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Kapitel 1
»Fritz! – – Fritz!! – – – Lieber Fritz!!! – – – Fritz!!!«
»Hmmm!«
»Nein, bitte Fritz, wach auf!«
»Ich wache.«
»O Fritz, wenn du wachst, dann mußt du doch hören, daß unser Erni furchtbar schreit.«
»Ich höre nichts.«
»Fritz!!!!«
»Ja, Kerlelein, wenn du mit Ausrufungszeichen redest, dann – – – «
»O Fritz, unser armer Junge!!!«
»Warum arm?«
»Weil er so gräßlich schreit.«
»Alle kleinen Kinder schreien, sie müssen erst zum Stillesein erzogen werden. ›Auch Stillesein ist ein gewaltig Werk‹, singt der Dichter.«
»O Fritz, ich wollt', du wärst auch still. Wie du nachts um zwei Uhr Dichter zitieren kannst, ist mir unverständlich.«
»Mir auch. Du bist schuld, Kerlchen. Ich schlief so süß und träumte von dir.«
»Unsinn! Wie kann man bei dem Geschrei schlafen und träumen.«
»Mein Teil schreit wahrscheinlich nicht, deshalb hörte ich nichts.«
»Fritz, du willst dich doch nicht auf die andere Seite legen?«
»Warum nicht? Ich liege bereits seit 11 Uhr immer auf derselben.«
»Ach, das meine ich natürlich nicht. Ich frage dich bloß, ob du wieder einschlafen willst?«
»Natürlich.«
»Es ist nicht möglich!«
»Gute Nacht, Kerlelein!«
»Friedrich von Rumohr-Rotbach!«
»Kerlchen, geborene Schlieden, mir sind deine sämtlichen Namen nicht ganz gegenwärtig – – –«
»Oh – oh – oh – hör nur das Kind!«
»Er ist Stammhalter der Familie Rumohr und verkündet dies der Welt auf eigene Art. Eine gute Lunge ist ein Segen Gottes. Vielleicht wird er mal Reichstagsabgeordneter –«
»Oder Nachtwächter, Fritz – – o Gott – – er hat schon gar keine Stimme mehr.«
»Die kommt wieder.«
»Fritz, wenn ich nicht wüßte, daß ich am Traualtar einem Ehrenmanne die Hand gereicht habe – –«
» Das hast du, Kerlelein – –! Wird mein Lütten tragisch? Ich kenne dich ja gar nicht mehr. Wie sagte Pfarrer Truling so treffend? Ich sei der Rumohr und du der Humor ?«
»O, mir ist nicht humoristisch zumute.«
»Das merk' ich.«
»Mein einziges, wunzwinziges Kind haben schlechte Menschen auf den wüsten, letzten Flügel eines einsamen, alten Schlosses geschoben, wo es sich tot schreit.«
»Kerlchen, Phantasie hast du, das muß man dir lassen.«
»Und ich arme Mutter bin durch das Verbot eines mit im Komplott befindlichen Arztes an das Bett gefesselt – – –«
»Kerlchen!«
»O, jetzt hört man nichts mehr – – –«
»Gott sei Dank! – – –
»Er ist tot – –«
»Aber Kerlchen! Er macht nur 'ne etwas längere Kunstpause, horch – da fängt er wieder an. Und war es vorher allegro ma non troppo, so ist es jetzt con brio, – con fuoco! – Junge, Junge, nimm Vorspann, – – so – – ahh – – – – –
»Fritz, ich bitte dich, – inständigst – – steh auf.«
»Aber Kerlelein!«
»Fritz!«
»Keilchen, sei doch mein Vernünftiges! Haben wir es nicht Doktor Paul feierlichst in die Hand versprochen, uns seinen Anordnungen fügen zu wollen, die das beste für uns und unser Kind bezwecken?« – Und jetzt sollen wir wortbrüchig werden? Heute, in der ersten Nacht, da wir unsere Elternvernunft erproben sollen?«
»Vernünftig sein ist grausam. O, wie unser Liebling schreit – – –«
»Der Jung' gefällt mir, es liegt Methode drin.«
»Fritz! O Fritz!«
»Und musikalisch ist er, – hör doch bloß, Kerlchen, das muß dich ja glücklich machen. Der Bengel pfeift das hohe C wie 'n Heldentenor. – – Nanu? Was tust du, Kerlelein?«
»Aufstehen will ich! Meinst du, ich wollte die ganze Nacht in diesen Martern verbringen und deine schrecklichen Witze anhören? Ich gehe zu meinem Kinde.«
»Untersteh dich, du böses Kerlelein! – Ich leid es auf keinen Fall! So! – – Ruhig liegen geblieben! Wie du glühst! Ist das auch artig von meinem kranken Liebling? Fieber bekommen? he? Und an mich denkst du gar nicht? An meine Sorge und an Bubis Gesundheit?«
»O Fritz!«
»Nein, jetzt steh' ich auf. Du ängstigst dich doch sonst die ganze Nacht ab – du Erzgeneraldümmerchen.«
»O mein Friedel, du bist so gut – – ich hab' so Sehnsucht nach Kleinchen.«
»Nach dem Schreibalg? Komischer Geschmack! Und nun hör bloß, das ist der rechte, echte Schliedensche Eigensinn, mit dem er losblökt.«
»O, hau ihn bloß nicht, Fritz, lieber guter Fritz, es kann ja auch Rumohrscher Dickkopf sein – – –«
»Kerlelein – –«
»Nein, nein! Ich geb ja nach. Es ist Schliedens Art. Aber hol mir das Kind!«
»Jawohl! Teures Weib, gebiete deinen Tränen! Ich beginne meinen dunkeln Weg, Diese Kerze leuchte mir zu jenen Gemächern, wo unser einziges Kind schmachtet und Molch und Uhu nisten.«
Fritz verschwand durch die Tür, Kerlchen setzte sich im Bett hoch, und ein glückliches Lächeln lag auf seinem etwas blassen Gesichtchen in Erwartung der kommenden Minuten.
Bald trat auch Fritz wieder ein, vorsichtig einen mächtigen Kinderwagen vor sich herschiebend. Es war ein uraltes Gehäuse, eine wahre Familienkutsche und hatte wohl schon Fritzens Großvater gedient.
»Kajüte« nannten die Dienstboten das Monstrum.
»Bringst du ihn, Fritz? Bringst du ihn?«
»Freilich bringe ich ihn. Oder meinst du, ich schöbe Klock 2 Uhr nachts die leere Kajüte durch das Schloß meiner Ahnen aus purem Pläsiervergnügen?«
»Tausend Dank, Friedel!«
»Den nehme ich an. Und morgen kommt wieder die alte Wärterin her, ich will nachts meine Ruhe haben und du sollst sie auch bekommen.«
»Bist du ärgerlich auf mich, Friedel?«
»Na, es geht für'n Schaltjahr.«
»O sieh doch den süßen, süßen Jungen, er guckt uns groß an.«
»Ja, er hat noch nie so unvernünftige Eltern gesehen. Ordentlich überlegen sieht er aus, der Filou.«
»Gib ihn mir, Friedel. – O du Herzenskind, süßes, einziges, du bist gewiß hungrig.«
»Hungrig und – noch so verschiedenes. – Das hat er mit altem, gutem Champagner gemein, daß er trocken aufbewahrt sein will.«
»Das wollen wir gleich haben.«
»So, Kerlelein! Ahh! Wie das Bett wohltut! Bedenke, es ist Januar. Jetzt bringt mich kein Gott wieder heraus. – Ahhh! Wenn ich so überlege, daß ich es nicht um ein Haar besser haben soll, als der geringste Tagelöhner auf meinem Gute – – – ich, der Gutsherr – – –«
»Vor allen Dingen...