1 »Ich bin der Berater und ich habe keinen Schimmer, was ich tun soll!«
Einmal im Monat habe ich ein Lunch-Meeting mit leitenden Angestellten und Ärzten von einem großen Krankenhaus und einer medizinischen Fakultät, die beide zu einem großen wissenschaftlichmedizinischen Komplex gehören. Wir treffen uns, um zu besprechen, wie das Krankenhaus und die Hochschule die Qualität der medizinischen Versorgung, die Patienten- und Mitarbeitersicherheit, Patientenerfahrungen im Krankenhaus, Forschungsdurchbrüche und die medizinische Ausbildung weiter verbessern können. Wie ich erfahre, umfasst die Medizinergruppe Kliniker, Forscher und Lehrer, die alle unterschiedliche Ziele verfolgen, aber ihre Anstrengungen aufeinander abstimmen müssen, und alle abhängig von denselben finanziellen Fördermitteln des Krankenhauses und der Universität sind.
Das Krankenhaus ist die Haupteinnahmequelle für die medizinische Fakultät und für einen Teil der Forschung. Die Verwaltungsmitarbeiter, ob Mediziner oder Nicht-Mediziner, müssen die Mittel zwischen Forschung, klinischer Praxis, Sicherheit, Instandhaltung und Ausweitung des kommunalen Gesundheitswesens aufteilen und außerdem eine Rücklage für künftige Bauprojekte bilden. Die Ärzte sind alle an der medizinischen Fakultät angestellt, aber wenn sie in der Klinik praktizieren, unterstehen sie auch der Krankenhausverwaltung. Die leitenden Verwaltungsangestellten bemühen sich nach Kräften, alle Beteiligten auf die gleiche Wellenlänge zu bringen, sind sich aber bewusst, dass sich die Ziele von Forschung, Lehre und klinischer Praxis in gewisser Weise voneinander unterscheiden, dass die Einzelpersonen, die diese Ziele verfolgen, unterschiedliche persönliche Agenden haben und dass ihre Anführer diese Ziele und Agenden schützen.
Ich bin gebeten worden, mich dieser Gruppe anzuschließen, weil ich über Organisationskultur geforscht habe, Erfahrung als Prozessberater habe und mich in wachsendem Maß für das Gesundheitswesen und Krankenhausverwaltungen interessiere. Im Laufe der letzten Jahre habe ich außerdem im Rahmen einer kleineren Denkfabrik weitere Krankenhausverwaltungen kennengelernt und erfahren, dass diese Art von Problemen an großen universitätsgestützten Kliniken erschreckend weit verbreitet ist.
Während das morgige Lunch-Treffen näher rückt, wird mir klar, dass ich keine Ahnung habe, was ich tun soll!
Meine Überlegungen zu dieser Situation
Im Laufe der vielen Jahre, die ich als Berater tätig bin, habe ich festgestellt, dass es hin und wieder funktioniert, wenn ich als der Experte auftrete und Informationen und/oder Ratschläge verteile, aber nur, wenn es sich um einfache, begrenzte Probleme handelt. Ich bin auch schon in die Rolle des »Arztes« für Organisationsklienten geschlüpft, indem ich Diagnosen gestellt und Rezepte verabreicht habe. Das hat nur gelegentlich funktioniert, wenn ich zufällig genügend Insider-Informationen über die Identität, die Mission und die kulturelle DNS der Organisation zur Verfügung hatte, um umsetzbare Vorschläge zu machen.
Ich habe früh gelernt, als »Prozessberater«, wie ich es nenne, zu arbeiten, der einer Gruppe in der Organisation dabei hilft, die Arbeit, die sie in Bezug auf ihre grundlegende Funktion und Aufgabe erledigen muss, erfolgreicher durchzuführen. Dazu gehörte normalerweise, dass ich eine Beziehung zu dem Klienten aufgebaut habe, die es uns ermöglichte, gemeinsam herauszufinden, was falsch lief und was man dagegen tun konnte. Doch auch dieser Prozess scheiterte, wenn das Problem komplex war, viele kulturelle Facetten hatte und sich ständig wandelte. Für den Umgang mit meiner medizinischen Lunchgruppe brauchte ich noch einen weiteren Denkansatz, um angesichts der gegebenen Komplexität und schnellen Veränderungen helfen zu können.
Fallbeispiel Nr. 1: Kultureller Wandel bei Beta Power
Potenzielle Kundin am Telefon: Hallo, Dr. Schein, hier ist Sue Jones von der Beta Power Company. Ich bin die Leiterin des Personalbereichs und der Managemententwicklung. Unser neuer CEO hat mich gebeten, Sie anzurufen und zu fragen, ob Sie bereit wären, zu kommen und uns dabei zu helfen, unsere Firmenkultur zu verändern, weil wir festgestellt haben, dass sie viel zu starr, schwerfällig und förmlich ist. Es ist schwer, irgendein neues Programm in Gang zu bekommen, weil wir immer wieder auf diese alten Verhaltensweisen und Handlungsmuster stoßen. Würden Sie unserem Unternehmen einen Besuch abstatten, um mehr darüber zu erfahren? Vielleicht könnten Sie uns helfen, einige Programme zur Veränderung der Unternehmenskultur zu starten?
(Als ich diesen Vorschlag und diese Frage hörte, spürte ich zwei Hauptreaktionen in mir. Zum einen klang es interessant und gehörte sicherlich zu der Art von Projekten, deren erfolgreiche Bewältigung ich mir zutraute. Doch andererseits erinnerte ich mich daran, dass ich einige schlechte Erfahrungen gemacht hatte, wenn ich Unternehmen besuchte, ohne genauere Informationen zu haben und vor allem, ohne zu wissen, was der neue Unternehmenschef tatsächlich im Sinn hatte, wenn er von einer »starren, schwerfälligen Kultur« sprach. Ich wollte auch gern ein wenig mehr Informationen über die Motivation des neuen Unternehmenschefs erhalten. Würde er das Ganze einfach an Sue Jones delegieren? Oder würde er sich selbst in dem Projekt engagieren, was eine wichtige Voraussetzung für einen kulturellen Wandel wäre. Diese Gedanken führten zu dem folgenden Gespräch, das ich als Personalisierung bezeichne.
Ed S: Das klingt interessant und könnte kompliziert sein. Ich glaube, es wäre wichtig, die Sache außerhalb des Unternehmens mit dem CEO zu besprechen, um zu erforschen, was vor sich geht und was genau er im Sinn hat. Meinen Sie, er wäre zu einem separaten Treffen bereit und würde mich vielleicht in Cambridge besuchen?
(Diese Reaktion war die erste Anpassungsbewegung), wie ich es nenne, um eine persönlichere Beziehung zum Kunden aufzubauen und herauszufinden, was ihn tatsächlich beschäftigt.)
S. J.: Sie haben recht. Vielleicht sollten wir die Sache außerhalb des Unternehmens durchsprechen. Ich werde Rücksprache mit unserem CEO halten und fragen, ob die Möglichkeit besteht, dass wir Sie in Cambridge besuchen. Ich melde mich dann wieder.
(Eine Woche später)
S. J.: Ich habe mit unserem CEO gesprochen, und er war ganz begeistert von dem Vorschlag, Sie zu besuchen. Er wird auch seinen neuen operativen Geschäftsführer mitbringen, und ich werde die beiden begleiten. Wollen wir einen Termin für ein halbtägiges Meeting festlegen?
Ed S.: Hier sind einige Termine zur Auswahl. Ich gehe davon aus, dass Einvernehmen darüber besteht, dass ich Ihnen diesen halben Tag in Rechnung stelle.
(Andere Erfahrungen haben mich gelehrt, dass die beste Hilfe oftmals in den frühesten Sitzungen erfolgt, deshalb stelle ich diese ersten Gespräche in Rechnung, außer es handelt sich eindeutig um ein kurzes und rein informatives Telefonat, Essen oder Treffen.)
S. J.: Das klingt gut. Wir melden uns, wenn ich Rücksprache wegen des Termins gehalten habe.
(Wir trafen uns zwei Wochen später um neun Uhr morgens in meinem Garten. Ich entschied mich für ein Treffen bei mir zu Hause, weil es ein Setting bot, in dem wir etwas essen und trinken konnten, was einer Personalisierung der Situation entgegenkommt.)
Ed S: Herzlich willkommen! Lassen Sie uns darüber sprechen, was Sie im Sinn haben, wenn Sie von einer »starren, schwerfälligen Kultur« reden.
CEO: Okay, Ed. Darf ich Sie »Ed« nennen?
Ed S: Sicher.
CEO: Als John (der operative Geschäftsführer) und ich den Versuch gestartet haben, einige neue Programme im Unternehmen umzusetzen, sind wir immer wieder auf alte Gewohnheiten und Traditionen gestoßen, an denen die Leute offenbar unbedingt festhalten wollen, so als wäre die Kultur irgendwie versteinert.
Ed S.: Können Sie mir ein Beispiel nennen?
(Das ist fast immer eine gute Frage, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht die geringste Ahnung habe, worüber sie reden, was sie unter Kultur verstehen oder was sie tatsächlich beunruhigt. Kaum hatte ich die Frage gestellt, richtete sich John kerzengerade in seinem Stuhl auf und schaltete sich temperamentvoll ins Gespräch ein.
COO: Ja, Ed, ich kann Ihnen ein schlagendes Beispiel nennen, das sich gerade gestern ereignet hat! Ich habe eine Mitarbeitergruppe von ungefähr fünfzehn Leuten, mit denen ich mich regelmäßig in diesem großen Konferenzsaal treffe und sie setzen sich jedes Mal auf dieselben Plätze. Okay, also gestern waren nur fünf Leute bei dem Meeting und wieder saßen alle auf ihren üblichen Plätzen, obwohl das bedeutete, dass sie über den ganzen Raum verstreut waren!
(John sah mich erwartungsvoll an, öffnete die Hände zu einer Geste, die zu sagen schien: »Verstehen Sie, mit was ich mich herumschlagen muss?«, und legte eine Pause ein. In diesem Moment wurde ich von meiner Neugier überwältigt und gab ihr nach, ohne über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. (Fragen Sie sich, was Sie selbst in diesem Augenblick getan hätten.)
Ed S.: (mit Verve) Was haben sie getan?!
Geschäftsführer: Oh Gott! Ich hab’ überhaupt nichts getan …
(Es folgte eine lange Pause, in der der CEO, der operative Geschäftsführer und Sue wohl alle zu derselben Einsicht gelangten. Hier hatten wir die beiden obersten Führungskräfte der Organisation, die sich über schwerfälliges Mitarbeiterverhalten beklagten und einen Außenstehenden baten, ihnen dabei zu helfen, die »Kultur zu verändern«. Irgendwie war es ihnen gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie mit ihrer Passivität stillschweigend das »kulturelle Verhalten«, über das sie sich beschwerten, billigten. (Ich musste an den Spruch denken: »Du kriegst, womit du dich zufriedengibst.«)
Wir verbrachten den restlichen Morgen damit, eine Liste aller Aktionen zusammenzustellen, die sie starten konnten, um das klare Signal an die Organisation auszusenden, dass das Verhalten sich ändern musste. Ich empfahl ihnen mein Buch Organizational Culture and Leadership (4. Aufl. 2010), in dem ein ganzes Kapitel der Frage gewidmet ist, wie Führungskräfte die Kultur beeinflussen können. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich ganz wohl dabei, den »Doktor« zu spielen und etwas zu empfehlen. Wir kamen überein, dass ich jetzt nur noch alle paar Wochen telefonisch mit ihnen abklären würde, wie die Sache lief. Im Laufe der nächsten Monate rief der CEO mich regelmäßig an und schickte mir gelegentlich eine E-Mail, in der er geplante Aktivitäten beschrieb und um meine Meinung dazu bat. Ich stellte ihm eine Rechnung für meine Arbeitszeit aus und unterbreitete im Bedarfsfall weitere Vorschläge. Offizielle Projekte zur Unternehmenskultur habe ich weder besucht noch initiiert. Das war nicht notwendig. Durch meine Hilfe hatten sie erkannt, wie sie den Kulturwandel völlig eigenständig bewerkstelligen konnten.
Lektionen
• Die Hilfe, die sie erhielten, stand in keinem logischen Zusammenhang zu dem, was ich getan hatte. Es gab keine Diagnose, keine Untersuchung, kein Rezept. Ich hatte keine Ahnung, dass sie ihr Problem durch meine impulsive Frage aus einer anderen Perspektive betrachten und erkennen würden, dass sie es selbst lösen konnten. Ich hatte mehreren diagnostischen Fragen widerstanden, wie zum Beispiel: »Welche Gefühle hat das bei Ihnen ausgelöst?« oder »Was glauben Sie, warum die Mitarbeiter immer dieselben Plätze einnehmen?«, und stattdessen meiner spontanen Neugier nachgegeben. Die Kunden freuten sich, durch eine Methode voranzukommen, die keine komplizierte Diagnosephase, gefolgt von einem komplizierten Veränderungsprogramm umfasste. Das wahre Problem war nicht die schwerfällige Unternehmenskultur, sondern ihre eigene Verhaltenslähmung; während das dargestellte Problem sich möglicherweise erst nach Monaten entwirrt hätte, führte das tatsächliche Problem zu einer sofortigen Anpassungsbewegung.
• Meine wichtige »Intervention« bestand darin, dass ich sie zu mir nach Hause einlud und sie bat, mir »ein Beispiel zu nennen«, dass ich die Situation personalisierte und ein besseres Gespür dafür bekam, um was es eigentlich ging. Was mich antrieb, war eine Mischung aus Neugier und engagierter Hilfsbereitschaft.
• Ein direkter Fokus auf die »Kultur« schien nirgendwo hin zu führen, während die Konzentration auf das eigene Verhalten der Kunden zeigte, was sie tatsächlich erreichen wollten. Sie wollten ihre Unternehmenskultur nicht besser verstehen, sie wollten sie verändern. Eine Analyse der Unternehmenskultur wäre reine Zeitverschwendung gewesen und hätte sie möglicherweise von Schritten abgelenkt, mit denen sie sofort das Problem angehen konnten, das der eigentliche Grund für ihr Kommen war.
Das Paradox von chaotischer Komplexität und schneller Hilfe
Dieser Beispielfall lehrte mich, dass schnelle Hilfe möglich ist. Doch dazu muss man herausfinden, was der Kunde tatsächlich im Sinn hat und die eigene Neugier akzeptieren. Ein komplexer Schlamassel wie bei der Universität-gestützten medizinischen Fakultät und Klinik bot sich nicht für eine derart schnelle Hilfe an, machte aber deutlich, dass Anpassungsbewegungen hilfreich sein können. Meine Erfahrungen mit ähnlich komplexen Situationen betrafen verschiedene Organisationen, mit denen ich langjährige Beziehungen unterhielt. In diesen Fällen wie bei den Problemen, denen ich heutzutage bei meinen Klienten begegne, tritt das Chaos erst zutage, wenn erste Schritte eingeleitet werden, durch die tiefere Schichten der Probleme und Sorgen freigelegt werden.
Zum Beispiel:
• Mit der Digital Equipment Corporation (DEC) habe ich über dreißig Jahre lang immer mal wieder zusammengearbeitet, was in erster Linie bedeutete, dass ich dem Firmengründer Ken Olsen bei den wie immer gearteten Fragen, die ihn innerlich beschäftigten, geholfen und mit verschiedenen Topmanagern zusammengearbeitet habe, als ich in das Tagesgeschäft dieser Organisation verwickelt wurde. Wie ich aufzeigen werde, erfolgte die Hilfe manchmal sehr schnell, und manchmal blieb die dringend benötigte Hilfe leider auch aus.
• Über zehn Jahre habe ich mit ConEdison gearbeitet, dem Energielieferanten, der den Großbereich New York mit Strom, Gas und Erdwärme versorgt. Die betriebene Anlage ist alt und erfordert sorgfältige und ständige Wartung, damit potenziell tödliche Unfälle für die Bevölkerung und die eigenen Mitarbeiter vermieden werden. Die Organisation ist außerdem dafür verantwortlich, auch im Wechsel der Jahreszeiten und unter unterschiedlichsten Witterungsverhältnissen eine saubere und sichere Umwelt zu bewahren. Ich habe mit dem Führungsstab und dem Leiter des Bereichs Gesundheit, Sicherheit und Umwelt zusammengearbeitet, um ihnen zu helfen, die Sicherheit in einer komplexen, gewerkschaftlich organisierten, hochtechnologischen Umwelt zu bewahren und für dringend erforderliche Instandhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen zu sorgen; hinzu kam, dass alle Bemühungen des Unternehmens aufgrund von Ereignissen, die über zehn Jahre zurücklagen, auf tiefstes Misstrauen in der Öffentlichkeit, bei den Aufsichtsbehörden und bei Umweltschützern stießen. Ein vergleichbares...