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Kapitel 1
Kerlchen kniete vor einem Riesenkoffer und packte.
Es hatte das schon so oft in seinem jungen Leben getan, daß es mit ordentlichem Wohlbehagen auf sein Werk blickte. So einen Koffer voll! Das sollte ihm mal einer nachmachen!
Neben Kerlchen auf einem hochbeinigen Lehnsessel saß Fräulein von Hartwig und seufzte.
Schwer, tief und anhaltend seufzte sie.
Um Kerlchens Mund spielte ein leises, humoristisches Lächeln.
»Nun, mien Deern, ich find' es nicht grad' hübsch, daß du deine alte Tante auslachst.«
»O Tanting, ich lach' ja gar nicht, ich lächle ja bloß.«
»So, das ist noch viel schlimmer, verstehst du wohl? So'n Lächeln von so'n dummen Gör dat deit weh, dat giekst orrnlich inwenni.«
Kerlchen legte sofort sein Schelmengesicht in ernste, würdige Falten.
»Ne, det lat man, dat steiht di nu gor nich,« rief Fräulein von Hartwig abwehrend und dann seufzte sie wieder:
»Dese dumme Reif'!«
»Ja,« sagte Kerlchen.
»Na, wenn du weiter nix weißt.«
Kerlchen zuckte die Achseln.
»Dese dumme Breif.«
»Ja!«
Wieder ein Seufzer, diesmal ganz tief.
Stille. – – – – – –
»Ne, weißt du Deern, du bist mi hüt to langwielig, ik möt jo woll rein to de Sorgenrätin gehn.«
Mit einem Ruck sprang Kerlchen auf und stellte sich so gerade und energisch vor Tante Laura hin, als »sühst mi woll«.
Fräulein Hartwig erschrak ordentlich ein bißchen vor diesen blitzenden, funkelnden Blauaugen.
»Tante Laura, merkst du denn nur gar nicht, was dir fehlt? Denk' doch bloß mal ein ganz klein wenig nach – – –«
»Ha, ha, ha! Will mich dies lüttge Gör zum Nachdenken bewegen, wo ich allmeindag nichts anders getan hab', als nachgedacht – –«
»Na, dann hast du das beim verkehrten Ende angefangen, Tante Laura, du sollst aber nun mal richtig drüber nachdenken, ob nicht all dein vieler Kummer bloß daher kommt, daß du mit jedem Brief zur Sorgenrätin rennst, die macht natürlich aus jedem Floh ein Rhinozeros.«
»Mücke, – Kerlchen!«
»Na meinetwegen Mücke!«
»Und ›Elefant‹.«
»Mir auch recht! Aber sag' mal selbst, liebstes Tantchen, hab' ich nicht ganz und gar recht? Ich fühl's ja schon lange, daß dir dieses ewige Reisen zum Halse heraushängt, na und ich bin auch so europamüde – – –«
»Europamüde? Willst du ins Ausland gehn, mien Deern?«
»Hier bleiben möcht' ich! Mölln liegt ja außerhalb der Welt. Hier steht die Naturgeschichte still, und das ist mir gerade lieb.«
»Wenn du solche Augen machst und so mit den Nasenflügeln wippst und das Muul so schief ziehst, denn guckt dir der Schelm überall raus, – was willst du denn eigentlich?«
»Ich hab's ja schon gesagt, hier bleiben möcht' ich.«
»Immer, Kerlchen?«
»Nun nein, das wohl nicht, aber wenigstens mal 'n Vierteljahr. Wir sind jetzt ein halbes Jahr von Altenhof fort und von diesem halben Jahr haben wir drei Wochen in Mölln zugebracht.«
»Hast du dir das so schnell ausklamüsert, mien Deern?«
»Nö, das hab' ich mir heut Morgen mal schriftlich ausgerechnet, mit ol Marie zusammen, um dir damit gelegentlich unter die Augen zu gehn.«
»So, na du bist wenigstens ehrlich.«
»Das versteht sich!«
»Nee, das versteht sich nicht ! Oll Marie is 'n ollen Duckmäuser, da läuft sie immer um mich rum und sagt nichts, aber hinter meinem Rücken – – – –«
»Ach Tantchen, sie muß ja alles hinter deinem Rücken tun, du bist ja nie da.«
»Klugsnacker!«
»Und es ist doch nur liebevolle Sorge von oll Marie. Sie meint, du wärst nun alt – –«
»Der Deubel ist alt.«
»Ja, und seine Großmutter ist noch älter!«
»Hör' mal, Kerlchen, – – –«
»Ach Tantchen, – ich hab' dich ja gar nicht mit gemeint!«
»Dumme Deern, dat heww ik ok gorni dacht. Mit dien dumme Entschuldigung!!! Also wat seggt denn nu de negenklauke ol Marie.«
»Sie seggt, du sollst nicht mit jedem Brief, den du bekommst, zu der Sorgenrätin rennen, sondern sollst alles lieber ruhig mit deinem verständigen Kerlchen besprechen!«
»Kumm, Deern! Laß di mol bi Licht beseihn, damit ik weiß, wie'n » verstänniges Kerlchen« utsüht.«
»Ja, lach' du nur Tanting! Ol Marie und ich meinen's doch am besten mit dir, und kurz und gut, wir meinen beide, du sollst mal all die Leute, die dir schreiben, mit sich selber fertig werden lassen, – sie danken dir's ja doch nicht – und sollst in deinem reizenden Haus hier bleiben, und dich von uns ordentlich mit Liebe pflegen lassen.«
»So, das wäre also dein Glaubensbekenntnis. Unrecht hast du nicht, mien Deern, und du sprichst auch nicht für dich selbst, denn auf der Reise hast du viel Schönes gesehen – und hier – – –«
Kerlchen schmiegte sich an Fräulein von Hartwig und küßte ihre Hand.
»Herrliches hab' ich kennen gelernt, du liebes Tantchen, und tüchtig verwöhnt worden bin ich von dir! So immer erster Klasse zu fahren, und in den ersten Hotels abzusteigen – –«
»Du Racker, meinst du vielleicht in Sandkrug den »Blauen Löwen«?«
»I wo Tantchen!«
»Aber Kerlchen, Kerlchen, was mach' ich nur mit dem Brief von Lieschen. Es ist doch mein Patenkind, und ich hab's ihren Eltern selig versprochen, mich nach ihr umzusehen.«
»Hast du ja auch reichlich getan, Tantchen!«
»Ja, das sagst du so mit deinem Untertanenverstand! Aber Lieschen und ihr Mann schreiben doch so bedrückt, und ich weiß es selbst, die kleine Klitsche in Ostpreußen bringt die Leutchen auf keinen grünen Zweig, deshalb ist es notwendig, daß ich – –«
»Nicht selbst hinreise bis beinahe nach Rußland, sondern ordentlich Moses und die Propheten hinschicke.«
»Kerlchen, wat seggst du da?«
»Lieschens Mann ist ein vorzüglicher Landwirt, Tantchen, das sagen doch alle, und meiner Ansicht nach braucht er jetzt nur bar Geld, um sich aufzurappeln, aber mit deinem...