Die Braut von Lammermoor
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Die Braut von Lammermoor

Historischer Roman

  1. 531 Seiten
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Die Braut von Lammermoor

Historischer Roman

Über dieses Buch

Der schottische Schriftsteller Walter Scott (1771-1832) zählt zu den Klassikern der Weltliteratur, Theodor Fontane nannte ihn den "Shakespeare der Erzählung". Scott hat viele bekannte - noch heute von Jung und Alt gelesene - historische Romane verfasst wie beispielsweise "Ivanhoe", "Waverley" und "Der Pirat". Die Romane des schottischen Schriftstellers zeichnen sich durch ihre raffinierte und spannende Komposition sowie ihren zeitlosen Flair aus.Zu Scotts Klassikern zählt auch der hier vorliegende, historische Schottland-Roman "Die Braut von Lammermoor" (1819). Der Roman spielt um das Jahr 1700 und handelt von zwei Liebenden, die aus zwei miteinander verfeindeten Familien stammen - die Ravenwoods, die zu den schottischen Königen halten und die Ashtons, die der englischen Krone treu sind. Inmitten dieser Fehde verlieben sich Edgar Ravenswood und Lucy Ashton, ja, sie verloben sich sogar heimlich und wollen mit allen Mitteln die Feindschaft zwischen ihren Familien begraben. Eine Geschichte voller Liebe, Tragik und Spannung nimmt ihren Lauf...Das vorliegende Buch wurde sorgfältig editiert und enthält Walter Scotts "Die Braut von Lammermoor" im ungekürzten Original-Wortlaut der deutschen Übersetzung.

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Information

Die Braut von Lammermoor


Erstes Kapitel.

Mit Kreuz und Qual sein Brod verdienen
Durch Schmiererei'n für alle Welt,
Das ist ein schönes Handwerk, gelt,
Das führet zu dem Bettelsacke.
Altes Lied.

Wenige waren in meinem Geheimniß, als ich diese Erzählungen sammelte; auch ist es nicht wahrscheinlich, daß sie je bei Lebzeiten ihres Verfassers veröffentlicht werden. Wäre dieß auch zu erwarten, so geize ich nicht nach der ausgezeichneten Ehre, digito monstrarier. Ich gestehe es, daß, wäre es überhaupt rathsam, solche Träume zu hegen, ich es vorziehe, ungesehen hinter dem Vorhang zu bleiben, wie der geistreiche Lenker des Hans Wurst's seine Grethel, und mich an dem Staunen und den Vermuthungen meines Publicums zu erlustigen. Dann hörte ich vielleicht, daß die Erzeugnisse des schlichten Peter Pattiesen, die der Kenner bewundert und der Liebhaber anstaunt, die Jugend Hinreißen und selbst das Alter anziehen, während die Kritik den Ruhm derselben mit irgend einem in der Literatur glänzenden Namen verbindet, und während die Fragen, wann und von wem diese Erzählungen geschrieben worden, die Gesprächspausen in hundert Gesellschaften und Versammlungen ausfüllen. Diesen Genuß werde ich bei meinen Lebzeiten nie haben, und über diese hinaus wird mich, das weiß ich gewiß, meine Eitelkeit nicht verleiten, nach demselben zu streben.

Ich bin zu starr in meiner Gewohnheit und zu wenig geglättet im Umgang, als daß ich nach der Ehre trachten oder geizen sollte, die meinen literarischen Zeitgenossen angethan wird. Ich würde mich um keinen Zoll höher schätzen, wenn man mich würdig finden sollte, für einen Winter in der großen Metropolis als Löwe aufzutreten. Ich könnte mich nicht erheben, im Kreise bewegen, und alle meine Auszeichnungen darlegen von der zottigen Mähne bis zum buschigen Schweif, euch anbrüllen im Ton der Nachtigall, und so mich wieder niederstrecken als ein wohlgesittetes Schauthier, und das Alles für eine elende Tasse Caffee und ein waffeldünnes Butterbrod. Uebel würden mir die ekelhaften Schmeicheleien behagen, womit die Dame des Hauses bei einer solchen Gelegenheit ihre Schauthiere überschüttet, gerade wie sie ihre Papageien mit Zuckererbsen stopft, um sie vor der Gesellschaft schwatzen zu machen. Alle diese Ehrenbezeugungen können mich nicht verführen, den Gaukler zu machen, und lieber wollte ich, wäre keine andere Wahl, wie der gefangene Simson all mein Leben in der Mühle bleiben, und mein eigenes Brod mahlen, als den Herrn Philistern und ihren Damen zur Kurzweile dienen. Der Grund davon ist weder wahre noch verstellte Gehässigkeit gegen die Aristokraten dieser Reiche. Indeß sie haben ihren Platz, ich den meinen, und wie der eiserne und irdene Topf in der alten Fabel, so können wir nicht in Berührung kommen, ohne daß ich in jeder Rücksicht den Schaden zu tragen hätte. Anders ist es mit dem Buch, das ich hier schreibe. Man mag es öffnen und weglegen nach Belieben; belustigt es die Großen beim Lesen, so erregt dies keine trügerische Hoffnung; wird es von denselben vernachlässigt oder verurtheilt, so wird dadurch kein Leid zugefügt. Wie selten aber können die Großen Umgang haben mit denen, die für ihre Ergötzung sich anstrengten, ohne das Eine oder das Andere zu thun!

In einer besseren und weiseren Seelenstimmung, die Ovid in einem seiner Verse ausdrückt, um sie in dem folgenden zu verläugnen, kann ich auf das Titelblatt dieses Buches schreiben:

Parve, nec invideo, sine me, liber, ibis in urbem.

Ich theile keineswegs den Schmerz des berühmten Verbannten, daß er das Buch, welches er auf den Markt der Wissenschaften, Vergnügungen und Ausschweifungen sandte, nicht in Person begleiten konnte. Gäbe es nicht tausend ähnliche Anlässe zur Ueberlegung, das Schicksal meines armen Freundes und Schulkameraden Dick Tinto wäre hinreichend, mich zu warnen, das Glück in dem Ruhme zu suchen, der sich einem glücklichen Bearbeiter der schönen Künste verbindet.

Dick Tinto war, als er sich Künstler schrieb, gewohnt, seine Abkunft von dem alten Geschlecht der Tinto in Lanarkshire herzuleiten, und gelegentlich deutete er an, daß er seinem edlen Blute etwas vergeben habe, da er den Pinsel für sein Haupterwerbmittel gewählt. Wenn der Stammbaum Dicks richtig war, so müssen einige seiner Ahnen einen desto schwereren Fall gethan haben, sintemal der gute Mann, sein Vater, das nothwendige und gewiß löbliche, aber sicher nicht ausgezeichnete Amt eines Dorfschneiders zu Langdirdum im Westen versah. Unter dem niedern Dache desselben kam Richard zur Welt, und bei Zeiten wurde er, obwohl ganz gegen seine Neigung, zu dem gemeinen Handwerk seines Vaters angehalten. Der alte Meister Tinto hatte jedoch keinen Grund, sich zu rühmen, den jugendlichen Genius bezwungen, und den natürlichen Hang desselben verändert zu haben. Es erging ihm wie dem Schulknaben, der die Röhren eines Brunnens mit den Fingern stopfen wollte, während der Strahl des Wassers, über den Druck erzürnt, in tausend unerwarteten Schüssen spritzte, und ihn für seine Mühe über und über benetzte. Ebenso erging es dem alten Tinto, wann sein hoffnungsvoller Lehrling nicht allein alle Kreide verbrauchte, um Zeichnungen auf den Werktisch zu machen, sondern sogar verschiedene Spottbilder auf seines Vaters beste Kunden auszuführen, die sich laut über das harte Schicksal beklagten, daß ihre Personen nicht allein verunstaltet würden durch den Schnitt des Vaters, sondern zugleich lächerlich gemacht durch die Malerei des Sohnes. Dies führte zu Verruf und Verlust der Kunden, bis der alte Schneider, dem Verhängniß weichend und auf Bitten seines Sohnes, demselben erlaubte, sein Glück auf einem anderen Wege zu suchen.

Ungefähr um diese Zeit war im Dorfe Langdirdum ein wandernder Bruder vom Borstenpinsel, der seinen Beruf sub Jove frigido ausübte, die Bewunderung aller Bauernbuben und vorzüglich Dick Tinto's. Das Zeitalter hatte noch nicht mit anderen unedlen Ersparnissen die knauserige Gewohnheit angenommen, durch Schriftzüge den Mangel bildlicher Darstellung zu ersetzen, und die Jünger der schönen Künste eines leichten Unterrichts- und Erwerbsmittels dadurch zu berauben. Es war noch nicht erlaubt, auf den getünchten Thürgang eines Bierhauses oder auf ein Wirthshausschild zu schreiben »Zur Alten Atzel« oder »Zum Türkenkopf«, und das lustige Bild des gefiederten Plappermauls, oder die gerunzelte Stirn des furchtbaren Turbanträgers durch kalte Namen zu ersetzen. Dies jugendliche und schlichtere Zeitalter schenkte eine gleiche Achtung den Bedürfnissen aller Stände, und malte in allgemein verständlichen Bildern die Erfordernisse des Magens in der richtigen Voraussetzung, daß ein Mann, der keine Silbe lesen könne, dennoch ein eben so guter Biertrinker sein möge, als seine gebildeten Nachbarn oder der Pfarrer selbst. Diesem gemeinnützigen Grundsatze gemäß hängten noch die Wirthe die Sinnbilder ihres Berufs heraus, und die Schildmaler, wenn sie auch selten schmausten, starben wenigstens nicht vor Hunger.

Zu einem Meister dieses herabgekommenen Gewerbes gesellte sich, wie gesagt, Dick Tinto, und begann, wie es bei den göttlichen Genies in diesem Feld der schönen Künste Gebrauch ist, zu malen, ehe er einen Begriff vom Zeichnen hatte.

Seine Beobachtungsgabe brachte ihn bald dahin, die Fehler seines Meisters zu verbessern, und sich über die Lehren desselben aufzuschwingen. Er glänzte vorzüglich in bunten Pferden, was ein Lieblingsbild in den schottischen Dörfern war, und bei der Untersuchung seiner Fortschritte bemerkte man mit Vergnügen, wie er den Rücken dieser edlen Thiere immer kürzer machte und die Beine immer länger, so daß sie endlich einem Krokodille unähnlicher wurden und einem Klepper ähnlicher. Die Verläumdung, welche das Verdienst immer mit Schritten verfolgt, die mit dem Voraussein desselben im Verhältniß sind, hat freilich behauptet, daß Dick einmal ein Pferd mit fünf Beinen gemalt habe, statt mit vieren. Ich könnte seine Vertheidigung auf die Freiheit gründen, die man diesem Zweige seiner Kunst einräumt, und die, wie sie andere seltsame und unpassende Zusammensetzungen erlaubt, so weit ausgedehnt werden dürfte, einem geliebten Geschöpf ein überzähliges Bein zuzueignen. Jedoch die Sache eines erblichenen Freundes ist heilig; und ich verschmähe es, dieselbe so oberflächlich zu behandeln. Ich habe das fragliche Schild besucht, das noch heute zu Langdirdum in den Lüften schwebt, und ich kann es mit einem Eid bekräftigen, daß, was man fälschlich oder mit Falschheit für das fünfte Bein des Pferdes angenommen hat, in der That der Schweif dieses vierfüßigen Thieres ist, der, wenn man ihn mit der Stellung vergleicht, worin das Thier gehalten worden, ein Umstand wird, der von einer großen und mächtigen, obwohl verwegenen Kunst zeugt. Der Klepper ist dargestellt in erhobener, springender Bäumung; der bis zur Erde reichende Schweif scheint eine point d'appui zu bilden, und gibt der Gestalt die Sicherheit eines Dreifußes, ohne welches es unmöglich wäre zu begreifen, wie der Renner, ohne rückwärts zu stürzen, in seiner Stellung Stand halten könne. Dieß kühne Erzeugnis ist zum Glück in die Hände eines Mannes gekommen, der es zu schätzen weiß, denn als Dick bei größerer Reife daran zu zweifeln begann, ob eine so starke Abweichung von den gewöhnlichen Kunstregeln zu billigen sei, und als er das Portrait des Wirthes selbst als Austausch gegen diesen jugendlichen Versuch ausführen wollte, wurde das großmüthige Anerbieten von dem klugen Besitzer abgelehnt, der, scheint's, bemerkt hatte, daß, wenn sein Bier die Gäste nicht zufrieden stellte, ein Blick auf sein Schild sie sicher in gute Laune versetzte.

Es wäre meinem jetzigen Ziele fremd, die Fortschritte zu zeigen, die Dick Tinto im Malen machte, und wie er die Ausschweifung einer feurigen Einbildung durch die Regeln der Kunst verbesserte. Die Schuppen fielen ihm von den Augen, als er die Zeichnungen eines Zeitgenossen sah, des schottischen Teniers, wie man Wilkie mit Recht genannt hat. Er warf den Borstenpinsel zu Boden, ergriff das Bleistift, und verfolgte unter Hunger und Mühe, unter Sorgen und Ungewißheit den Weg seines Berufes unter besseren Auspicien als die seines ersten Meisters. Dennoch werden die ersten rohen Versuche seines Genies (gleich den Ammenliedern von Pope, würden sie wieder aufgefunden) den Jugendfreunden von Dick Tinto theuer bleiben. Ueber der Thüre eines geringen Wirthshauses im Barkwyed von Gandercleugh sieht man eine gemalte Trinkkanne und einen Bratrost – doch ich fühle, ich muß mich von diesem Gegenstand losreißen, oder zu lange dabei verharren.

Bei seinen Sorgen und Nöthen machte es Dick Tinto wie seine Zunftbrüder, indem er die Taxe von der menschlichen Eitelkeit erhob, die er dem Geschmack und der Freigebigkeit nicht abgewinnen konnte – mit einem Wort, er malte Portraits. Es war auf diesem höheren Standpunkt, als Dick sich bereits über sein erstes Handwerk, von dem er gar nicht reden hören wollte, erhoben hatte, daß wir nach jahrelanger Trennung in dem Dorfe Gandercleugh wieder zusammentrafen, ich in meiner jetzigen Stellung, und Dick als Kopist des menschlichen Ebenbildes Gottes, eine Guinee per Kopf. Das war ein geringer Preis, doch bei dem Geschäftsanfang für Dicks bescheidene Ansprüche mehr als hinreichend, so daß derselbe in Wallace Inn ein Zimmer bewohnte, ungestraft seine Possen selbst mit meinem Wirthe riß, und mit der Stubenmagd, dem Stallknecht und dem Kellner in allen Ehren lebte.

Diese Glückstage waren zu heiter, als daß sie hätten dauern können. Als S. Ehren der Laird von Gaudercleugh mit seinem Weibe und drei Töchtern, der Geistliche, der Aicher, mein geschätzter Patron Mr. Jedediah Cleishbotham und etwa ein Dutzend Pächter durch den Pinsel Tinto's der Unsterblichkeit übergeben waren, begann die Kundschaft zu mangeln, und es war unmöglich, mehr als Kronen und halbe Kronen den harten Händen der Bauern abzuringen, welche die Eitelkeit zu Dicks Malerstube führte.

War nun der Himmel auch bewölkt, es erfolgte eine Zeit lang doch noch kein Sturm. Mein Wirth hatte christliche Nachsicht mit einem Miether, der, so lange er die Mittel hatte, immer ein guter Bezahler gewesen war. Auch das Portrait unseres Wirthes, von Weib und Töchtern umgeben, in der Manier von Rubens, das plötzlich in dem besten Saale zum Vorschein kam, machte es deutlich, daß Dick eine Art von Tauschhandel für die Lebensbedürfnisse gefunden hatte.

Nichts ist jedoch unsicherer, als dergleichen Nothmittel. Man bemerkte, daß nun Dick seinerseits der Wetzstein des Witzes unseres Wirthes wurde, ohne daß er es wagte, sich zu vertheidigen und zu erwidern; daß seine Staffelei in eine Dachstube gebracht wurde, wo sie kaum aufrecht stehen konnte, und daß er nicht mehr den Wochenclub besuchte, dessen Seele er sonst gewesen. Kurz, seine Freunde fürchteten, daß er es wie das Faulthier gemacht habe, das, nachdem es das letzte grüne Blatt von dem Baume, worauf es sich niedergelassen, gefressen hatte, herunterstürzte und Hungers starb. Ich wagte es, dies dem Dick zu bemerken, ich rieth ihm, sein schätzbares Talent an einem andern Orte geltend zu machen, und eine Gemeine zu verlassen, die er, wie man sagen könnte, rein aufgespeist habe.

»Ich bin verhindert, meinen Wohnplatz zu ändern,« sagte mein Freund mit einem feierlichen Ausdruck, indem er meine Hand faßte.

»Ich fürchte, eine Rechnung meinem Wirthe schuldig?« sagte ich mit herzlicher Theilnahme; »wenn irgend ein Beitrag meiner geringen Mittel in dieser Verlegenheit dienen kann –«

»Nein, bei der Seele von Sir Josua!« antwortete der brave Junge, »ich will nimmer meine Freunde in mein eigenes Mißgeschick verwickeln. Ich weiß ein Mittel, meine Freiheit wieder zu gewinnen, und besser ist's, selbst durch eine Cloake zu kriechen, als im Gefängniß zu bleiben.«

Ich verstand es nicht völlig, was mein Freund meinte. Die Muse der Malerei hatte ihn stecken lassen, und welche andere Göttin er in seiner Noth anrufen konnte, war mir ein Geheimniß. Wir schieden jedoch ohne weitere Erklärung, und ich sah ihn erst nach drei Tagen wieder, als er mich einlud, dem Abschiedsschmause beizuwohnen, womit sein Wirth ihn vor seiner Abreise nach Edinburg beehren wolle.

Ich fand Dick sehr aufgeräumt; er pfiff, während er den kleinen Ranzen schnallte, der seine Farben, Pinsel, Palette und reine Wäsche enthielt. Daß er in dem besten Vernehmen mit meinem Wirthe schied, war an dem kalten Rindfleisch, das im kleinen Saal, in der Mitte zweier Kannen herrlichen, starken Bieres aufgetragen war, abzunehmen, und ich gestehe, daß ich begierig war, zu erfahren, durch welche Mittel die Verhältnisse meines Freundes so schnell eine verbesserte Gestalt gewonnen hätten. An ein Bündniß mit dem Bösen konnte ich bei Dick nicht denken, und durch welche irdischen Mittel er sich so glücklich geholfen, konnte ich mit allen meinen Muthmaßungen nicht finden.

Er bemerkte meine Neugier, und nahm mich bei der Hand. »Freund,« sagte er, »gern würde ich es sogar Euch verhehlen, welche Herabwürdigung ich mir gefallen lassen mußte, um von Gandercleugh mit Ehren fortzukommen. Doch was nützt es, das verbergen zu wollen, was sich nothwendig durch seine ausgezeichnete Größe verräth? Das ganze Dorf, das ganze Kirchspiel, die ganze Welt wird es bald erfahren, in welche Armuth Richard Tinto versunken ist.

Ein plötzlicher Einfall fuhr mir durch den Sinn. Ich hatte bemerkt, daß unser Wirth an jenem denkwürdigen Morgen ein Paar ganz neue Hosen von Velveteen trug, anstatt seiner alten von Thickset.

»Was,« sagte ich, indem ich meine rechte Hand mit aneinandergepreßtem Zeigefinger und Daumen flüchtig von der rechten Hüfte nach der linken Schulter bewegte, »Ihr habt eingewilligt, die Kunst Eures Vaters, für die Ihr zuerst bestimmt waret, wieder auszuüben, – lange Näthe, nicht wahr, Dick?«

Er wies diese unglückliche Vermuthung mit gerunzelter Stirne und einem Schnalzer ab, beides Zeichen tiefer Verachtung, und nachdem er mich in ein anderes Zimmer geführt, zeigte er mir das an die Wand gelehnte, majestätische Haupt von Sir William Wallace, gräßlich, wie vom Rumpfe getrennt auf Befehl des Verräthers Eduard.

Dies Gemälde war auf Brettern von ziemlicher Dicke ausgeführt, die oben mit Eisen verziert waren, um das ehrwürdige Bild auf eine Schildpfoste zu hängen.

»Hier, mein Freund,« sagte er, »steht der Ruhm Schottlands und meine Schande, doch nein, eher die Schande derer, die, statt die Kunst in ihrem Kreise zu begünstigen, sie zu diesen unwürdigen und verächtlichen Verirrungen verleiten.«

Ich versuchte den Unwillen meines entwürdigten und entrüsteten Freundes zu kühlen. Ich stellte ihm vor, daß er nicht, wie der Hirsch in der Fabel, die Eigenschaft verachten dürfe, die ihn aus der Verlegenheit gerettet, woraus ihn sein Talent als Portrait- und Landschaftsmaler nicht hätte ziehen können. Besonders pries ich Plan und Ausführung seines Gemäldes, und bemerkte ihm, daß er sich, anstatt sich zu schämen über die öffentliche Ausstellung eines so herrlichen Zeichens seines Talentes, vielmehr über die Vergrößerung seines Ruhmes, zu der diese öffentliche Ausstellung gewiß Gelegenheit geben müsse, Glück zu wünschen habe.

»Ihr habt Recht, mein Freund – Ihr habt Recht,« versetzte der arme Dick, und sein Auge funkelte vor Wonne, »warum sollte ich den Namen eines – eines (er suchte nach einem Wort) – eines Thür- und Thormalers scheuen? Hat sich nicht Hogarth selbst in diesem Charakter in einem seiner besten Stiche gezeigt? – Domenichino oder ein anderer in alten Zeiten – Moreland in der unsrigen – haben ihre Talente in diesem Fache geprüft. Und warum die Ausstellung von Kunstwerken, die auf alle Stände mächtig zu wirken im Stande sind, auf die Reichen und Vornehmen allein beschränken? Man errichtet Statuen unter freiem Himmel, warum sollte die Malerei in der Aufzeigung ihrer Meisterstücke karger thun als ihre Schwester, die Bildhauerkunst? Und doch, mein Freund, wir müssen uns sogleich trennen, in einer Stunde kommt der Zimmermann, um das – das Schild aufzuhängen; aber wahrhaftig, trotz meiner Philosophie und Eures tröstlichen Zuspruchs will ich lieber Gandercleugh verlassen, ehe die Operation beginnt.«

Wir wohnten dem Abschiedsschmause unseres lustigen Wirthes bei, und ich begleitete Dick auf seinen Weg nach Edinburg. Wir trennten uns über eine Weile vom Dorf, gerade als wir den Jubel der Buben vernahmen, der die Aufrichtung des neuen Wallace-Kopfes ankündigte. Dick Tinto stellte sich so, daß er nichts hören konnte – so wenig hatte ihn alte Uebung und neue Philosophie mit dem Stand eines Schildmalers befreundet.

In Edinburg wurden Dicks Talente entdeckt und anerkannt, und er erhielt Einladungen und Winke von verschiedenen Kennern der schönen Künste. Aber diese Herren theilten lieber ihre Kritik als ihr Geld mit, und Dick brauchte eher Geld als Kritik. Er suchte darum nach London zu kommen, dem großen Markt des Talents, wo, wie an allen solchen Plätzen, der Waarenvorrath in allen Gattungen größer ist als die Zahl der Käufer.

Dick, der im Ernste für ein großes Naturtalent in seinem Fache galt, und dessen eitles, feuriges Gemüth nie an einem endlichen Gelingen verzweifelte, stürzte sich blindlings unter die Menge, die um Ansehen und Vorzug rang. Er theilte Stöße aus, nahm Stöße ein, und erfocht sich kraft seiner Beharrlichkeit ein gewisses Ansehen: er malte um den Preis des Instituts, er stellte Gemälde aus in Somerset-Haus, und wünschte den Ausschuß zum Henker. Aber der arme Dick war bestimmt, das Feld, wo er so ritterlich focht, zu verlieren. In den schönen Künsten giebt's keine andere Wahl, als gänzliches Gelingen od...

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort
  2. Einleitung von Walter Scott
  3. Die Braut von Lammermoor
  4. Impressum