum Präsidenten gebracht hatte, »die großartigen Strände« Wŏnsans loben und sie als perfekten Ort für den Bau von Eigentumswohnungen bezeichnen.
Das Kim-Regime teilte die Naturschönheiten Wŏnsans mit ausgewählten Ausländern, um den Mythos vom »sozialistischen Paradies« Nordkorea zu pflegen. Die Stadt selbst war nicht besonders attraktiv. Im amerikanischen Bombenhagel des Koreakriegs war sie gänzlich zerstört und dann im eintönigen sowjetischen Stil wieder aufgebaut worden. Rote Schilder mit der Aufschrift »Lang lebe der Große Führer Genosse Kim Il-sung« und überdimensionale Werbeplakate für einen Totalitarismus, den die Bevölkerung ohnehin über sich ergehen lassen musste, krönten die grauen Betonbauten im Zentrum.
Die Hauptattraktion war stets der unberührte Strand von Songdowon. In den 1980er-Jahren, als Kim Jong-un hier am Strand spielte, war Wŏnsan einer der wichtigsten Orte für kommunistische Zusammenkünfte. Ein Pfadfindercamp zog 1985 Gruppen aus der Sowjetunion und der DDR an, und die staatlichen Medien veröffentlichten Fotos von glücklichen Kindern, die aus der ganzen Welt herbeiströmten, um den Sommer in Wŏnsan zu verbringen.2
Die Realität jedoch sah schon damals, als die Sowjetunion noch existierte und ihren asiatischen Klientelstaat stützte, ganz anders aus.
Als der Agraringenieur Lee U-hong, ein in Japan aufgewachsener Koreaner, 1983 nach Wŏnsan kam, um an der Landwirtschaftsschule zu unterrichten, sah er eine Gruppe junger Frauen alles über einen berühmten Baum lernen, der Goldkiefer genannt wurde. Lee hielt sie anfangs für Schülerinnen, doch wie sich herausstellte, waren es Studentinnen – sie sahen nur viel jünger aus, was auf Mangelernährung zurückzuführen war.3
Eines Tages ging er zum Strand, um sich die berühmte Weinrose von Wŏnsan anzusehen, konnte aber keine finden. Ein Einheimischer erklärte ihm, die Kinder litten derartig Hunger, dass sie die Blumen pflückten, um ihren Samen zu essen.
Lee sah nichts von den fortschrittlichen Landwirtschaftsmethoden oder den mit Maschinen ausgestatteten Agrarbetrieben, mit denen sich die Regierung und ihre Vertreter brüsteten – stattdessen fand er Tausende Menschen, die Reis und Getreide mit der Hand ernteten.4 Für das Kim-Regime galt es, einen Nationalmythos aufrechtzuerhalten.
Als 1984 Überschwemmungen Südkorea verwüsteten, schickte der Norden Lebensmittelhilfen von Wŏnsan aus. Der Hafen befindet sich nur knapp 130 Kilometer nördlich der entmilitarisierten Zone, des vier Kilometer breiten Niemandslandes, das seit dem Ende des Koreakriegs 1953 die Halbinsel teilt.
Acht Monate nach der Geburt Kim Jong-uns, als die Nordkoreaner selbst unter schwerer Nahrungsmittelknappheit litten, wurden in Wŏnsan Säcke mit der Aufschrift »Hilfsgüter für südkoreanische Flutopfer« und dem Symbol des nordkoreanischen Roten Kreuzes verschifft.
»Da dies das erste glückliche Ereignis seit unserer 40-jährigen Trennung war, herrschte große Begeisterung bei der Verladung«, berichtete 1984 die Rodong Sinmun, das Sprachrohr der herrschenden nordkoreanischen Partei der Arbeit. »Auf dem breiten Kai hallten frohe Abschiedsgrüße … Der ganze Hafen war ein einziges Bild familiärer Liebe.«
Kim Jong-un bekam von alledem natürlich nichts mit. Er führte ein unbekümmertes Leben in der Abgeschiedenheit eines der Familienanwesen in Pjöngjang oder in der Residenz am Strand von Wŏnsan, die so groß war, dass die Kim-Kinder mit einem elektrischen Golfwägelchen darin umherfuhren.5
In den 1990er-Jahren, als die nordkoreanischen Kinder Samen aufklaubten, schlemmte Kim Jong-un Sushi und sah sich Actionfilme an. Er begeisterte sich für Basketball und besuchte den Vergnügungspark Disneyland bei Paris.
Bis zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag 2009 lebte er hinter dem Vorhang des unzugänglichsten Regimes der Welt. Als er dann der Elite des Landes offiziell als Nachfolger seines Vaters vorgestellt wurde, entstand in Wŏnsan das erste offizielle Foto von ihm. Es zeigt ihn in einem schwarzen Mao-Anzug zusammen mit seinem Vater, seinem Bruder und seiner Schwester sowie zwei weiteren Männern unter einem Baum stehend. Es wurde nur ein- oder zweimal im nordkoreanischen Fernsehen gezeigt und ist sehr grobkörnig.
Wŏnsan blieb ein enorm wichtiger Ort für Kim Jong-un. Nachdem er Staatsoberhaupt geworden war, finanzierte er die Errichtung eines riesigen Freizeitparks in Wŏnsan, vielleicht um sich die Sorglosigkeit und die Vergnügungen seiner Jugend in Erinnerung zu rufen. Inzwischen gibt es in der Stadt auch ein Aquarium, durch das ein Tunnel führt, ein Spiegelkabinett wie auf einem Jahrmarkt und den Songdowon-Wasserpark, einen weitläufigen Komplex mit Hallen- und Freibädern samt einer verschlungenen Wasserrutsche – das Bild des sozialistischen Paradieses im Zeitalter der Themenparks.
Kim Jong-un besuchte das Projekt schon bald nach seinem Aufstieg zum »Geliebten und Verehrten Obersten Führer« im Jahr 2011. Bekleidet mit einem weißen Hemd, in der Höhe des Herzens eine rote Anstecknadel mit den Porträts seines Vaters und seines Großvaters, beugte er sich über die Wasserrutsche. Breit lächelnd gab er seiner Freude darüber Ausdruck, dass Nordkorea ganz aus eigener Kraft einen Wasserpark habe errichten können.
Von den Sprungtürmen aus konnten die Kinder die bunten Sonnenschirme am Strand und die Tretboote in der Bucht sehen. Sommer in Wŏnsan, das sei »der ungewohnte Anblick von Schülern, die mit bunten Schwimmreifen am Sandstrand stehen, und lachender Großeltern, die Hand in Hand mit ihren Enkelkindern herumhüpfen und auf das Meer hinausschauen«, berichteten die staatlichen Medien.
Diese Einrichtungen sind für das Proletariat vorgesehen. Für die Angehörigen der Führerdynastie gibt es ganz andere.
Auf dem riesigen Anwesen der Familie Kim stehen luxuriöse Strandvillen und geräumige Gästehäuser, weitläufig verteilt und von Bäumen abgeschirmt, um Privatsphäre zu schaffen. Diskretion ist für die Elite von höchster Bedeutung. Auf dem Gelände befindet sich ferner ein großes Hallenbad; Becken auf Schuten, die vor der Küste dümpeln, ermöglichen der Familie, gefahrlos im Meerwasser zu baden. Ein überdachtes Hafenbecken beherbergt die Jachten der Familie und über ein Dutzend Jetskis. Es gibt ein Basketballfeld und einen Hubschrauberlandeplatz. Und Kim Jong-un hat es auch nicht weit zu einem kleinen Flugplatz, sodass er das Urlaubsrefugium seiner Familie bequem mit seinem Privatflugzeug erreichen kann.
Die Familie teilt ihren Spielplatz mit der Elite, die sie an der Macht hält. Das Staatsschutzministerium, die erbarmungslose Behörde, die Lager für politische Gefangene unterhält, besitzt hier ein Sommerhaus am Strand. Ebenso das Büro 39, die Abteilung des Zentralkomitees, die insbesondere die Aufgabe hat, Geld für die Kasse der Familie Kim einzutreiben. Da das alles hier durch ihre Arbeit finanziert wird, ist es nur gerecht, wenn man sie auch an deren Früchten teilhaben lässt.6
Einen ungewöhnlichen Anblick – ungewöhnlich insofern, als man ihn in keinem der westlichen Disneylands findet, die mit harmloserem Feuerwerk auskommen – bietet die Raketenabschussbasis an der Küste von Wŏnsan. Kim Jong-un hat hier seit seiner Machtübernahme den Knopf für den Start Dutzender Raketen gedrückt und großen Artilleriemanövern beigewohnt.
Einmal sah er zu, wie seine Waffenexperten mit neuen 300-Millimeter-Raketenwerfern eine Insel unmittelbar vor der Küste pulverisierten. Bei anderer Gelegenheit musste er nicht einmal auf den Komfort seiner Strandresidenz verzichten. Seine Waffeningenieure rollten ihm eine Rakete auf einer mobilen Abschussbasis direkt vors Haus, sodass er den Start Richtung Japan grinsend vom Schreibtisch aus verfolgen konnte.
Hier, an seinem Privatstrand, veranstaltete Kim Jong-un 2014 auch eine Schwimmübung für die höchsten Kommandeure der Marine. Die Männer, sämtlich im Pensionsalter, tauschten ihre weißen Uniformen und Mützen gegen Badehosen, liefen ins Meer und schwammen fast fünf Kilometer weit, als gälte es, eine Schlacht zu schlagen.
Es war ein merkwürdiges Bild. Der neue Führer, der gerade erst dreißig geworden war, saß am Strand hinter einem Tisch und beobachtete durch ein Fernglas, wie sich Männer, die doppelt so alt und deutlich schlanker waren als er, auf seine Anweisung hin in die Fluten stürzten. Ein Jungspund ohne militärische Meriten zeigte den altgedienten Kadern, wer der Boss war. Dafür gab es keinen besseren Ort als seine höchsteigene Domäne in Wŏnsan.
Der Anspruch der Familie Kim auf die Führerschaft in Nordkorea hat seinen Ursprung in den 1930er-Jahren, als sich Kim Il-sung in der im Norden Chinas gelegenen Region Mandschurei als antijapanischer Partisan einen Namen machte.
Kim Il-sung, der ursprünglich Kim Song-ju hieß, wurde am 15. April 1912, demselben Tag, an dem die Titanic einen Eisberg rammte und sank, am Stadtrand von Pjöngjang geboren. Damals war die Stadt ein Zentrum des Christentums und wurde gar als Jerusalem des Ostens bezeichnet. Kim Il-sungs Familie war protestantisch, und einer seiner Großväter war Pastor.
Das kaiserliche Japan hatte Korea zwei Jahre vor Kim Il-sungs Geburt annektiert und führte sich als brutale Besatzungsmacht auf. Die Familie Kim floh in den 1920er-Jahren in die Mandschurei, um sich den japanischen Kolonialisten zu entziehen. Hier startete die Rebellion gegen die japanische Okkupation, und Kim – er nahm Anfang der 1930er-Jahre den Namen Il-sung an, was so viel bedeutet wie »die Sonne werden« – entwickelte sich zum antiimperialistischen Anführer.
In seinen offiziellen Erinnerungen stilisierte Kim den Kampf mit blumigen Worten. »Der Feind verglich uns mit ›einem Tropfen im Meer‹, aber hinter uns stand ein Meer von Menschen mit unerschöpflicher Stärke«, schrieb er. »Wir konnten den unerbittlichen Feind, der bis zu den Zähnen bewaffnet war, schlagen … weil wir ein mächtiges Bollwerk namens Volk und das grenzenlose Meer in Gestalt der Massen hatten.«7
In der offiziellen Geschichtsschreibung Nordkoreas werden Kims Leistungen stark übertrieben dargestellt. Er wird als Herz des Widerstands zu einer Zeit geschildert, in der er noch chinesische und koreanische Generäle über sich hatte, und es wird behauptet, die Partisanenbewegung wäre ohne ihn zusammengebrochen. Obwohl nur ein Rädchen in der Maschinerie des Widerstands, beanspruchte Kim das Verdienst an der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg ganz allein für sich.
Im Gegensatz zum offiziellen Narrativ verließ Kim Il-sung irgendwann seinen Stützpunkt in der Mandschurei und ging mit einer Frau, die er 1940 heiratete, in die Sowjetunion. Kim Jong-suk war vermutlich erst fünfzehn Jahre alt und arbeitete als Näherin, als Kim Il-sung sie 1935 kennenlernte.
Im Jahr 1942 – auch dies nach offiziellen Quellen, in Wirklichkeit war es 1941 – gebar sie ihren ersten Sohn Kim Jong-il in einem Militärlager bei Chabarowsk im fernen Osten der Sowjetunion.
Nach dem Ende des Pazifikkriegs 1945 und der Befreiung Koreas von den japanischen Besatzern war das Schicksal der Halbinsel ungewiss. Seit fast vierzehn Jahrhunderten hatte sie als ein Land existiert, aber die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, die Sieger im Pazifikkrieg, beschlossen, die Halbinsel unter sich aufzuteilen – ohne dass sie es für notwendig befanden, die Koreaner zu fragen, was sie denn wollten.
Ein junger Oberst der US-Armee namens Dean Rusk, der später amerikanischer Außenminister werden sollte, und ein weiterer Offizier, der zukünftige Vier-Sterne-General Charles Bonesteel, nahmen einfach eine Landkarte von National Geographic, zogen eine Linie quer über die koreanische Halbinsel entlang des 38. Breitengrads und schlugen vor, dass die Amerikaner die südliche Hälfte und die Sowjets den nördlichen Teil kontrollierten. Zu ihrer Überraschung stimmte Moskau zu.
Es sollte eine temporäre Lösung sein, sie hatte aber viel länger Bestand, als Rusk und Bonesteel je vermutet oder beabsichtigt hatten. Nach dem blutigen Koreakrieg von 1950 bis 1953 wurde diese Grenze mit der entmilitarisierten Zone zementiert – sie besteht jetzt bereits seit sieben Jahrzehnten.
Die Sowjets mussten einen Führer in ihrem neuen Klientelstaat in der nördlichen Hälfte des Landes einsetzen, einem gebirgigen Territorium von etwa 120 000 Quadratkilometern, ungefähr so groß wie Griechenland.
Kim Il-sung war bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.
Während seiner Zeit im Militärlager bei Chabarowsk hatte er seine sowjetischen Gönner genügend beeindruckt, um erwarten zu dürfen, eine tragende Rolle im neuen nordkoreanischen Regime zu spielen. Aber die Sowjets stellten ihn sich nicht als Führer des Landes vor. Sie betrachteten seine Ambitionen mit Skepsis. Stalin wollte nicht, dass er sich eine eigene, von den sowjetischen Okkupationstruppen unabhängige Machtbasis schuf.8
So wurde Kim Il-sung keineswegs mit Jubelrufen empfangen, als er am 19. September 1945 in einer sowjetischen Armeeuniform auf dem Kriegsschiff Pugatschow nach Korea zurückkehrte, das in Wŏnsan anlegte. Er durfte nicht einmal am siegreichen Einzug der sowjetischen Truppen in Pjöngjang teilnehmen, nachdem sie die letzten verbliebenen japanischen Besatzer vertrieben hatten.
Der von Moskau bevorzugte Kandidat für die Führung des neuen Klientelstaats war ein Nationalist namens Cho Man-sik, ein 62-jähriger presbyterianischer Konvertit, der eine gewaltlose, von Gandhi und Tolstoi inspirierte Reformbewegung angeführt hatte. Er entsprach nicht unbedingt den Idealvorstellungen der Sowjets – sie misstrauten seinen Verbindungen zu den Japanern –, aber er trat für Bildung und wirtschaftliche Entwicklung ein, um Korea in eine leuchtende und unabhängige Zukunft zu führen.9
Doch Kim Il-sung ließ sich nicht aufhalten. Bald schon brachte er sich für die Führerrolle im neuen Nordkorea in Stellung, unter anderem indem er seine sowjetischen Schutzherren zu feuchtfröhlichen Banketten mit Prostituierten einlud.
Tatsächlich gelang es ihm auf diese We...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelei
  3. Widmung
  4. Motto
  5. Inhalt
  6. Vorbemerkung
  7. Prolog
  8. Teil 1: Lehrjahre
  9. Teil 2: Konsolidierung
  10. Teil 3: Selbstbewusstsein
  11. Epilog
  12. Danksagung
  13. Anmerkungen
  14. Über die Autorin
  15. Impressum
  16. Stammbaum
  17. Karte
  18. Leseempfehlungen
  19. Körber-Stifung