»Komteß Mizzi«
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»Komteß Mizzi«

Eine Chronik aus dem Wien um 1900

  1. 236 Seiten
  2. German
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»Komteß Mizzi«

Eine Chronik aus dem Wien um 1900

Über dieses Buch

Ein »Sittenbild« aus dem Wien des Fin de Siècle - restauriert von Walter Schübler.Am 28. April 1908 werden Marcell »Graf« Veith und seine 18-jährige Tochter Marie festgenommen. Er wird der Kuppelei, sie der Geheimprostitution beschuldigt. Sie ertränkt sich noch am selben Tag in der Donau, er wird vor Gericht gestellt. Der »Skandal-Prozess« erregt weit über Wien hinaus Aufsehen. Umso mehr, als hohe Polizeibeamte, die Chefs des Sittenamts und des Sicherheitsbüros, im Tagebuch und in den Kassabüchern Maries als Kunden genannt werden. Kurz nach Verbüßung seiner Haft-strafe veröffentlicht Veith in einem Krawallblatt die Kundenliste: 205 »Cavaliere«, allesamt aus den besseren und besten Wiener Kreisen.Aus einer Unmenge zeitgenössischer Quellen und Dokumente - darunter der tausendseitige Gerichtsakt mit dutzenden Zeugenaussagen von Fiakerkutschern, Hausmeistern, Nachtportieren, Kellnern, Dienst-, Stuben- und Blumenmädchen, Bordellwirtinnen und Prostituierten - rekonstruiert Walter Schübler aus nächster Nähe den beklemmenden Fall der Marie Veith.

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Information

19.10.1908, Seitenstück 1: Der Chef des Sicherheits-Bureaus läßt
seine »schwer angegriffene Amtsehre« gerichtlich wiederherstellen

Den Anschuldigungen, die am zweiten Tag der Hauptverhandlung im Prozeß Veith gegen hohe Polizeifunktionäre erhoben wurden, folgen zwar umgehend durch die offiziöse »Korrespondenz Wilhelm« verbreitete und vielfach in Tageszeitungen abgedruckte Dementis – »entbehren jeder tatsächlichen Grundlage«, »vollkommen erfunden« –, die »schwer angegriffene Amtsehre« bedarf zu ihrer Rehabilitierung aber noch der gerichtlichen Wiederherstellung.
Am 19.10.1908 wird – nach gescheiterten »Ausgleichsverhandlungen«, die davor im Verteidigerzimmer stattgefunden haben – ab 9.30 Uhr im Großen Saal des Strafbezirksgerichts Josefstadt die Ehrenbeleidigungsklage verhandelt, die der Chef des Wiener Sicherheits-Bureaus, Moriz Stukart, gegen Anna Veith und Siegmund Hofmokl angestrengt hat. Wieder unter reger Anteilnahme der Zeitungen – die »Illustrierte Kronen-Zeitung« macht am 20.10.1908 gar ganzseitig damit auf – und diesmal auch der Gerichtssaalkiebitze.
Wie die Klagsschrift ausführt, trug sich bei der Hauptverhandlung am 31.7.1908 bei der Einvernahme Marie Blahas, des Dienstmädchens der Veiths, folgende Szene zu: Anna Veith: Mizzi hat sich auf das Bett von meinem Mann geworfen und hat geschrien: »Armer Papa, für mich kommst du ins Landesgericht, wo dich die Flöhe, Wanzen und Läuse beißen. ›Der Vater hat mich nicht verkuppelt‹, mit diesen Worten geh’ ich zu Gott. Die Polizei hat mich ausgeführt, und mein Vater wird verhaftet.« – Distler: Was soll das heißen: Die Polizei hat Ihre Tochter ausgeführt? – Hofmokl: Das heißt, daß der Chef des Sicherheits-Bureaus mit der Verstorbenen ein Verhältnis hatte und der Vater dafür eingesperrt wird. – Distler: Sie richten einen Angriff gegen eine Person, die durch Ihre Bezeichnung »Chef des Sicherheits-Bureaus« genügend gekennzeichnet ist. Ich warne Sie! Der Chef des Sicherheits-Bureaus wird sich zu wehren wissen. – Hofmokl: Im Tagebuch steht: »Heute war ich im Theater an der Wien mit Stukart; sehr gut unterhalten.« – Distler: Das ist doch eine harmlose Unterhaltung. – Hofmokl: Die Angeklagte meinte, die ganze Polizei hat von der Sache gewußt, und plötzlich wird die gesamte Familie auf die Polizei geführt. – Distler (zu Anna Veith): Wenn die Tochter sagt, sie geht zu Gott, läßt man sie doch nicht fort. – Anna Veith: Sie war wieder lustig und hat um ein Nachtmahl geschickt. (Erregt schreiend) Es sind drei Briefe vom Stukart dagewesen. Wo sind sie? Den letzten hat das Dienstmädchen noch übernommen. – Wiesner: Es ist ein riesiges Konvolut Briefe da. Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob Briefe von Doktor Stukart darunter gewesen sind. Ich habe sie nicht alle durchgeschaut. Fortwährend ein und dasselbe: »Liebe Mizzi!« Das hat kein Interesse. – Distler: Und der Geruch! – Anna Veith: Der letzte Brief ist noch in der Schreibtischlade gelegen. Der eine Detectiv hat noch auf diesen Brief vom Polizeipräsidenten hingezeigt. Ich habe es gesehen! Dann haben sie die Briefe herausgenommen.
Durch den »Ausfall« Hofmokls, so die Klagsschrift, sei Regierungsrat Moriz Stukart »einer unsittlichen Handlung« bezichtigt worden, da er, wie dem Beschuldigten bekannt sei, verheiratet sei. Viel schwerer wiege aber die Unterstellung eines Verhältnisses mit Marie Veith und der sowohl von Hofmokl wie auch Anna Veith hergestellte »schnöde Kausalnexus« zwischen dieser »insinuierten Beziehung« und der Verhaftung Marcell Veiths, der den Vorwurf des »schwersten Mißbrauchs der Amtsgewalt« impliziere. In 26 Jahren Staatsdienst, davon zehn als Chef der Sicherheitspolizei, sei nicht ein Mal »der Schatten eines entehrenden Vorwurfes auf das amtliche oder auf das Privatleben« des Klägers gefallen. Er sei es »[s]einem Amte, aber auch der gesamten Öffentlichkeit, deren Vertrauen in die Behörde nicht erschüttert werden darf, schuldig, [s]einen Verleumdern in öffentlicher Gerichtsverhandlung entgegenzutreten und vor aller Welt zu zeigen, daß der Leiter eines so wichtigen Ressorts, wie es das Sicherheits-Bureau der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien ist, in vollkommen grundloser Weise in seiner Amtsehre und in seiner Person verunglimpft worden ist«.
Nach Verlesung der Anklageschrift erklärt der Richter, Ober-Landes-Gerichtsrat Karl von Heidt, daß er die zwei Beschuldigten getrennt vernehmen werde. Anna Veith wird angewiesen, vorerst abzutreten.
Hofmokl legt dar, er habe die inkriminierten Äußerungen aufgrund von Informationen seiner Klienten, im guten Glauben und im Rahmen seiner Berufspflicht als Verteidiger gemacht. Anna Veith sei ihm damit in den Ohren gelegen, und er habe sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, er wage es nicht, gegen die Polizei aufzutreten. Zudem hätten ihm Dutzende Personen gesteckt, daß Stukart mit Mizzi Veith was gehabt habe, »stadtbekannt« sei diese Affäre gewesen. Er erklärt, was ihn bewogen hat, auf die an Anna Veith gerichtete Frage des vorsitzenden Richters hinauf erläuternd herauszuplatzen: »Das heißt, daß der Chef des Sicherheits-Bureaus mit der Verstorbenen ein Verhältnis hatte und der Vater dafür eingesperrt wird«: »Ich wollte, um den von mir verteidigten Veith freizubringen, nachweisen, daß es nur zwei Eventualitäten geben kann: Entweder hat die Polizei ihre Pflicht versäumt, dann kann man den Veith nicht strafen. Oder die Polizei hat davon gewußt und ist nicht eingeschritten, dann ist sie mitschuldig. Um diese Eventualitäten zu begründen, habe ich vorgebracht, daß Anhaltspunkte für die Annahme vorhanden sind, daß man von dem Verbrechen vier Jahre lang gewußt hat. Und die Öffentlichkeit hat das Recht, zu erfahren, wieso es kommt, daß ein Verbrechen vier Jahre lang der ganzen Welt bekannt sein kann, nur der Polizei nicht.«
Anna Veith beharrt auf ihren Anschuldigungen, sie legt, auf Befragen von Heidts, sogar nach: Ich bitte, ich hätte noch mehr sagen können, ich wollte aber nicht. Ich wollte den Stukart nicht in Schande bringen. Ich habe nicht alles gesagt. Wenn man mich heute fragt, werde ich alles sagen. Was mir aber meine Tochter gesagt hat, das schwöre ich bei Gott dem Allmächtigen. »Wenn ich sprechen wollte«, hat meine Tochter gesagt, »dann möchte vieles herauskommen, was bis jetzt noch nicht an das Tageslicht gekommen ist, dann möchte die Polizei eher ins Landesgericht kommen, bevor mein Vater hineinkommt.« – Von Heidt: Was hat sie über den Regierungsrat Stukart gesagt? – Anna Veith: Daß er sie ausführt, ins Theater, daß er sie näher kennt und nicht gesehen werden will in Wien, wenn er sie ausführt. (Gelächter im Auditorium)Von Heidt: Das ist höchst unanständig, hier in einem solchen Falle zu lachen. – Anna Veith (wendet sich gegen das Auditorium): Wenn man die Wahrheit sagen will, wird man ausgelacht. – Von Heidt: Haben Sie öfters mit Ihrer Tochter davon gesprochen? – Anna Veith: Ja. Ich möchte noch einiges sagen. Ich habe meiner Tochter öfters Vorwürfe gemacht wegen des Fortgehens. Da hat sie mir immer gesagt: »Hohe Herren verlangen ja nichts Unrechtes, da bekomme ich nur Geschenke, weil ich lustig bin, und dann sind das auch Herren, die über das Gesetz verfügen.« Da hat sie vielleicht auch den Stukart gemeint. – Von Heidt: Das, was sie wirklich gesagt hat, möchte ich wissen. – Anna Veith: Zum Abschied hat sie mir das gesagt. Wenn sie reden möchte, hat sie gesagt, dann möchten Stukart und Baumgarten in eine schöne Schlamastik kommen.
Auch was die Briefe betrifft, bleibt Anna Veith bei ihren Angaben. Drei Briefe von Stukart an ihre Tochter, alle in rosa Kuverts, seien dagewesen. Zwei habe sie entgegengenommen, einen dritten Marie Blaha. – Richard Preßburger (Anwalt Stukarts): Sie haben bei der Verhandlung gesagt, daß drei Briefe verschwunden seien, welche die Detectivs bei Ihnen eingepackt haben. Haben Sie diese Briefe gesehen? – Anna Veith: Ja. – Preßburger: Waren die Briefe mit »Stukart« unterschrieben? – Anna Veith: Meine Tochter hat mir früher gesagt, daß die Briefe von ihm sind. Als der letzte Brief kam, sagte sie: »Der ist von Stukart. Jetzt soll ich ins Theater gehen, und der Baron Popper hat mich auch schon eingeladen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich geh’ lieber mit dem Stukart.« – Von Heidt: Woher wissen Sie denn, daß die Briefe von Regierungsrat Stukart waren? – Anna Veith: Bitte, meine Tochter hat es mir gesagt. Ich kann es beeiden. Der eine Agent hat noch drauf gezeigt und hat dem andern ein Aviso gegeben. – Von Heidt: Haben Sie die Unterschrift gesehen? – Anna Veith: Ja … Ich habe nur drei Klassen besucht, ich kann schlecht lesen und schreiben. – Von Heidt: Sie selbst wissen also gar nichts, als was die Tochter ihnen gesagt hat. – Heinrich Böhmer (Anwalt Anna Veiths): War Ihre Tochter wahrheitsliebend? – Anna Veith: Ich bin dieser Meinung. Sie hat mir immer gesagt, sie geht mit Herren, die über das Gesetz verfügen. Ich habe es auch schon dem Herrn Untersuchungsrichter gesagt, daß meine Tochter meistens mit Herren verkehrt hat, die über die Gesetze verfügen. Ich habe mir gedacht, vielleicht kommt keine Verhandlung heraus, weil es für die Herren unangenehm wäre. Ich habe keinen genannt und mir gedacht, die Sache wird man niederschlagen, weil die Herren selbst fühlen werden, daß sie schuldig sind. Die Schwester meines Mannes wollte, daß ich die Namen dieser Herren nenne, mit denen meine Tochter gegangen ist, weil dann meinem Mann nichts geschehen kann. – Hofmokl: Habe ich Ihnen nicht gesagt: »Sie, Frau, es ist nicht notwendig, diese Namen zu nennen«, und Sie haben darauf bestanden? Ich wollte nicht, daß dieser Schmutz aufgerührt wird, und habe Sie deshalb wo hingeschickt. – Anna Veith (zögernd): Sie haben mir schon gesagt, Herr Doktor, ich soll die Namen nennen. Daß das nicht schadet, wenn ich nur die Wahrheit rede. (Große Bewegung) Von Heidt hält Anna Veith eindringlich vor, ja nicht ängstlich zu sein, sich nicht beeinflussen zu lassen und die volle Wahrheit zu sagen. – Anna Veith: Der Herr Doktor hat gesagt: »Ja, das kann nicht schaden.« Das kann meinen Mann retten – (Hofmokl lacht.) – Von Heidt: Nun, nun, nun … Reden Sie nur ruhig weiter, Frau Veith. – Hofmokl (unterbrechend): Ich wollte etwas anderes mit der Frage bezwecken. Die Namensnennung hat mit der Sache gar nichts zu tun. Ist es richtig, Frau Veith, daß ich Sie zum Herrn Baron Distler geschickt habe und zum Ober-Landes-Gerichts-Präsidenten Kallina und daß ich Ihnen gesagt habe, Sie sollen diese Herren um Rat fragen? (zu von Heidt) Ich will beweisen, daß man im Bewußtsein des Tatsächlichen sich mit der Tendenz trug, die großen Herren hineinzuzerren. – Von Heidt (unterbrechend): Ist das für die Sache von Bedeutung? – Hofmokl: Für die Sache nicht, aber für meine Verteidigertätigkeit. Ich war in dieser Sache so vorsichtig wie noch nie. Frau Veith war ja auch beim Ober-Landes-Gerichts-Präsidenten Kallina und beim vorsitzenden Richter, Baron Distler. Ich habe Frau Veith nur hingeschickt, weil ich die Verantwortung nicht tragen wollte. Sie sollte das tun, was man ihr rät.
Preßburger (zu Hofmokl): Welche Mittel haben Sie angewandt, um die Angaben Ihrer Mandantin zu prüfen. – Hofmokl: Ich bedaure, nun etwas weiter zurückgreifen zu müssen, um darzutun, warum ich nicht gezögert habe, die hohen Funktionäre zu nennen. Wie die Frau Veith kam, war ich erst einen Tag Verteidiger. Ich habe sofort wahrgenommen, daß diese Frau eine sehr beschränkte Person ist. Nun, und ich habe größeres Vertrauen zu den Schwachsinnigen, weil ihre Aussagen sich auf ihre Glaubwürdigkeit in der Wahrheitsbildung sicherer überprüfen lassen. Unter Tränen hat sie mir den Tod ihrer Tochter erzählt. Sie nannte mir auch den Namen Stukart. Es ist begreiflich, daß sich, wenn ein solcher Name genannt wird, die Öffentlichkeit einer solchen Person bemächtigt. Und da wurde gesprochen, es sei stadtbekannt, daß das Kind mit den Funktionären von der Polizei verkehrt. – Preßburger: Nennen Sie Quellen! – Hofmokl: No, zweihundert Leute haben das erzählt. – Stukart (erregt aufspringend): Das ist eine Lüge! – Von Heidt: Ich muß da selbst eingreifen. Können Sie die Personen bezeichnen, die Ihnen solche Sachen erzählt haben? Preßburger (aufgebracht): Nur drei Namen wollen wir wissen! – Hofmokl: Ich nenne nicht einen einzigen, weil ich selbst nicht an die Wahrheit dieser Sache glaube. Preßburger: Pfui! – Von Heidt: Dann müssen Sie konkreter sagen, daß das nur Tratsch war. Überlegen Sie sich nächstens, was Sie sagen. Sie sind ja sonst ein sehr intelligenter Herr.
Stukart, unter Eid als Zeuge vernommen, »gibt mit bewegter Stimme an«: In meiner dienstlichen Eigenschaft ist es für mich ungemein schmerzlich, nach einer tadellosen 26jährigen, aufreibenden Dienstzeit mich hier rechtfertigen zu müssen gegen Verdächtigungen, wie sie in jener denkwürdigen Verhandlung gegen mich vorgebracht worden sind. Ich bin aber immerhin ungemein dankbar, daß ich endlich zu Worte kommen kann und nach zweieinhalb Monaten schwerer Aufregung, nach zweieinhalb Monaten sorgenvollen, qualvollen Wartens … (beginnt zu weinen) (Pause) … die ich durchgemacht habe, endlich sprechen zu dürfen. Ich stehe heute hier frei von jeder Einflußnahme, von jedem Zwange sowohl von meiner vorgesetzten Behörde, vor der ich mich vollständig gerechtfertigt habe (weint abermals), aber auch frei von jeder Einflußnahme und jedem Zwang persönlicher Natur. Als Zeuge erkläre ich hier feierlich, daß alles, was gegen mich vorgebracht wurde, erlogen, erfunden und aus der Luft gegriffen ist. Ich habe die Mizzi Veith nie gekannt, meines Wissens nie gesehen, kein Verhältnis mit ihr gehabt, sie nie ins Theater begleitet, war mit ihr niemals an einem öffentlichen oder abgesonderten Ort. […] Ich habe nichts weiter zu sagen, als meinem Bedauern Ausdruck zu geben, daß es möglich war, daß solche Angriffe gegen mich erhoben wurden, daß es möglich war, die kostbarsten Güter der Menschheit zu untergraben, das größte Gut, meine Ehre und meine Existenz, anzutasten, (weinend) mein glückliches ungetrübtes Familienleben zu zerstören und das Leben meiner Frau, die nach einer unmittelbar vorhergegangenen lebensgefährlichen Operation rekonvaleszent war, zu gefährden. Ich bedaure, daß formale Gründe dem Verteidiger das Recht eingeräumt haben, mich in meiner Ehre anzugreifen. – Von Heidt: Wollen Sie sich über die Mizzi Veith noch äußern? – Stukart: Herr Ober-Landes-Gerichts-Rat, der jüngste Beamte bei uns weiß ja, daß es bei einer Prostituierten fast Gewohnheit ist, von der Unwahrheit zu leben, daß sie sich, wo möglich, an Polizeibeamte, am liebsten natürlich an meine Persönlichkeit anlehnen, um einerseits damit zu prunken, andererseits damit irgendeinen Schutz zu bezwecken. *Von Heidt: Herr Regierungsrat, wollen Sie sich vielleicht über die Aufzeichnungen im Tagebuch und im Kassenbuch äußern? – Stukart: Es ist ja schon pathologisch, anzunehmen, daß ich, der Stukart, mit einer notorischen Kokotte mich öffentlich in einem Vergnügungslokale zeigen sollte, daß ich mit ihr ein Verhältnis unterhalten haben sollte. Geradezu wahnsinnig aber ist es, zu behaupten, daß ich an eine solche Dame schreiben werde »Liebe Mizzi« und den Brief schließe mit »Dein Polizeirat«.
Mit der Causa Veith habe er amtlich nichts zu tun gehabt, Kuppelei falle nicht in den Zuständigkeitsbereich des Sicherheits-Bureaus. Lediglich die bei der Polizeidirektion eingelangte anonyme Anzeige gegen die Eheleute Veith habe er an das Kommissariat Margareten weitergeleitet. Erst aus den Zeitungen habe er von der Verhaftung der Veiths erfahren, und er sei sehr überrascht gewesen, daß ein Graf ohne sein Wissen verhaftet worden sei. Durch den Besuch des Barons Popper habe er dann erfahren, um was für einen »Grafen« es sich eigentlich handle. Der junge Baron Popper habe ihn nämlich einen Tag darauf besucht und ihn gebeten, ihm einige seiner Briefe zu verschaffen, die sich im Besitz der Mizzi Veith befanden. Es wäre ihm sehr unangenehm, wenn diese Briefe an die Öffentlichkeit gelangen würden.
Berthold Baron Popper gibt als Zeuge unter Eid an, er sei an dem besagten 14.4.1908, an dem Mizzi Veith laut ihrem Tagebuch mit Stukart im Theater an der Wien war, mit der ganzen Familie im Ronacher gewesen. Dort habe man die mit seinem Sohn Ferdinand bekannte Mizzi Veith gesehen, und zwar in Begleitung eines ihnen nicht bekannten Herrn mit schwarzem Vollbart und nicht mit Regierungsrat Stukart. Mizzi Veith habe zudem seinem Sohn ein paar Tage vor ihrem Tod gesagt, alles, was in der Stadt an Gerüchten über ihre Bekanntschaft mit Stukart kursiere, sei »dummes Gerede«.
Der nächste Zeuge, der Komponist Richard Goldberger de Buda, läßt wissen, daß Stukart am 14.4.1908 von 20 Uhr bis gegen Mitternacht bei einem der in seinem Elternhaus regelmäßig ausgeri...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. 16.05.1908: Marie Veith wird tot aus dem Donaukanal geborgen
  5. 11.11.1907: Gegen Marcell Veith wird anonym Anzeige erstattet
  6. 28.04.1908: Marcell und Marie Veith werden festgenommen
  7. 28.04.1908: Zeugen berichten von »Herrenbesuchen«
  8. 29.04.1908: Marcell Veith wird vernommen
  9. 30.04.1908: Das Sittenamt erkennt »schwer belastendes Tatsachenmaterial«
  10. 30.04.1908: Über Marcell Veith wird Untersuchungshaft verhängt
  11. 05.05.1908: Die Causa gerät zum »Großstadtscandal«
  12. 10.05.1908: Der »Fall« erscheint (neuerlich) als Feuilleton
  13. 03.-15.05.1908: Was wissen Ämter und Behörden?
  14. 17.-24.05.1908: Der Geliebte Marie Veiths sagt aus
  15. 12. u. 20.05.1908: Die Mentorin Marie Veiths wird vernommen
  16. 18.05.1908: Die Leiche Marie Veiths wird »gerichtlich beschaut und eröffnet«
  17. 19.05.-04.07.1908: Beweismittel werden gesichert, Zeugen vernommen
  18. 01.05.-06.07.1908: Der Beschuldigte, Marcell Veith, wird verhört
  19. 29.05.1908: Die Beschuldigte, Anna Veith, wird verhört
  20. 13.07.1908: Die Anklage lautet auf »Kuppelei nach § 132 IV St.G.«
  21. 30. u. 31.07.1908: Die Hauptverhandlung »wider Marcell Veith u. Anna Veith« findet unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt
  22. 29.07.-09.09.1908: »Sachdienliche Hinweise aus der Bevölkerung« gehen ein
  23. 25.08.1908: Marcell Veith stellt Antrag auf Enthaftung
  24. 09.09.1908: Marcell Veith fordert Berichtigung des Protokolls der Hauptverhandlung
  25. 21.09.1908: Marcell Veith beantragt 210 Kunden seiner Tochter als Zeugen
  26. 15. u. 16.10.1908: Die zweite Hauptverhandlung »wider Marcell Veith u. Anna Veith« wird »mit Ausschluß der Öffentlichkeit« durchgeführt
  27. 16.10.1908: Das k. k. Landes-Gericht in Strafsachen Wien fällt ein Urteil
  28. 16.10.1908: Marcell Veith meldet Nichtigkeit und Berufung an
  29. 10.02.1909: Marcell Veith tritt seine einjährige Kerkerstrafe an
  30. 19.10.1908, Seitenstück 1: Der Chef des Sicherheits-Bureaus läßt seine »schwer angegriffene Amtsehre« gerichtlich wiederherstellen
  31. 20.10.1908, Seitenstück 2: Der Vorstand des Sittenamts läßt sich gerichtlich bestätigen, daß er ein »Beamter von makelloser Ehre« ist
  32. 31.12.1909, Nachspiel: Marcell Veith veröffentlicht die Kundenliste
  33. Anhang
  34. Was wurde aus …
  35. Nachwort
  36. Zeitgenössische Kommentare
  37. Glossar
  38. Anmerkungen
  39. Bildnachweise
  40. Impressum
  41. Nachsatz