Die Demokratisierung der Schweizer Stromproduktion
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Die Demokratisierung der Schweizer Stromproduktion

Die Sihlseeregion als Beispielgeber

Torsten Haeffner

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  1. 149 Seiten
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Die Demokratisierung der Schweizer Stromproduktion

Die Sihlseeregion als Beispielgeber

Torsten Haeffner

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Über dieses Buch

Strom ist der «Sauerstoff» der Wirtschaft, der allgemeinen Infrastrukturen und des Lebens schlechthin. Umso wichtiger ist eine hohe Stromversorgungssicherheit. Doch diese ist in Gefahr. Alpiq-Chef Jens Alder in Anbetracht der volatilen Versorgungslage: «Als StaatsbĂŒrger kann man nicht ruhig schlafen...»Woher kommt der Strom, wenn in Europa zusehends alle Kernkraft- und Kohlekraftwerke abgeschaltet und Energiewenden ĂŒbers Knie gebrochen werden? Das vorliegende, spannend und leicht zu lesende Buch beschreibt anhand der Sihlseeregion: Schon seit jeher nahmen die Bewohner dieses Hochtals die Energieversorgung selbst in die Hand. Diese urdemokratische Tradition und neueste technologische Entwicklungen erweisen sich auch heute als hochinnovativer Königsweg. Einmal mehr zeigt sich: Die UnabhĂ€ngigkeit der Schweizer Stromversorgung und die eigene Versorgungssicherheit sollte jedem BĂŒrger am Herzen liegen.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783752805253

Alpen-Traum

Der Stillstand der Welt kommt aus heiterem Himmel und zu unpassendster Zeit. Es ist Samstag. Im Hochwinter. Mitten im Februar. Ferienzeit. Strahlendes Wetter und EiseskĂ€lte herrschen auf dem Kitzsteinhorn-Gletscher. Der «Bettenwechsel» steht in der nahe Salzburg gelegenen Tourismusregion Pinzgau an. Will heissen: Tausende Touristen reisen an diesem Tag ab, und wiederum Tausende Erholungshungrige treffen ein. Das fĂŒhrt oft zu kilometerlangen Staus, die hart an den Nerven der ab- wie anreisenden GĂ€ste zehren. Auf den weitlĂ€ufigen und malerisch gelegenen Pisten der Region vergnĂŒgen sich derweil wiederum etliche Skifahrer, vor allem auf dem Kitzsteinhorn-Gletscher, einem der schönsten Skigebiete Österreichs. Es sind Tagestouristen, Einheimische zumeist. Auch Angestellte der umliegenden Hotels und GaststĂ€ttenbetriebe sind darunter. Sie geniessen es, an diesem etwas ruhigeren Wintertag auf den weitlĂ€ufigen Pisten ihrem Lieblingssport zu frönen, ohne lange Wartezeiten an den Liften und Seilbahnen in Kauf nehmen zu mĂŒssen. Auch in den an anderen Tagen oft ĂŒberbelegten Bergrestaurants ist die Lage entspannt. Das Bedienpersonal zeigt sich noch freundlicher als sonst und meist ist schnell ein freier Tisch zu finden.
Wer von der Gipfelstation des Kapruner Kitzsteinhorns auf 3029 Metern Höhe startet und bis zum Langwiedboden (1976 Meter) mit den Skiern hinabfĂ€hrt, erlebt auf dieser 5,6 Kilometer langen Abfahrt einen unglaublichen Freiheitsrausch! Siebeneinhalb Minuten braucht fĂŒr diese Strecke, wer es eilig oder gerne schnell hat. Aber vielleicht nimmt man es auch etwas gemĂŒtlicher, hĂ€lt mal hier, mal dort am Pistenrand, um sich am Schönen zu erfreuen, an diesem unglaublichen Ausblick auf ein Bergparadies, das seinesgleichen sucht. Bei «Kaiserwetter» kann man schliesslich bis zu zweihundert Kilometer weit sehen. Und weit, weit weg vom Alltag ist man auch hier oben. Der Blick auf die umliegenden Beinahe-Viertausender, diese sagenhafte Bergwelt in staubfreier Höhe, lassen einen alles vergessen: die daheim gelassenen Sorgen ebenso wie den demnĂ€chst wieder zu erwartenden Ärger am Arbeitsplatz. TĂ€uscht der Eindruck, oder stimmt es wirklich, dass der Mensch in diesen Höhen, in diesem scheinbar grenzenlosen Schneeparadies ein anderer wird?
NatĂŒrlich, es gibt die Pistenrowdys, die es – rĂŒcksichtslos – allen zeigen mĂŒssen, und es gibt die Gedankenlosen, die ohne umzuschauen mitten auf der Piste abrupte Richtungswechsel vornehmen. Aber die Mehrheit der Skifahrer ist entspannt, fröhlich, unbesorgt und nimmt RĂŒcksicht auch auf die vielleicht unerfahrenen oder unsicheren Wintersportler. An einem Tag wie diesem kann man es auf dieser Traumpiste jedoch auch einmal so richtig laufen lassen, in weiten Bögen den Hang hinabgleiten. Herrlich. Oder gar Schuss fahren! Die Masse verteilt sich, und die Piste ist streckenweise breiter als eine vierspurige Autobahn. Steht doch einmal eine kleine Gruppe mitten auf der Piste, kann man sie weitrĂ€umig umfahren, ohne das Tempo drosseln zu mĂŒssen. Unvorsichtig oder gar leichtsinnig sollte man aber auch nicht werden. Es gibt auf dieser als mittelschwer gekennzeichneten Abfahrt auch heikle Stellen, die Konzentration, Umsicht und Kondition erfordern.
Wem diese Traumstrecke nicht anspruchsvoll genug ist, der wechselt auf die «Black Mamba». Auf der gerade mal eintausend Meter langen Abfahrt «vernichtet» man 290 Höhenmeter in sagenhaften zweieinhalb Minuten. Ein Adrenalin-Zauber pur. Bis zu 63 Prozent betrĂ€gt die Steigung. Ja, die schwarze Piste 14 ist ein richtig giftiger Hang, nur eben ein leider etwas kurzes VergnĂŒgen. Aber der Tag ist ja lang, und niemand hindert einen daran, der «Black Mamba» in mehreren Abfahrten den Schrecken zu nehmen. Zwischendrin eine meditative Erholungspause: Bei einer Inversionswetterlage ist die Freiheit hier oben tatsĂ€chlich grenzenlos. Man ist ĂŒber den Wolken, wĂ€hnt sich vom GlĂŒck getragen. Dieses Weisse und Weite, dieses Reine und Makellose: So muss das Paradies sein!

Panorama der Kitzsteinhorn-Region: betörend schöne Weitsicht (Foto: Marco Barnebeck/Pixelio)
Freilich, kalt ist es schon hier oben. Passiert man im Schatten liegende Stellen, die von der Vormittagssonne noch nicht erreicht werden, herrscht augenblicklich klirrende KĂ€lte. Minus 11 Grad; und das am spĂ€ten Vormittag. Man mag sich nicht ausdenken, welche Temperaturen hier in der Nacht herrschen, und in manch Ă€ngstlicher Natur mögen Geschichten und Bilder aufsteigen, von gehörten Ereignissen: Ein schon betagter Skisportler, so war vor etlichen Jahren zu lesen, soll abseits der Piste wegen einer plötzlichen HerzschwĂ€che unglĂŒcklich gestĂŒrzt sein. Er blieb den Tag ĂŒber unbemerkt, aber am Leben dank der wĂ€rmenden Sonne; nachts dann erfror er bei minus 32 Grad. Gut, das ist Jahre her und zu der Zeit gab’s noch keine Mobiltelefone. Heute schon. Ausserdem kann hier oben nichts passieren; es sind genĂŒgend andere Skifahrer unterwegs, zudem werden die Pisten permanent ĂŒberwacht.
Noch eine Abfahrt, dann geht’s zum Mittagessen auf die HĂ€uslalm. Pinzgauer SpezialitĂ€ten gibt es dort und angeblich den besten Kaiserschmarrn Österreichs. Den könnte man auch draussen auf der sonnenbeschienenen Terrasse zu sich nehmen, dazu einen Kaffee, anschliessend eine viertel Stunde Sonnenbad und dann noch ein, zwei Abfahrten, um schliesslich gegen halb vier ins Tal aufzubrechen. Dann hat’s in der Kabinenbahn nicht so viele Leute. Die Sonne ist schon recht krĂ€ftig im Februar. Zumindest hier oben. Und dieser Himmel! So ein Blau hat’s im Tal nie und in der Stadt schon gar nicht. So etwas sollte man sich öfters gönnen.
WĂ€re diese Schilderung fĂŒr ein Drehbuch gedacht, fĂŒr einen vielleicht etwas kitschigen, in jedem Fall aber bezaubernden Film ĂŒber diese wunderbare Welt der Berge, dann wĂŒrde der Autor jetzt eine kurze Regieanweisung schreiben: «Musikalische Untermalung – â€čMorgens um sieben ist die Welt noch in Ordnungâ€ș von James Last», wĂŒrde da stehen. Diese Musik passt, weil sie – wie diese zauberhafte Hochgebirgslandschaft – etwas Versöhnliches hat, etwas absolut Friedfertiges, ein lĂ€ngst verloren gegangenes Urvertrauen wieder wachwerden und ein GefĂŒhl der Geborgenheit aufkommen lĂ€sst, wie man es im Alltag nur selten verspĂŒrt. Doch dies ist kein Drehbuch fĂŒr einen bezaubernden Film, weswegen zu den bald eintretenden Ereignissen auch eher die Themenmelodie von «Der weisse Hai» passt. Der kurz gestrichenen KontrabĂ€sse wegen, die in mehreren Sequenzen immer nur zwei Töne spielen, scharf getaktet, mit harten Akzenten, das bevorstehende Unheil gnadenlos ankĂŒndigen. Ganz ohne jedes Legato. Denn unser sonnengeflutetes Bergidyll wird gleich jĂ€h gestört.
Wie gesagt: Wegen des Bettenwechsels sind an diesem Tag weniger Skifahrer als sonst auf dem Kitzsteinhorn-Gletscher unterwegs. Aber bis elf Uhr vormittags wurden immerhin 10200 Liftkarten verkauft, weitere 500 bis 800 Skifahrer, so die SchĂ€tzung der erfahrenen Lift- und Bahnbetreiber, dĂŒrften am frĂŒhen Nachmittag noch hinzukommen. Das heisst: Hier ist eine Kleinstadt unterwegs. Und die BĂŒrger dieser imaginĂ€ren Kleinstadt werden nun etwas erleben, was sie sich in ihren schlimmsten Vorstellungen nie auszumalen wagten.
Punkt drei Uhr nachmittags bricht das Stromnetz im Pinzgau zusammen. Ein Blackout. Niemand ahnt: Die Tage werden schrecklich sein, bis die Stromversorgung wieder halbwegs hergestellt werden kann. Vom Ausfall betroffen sind zunĂ€chst nur jene Skitouristen, die in Seilbahnen und auf Skiliften unterwegs sind. Doch die reagieren gelassen. Dass Bahnen oder Skilifte stehenbleiben, kommt jeden Tag vor. Kurze Pannen sind alltĂ€glich. Manchmal dauern die Stopps nur einige Sekunden oder Minuten, selten lĂ€nger. Dann fĂ€hrt die jeweilige Bahn wieder an, ohne dass jemand ein Wort darĂŒber verliert. Und so denkt in diesen ersten Minuten des Blackouts zunĂ€chst auch keiner der Skifahrer und Liftbetreiber an ein grösseres Ereignis. Die Angestellten der Bahnen suchen routiniert nach den Ursachen des Stillstandes, wĂ€hrend mancher Sesselbahnfahrer in luftiger Höhe die Aussicht auf das ĂŒberwĂ€ltigende Bergpanorama geniesst. Nach gut zehn Minuten aber wird es den ersten Festsitzenden ein wenig mulmig, und auch die Techniker der Bahnen werden langsam nervös. Unweigerlich kommen Erinnerungen auf: Am 11. November 2000 – ebenfalls an einem Samstag – war es in der Gletscherbahn Kaprun 2 gegen neun Uhr morgens zu einem verheerenden Brand gekommen, in dessen Folge 155 Menschen starben. Jeder der festsitzenden Touristen kann sich an dieses schreckliche Ereignis erinnern, an die Bilder aus den Fernsehnachrichten, und aus der bis soeben herrschenden UnbekĂŒmmertheit wird nun langsam Beklemmung. Keiner sagt mehr: «Na, wird schon nichts Ernstes sein.» Die zuvor lustig und laut miteinander plaudernden Touristen sprechen zusehends leiser, werden wortkarger oder schweigen.
Andernorts – genauer: im Tal – gibt es bereits konkrete SchĂ€den zu beklagen. SĂ€mtliche Ampeln sind ausgefallen. In der Folge kommt es zu VerkehrsunfĂ€llen mit Sach- und PersonenschĂ€den. Auf den Hauptrouten des ohnehin ĂŒberlasteten Strassennetzes, aber auch in der Bezirkshauptstadt Zell am See bricht bald einmal der Verkehr zusammen. Polizei, Feuerwehr und SanitĂ€t sind nun pausenlos im Einsatz. Einzig diese RettungskrĂ€fte sind jetzt noch in der Lage, miteinander zu kommunizieren, da sie ĂŒber ein separates Funknetz verfĂŒgen, das sich in Notzeiten mit Batterien und Notstromaggregaten betreiben lĂ€sst. Diese Stromgeneratoren fahren notabene jetzt auch in der Tauernklinik automatisch hoch. Strom ist dort lebenswichtig. KĂ€me es im Spital auch nur zu einem kurzen Ausfall, wĂ€ren etliche Menschenleben in Gefahr.
Auch bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) ist der Verkehr zusammengebrochen. Einzig die mit Diesel betriebene Pinzgauer Lokalbahn verkehrt noch zwischen Zell am See und der 54 Kilometer entfernten Gemeinde Krimml. Allerdings muss der LokfĂŒhrer das Reisetempo massiv reduzieren, weil sĂ€mtliche Signal- und Steuerungsanlagen ausgefallen sind. Die in den stromgetriebenen ZĂŒgen wartenden Passagiere sitzen derweil im wörtlichen Sinne fest. Immerhin werden die Reisenden durch die jeweiligen Schaffner informiert, die eilig, wenngleich unwissend durch die Wagons laufen.
Zum Nichtstun und Abwarten verdammt sind auch die Einwohner des Pinzgaus – so sie zu Hause sind: TV-Schirme, Computer, KĂŒhlschrĂ€nke und andere HaushaltsgerĂ€te, aber auch Heizungen, TĂŒrsprechanlagen oder LĂŒftungen stellen punkt drei Uhr nachmittags ihre Dienste ein. Wer sich im Keller oder in einer Tiefgarage aufhĂ€lt, sucht tapsend nach dem Ausgang. Weit prekĂ€rer ist die Lage fĂŒr jene, die in AufzĂŒgen festsitzen. Sie können nur hoffen, dass ihr Klopfen und Rufen bald erhört wird und anschliessend Hilfe kommt. Wer jemals in einem Aufzug feststeckte, weiss, dass auch beten hilft. Egal ob man glĂ€ubig ist oder nicht: beten beruhigt. Und das kann in so einer Gefahrenlage lebensrettend sein.
Wenn man nur wĂŒsste, was passiert ist und wie lange der Ausfall noch dauern wird! Selbst ĂŒber das Autoradio lĂ€sst sich nichts in Erfahrung bringen. Die Sender – so sie noch in Betrieb sind – haben keine verbreitbaren Informationen ĂŒber den Vorfall. Und dennoch: Gut hat’s jetzt, wer in den eigenen vier WĂ€nden hockt, wenngleich die ungewohnte Stille schnell einmal drĂŒckend wird. Man kennt das ja: Gibt ein KĂŒhlschrank ab und zu unorthodoxe GerĂ€usche von sich, ist das vielleicht irritierend. Schweigt er aber unvermittelt, der KĂŒhlschrank, dann fehlt etwas. Man spĂŒrt dieses Fehlen. Es ist beunruhigend.
Oben am Kitzsteinhorn herrschen jetzt keine paradiesischen ZustĂ€nde mehr. Seit ĂŒber einer Viertelstunde ist der Strom «weg». Als die Skifahrer auf den Pisten merken, dass sĂ€mtliche Lifte und Bahnen stillstehen und keine Auffahrten mehr möglich sind, fahren sie auf ihren Skiern zum nĂ€chstgelegenen Restaurant oder zu einer der HĂŒtten. Aus sicherer Distanz betrachtet, möchte man meinen, dass die drei grossen Bergrestaurants, das auf 2500 Meter gelegene Bundessport- und Freizeitzentrum, die Krefelder HĂŒtte (2300 Meter) und die Jausenstation HĂ€uslalm (1955 Meter) ausreichend gross sein mĂŒssten, um allen Tagestouristen Unterschlupf bieten zu können. Doch diese Hoffnung erweist sich schnell als Illusion. Vor den EingĂ€ngen sĂ€mtlicher GasthĂ€user drĂ€ngeln sich die Touristen bereits. Noch herrscht keine allgemeine Panik. Doch vor allem Eltern mit Kindern sind zunehmend gereizt. Immer mehr Skitouristen kommen bei den VerpflegungsstĂ€tten an. Einige regen sich auf. Zunehmend kritisch hingegen ist die Stimmung bei vielen der festsitzenden Lift- und Gondelpassagiere. Bei einigen von ihnen verselbstĂ€ndigt sich eine Horrorvision: Sie fĂŒrchten noch Stunden in der langsam aufkommenden KĂ€lte und im schwankenden Sessellift verbringen zu mĂŒssen. Kinder weinen. Eltern versuchen sie zu beruhigen. Paare geraten in Streit. Die Enge in den Gondelkabinen, aber auch der Aufenthalt hoch ĂŒber dem Pistengrund lösen selbst bei sonst stabilen Personen mit der Zeit bisher nicht gekannte Ängste aus.


Beschauliche Gletscherromantik: HĂ€uslalm auf 2000 Meter
(Foto: Gletscherbahnen Kaprun AG)
Die Betriebstechniker der verschiedenen Bahnen wissen alle um die gefĂ€hrliche GefĂŒhlsdynamik, die sich in solchen Situationen entwickeln kann. Wenn sich nur einer der Passagiere zu einer unĂŒberlegten Handlung hinreissen lĂ€sst – auf gut Deutsch: ausflippt –, kann dies unter den Mitanwesenden eine verheerende Kettenreaktion auslösen. Fieberhaft suchen die Bergbahnangestellten nach den Ursachen des Stromausfalls. Ihnen lĂ€uft buchstĂ€blich die Zeit davon. Um halb vier Uhr, also eine halbe Stunde nach dem Totalausfall, mĂŒssen sie kapitulieren: Sie nehmen die Bahnen vom ohnehin toten Netz und schalten den Notstrombetrieb auf. Wenngleich die Passagiere der Kitzsteinhorn-Bahnen nun endlich Hoffnung schöpfen können, ist diese Notmassnahme keineswegs unproblematisch. Die Eingesperrten und Festsitzenden können nĂ€mlich nur langsam – weil im Stop-and-Go-Betrieb – befreit werden. Immer wieder kommt es zu kĂŒrzeren oder lĂ€ngeren Stopps. Die fĂŒhren bei den Betroffenen zu wahren GefĂŒhlswechselbĂ€dern. Und doch sind sie glĂŒcklich und dankbar, als sie schliesslich festen Boden unter den FĂŒssen haben. Von den Strapazen erschöpft, gehen sie zu einem der Restaurationsbetriebe – und stossen dort auf die nĂ€chste Katastrophe: So viele Touristen vor den lĂ€ngst verstopften EingĂ€ngen der GaststĂ€tten hĂ€tten sie nicht erwartet. Es herrscht eine irres und aggressives GedrĂ€nge. Die Menschenmenge ist kaum mehr ĂŒberschaubar.
Wenn man jetzt ins Tal abfahren könnte. Auf den Skiern. Doch das geht nicht. Die Piste reicht nur bis gut 1800 Höhenmeter, dann muss man entweder die Panoramabahn oder den Gletscherjet 1 ins Tal nehmen. Aber die stehen still. Nun, wenn man schon draussen warten muss, wirft man mal einen Blick durchs Fenster in den Innenraum des Restaurants: Dort verschlechtert sich die Stimmung mit jeder Minute. Die unbeleuchteten Gaststuben sind heillos ĂŒberfĂŒllt. Auf den GĂ€ngen, in Nischen, in WaschrĂ€umen und WC-Anlagen drĂ€ngeln sich die GĂ€ste. Durch die selbstredend geschlossenen Fenster – sonst könnte man ja eine AbkĂŒrzung nehmen – vernimmt man den LĂ€rm aus dem Innern des GebĂ€udes. Die Menschen reden nicht miteinander, sie schreien. Nicht auszumalen, was passieren wĂŒrde, kĂ€me es zu einem Brand. Aber immerhin: Rund 5000 Personen sind an der WĂ€rme, wĂ€hrend noch immer 4500 Menschen draussen ausharren.
Ach, schau dir das an! Muss das sein? Die ersten Wintersportler verrichten einfach ihre Notdurft im Freien. Gut, was wollen sie machen? Die Toilettenanlagen sind völlig ĂŒberlastet. Und dann: Manche irren ziellos in der Gegend umher, suchen Freunde oder Angehörige. Eine immer wieder verzweifelt «Karin 
, Michael  » rufende Frau vermisst offenbar ihre Kinder. Das ist beunruhigend. In der Haut dieser Frau möchte man jetzt nicht stecken. Wie verloren die Masse – und darin jeder Einzelne – angesichts des erst anlaufenden Ausnahmezustands scheint. Diese Hilflosigkeit zeigt sich in den Gesichtern der Menschen! Wieder und wieder zĂŒcken sie ihre Mobiltelefone. Sie können nicht verstehen, dass es bei einem allgemeinen ...

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