Verändern Psychopharmaka die Persönlichkeit? Machen Antidepressiva dick? Was haben Antidepressiva und Raketentreibstoff gemeinsam? Wird Cannabis demnächst ein Psychopharmakon? Und helfen Heilpflanzen wie Lavendel gegen Angst?Dieses Buch ist ein Fundus an Fakten rund um psychoaktive Substanzen. Über 100 Fragen und Antworten schildern allgemeinverständlich den "Siegeszug" der Psychopharmaka und anderer Substanzen, erläutern Wirkungsweisen und historische Entwicklungen, Risiken und Abwege, garniert mit Anekdoten, Kontroversen und fesselnden Details. Nie wurde fundiertes psychopharmakologisches Grundwissen unterhaltsamer vermittelt.
Häufig gestellte Fragen
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Das Wort Psychopharmaka stammt aus dem Griechischen. Psycho heißt Seele, Pharmakon die Gabe, das Gift. Nimmt man diese weite Definition, dann sind auch Drogen gemeint, die zur Schmerzlinderung oder zur Flucht in eine Phantasiewelt eingesetzt werden. Substanzen dieser Art gibt es wahrscheinlich, seit es Menschen gibt. So war Kokain in der religiösen Kultur und Lebenspraxis der indigenen Bevölkerung Südamerikas tief verwurzelt. Es ließ den vom Schicksal Gebeutelten seine Sorgen vergessen und vertrieb Müdigkeit und Hungergefühle.
1.2 Seit wann gibt es Psychopharmaka?
Die Sumerer wandten schon 4000 Jahre vor unserer Zeitrechnung Opium in Form von Schlafmohn zur besseren Duldung von chronischen und schmerzhaften Erkrankungen an. Wandernde Ärzte in der Antike verabreichten Sterbenden eine Mischung aus Opium und Wein. Aus einem ca. 1600 vor Christus stammenden Papyrus geht Palmwein als Arzneibestandteil hervor. Bier wurde zuerst von den Ägyptern gebraut.
Die Geschichte der Psychopharmaka im engeren Sinne beginnt mit dem Neuroleptikum Chlorpromazin Anfang der 1950er-Jahre, welches erstmals eine effektive Behandlung der Schizophrenie ermöglichte (
Kap. 3.8).
Exkurs: Krankheit oder Störung?
Die Ursache der meisten psychischen Erkrankungen wird heute im Wesentlichen auf biologische, psychische und soziale Faktoren zurückgeführt. Man geht immer mehr davon aus, dass biologische, psychische und soziale Faktoren sich keinesfalls ausschließen, sondern im Gegenteil ergänzen. Obwohl nur schwer nachvollziehbar, ist die zunehmende Auffassung in der modernen Psychiatrie diejenige, dass es keinen wesentlichen Unterschied zwischen organischen und psychischen Erkrankungen gibt. Die Gewichtung ist jedoch jeweils eine andere. Während bspw. bei Morbus Alzheimer oder Hirntumoren die biologischen Faktoren die maßgebliche Rolle spielen, liegt der Schwerpunkt von Erkrankungen wie Depressionen, Phobien, Angsterkrankungen etc. auf der Psychodynamik. Unter Psychodynamik versteht man u. a. die bewussten und unbewussten Motive unseres Verhaltens sowie die Grundlagen ihrer Entstehung durch biographische Einflüsse.
Auch wenn Fachkreise heute zu Recht das sog. triadische System nicht mehr als zeitgemäß betrachten, bietet das mit ihm verbundene Modell weiterhin einen ersten, didaktisch einfachen Zugang zum Verständnis der unterschiedlichen psychiatrischen Erkrankungen (
Abb. 1.1).
Jede psychische Veränderung oder Erkrankung kann im Rahmen dieses Modells einer Spitze des Dreiecks zugeordnet werden. Wie eingangs erwähnt, lassen die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte eine solche strikte Trennung dieser Erkrankungseinheiten nicht mehr zu. Beispielsweise spielen auch bei den endogenen Psychosen psychodynamische Faktoren eine Rolle und bei neurotischen Störungen biologische. Am besten
Abb. 1.1: Das triadische System zur Einordnung psychiatrischer Erkrankungen (aus Voß 2019, S. 101; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Adlerstein Verlags, www.adlerstein-verlag.de)
abgrenzbar sind immer noch die exogenen Psychosen, bei denen immer eine morphologische Veränderung des Gehirns gefunden werden kann, z. B. bei traumatischen Hirnschädigungen, Morbus Alzheimer, Morbus Pick, usw.
Da eine klare Zuordnung oft nicht möglich ist, versucht die heutige Psychiatrie auf Begriffsbildungen wie etwa Neurose, Psychose und Endogenität zu verzichten. Stattdessen wird eine beschreibende Klassifikation bevorzugt.
Die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen ist ein großes Thema. Abweichendes, unerwünschtes oder sonst wie nicht konformes Verhalten wurde in der Vergangenheit häufig als psychisch krank etikettiert, um mit dieser Instrumentalisierung unliebsame Zeitgenossen wegzusperren und mundtot zu machen. Um eine solche Stigmatisierung von vorherein zu vermeiden, wurde in der internationalen Klassifikation für psychische Erkrankungen der Begriff »Psychisch krank« durch »Störung« ersetzt. Was im Umkehrschluss jedoch nicht heißt, dass es psychische Erkrankungen nicht gäbe. Sie sind keine reine Erfindung, wie dies bspw. schon vor vielen Jahren der Psychiater Thomas Szasz in seinem Buch »Schizophrenie – das heilige Symbol der Psychiatrie« (1982) und weitere Autoren der antipsychiatrischen Bewegung behauptet hatten. Wie er eine solche These mit seiner Tätigkeit als psychiatrischer Oberarzt in einer Klinik vereinbaren konnte, ist nicht bekannt.
Auch wäre es irrsinnig zu behaupten, dass alle Organe und Organsysteme des Menschen prinzipiell erkranken können, aber das komplexeste Organ, das Hirn, gerade nicht.
1.3 Verändern Psychopharmaka die Persönlichkeit?
Dass ein katholischer Priester nach Einnahme eines Antidepressivums zum Kommunismus konvertiert und Erster Sekretär der linken Partei seines Landes geworden ist, ist noch nicht berichtet worden. Ebenso gibt es keine Hinweise, dass Politiker der Grünen nach Einnahme eines Psychopharmakons zu erzkonservativen Patriarchen wurden. Trotzdem ist die Frage, ob Psychopharmaka eine persönlichkeitsverändernde Wirkung besäßen, eine der häufigsten Fragen, die Patienten stellen. Die Befürchtung liegt ja auch quasi auf der Hand, denn wenn ein Pharmakon die Psyche beeinflusst, warum sollte es dann nicht in der Lage sein, die Persönlichkeit ändern? Keine Panik! Je nachdem, welche Gruppe von Psychopharmaka verordnet wird, beeinflussen diese die Stimmung, reduzieren Ängste, fördern Wachheit oder Kognition und je nach Nebenwirkungsspektrum können sie auch schon mal das Gegenteil bewirken. Aber die Besonderheit des einzelnen Menschen, seine Grundeinstellungen in kulturellen, politischen und ethischen Fragen, kurz die Eigenschaften, die ihm seine individuelle unverwechselbare Struktur verleihen, verändern sie nicht. Wie alle anderen Medikamente werden auch Psychopharmaka, je nach Substanz, nach einigen Stunden bis Tagen aus dem Organismus wieder ausgeschieden und dann sind per definitionem sowohl ihre positiven als auch negativen Wirkungen nicht mehr nachweisbar.
1.4 Können Psychopharmaka aggressiv machen?
Ein wenig thematisiertes Phänomen. Andererseits nicht zu vernachlässigen. Wenn Amphetamine bei ADHS eingesetzt werden, führen sie zu besserer Konzentration, vermehrter Aufmerksamkeit und Ausgeglichenheit (
Kap. 5.12). Werden sie vom Gesunden eingenommen, führt es zu Antriebssteigerung und Euphorie, was auch schon mal in Impulsdurchbrüche und Aggressivität einmünden kann. Eine längere Einnahme kann mit einem erhöhten Risiko einer Psychose einhergehen.
In seltenen Fällen können auch Antidepressiva aggressiv machen. Nach psychoanalytischer Auffassung ist die Depression eine Wendung der Aggression gegen sich selbst. Wenn diese nach innen weniger und nach außen mehr wird, ist ein aggressiveres Auftreten eigentlich nicht verwunderlich. Anders als Laborwerte lässt sich Aggressivität nicht objektiv messen. Sie ist eine Sache von Auslegung und Interpretation und entzieht sich somit einer wissenschaftlich fundierten Überprüfung. Eine mögliche Erklärung, warum Aggressivität unter Antidepressiva wenig beschrieben ist. Meiner Einschätzung nach ist dies nicht automatisch eine unerwünschte Nebenwirkung und kommt auch gar nicht so selten vor. Insbesondere tritt es bei Antidepressiva auf, die auf den Noradrenalin- und Dopamin-Stoffwechsel wirken.
1.5 Können Psychopharmaka das Gedächtnis beeinträchtigen?
Insbesondere Dopamin und Acetylcholin sind Neurotransmitter, die für die Gedächtnisbildung zuständig sind. Somit ist klar, dass sowohl die älteren Antidepressiva, die häufig eine anticholinerge Nebenwirkung haben (d. h., sie heben die Wirkung von Acetylcholin auf), als auch Neuroleptika/Antipsychotika, die eine antidopaminerge Wirkung haben (d. h., sie heben die Wirkung von Dopamin auf), auch das Gedächtnis beeinträchtigen können. Bei bestimmten Psychopharmaka ist auch das genaue Gegenteil beschrieben worden. Insbesondere bei Antidepressiva, welche für krankheitsbedingte Gedächtnisstörungen als Teilsymptom der Depression verantwortlich sind. Sie können sich, insbesondere durch die neueren Antidepressiva, komplett zurückbilden. Über einen längeren Zeitraum eingenommen, können auch Benzodiazepine das Gedächtnis beeinträchtigen.
1.6 Können Psychopharmaka auch psychische Krankheiten verursachen oder auslösen?
Falsch eingesetzt ganz sicher. Neuroleptika können beispielsweise durch die antidopaminerge Wirkung eine pharmakogene Depression auslösen. Umgekehrt Antidepressiva bei der bipolaren Erkrankung eine manische Phase.
Auf einer ganz anderen Ebene verursachen Psychopharmaka, genauer gesagt deren Hersteller, für eine rasche Zunahme psychischer »Erkrankungen«. Zunächst einmal: Die Herstellung eines neuen Pharmakons, egal ob somatische oder psychische Krankheiten betreffend, verschlingt eine Unsumme Geld. Konzeption eines neuen Wirkstoffes, Tierversuche, Ethikkommissionen, Versuche an gesunden Probanden, an Patienten, etc. etc. Die dadurch entstehenden Kosten können drastisch reduziert werden, wenn einfach eine neue Krankheit ge- oder besser erfunden wird, gegen die das Pharmakon ebenfalls wirkt. Begünstigt wird dies durch die immer weitere Absenkung der Schwelle für psychisch Kranke. Beispiel: Ejaculatio praecox, vorzeitiger Samenerguss. Die ejakulationsverzögernde Wirkung der SSRI kann hier eine deutliche Besserung bewirken. Verschrieben werden kann ein Medikament allerdings nur gegen eine Erkrankung. Und schon ist aus einer physiologischen Reaktion ein diagnostizierbares Leiden geworden. Nach demselben Prinzip kann aus Schüchternheit soziale Phobie werden, noch ein Fall für die SSRI. Oder aus Trauer reaktive Depression …
1.7 Können Psychopharmaka Depressionen auslösen?
Nicht nur internistische Medikamente wie Kortison und Beta-Blocker können Depressionen auslösen, sondern auch Psychopharmaka vom Typ der Benzodiazepine und insbesondere aus der Gruppe der Antipsychotika. Zwar werden durch den Dopaminantagonismus (
Kap. 3.2) Wahnideen und Halluzinationen deutlich gebessert, andererseits aber auch die positiven Wirkungen des Dopamins wie Lust, Freude und Motivation verringert, was in der Summe in eine Depression führen kann. Das soll auch der Grund sein, warum nahezu alle Schizophreniepatienten rauchen. Denn das Nikotin stimuliert in der Leber die abbauenden Enzyme der Antipsychotika. Zusätzlich hat Nikotin einen direkten Dopamin verstärkenden Effekt. Ganz so einfach ist es aber denn doch nicht, da man weiß, dass auch Psychosen selbst im Laufe der Erkrankung zu Antriebsverminderung, kognitiven Beeinträchtigungen und sozialem Rückzug führen. Dann kann es schwierig sein, die krankheitsbedingte von der pharmakogenen Depression zu unterscheiden.
Was ist ein epileptischer Anfall? Wenn das Gehirn durch bestimmte Bedrohung, Medikamente oder belastende Umweltfaktoren (Alkohol, Flackerlicht und Schlafentzug, um die häufigsten zu nennen) gereizt wird, reagiert es mit einer synchronen Entladung der Nervenzellen, wodurch ein Krampfanfall mit Bewusstseinsverlust und abnormen Muskelzuckungen entsteht. Epileptische Anfälle, die so verursacht werden, nennt man Gelegenheitsanfälle. Eine Gelegenheit stellen auch die klassischen Antidepressiva sowie einige Psychotika dar. Doch auch wenn diese Substanzen häufig im EEG deutliche Veränderungen hervorrufen, so ist das Risiko eines Krampfanfalls doch recht gering.
1.9 Schließen sich Psychopharmaka und Psychotherapie aus?
Man kann die Psychiatriegeschichte von 1850 bis zur Entdeckung der ersten Psychopharmaka Anfang der 1950er-Jahre wie folgt zusammenfassen: Böse und biologisch orientierte Irrenärzte hielten psychologische oder gar soziale Theorien für die Entstehung von Geisteskrankheiten für Unfug und gaben sich ganz der Neuroanatomie und Neurochemie hin. Dann tauchten Ende der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts Psychoanalytiker und Psychotherapeuten auf, die die biologisch Verblendeten zu Fall brachten. Psychische Erkrankungen waren von nun an die Folge von frühkindlichen Konflikten in Verbindung mit ständigen Überforderungen durch die Zumutungen der Moderne. Und schließlich war die Psychoanalyse von Sigmund Freud das Amen in der psychologischen Kirche. Wer mehr erzählen wollte, diskreditierte sich selbst.
Ab 1950 fand jedoch eine neurobiologische Revolution statt. Dass das Unbewusste der Urknall aller psychischen Erkrankungen sei, wurde drastisch relativiert. Genetik und Neurotransmitter spielten mindestens eine genauso wichtige Rolle. Somit war neben dem Marxismus die Psychoanalyse ein weiterer ideologischer Dinosaurier des 19. Jahrhunderts. Die Schatten dieses Dinosauriers reichten jedoch noch weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Insbesondere die...