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Mediatoren*innen benötigen keine systemische Ausbildung, um erfolgreich ihrer Arbeit nach- gehen zu können. Vice versa müssen systemisch beratende Fachkräfte nicht unbedingt in den Grundlagen der Mediation erfahren sein. Es hilft zwar, das jeweils andere Verfahren mit seinen ganz eigenen Tools zu kennen, das ist aber nicht zwingend notwendig. Hilfreich ja, nötig nein. Das verdeutlicht bereits, dass sich bei allen Überschneidungen zwischen den Verfahren doch auch einige Unterschiede finden lassen. Welche das sind, wird nachfolgend skizziert.
Operationalisierung der Begrifflichkeiten
Eine Besonderheit des systemischen Ansatzes ist, dass rechtlich festgelegt ist, was unter Mediation zu verstehen ist. Mediation ist durch den § 1 des Mediationsgesetzes (MediationsG) operationalisiert als „ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mit Hilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben.“ Was ein*e Mediator*in auszeichnet, ist rechtlich ebenfalls kodifiziert als „eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt.“ Auch regelt das Mediationsgesetz in § 5 und 6, welche Voraussetzungen jemand erfüllen muss, um sich zertifizierte*r Mediator*in nennen zu dürfen.
Eine rechtliche Festlegung dessen, was systemische Beratung zu sein hat, und welche Qualifikation systemisch beratende Fachkräfte vorweisen müssen, existiert dagegen nicht. Als Surrogat für gesetzliche Vor- gaben können die Zertifikate der beiden großen systemischen Verbände DGSF und SG dienen. Beide legen Mindeststandards bzgl. der Formalqualifikation sowie der nachzuweisenden Weiter- bildungsdauer ihrer Zertifikatsaspiranten*innen fest und erkennen sich bzw. die jeweiligen Verbandsmitglieder gegenseitig an. Dies dient potenziellen Klienten*innen als Orientierung, da DGSF- und SG-Zertifikate auf dem unübersichtlichen Angebotsmarkt als Kompetenzsignal an Klienten*innen fungieren (siehe zum Signaling insbesondere Spence 1973/1981). Klienten*innen eine solche Orientierungsfunktion zu liefern, erscheint insofern geboten, als allein in Deutschland mehr als zwei Dutzend Verbände für Berater*innen und Coaches existieren (siehe Stiftung Warentest – test.de/2014). Die Konsequenz dieser Vielfalt ist, dass am deutschsprachigen Beratungs- und Coaching-Markt Tausende Fachkräfte ihre Dienstleistungen anpreisen, die unterschiedlich qualifiziert sind und bzgl. ihrer Methodenpräferenz divergent vorgehen.
Es kommt vor, dass Coaches und Berater*innen sich aufgrund der positiven Konnotation des systemischen Ansatzes das Prädikat „systemisch“ auf die sprichwörtliche Fahne schreiben, auch wenn sie gar nicht systemisch (im Verständnis der DGSF oder SG) arbeiten, sondern z. B. Experten*innen-Beratung betreiben, wie es in der Unternehmens- und Organisationsberatung häufig der Fall ist. Eine Folge dieses Wildwuchses ist, dass Spötter*innen auch schon mal von systemischem Kochen und systemischem Spazierengehen sprechen. Sie mokieren sich über die geradezu inflationäre Verwendung des Begriffs systemisch, der - so kann es auf Klienten*innen wirken - alles und nichts bedeuten kann. Provokativ formuliert könnte man sagen: Systemisch geht immer! Der Ausdruck eignet sich aufgrund der mangelnden Operationalisierung gut als Werbe-Instrument, weil jede*r Berater*in darunter etwas anderes versteht. Sie/er kann den Begriff mit ganz eigenen Vorstellungen besetzen, selbst wenn die Praxis sich deutlich von dem unterscheidet, was das Gros systemisch tätiger Fachkräfte als systemisch ansieht. Bei der Mediation gibt es diese Problematik aufgrund der rechtlich gesicherten Qualitätsstandards und Begrifflichkeiten nicht.
Rechtliche Verankerung/Regulierung
Wie beschrieben ist das, was Mediation ist, rechtlich festgelegt. Da das Mediationsgesetz im Juli 2012, also bereits vor über 7 Jahren in Kraft getreten ist, lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Recht sagen, dass Mediation endgültig im deutschen Rechtssystem angekommen ist. Die Zeiten nicht reglementierter Mediationsverfahren sind größtenteils passe. Da Mediationsverfahren diskret ablaufen, existiert keine offizielle Statistik darüber, wie viele Verfahren mit einer Einigung abschließen, also erfolgreich sind. Mehrere Quellen nennen hohe Erfolgsquoten von 75 % (Graf 2016, § 6) oder 80 % (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft). Manche Anbieter verweisen sogar auf Erfolgszahlen des eigenen Mediationsteams von über 80 % (youCcom® 2019).
Wenige Tage vor dessen Inkrafttreten wurde auf der Internet-Präsenz der Haufe-Gruppe unter der Überschrift Mediationsgesetz: Bald mehr Streitkultur statt langer Rechtsstreitigkeiten (2012), ein Artikel veröffentlicht, der die damals anvisierte Stellung der Mediation im deutschen Rechtssystem prägnant auf den Punkt brachte. Darin heißt es: „Das neue Gesetz regelt unter anderem die Verbindlichkeit des Schlichtungsergebnisses und die Vertraulichkeit der Gespräche. […] Ein Ziel der geplanten Neuregelung ist es, die Mediation im Bewusstsein der Bevölkerung und der in der Rechtspflege tätigen Personen stärker zu verankern. Die Mediation soll als innovatives Verfahren die außergerichtliche Beilegung von Konflikten wesentlich vorantreiben. Während bisher die Mediation auf ausgewählte Rechtssegmente beschränkt wurde, soll die konsensuale Konfliktlösung künftig neben dem allgemeinen Zivilrecht und den Familiensachen auch Arbeits- und Sozialangelegenheiten, das Patent- und das Markenrecht und auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit erfassen.“
Sieben Jahre später lässt sich konstatieren, dass das Gros dessen, was damals als Ziel postuliert wurde, eingetreten ist. Dass Mediation neben Zivil-, Familien-, Arbeits-, Sozial- und Markenrecht als ebenbürtiges Verfahren auch in den Verwaltungsgerichten „angekommen“ ist, macht eine Pressemitteilung der Bayrischen Verwaltungsgerichtsbarkeit (2012) deutlich: „‘Die gerichtsinterne Mediation in der bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist ein Erfolg!‘ Sie finde sowohl bei Bürgern als auch bei Rechtsanwälten und Behördenvertretern sehr hohe Wertschätzung. Die meisten Beteiligten, die dieses Verfahrensangebot ausprobiert hätten, würden in einem neuen Konfliktfall wieder darauf zurückgreifen. In einer Reihe von Fällen ließen sich Lösungen finden, die in einem streitigen Gerichtsverfahren nicht erzielt worden wären.“ Auch das Bundesverfassungsgericht stellte am vom 14.12.2007 (1 BvR 1351/01) klar: „Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“
Diese rechtliche Regulierung existiert in der systemischen Beratung nicht. Wer sich systemische*r Berater*in nennen will, muss keinen Kompetenznachweis erbringen. Wer immer will, kann sich so bezeichnen, die Psychotherapeutin genauso wie ...