VI Die Invokation der Gottheit
Im Prinzip ist eine Invokation sehr einfach: Man stellt sich die Gottheit möglichst plastisch und farbig ein paar Schritte vor sich im Raum vor und geht dann an diesen Ort und identifiziert sich dort mit der Gottheit.
Da dies jedoch ein meistens ungewohnter Vorgang ist, sind dazu viele Hilfsmittel und Varianten entwickelt worden.
Man kann eine Invokation ganz schlicht durchführen, indem man nur das Allernötigste tut: Die Gottheit imaginieren, dann zu ihr gehen und sich mit diesem Bild der Gottheit identifizieren.
Man kann aus der Invokation jedoch auch ein Ritual machen, das diese Imagination der Gottheit und die Identifikation mit ihr einfacher macht. Das Folgende ist eine Auswahl von Hilfsmitteln. Welche und wieviele dieser Hilfsmittel man sinnvoll verwenden sollte, kann man nicht generell sagen – das ist für jeden wieder anders. Es daher sinnvoll, mit einer einfachen Variante anzufangen und diese dann schrittweise auszubauen und zu schauen, was bei einem selber gut funktioniert und was nicht.
Es gibt auch eine allgemeine Dynamik: Meistens beginnt man mit einer einfachen Ritual-Variante, die dann nach und nach immer komplexer wird, aber nach einiger Zeit dann wieder schlichter wird, bis man schließlich für die Invokation gar kein Ritual mehr braucht.
Ein Ritual ist eine Imaginations- und Konzentrationshilfe und als solche zwar sehr nützlich, aber nicht zwingend notwendig.
Anfangs würden zuviele Details eher verwirren, aber mit der Zeit kann man im Ritual sozusagen ein Gesamtbild der Gottheit erschaffen. Wenn dieses Bild in einem selber lebendig geworden ist, reichen schließlich auch kleine Hinweise auf die verschiedenen Aspekte der Gottheit. Wenn man dann mit der Gottheit vertraut geworden ist, braucht man immer weniger Hilfsmittel – bis man schließlich solch eine Invokation auch durchführen kann, während man im Supermarkt in der Schlange an der Kasse steht – niemand merkt etwas von dem, was man da innerlich macht.
VI 1. Der Ort des Rituals
VI 1. a) Der Ort
Für manche Invokationen gibt es besonders gut passende Orte. Wenn man einen solchen Ort in erreichbarer Nähe hat, sollte man einmal an diesem Ort eine Invokation der Gottheit, zu der dieser Ort paßt, ausprobieren. Solche Orte können recht verschieden sein:
- eine Schwitzhütte für die Muttergöttin,
- ein Steinkreis für einen Sonnengott,
- eine Insel für eine Jenseitsgottheit,
- ein Berg für einen Göttervater,
- die Küste für einen Meeresgott,
- ein Wald für Wildnis-Gottheiten
- ein Friedhof für Gottheiten der Verwandlung,
- eine Höhle für eine Unterweltsgottheit,
- eine Kirche für Christus,
- eine Moschee für Allah,
- ein indischer Tempel für eine hinduistische Gottheit, usw.
VI 1. b) Der Raum
Man kann auch den Raum, in dem man die Invokation durchführen will, vor der Invokation entsprechend der Gottheit dekorieren:
- mit weiteren Bildern und Statuen der Gottheit,
- mit Tüchern in einer Farbe, die zu der Gottheit passen,
- mit Bildern von Gottheiten, die in den Mythen der ausgewählten Gottheit vorkommen,
- einem Teppich, der den „geweihten Ort“ symbolisiert, usw.
VI 2. Die Ritual-Kleidung
VI 2. a) Die Kleidung
Man kann sich auch auf eine besondere Weise kleiden. Die einfachste Variante sind ein Hemd und eine Hose bzw. ein Kleid, die man nur bei Ritualen trägt. Das ist durchaus eine nicht zu unterschätzende Konzentrationshilfe.
Man kann sich auch ein langes Gewand nähen, das man nur bei Ritualen trägt – da sollte man schauen, was sich für einen selber gut anfühlt.
Eine etwas aufwändigere Methode wäre das Herstellen von Kleidern und Symbolen, die zu der Gottheit passen und die man während der Invokation nach und nach anzieht und in die Hand nimmt. Das ist vor allem eine Variante für Menschen, die alle magisch-spirituellen Dinge gerne „greifbar“ haben, sowie für Gruppen-Rituale, in denen alles, was sichtbar ist, die Koordination der Konzentration und Imagination in der Gruppe deutlich erleichtert.
VI 2. b) Die Symbole
Man kann zusätzlich zu der „besonderen Kleidung“ auch verschiedene Gegenstände während der Invokation benutzen wie z.B. einen Zauberstab, ein Ankh (Lebenskraft-Symbol), eine Flöte, ein Kreuz, ein Kelch usw.
Die Verwendung solcher symbolischer Gegenstände sollte sich ganz nach dem richten, was man selber als hilfreich empfindet. Ein wenig Experimentieren ist hier wie bei den meisten Dingen ausgesprochen hilfreich, denn nichts schafft ein besseres Fundament als die konkrete Erfahrung.
VI 3. Die Statue
VI 3. a) Das Räuchern
Ein weit verbreitetes Hilfsmittel ist das Räuchern, das auf das Brandopfer zurückgeht. Die ursprüngliche Vorstellung dabei ist, daß das verbrennende Räucherwerk Lebenskraft freisetzt, die auf die Statue übertragen wird. Daher nannten die Ägypter das Räucherwerk „Se-netjer“, d.h. „das, was göttlich macht“. Die Lebenskraft in der Statue lädt dann die Gottheit ein, in diese Statue hineinzukommen.
Neben diesem magischen Aspekt des Räucherns gibt es auch noch den Umstand, daß der Geruchssinn im Gegensatz zu den anderen Sinnen an das Kleinhirn und nicht an das Großhirn angeschlossen ist und folglich instinktive Reaktionen hervorruft. Dadurch entstehen bei Gerüchen sofort Assoziationen zu früheren Situationen, in denen man dasselbe gerochen hat. Wenn man folglich bei allen Ritualen oder bei allen Invokationen immer dasselbe räuchert, weckt man in sich schon durch das Räuchern die Erinnerungen an frühere Rituale.
Diese Assoziationen kann man auch noch differenzierter benutzen, indem man für jede Gottheit eine Räuchermischung benutzt, die man ansonsten für nichts anderes verwendet. Auf diese Weise kann man einfach durch das Räuchern eine grundlegende Konzentration auf die Gottheit herstellen.
VI 3. b) Die Statue
Eine Statue der Gottheit, die vor einem auf einem Podest, einem Tisch o.ä. steht, kann eine große Imaginationshilfe sein. Man kann sich dabei zunächst einmal vorstellen, daß die Gottheit die Statue als ihren „Zweitkörper“ annimmt – die Gottheit befindet sich dann vor einem in der Statue. In einem zweiten Schritt kann man sich dann vorstellen, wie die Gottheit aus der Statue zu einem selber kommt und einen selber vollständig erfüllt und umhüllt.
Statt einer Statue kann man auch ein Bild der Gottheit benutzen.
Sowohl die Statue als auch das Bild müssen nicht groß sein, aber wenn sie groß sind, sind sie natürlich beeindruckender, was die Imagination erleichtert.
VI 3. c) Das Schmücken der Statue
Wenn man sich alte Rituale anschaut, die in Tempeln durchgeführt worden sind, sieht man, daß die Statuen wie Menschen behandelt worden sind: Sie wurden morgens gewaschen, geölt und gekleidet, man legte ihnen ihre Kronen, Ketten und Armreifen an, man reichte ihnen Speisen und Getränke und sprach mit ihnen. Diesen Brauch findet man in so unterschiedlichen Kulturen wie bei den alten Ägyptern und den Germanen.
Diese Elemente kann man in eine Invokation mit aufnehmen – sie erleichtern die Imagination, daß in der Statue eine Gottheit anwesend ist.
VI 3. d) Die Opferung
Die Opferung hat dieselbe Aufgabe wie die Räucherung: Die Lebenskraft, die sich in dem Opfer befindet, wird auf die Statue übertragen. Ursprünglich ist die Lebenskraft aus dem Opfer die Speise für den Totengeist bzw. für die Gottheit in der Statue gewesen.
Anfangs wurden die Opfergaben getötet, verbrannt, zerbrochen oder auf eine andere Weise zerstört, damit sie „tot“ waren und folglich in das Jenseits zu dem Ahnengeist gelangen konnten.
Später wurden die Opfergaben lediglich dem Totengeist bzw. der Gottheit in der Statue gereicht, die sich dann die Lebenskraft aus dem Opfer nahm. Anschließend konnten die Speisen und Getränke dann von den Menschen verzehrt werden.
Dasselbe gilt entsprechend auch von Opfergaben, die aus Blumen, Schmuck u.ä. bestanden.
Es ist naheliegend, wenn auch nicht unbedingt notwendig, Opfergaben auszuwählen, die zu der Gottheit passen, die man invozieren will.
VI 4. Die Anrufung
VI 4. a) Das Fundament
Man kann sofort mit der Invokation beginne...