Kommunikation als Lebenskunst
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Kommunikation als Lebenskunst

Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens

  1. 217 Seiten
  2. German
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Kommunikation als Lebenskunst

Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens

Über dieses Buch

Warum funktionieren Kommunikationsrezepte nie? Was bedeutet Schweigen? Mit wie vielen Ohren hören wir zu? Warum sind Missverständnisse normal? Wie übt man Kritik, ohne den anderen zu verletzen? Ist das Miteinander-Reden eine Lebenskunst? Dies ist ein Buch über die großen und kleinen Fragen der Kommunikation, ein Dialog zwischen dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun und dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Gleichermaßen humorvoll und ernst, mit Lust an der Debatte und der erhellenden Zuspitzung entfalten die Autoren die zentralen Modelle der Kommunikationspsychologie (das Kommunikations- und Wertequadrat, die Metapher vom Teufelskreis und das Bild vom inneren Team, das Situationsmodell und das Ideal der Stimmigkeit) und zeigen, wie sich humanistische Psychologie und systemisches Denken, die Betrachtung innerer und äußerer Kräftefelder produktiv verbinden lassen. Überdies wird deutlich, wie sich die verschiedenen Modelle und Perspektiven in der Praxis (Coaching, Pädagogik, interkulturelle Kommunikation) bewähren. Den Schluss des Buches bildet ein Gespräch über das Glück und den Tod und die Frage, was Kommunikation im Angesicht der eigenen Endlichkeit zu leisten vermag. Offenbar wird so das Panorama eines Denkens, das keine Fertig-Rezepte der besseren Lebensführung bietet, wohl aber Reflexionswerkzeuge und gedankliche Geländer für individuell stimmige Lösungen.

Häufig gestellte Fragen

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Information

I. Die großen Fragen
1 Das Kommunikationsquadrat
Suche nach dem Schlüsselsatz
PÖRKSEN: Wenn Sie – im Sinne eines kleinen Gedankenexperiments – zum Einstieg einen einzigen Schlüsselsatz nennen müssten, der Ihr gesamtes Werk charakterisiert, wie würde dieser Satz lauten?
SCHULZ VON THUN: Nur ein einziger Satz!? Soll ich die ganze Reichhaltigkeit des Werks auf einen Punkt zusammenschrumpfen lassen? Das will mir nicht so recht behagen!
PÖRKSEN: Natürlich wäre ein solcher Reduktionismus gerade für den Gesprächsauftakt fatal. Es müsste also ein Satz sein, von dem aus man weiter und in die Tiefe denken kann. Sigmund Freud hat einmal eine solche Formulierung für die Psychoanalyse präsentiert. Er sagte, das Ich sei »nicht Herr im eigenen Haus«, sondern das Unbewusste die prägende Kraft. Davon ausgehend kann man sein Werk entfalten.
SCHULZ VON THUN: Das ist allerdings ein schönes Beispiel! Wenn ich einen solchen prägnanten Satz für meine Lehre finden könnte, würde ich mich vielleicht freudig ergeben. Lassen Sie mich daher einmal zurückfragen: Haben Sie einen solchen Schlüsselsatz entdeckt, der die gesamte Lehre enthält, enthalten könnte?
PÖRKSEN: Ich denke tatsächlich, dass Ihr Werk auf einer einzigen fundamentalen Einsicht basiert. Man könnte sie folgendermaßen formulieren: Die Qualität der Kommunikation bestimmt die Qualität unseres Lebens.
SCHULZ VON THUN: Das ist gewiss nicht falsch, jedenfalls für unser hiesiges Leben in der westlichen Welt zu Friedenszeiten. Wir kommen als Beziehungswesen auf die Welt, und von der Geburt bis zum Tod steht und fällt vieles – privat, beruflich und politisch – mit der Qualität des Miteinanders. Und auch für den inneren Dialog gilt, dass seine Qualität für ein gelingendes Leben von großer Bedeutung ist. Wie rede ich mit mir? Welche Stimmen lasse ich zu Wort kommen, wenn ich alleine bin? Bin ich auch da noch in guter Gesellschaft?
PÖRKSEN: Und doch sind Sie, so scheint mir, nicht ganz einverstanden.
SCHULZ VON THUN: Stimmt. Denn zum einen muss man relativierend hinzufügen, dass Gesundheit, Krankheit, Schicksalsfügungen und Schicksalsschläge ebenso ausschlaggebend für unser Leben sein können. Zum anderen betont Ihre These bloß die Bedeutsamkeit des Themas Kommunikation, tangiert aber noch gar nicht den Gehalt meiner Lehre – wie es gelingen kann, den Herausforderungen der zwischenmenschlichen Kommunikation gewachsen zu sein und gewachsen zu werden!
PÖRKSEN: Ist es nicht aufschlussreich, dass unser Gespräch gleich mit einer Irritation beginnt? Das zeigt doch schon: Kommunikation scheint ganz einfach und ist doch gleichzeitig wahnsinnig schwer, missverständlich und komplex. Sie selbst haben diese Komplexität erklärt, indem Sie auf den Simultancharakter von Kommunikation hingewiesen haben. Was ist damit gemeint?
SCHULZ VON THUN: Gemeint ist, dass sich Kommunikation als ein eigenartiges Spiel begreifen lässt, das auf vier Spielfeldern gleichzeitig gespielt wird. Dieses Simultangeschehen – man hört eine Äußerung, womöglich nur einen einzigen Satz, und empfängt doch in ein und demselben Moment vier Botschaften – habe ich im Modell des Kommunikationsquadrats zusammengefasst [Abb. 1]. Die eine Seite ist die Ebene des Sachinhalts, der Information über die Verhältnisse in der Welt. Hier geht es unter anderem um Wahrheit. Des Weiteren enthält jede Äußerung eine Beziehungsbotschaft, die signalisiert, was ich von dem anderen halte, ob ich ihn schätze, ihn als gleichberechtigt akzeptiere oder ihn kritisch sehe, nicht ernst nehme usw. Hier geht es auch um Akzeptanz. Darüber hinaus findet sich in einer Äußerung stets auch eine kleine Kostprobe der eigenen Persönlichkeit; man gibt etwas von sich preis und lässt mehr oder weniger erkennen, wie es einem geht, was einen umtreibt, beseelt oder quält. Das ist die Ebene der Selbstkundgabe. Hier stellt sich die Frage nach der Wahrhaftigkeit und Authentizität. Früher habe ich diese Dimension der Kommunikation als Selbstoffenbarung bezeichnet, aber das klingt ein wenig nach einem Seelenstriptease und löst unnötig Widerstand aus – insofern also die Rede von der Selbstkundgabe, die sich leichter vermitteln lässt. Und schließlich enthält eine Äußerung eine appellative Seite. Hier geht es um Wirksamkeit: Man möchte Einfluss nehmen, man spricht, um etwas zu erreichen und auszulösen.
Abb. 1: Die vier Botschaften einer Äußerung: das Kommunikationsquadrat
PÖRKSEN: Dieses Kommunikationsquadrat haben Sie 1981 das erste Mal in einem eigenen Buch beschrieben, das sich bis zum heutigen Tag mehr als eine Million Mal verkauft hat. Es gibt zumindest im deutschsprachigen Raum kein Modell der Kommunikation, das derart eingeschlagen hätte. Auch Ihre Beispiele – oft harmlose, aus dem Alltag stammende Sätze und Äußerungsfragmente – besitzen längst den Rang von Klassikern und finden sich in Schulbüchern. Mögen Sie im Sinne einer kleinen Illustrationsübung einmal ein paar Schlüsselbeispiele herausgreifen?
SCHULZ VON THUN: Dann lassen Sie uns das Urbeispiel nehmen, das heute tatsächlich in den Schulen gelehrt wird. Folgende Situation: Ein Mann und eine Frau sitzen im Auto, der Mann auf dem Beifahrersitz, die Frau fährt. Und er sagt: »Du, da vorne ist grün!« Auf der Ebene der Sachinhalte ist dies eine überprüfbare Information, die wahr oder falsch sein kann. Es ist eine Information über die Verhältnisse in der Welt. Gleichzeitig bzw. simultan gibt der Mann – Stichwort Selbstkundgabe – auch etwas von sich selber preis, eventuell ist er ungeduldig oder in Eile. Man weiß es nicht so genau. Auf der Ebene der Beziehung lässt er vielleicht einen Kompetenzzweifel an ihrer Fahrtüchtigkeit erkennen. Und womöglich enthält seine Äußerung den Appell, etwas schneller zu fahren, um noch bei Grün über die Ampel zu kommen (»Gib Gas!«). In jedem Fall zeigt schon dieses kleine Beispiel, dass drei der vier Botschaften implizit bleiben. Sie sind deutungsfähig, interpretationsoffen und man muss, um sie zu dechiffrieren, den Tonfall und die begleitende Mimik beachten, den Kontext kennen, eventuell auch die Vorgeschichte der beiden.
Die Macht des Empfängers
PÖRKSEN: Sie selbst haben ja in Ihrer Beschreibung des Kommunikationsquadrats deutlich gemacht, dass der Sprechende nicht nur vier Botschaften sendet und gewissermaßen – so Ihre Formulierung – »mit vier Schnäbeln spricht«, sondern dass der Hörende auch mit vier Ohren empfängt und letztlich selbst darüber entscheidet, was ihm besonders zentral erscheint. Lässt sich nun auch für die Seite des Empfängers ein ähnlich schlagendes Beispiel finden?
SCHULZ VON THUN: Natürlich, ja. Da sagt eine Ehefrau zu ihrem Mann: »So selten, wie du zu Hause bist, da leiden die Kinder auch schon darunter!« Der Empfänger steht nun vor der Entscheidung, welches seiner vier Ohren er »anspringen« lässt bzw. auf welche der vier ankommenden Botschaften er reagieren will. Hört er mit dem Sach-Ohr? Geht es ihm primär um die Inhalte der Äußerung? Hört er mit dem Selbstkundgabe-Ohr? Versucht er also, den Menschen hinter der Äußerung zu erspüren, ihn zu begreifen? Hört er mit dem Beziehungs-Ohr und reagiert vor allem darauf, wie er sich als Mensch angesprochen und behandelt fühlt? Oder hört er mit dem Appell-Ohr und wendet sich der Frage zu, wozu der andere ihn mehr oder minder deutlich auffordern möchte? Je nachdem, welches Ohr anspringt, wird er innerlich und dann wohl auch äußerlich unterschiedlich reagieren – und damit den weiteren Gesprächsfaden spinnen. Ob er sich dieser »freien Auswahl« bewusst ist, steht auf einem anderen Blatt, aber er kann nicht nicht auswählen.
PÖRKSEN: Das bedeutet, dass auch die Art und Weise des Zuhörens bestimmt, was geschieht. Das Zuhören legt zumindest in groben Zügen fest, was im Verlauf des Gesprächs in welcher Weise besprochen werden kann, weil man als ein Empfänger mit der ersten, unmittelbaren Reaktion sehr verschiedene Verstehensmöglichkeiten auf einen Pfad der weiteren Kommunikation verengt.
SCHULZ VON THUN: Ganz genau, und bei vielen Menschen ist unabhängig von den konkreten Erfordernissen der Situation ein Ohr auf Kosten der anderen besonders gut ausgebildet. Ein sachbetonter Mann würde zunächst einmal Folgendes heraushören: »Ich bin, erstens, selten zu Hause. Zweitens, die Kinder leiden. Das Leiden der Kinder wird, drittens, eben dadurch ausgelöst, dass sie mich kaum sehen.« Er könnte dann – interessiert an der Sachebene – weiterfragen: »Woran machst du fest, dass die Kinder leiden? Erzähl mal!«
PÖRKSEN: Das ist die Botschaft, die das Sach-Ohr erreicht. Welche anderen Varianten sind denkbar?
SCHULZ VON THUN: Möglich, dass wir es mit einem therapeutisch vorerfahrenen Mann zu tun haben, der in der Lage ist, sensibel mit dem Selbstkundgabe-Ohr zuzuhören. Und eben dieser Mann würde dann die Enttäuschung und die Verzweiflung der Frau aufnehmen. Es würde ihm auffallen, dass sie auch gesagt hat, dass auch die Kinder schon unter der Situation leiden. Er könnte dann empathisch auf die Not der Senderin reagieren: »Fühlst du dich sehr allein gelassen mit den Kindern und all den familiären Angelegenheiten?«
PÖRKSEN: … und das Gespräch würde erneut einen anderen Verlauf nehmen.
SCHULZ VON THUN: So ist es, ja. Nun zu dem Vater, der das Beziehungs-Ohr gespitzt hätte! Ihn würde vor allem der Vorwurf erreichen »Du bist ein schlechter Vater, bist schuld am Leid und Elend unserer Familie!« Denkbar, dass es nun zu einem Streit kommt. »Verdammt noch mal«, so könnte er sagen, »meinst du, es macht mir Spaß, dauernd Überstunden zu schieben? Denkst du, das ist mein Hobby? Ja?«
PÖRKSEN: Und schließlich zu dem Vater, der vor allem mit dem Appell-Ohr zuhört.
SCHULZ VON THUN: Ihn erreicht wahrscheinlich die Botschaft: »Kümmere dich mehr um uns! Tu was!« Und wenn er appellgemäß reagiert, schlägt er vielleicht eine Lösung vor: »Lass uns am Wochenende einmal zusammen eine große Fahrradtour machen!«
PÖRKSEN: Der Zuhörer schafft auf diese Weise eine Welt …
SCHULZ VON THUN: … und kann, wenn er sich dessen bewusst wird, zumindest sensibler dafür werden, mit welchem Ohr er gerade zuhört und dass dies nicht das einzige Ohr ist, das zum Einsatz kommen könnte. Er kann sich in vivo korrigieren und andere Weichen stellen.
Im Normalfall reagieren wir aber reflexartig und ohne begleitende Reflexion.
PÖRKSEN: Was in Ihren Ausführungen sichtbar wird, ist ein anderes, ein neues Bild von Kommunikation. Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, es handele sich um einen linearen Transfer von Information. Das klassische, archaische Kommunikationsmodell ist ja nach folgendem Schema gebaut: Es gibt einen mächtigen Sender, einen Kommunikationskanal und einen vergleichsweise ohnmächtigen Empfänger, der brav decodiert, was ihm an Information vom Sender durch den Kommunikationskanal hindurch zugeschickt wird. Das ist die Transportidee von Kommunikation. In Ihrem Modell haben wir es mit einer Vielzahl möglicher Botschaften zu tun. Und der Empfänger wird selbst bedeutungsmächtig.
SCHULZ VON THUN: So ist es, genau. Der Empfänger hat, schon weil er einen selektiven Gebrauch von den eigenen vier Ohren macht, einen erheblichen Anteil daran, was er an sich heranlässt. Bei manchen Menschen ist beispielsweise das Beziehungs-Ohr auf Alarmempfang gestellt, was dazu führt, dass sie jede Äußerung, jeden Blick, jedes Lachen persönlich nehmen und sich sehr leicht beleidigt, kritisch beäugt oder ausgelacht fühlen – mit der Folge, dass sie eine Empathieschwäche entwickeln oder eine Behinderung für die Sachauseinandersetzung.
Hermeneutik des Hörers
PÖRKSEN: Der Kybernetiker und Konstruktivist Heinz von Foerster hat diesen Gedanken des selektiven Zuhörens einmal radikalisiert und von der Hermeneutik des Hörers gesprochen: Der Hörer, nicht der Sprecher, so seine Behauptung, bestimmt die Bedeutung einer Aussage.
SCHULZ VON THUN: So weit würde ich nicht gehen. Die Bedeutung dessen, was gesagt und gehört wird, und die mögliche Verständigung zwischen zwei Menschen erscheinen mir als ein Gemeinschaftsprodukt. Selbstverständlich beeinflusst auch der Sender in einem erheblichen Maße, was schließlich beim Empfänger ankommt. Und gerade deshalb lohnt es sich für ihn, seine eigene Kommunikationsfähigkeit zu vervollkommnen, um Missverständnisse, Fehldeutungen und Verzerrungen beim anderen weniger wahrscheinlich zu machen. Er strengt sich an, eine bestimmte Bedeutung beim anderen zu erzeugen. Und die Mühe lohnt sich ja nur, wenn dies auch Aussicht auf Erfolg hat, oder?
PÖRKSEN: Und doch ist die Interpretation des Zuhörers letztlich das entscheidende Urteil. Heinz von Foersters These war, dass wir erst aus dem Mund des anderen erfahren, was wir eigentlich gerade gesagt haben. Als er seine Formel von der Hermeneutik des Hörers einmal öffentlich präsentierte, war das Publikum ziemlich beunruhigt. Irgendwer rief schließlich: »Aber das ist doch Unsinn!« Foersters Reaktion: »Sehen Sie, der Hörer bestimmt die Bedeutung einer Aussa...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Widmung
  3. Titelblatt
  4. Urheberrecht
  5. I. Die großen Fragen
  6. II. Die konkreten Fragen
  7. III. Die letzten Fragen
  8. Ausgewählte Literaturhinweise
  9. Über die Autoren