Trauma
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Trauma

Psychodynamik - Therapie - Empirie

Lutz Wittmann, Cord Benecke, Lilli Gast, Marianne Leuzinger-Bohleber, Wolfgang Mertens

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Trauma

Psychodynamik - Therapie - Empirie

Lutz Wittmann, Cord Benecke, Lilli Gast, Marianne Leuzinger-Bohleber, Wolfgang Mertens

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Die Psychoanalyse blickt auf eine 125-jährige, wechselvolle Geschichte in der Auseinandersetzung mit traumatischen Erfahrungen zurück. Der vorliegende Band illustriert klassische wie aktuelle psychoanalytische Beiträge zum Traumakonzept und prüft ihre Plausibilität anhand empirischer Forschungsdaten. Dabei wird auch die verbreitete Meinung in Frage gestellt, dass in der therapeutischen Arbeit mit Menschen, die unter Traumafolgestörungen leiden, ganz spezielle Interventionstechniken von Nöten seien. Zahlreiche Fallvignetten aus der Arbeit mit traumatisierten Menschen dienen der Veranschaulichung.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783170336476
Auflage
1

1 Psychotraumatologie und Psychoanalyse: eine bewährte Legierung wird entmischt

Einführung

Bereits in den Studien über Hysterie (Freud & Breuer, 1895/1987) stehen traumatische Erfahrungen und ihre Folgen – damals noch unter dem diagnostischen Schlagwort der traumatischen Hysterie – im Fokus der Aufmerksamkeit. Hiermit wird deutlich, dass keine andere Psychotherapieschule auf eine so lange Auseinandersetzung mit dem Konzept des Traumas zurückblickt wie die Psychoanalyse. Zentrale Phasen der Entwicklung der Psychotraumatologie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert werden im Folgenden blitzlichtartig beleuchtet. Einerseits werden dabei jeweils zeitgenössische psychoanalytische Beiträge betont. Anderseits werden so die psychodynamischen Wurzeln zahlreicher heute gebräuchlicher Konzepte der Psychotraumatologie freigelegt. Abschließend wird die Frage nach der Signifikanz des aktuellen psychodynamischen Beitrags und ihrer Außenwahrnehmung formuliert.

Lernziele

• Übersicht über die Phasen der Entwicklung der modernen Psychotraumatologie und des sich hierin abbildenden Wechsels von Anerkennung und Leugnung der Bedeutung traumatischer Erfahrungen seitens der scientific community.
• Kennenlernen zentraler psychotraumatologischer Konstrukte, deren psychodynamische Ursprünge einer weitgehenden Amnesie verfallen sind.
• Würdigung und Relativierung des psychoanalytischen Beitrags im Kanon der Psychotraumatologie.
Der Basler Psychoanalytiker Christian Kläui unterteilt die Entwicklung der Psychoanalyse in drei Phasen (Kläui, 2010). Im Zentrum der ersten Phase stehen das Symptom und seine Beseitigung. In der Behandlung der traumatischen Hysterie (Freud & Breuer, 1895/1987) strebt Freud die Auflösung des Symptoms per Wiederherstellung der Erinnerung an. Bald jedoch werden die Grenzen eines rein symptomfokussierten Ansatzes sichtbar. In der Behandlung von Dora erkennt Freud (1905) schließlich, dass sich die Symptome seiner PatientInnen nicht nur in zwischenmenschlichen Beziehungserfahrungen begründen, sondern dass sich die so geprägten Muster auch in der therapeutischen Beziehung aktualisieren. Nichtberücksichtigung dieses Übertragungsgeschehens, so erkennt Freud, gefährdet den Erfolg einer rein symptomzentrierten Behandlung. Diese zweite Phase steht also im Zeichen der Analyse der Übertragung, der Auflösung des malignen Einflusses unserer inneren, auf frühe Interaktionserfahrungen zurückgehenden Beziehungsmodelle. Die dritte Phase beginnt gemäß Kläui mit den späten Schriften Freuds (Freud, 1920, 1937) und wird vom Autor anhand von Referenzen zur Psychoanalyse Lacans präzisiert. Freud erkennt, »dass die Übertragung, indem sie die Liebeskonstellationen der Kindheit wieder aufleben lässt, auch die traumatischen Momente des Scheiterns in unseren Begegnungen mit den geliebten Anderen zur Wiederkehr bringt« (Kläui, 2010, S. 384). Seine Theoriebildung greift dies mit Konzepten wie Wiederholungszwang und negativer therapeutischer Reaktion auf. Kläui postuliert so eine Mangelanthropologie:
»Denn die Norm, die mit einer so verstandenen Psychoanalyse ins Spiel kommt, heisst eigentlich: normal ist die Kluft in uns selbst, die sich nie schliessen lässt, sondern nur in der unendlichen Reihe der Verschiebungen, die unser Begehren kennzeichnet, umkreisen lässt« (ebd., S. 387).
Damit stellt sich dem Menschen eine Aufgabe, die sicherlich nicht zeitgemäß ist:
»Ans Ende kommt die Analyse erst, wenn wir quer durch all unser Verlangen nach Anerkennung und Liebe anerkennen können, dass wir hier auf etwas ausgerichtet bleiben, das wir nie restlos beantworten können und das unser unbewusstes Wünschen immer wieder antreibt, so dass es in keinem noch so gut zufrieden gestellten Anspruch aufgehen und Erfüllung finden kann« (ebd., S. 386).
So kann die Akzeptanz der nicht abschließend auflösbaren Fragen, die sich dem Einzelnen vor dem Hintergrund seiner Entwicklungsgeschichte stellen, eine Kreativität bei der Suche nach neuen, ihm besser entsprechenden Antworten öffnen.
Wie die Entwicklungsgeschichte der Psychoanalyse, so ist auch diejenige der Psychotraumatologie oft beschrieben worden (Bohleber, 2000; Lehmacher, 2013; Van der Kolk, 2007; Venzlaff, Dulz & Sachsse, 2009). An dieser Stelle soll deshalb nur flüchtig an einige Phasen erinnert werden, in welchen die wesentlichen Wachstumsschübe dieser Disziplin erfolgten. Gemeinsam ist all diesen Phasen, dass große zeitgeschichtliche Ereignisse eine breite fachliche wie allgemeingesellschaftliche Aufmerksamkeit sicherstellten. Im Zusammenhang mit den sensationellen Eisenbahnunfällen des 19. Jahrhunderts entwickelte sich so erstmals ein wissenschaftlicher Disput um die Bedeutung organischer und psychischer Korrelate traumatischer Unfallfolgen. Der Begriff railway spine stand dabei exemplarisch für die Annahme, dass Erschütterungen des Rückenmarks für die beobachteten dissoziativen oder somatoformen Symptome nach Unfällen verantwortlich sein sollten. In ihrer sorgfältigen Übersicht arbeitet Lehmacher (2013) die Ironie heraus, dass der englische Chirurg John Eric Erichsen, welcher bis heute mit dem Syndrom des railway spine in Verbindung gebracht wird, sich gerade dagegen wehrte, durch Verwendung eines solchen Begriffs unsinnigerweise die Annahme einer »neue[n], spezifische[n] Krankheit« (Lehmacher, 2013, S. 35) zu etablieren. Im Begriff der traumatischen Neurose (Oppenheim, 1889) interagierten dann bereits angenommene organische Verletzungen mit einem Schreckaffekt, wie er noch bis 2012 in der vierten Version des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV; APA, 2001) anzutreffen war:
»Für die Entstehung der Krankheit ist das physische Trauma nur z. T. verantwortlich zu machen. Die Hauptrolle spielt das psychische: der Schreck, die Gemüthserschütterung. Die Verletzung schafft allerdings directe Folgezustände, die aber in der Regel keine wesentliche Bedeutung gewinnen würden, wenn nicht die krankhaft alterierte Psyche in ihrer abnormen Reaction auf diese körperlichen Beschwerden die dauernde Krankheit schüfe« (Oppenheim, 1889, S. 123–124).
Eine erste Blütezeit eines psychischen Traumabegriffs lässt sich in den Arbeiten zur traumatischen Hysterie von Charcot und seinen Schülern erkennen. Hierbei sind insbesondere die Beiträge Pierre Janets als Vorläufer der heutigen Dissoziationstheorie (vgl. van der Hart & Horst, 1989) sowie diejenigen von Freud (z. B. Freud & Breuer, 1895/1987) zu nennen. Freuds unheilvolles Schwanken zwischen Anerkennung der äußeren traumatisierenden Realität und ihrer ebenso schädlichen wie unnötigen Infragestellung wird detailliert von Venzlaff et al. (2009) nachgezeichnet. Die beiden Weltkriege und der Bedarf an Soldaten, deren Funktionsfähigkeit nicht vom Horror der Schlachtfelder beeinträchtigt sein sollte, boten traurige Gelegenheit zur Präzisierung phänomenologischer Beobachtungen und zur Entwicklung der unterschiedlichsten Interventionsstrategien. Die in unverantwortlicher Weise verzögerte Anerkennung der psychischen Folgen der Extremereignisse (Bettelheim, 1943) im Zuge des deutschen Genozids an der jüdischen und vielen anderen Bevölkerungsgruppen zeitigt schließlich ebenso erschütternde wie tiefgreifende Erkenntnisse über die Wirkungsweise eines realisierten psychotischen Kosmos’ (Grubrich-Simitis, 1979). Schließlich sind es der Vietnamkrieg und die amerikanische Frauenrechtsbewegung, welche das Bewusstsein für die Folgen traumatischer Ereignisse in solcher Weise schärfen, dass diese 1980 erstmals in Form der Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ins DSM-III (APA, 1980) aufgenommen wird.

1.1 Psychoanalytische Beiträge zu den Traumakonzepten des späten 19. Jahrhunderts

Zur Beantwortung der Frage, welche Rolle die Psychoanalyse für die Entwicklung der heutigen Psychotraumatologie spielte, werden in diesem und dem folgenden Abschnitt einige selektiv ausgewählte Beiträge psychodynamisch orientierter ForscherInnen und KlinikerInnen zu den genannten Entwicklungsphasen aufgelistet. Dabei werden auffallende Parallelen zwischen den fast schon historischen psychoanalytischen Beiträgen und aktuellen psychotraumatologischen Positionen herausgearbeitet.
Werfen wir einen Blick in die Studien über Hysterie (Freud & Breuer, 1895/1987), wo wir – wie von Kuster (2008) beschrieben – in der Behandlung »hysterische[r] Symptome traumatischen Ursprungs« (Freud & Breuer, 1895/1987, S. 168, Hervorhebung im Original) Freuds Schritt vom suggestiv arbeitenden Psychotherapeuten zum zuhörenden Psychoanalytiker beobachten können. Hier lesen wir:
»Wir fanden nämlich, anfangs zu unserer grössten Überraschung, dass die einzelnen hysterischen Symptome sogleich und ohne Wiederkehr verschwanden, wenn es gelungen war, die Erinnerung an den veranlassenden Vorgang zu voller Helligkeit zu erwecken, damit auch den begleitenden Affekt wachzurufen, und wenn dann der Kranke den Vorgang in möglichst ausführlicher Weise schilderte und dem Affekt Worte gab. Affektloses Erinnern ist fast immer wirkungslos […]« (S. 9–10, Hervorhebung im Original).
Dieser Traumakonfrontation bei angenommenem Wirkfaktor des kathartischen Abreagierens stellen die Autoren einen weiteren Aspekt zur Seite:
»Die Erinnerung daran tritt, auch wenn sie nicht abreagiert wurde, in den großen Komplex der Assoziation ein, sie rangiert dann neben anderen, vielleicht ihr widersprechenden Erlebnissen, erleidet eine Korrektur durch andere Vorstellungen. Nach einem Unfalle z. B. gesellt sich zu der Erinnerung an die Gefahr und zu der (abgeschwächten) Wiederholung des Schreckens die Erinnerung des weiteren Verlaufes, der Rettung, das Bewußtsein der jetzigen Sicherheit« (S. 21).
Das heißt, heilende Kraft wird der Verknüpfung der isolierten episodischen Gedächtnisspur vom traumatischen Ereignis mit dem erweiterten und heutigen Lebenskontext zugesprochen, worin sich das Konzept des Kontextlernens erkennen lässt. Vergleichen wir diese Ausführungen mit dem Vorgehen bei der Narrativen Expositionstherapie (NET; Schauer, Neuner & Elbert, 2005), einem manualisierten, kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsansatz, welcher auch Elemente der Testimony Therapy integriert:
»In der NET spricht der Patient wiederholt detailliert über das schlimmste traumatische Ereignis und erlebt dabei die Emotionen, die mit diesem assoziiert sind, erneut. In diesem Prozess konstruiert der Patient eine Erzählung seines Lebens, bei welcher er auf die detaillierte Schilderung der traumatischen Erfahrungen fokussiert. Die Mehrheit der Personen habituiert und verliert ihre emotionale Reaktion auf die traumatische Erinnerung, was in der Folge zu einem Nachlassen der PTBS-Symptome führt« (S. 24, eigene Übersetzung).
Auf Seite 36 (eigene Übersetzung) des Manuals erfahren wir dann:
»Es ist wichtig, dem Prozess der Habituation zu vertrauen. Dieser kontinuierliche Prozess der Erfahrung heisser Erinnerungen (›hot memory‹), während Elemente in Worte und in eine kohärente Erzählung umgewandelt werden, führt zu Habituation. Hierdurch werden die emotionale Wucht der Empfindungen und die psychophysiologische Erregung abnehmen. Anfangs mögen einige Gefühle schwierig auszuhalten sein, wie Wut, Sprachlosigkeit, und Schuld. Der Moment der Exposition ist jedoch der Moment, die Furcht intensiv zu spüren«.
Es ist offensichtlich, dass diese AutorInnen zur Erklärung der Wirkung von NET auf andere Wirkfaktoren rekurrieren, als Freud und Breuer dies taten. Habituation klingt sicher sehr viel moderner und wissenschaftlicher als Katharsis. Gedenken wir aber der Mahnung von Venzlaff et al. (2009): »Lachen wir nicht: Unsere heutigen Theoriegebäude werden künftigen Generationen sicher auch eine Quelle der Heiterkeit sein« (S 10.)1. Und tatsächlich, schon unterwirft einer der Autoren des NET-Manuals diese Aussagen einer kritischen Prüfung:
»Die ursprüngliche Annahme für die Wirkung dieses Vorgehens geht, in Analogie zur Behandlung von Phobien, zurück auf die Annahme der Habituation der Furcht. […] Neuere Theorien gehen dagegen davon aus, dass die ursprünglichen assoziativen Furchtstrukturen von der Exposition weitgehend unberührt bleiben. Dagegen etabliert sich durch die geleitete Erinnerung eine neue Erfahrung, die inkompatibel ist mit dem ursprünglichen traumatischen Erlebnis. […] Zu den neuen, traumainkompatiblen Erfahrungen gehört beispielsweise die Vervollständigung des autobiografischen Gedächtnisses, die Kontextualisierung der Erinnerung in Zeit und Raum, die Aufarbeitung von Schuldgefühlen sowie die Widerlegung von schambesetzten Grundannahmen durch die therapeutische Beziehung« (Neuner, 2015, S. 5).
Auch hier lässt sich also das Konzept des Kontextlernens erkennen. Dass es Unterschiede zwischen den Beschreibungen des technischen Vorgehens in der Traumakonfrontation zwischen beiden Ansätze gibt, ist offensichtlich: die Entwicklung immer raffinierterer Expositionstechniken durch die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) sei an dieser Stelle ausdrücklich begrüßt und anerkannt. Nichtsdestoweniger überraschen die großen Überschneidungen in Bezug auf theoretische Erklärungsmodelle (Notwendigkeit therapeutisch begleiteten Durcharbeitens und Wiedererlebens der traumatischen Eindrücke und Gefühle sowie Kontextlernen) sowie auf Seiten des praktischen Vorgehens zwischen den Ausführungen des voranalytischen Freuds und Breuers und einem 110 Jahre später veröffentlichten Therapiemanual.

1.2 Vom Grauen lernen: Krieg und Völkermord als Schulzimmer der Psychotraumatologie

Auch wenn sich diese Kostprobe aus dem Reichtum der ersten psychotraumatologischen Blütezeit Ende des 19. Jahrhunderts einseitig auf ein Autorenpaar und zwei kurze Textstellen beschränkt, erschiene die Hypothese plausibel, dass die psychiatrischen Ärzte der ab 1914 kriegsführenden Nationen von substantiellen Vorarbeiten profitiert haben dürften. Am Beispiel der Kaufmannschen Überrumpelungs-Methode erfahren wir jedoch, dass das deutsche Militär Methoden, welche wir dem Bereich der Folter zuordnen müssen, für effektiver hielt. Diese wird von Raether (1917, S. 490) wie folgt beschrieben:
»1. Suggestive Vorbereitung, die sich über mehrere Tage erstreckt und den Patienten voll und ganz darauf einstellt, dass die bevorstehende elektrische Sitzung zwar Schmerzen, aber unbedingt die Heilung bringt. 2. Die eigentliche Sitzung, in der sich Kaufmann sehr kräftiger elektrischer Ströme bedient […]. Grundbedingung: nur eine Sitzung bis zur völligen Heilung des Falls, auch wenn diese mehrere Stunden dauern sollte. 3. Energische Übungen in dieser Sitzung, die […] gegen die zu beseitigende funktionelle Störung gerichtet sind, wie […] Gang- und Marschübungen bei Ga...

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