Sinnsuche und Krise
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Sinnsuche und Krise

Thematische Grundkonzeptionen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

  1. 171 Seiten
  2. German
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Sinnsuche und Krise

Thematische Grundkonzeptionen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Über dieses Buch

Die AutorInnen deutschsprachiger Gegenwartsliteratur erlebten zahlreiche politische und gesellschaftliche Umbrüche: die Nachkriegszeit, die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands, das Ende des Kalten Kriegs, zuletzt die Neuen Medien und die Digitalisierung. Der Verlust sinnstiftender Ideale und festgefügter Weltbilder prägen ihre Werke, die das Unbestimmte, Unübersichtliche literarisch zu erfassen suchen. Brüche und Orientierungslosigkeit bestimmen häufig auch Stil und Struktur der labyrinthischen Erzählschichten, die mit Zitaten, künstlerischer Selbstreflexion oder theoretischen Überlegungen angereichert sind. Anhand zentraler Themen wie Selbstverwirklichung, Liebesfähigkeit und Erkenntnis verhandeln die Texte das Bemühen ihrer Figuren, sich selbst in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verorten, und eröffnen dem Lesepublikum Perspektiven für die eigene Sinnsuche in wechselvollen Zeiten.

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1. Einführung

‚Bewundert viel und viel gescholten‘, diese Selbstdeutung Helenas in Goethes Faust II trifft sicherlich auf die deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu. Sie steht anderen Literaturen gleichrangig zur Seite, hat Weltniveau und ist wegweisend in einzelnen Werken. Dieses Urteil prägt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen und Darstellungen einzelner Autor(inn)en. Demgegenüber beklagt eine beachtliche Zahl von Kritikern die Entwicklung der deutschen Literatur seit den fünfziger Jahren und attestiert ihr ein Versagen vor den wesentlichen Anliegen unserer Zeit. Die Vorbehalte sind widersprüchlich. Sie beanstanden, dass Texte einzelner Schriftsteller und Schriftstellerinnen ein einseitiges politisches Engagement zeigen. Außerdem bedauern sie die ermüdende Kritik der Konsumgesellschaft und die fehlende europäische Perspektive in einzelnen Erzählungen und Bühnenstücken. Einige Kritiker loben, andere tadeln das ausgeprägte politische oder philosophische Engagement spezifischer Texte. Einzelne Rezensionen in der Presse messen die Werke an Übersetzungen amerikanischer Bestseller und sprechen von Kursverlust, schwer zugänglichen experimentellen Erzählungen, der Bindung an die Apokalypse in der Vergangenheit und einer zweiten ‚Stunde Null‘.
Die deutschsprachige Literatur im Spannungsfeld der Zeit ist mehr als ein Land, eine Nation oder die biographisch deutbare Verwurzelung einzelner Autoren und Autorinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie schließt vieles und Widersprüchliches ein: etablierte Schriftsteller, die bereits in den Nachkriegsjahren Anerkennung fanden; Neuerscheinungen von älteren Autoren, die erhärtete Urteile und Vorurteile widerlegen; neue Auflagen von Wolfgang Borchert, Bertold Brecht, Alfred Döblin, Hermann Hesse und Thomas Mann; einzelne Veröffentlichungen von Autoren und Autorinnen wie etwa Birgit Vanderbeke, Manfred Bieler, Horst Bienek, Ulla Hahn und Stefan Hermlin, deren Stil zuweilen an das frühe 20. Jahrhundert erinnert; Texte, die auf Bestsellerlisten im In- und Ausland aufgeführt werden; avantgardistische und traditionsverpflichtete Werke; und schließlich die jüngste Generation, die sich durchaus selbstbewusst von der vorausgegangenen abhebt.
Allgemein besteht die Tendenz, von Autor(inn)en ein wie auch immer geartetes gesellschaftliches, politisches oder historisches Engagement zu erwarten. Selbst in durchaus positiven Bewertungen der Gegenwartsliteratur klingt der Wunsch an, die Literatur solle deuten und dem Leben eine neue Sinnstiftung vermitteln. So entsteht der Eindruck, die Literatur werde an ihrer „Stellungnahme“ gemessen. Beispielsweise kritisiert Fritz J. Raddatz die Konzentration der „westdeutschen“ Literatur auf subjektive Nuancen in der Figurengestaltung, die Ich-Suche und die Nichtbeachtung des politischen Horizonts. Im Gegensatz zu diesen Tendenzen findet er in den Schriften übergesiedelter DDR-Autoren und Autorinnen die bewusste Auseinandersetzung mit den wesentlichen Fragen der Zeit. „Es gibt eine dritte deutsche Literatur. Nach Jahren, in denen von einer ‚zweiten deutschen Literatur‘ – also der DDR-Literatur – gesprochen und in denen die Abgrenzungen der beiden Literaturen wie ihre gegenseitige Durchdringung, auch Befruchtung diagnostiziert wurde, kann über den aktuellen Stand der literarischen Szene gesagt werden: Die zeitgenössische westdeutsche Literatur sieht den Menschen als genetischen Code, die Welt als ein System ohne Zukunft, die Kunst als Rätsel. Beide deutsche Literaturen bestimmen wesentlich Verkrochenheit, Ich-Bezogenheit und Aufarbeiten von Mythen und Träumen. Zwischen ihnen hat sich als besondere Kraft ‚eine dritte deutsche Literatur‘ etabliert – es ist die jener Autoren, die aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt sind … es sind Schriftsteller, die ihre historische Erfahrung, ihre politische Bildung und ihre moralische Interventionslust nicht als Gepäck an der Mauer abgegeben haben“.1
Die durchaus selbstbewusste Rolle der Literatur tritt in Reflexionen, Hinweisen und Aussagen über Texte in den Vordergrund. Sie ist maßgebend in der politisch-sozial bestimmten Gruppenidentität von Autoren im Westen und Osten. Sie ist richtungsweisend im Anspruch, entweder direkt politisch engagiert zu sein oder indirekt die empfundenen Fehlentwicklungen steuern zu können. Selbstsicher sind die zunehmenden Autorenlesungen, die literarische Kanonisierung der Gruppe 47, die an die tradierte Literaturgeschichtsvorstellung anschloss und darüber hinaus die gegenwärtigen Literaturtheorien berücksichtigte und einbezog. Hinweise und Beobachtungen in Veröffentlichungen nach den sechziger Jahren veranschaulichen die fortgesetzte Auseinandersetzung mit den literaturtheoretischen Erörterungen. Im Osten liegt die Betonung der Diskussionen auf der gesellschaftlichen Verantwortung der Autoren und der adäquaten Wirklichkeitsgestaltung, im Westen auf der gesellschaftskritischen Aufgabe der Literatur und der durch die zunehmend empfundene Verunsicherung in der Wahrnehmung der Wirklichkeit ausgelösten Suche nach immer neuen Darstellungsformen.2 Kurzgeschichten und Erzählungen übernehmen Elemente aus den Medien und dem Internet in die Substanzschichten der Texte. Die Vorherrschaft der Literatur wird von der Gesellschaft sanktioniert: Die Zahl der Literaturpreise geht schwunghaft in die Höhe; Übersetzungen ausländischer Bestseller erzielen beachtliche Auflagen; Zeitschriften veröffentlichen kritische Diskussionen von Autoren und Autorinnen und Lesungen werden selbst Gegenstand einiger Erzählungen.
Die Gegenwart schließt ein die Nachkriegsjahre, ein geteiltes und wiedervereintes Deutschland, politische Proteste, gesellschaftliches Engagement, das Ende des ‚Kalten Krieges‘, die Auseinandersetzung mit literaturtheoretischen Überlegungen und immer im Schnittpunkt die Frage der Selbstverwirklichung in der Gegenwart. Günter Kunert referiert 1990: „Noch ist unbemerkt geblieben, dass ein wesentliches Ereignis, an dem doch alle teilnahmen, allen Schriftstellern, hier wie da, die Plattform entzogen hat, auf der sie noch zu stehen glaubten. Gemeint ist das Ende des ‚Kalten Krieges‘, das Ende der Teilung Europas, das Ende der Spaltung Deutschlands. Kurz gesagt: Der Bedarf nach politischer Aktivität von Schriftstellern ist unvermittelt erloschen … Nun ist die Literatur nichts anderes mehr als Literatur – kein Zeugnis für oder gegen etwas, kein Mittel für irgendwelche undurchsichtigen Zwecke.“3
Zustimmung und Beanstandungen betreffen allgemein die Erzählverfahren und Themenstellungen der Gegenwartsliteratur. Sie illustrieren einen kontinuierlichen Dialog mit der Literatur. Die Literatur stellt Fragen, sie kann nicht immer Probleme lösen. Die Themenforschung beleuchtet Gemeinsamkeiten im Rahmen kompositorischer Differenzen. Die vorliegende Untersuchung ist der zweite Band der Bestandsaufnahme: „Sechs Jahrzehnte Grundkonzeptionen und wegweisende thematische Entwürfe in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur unserer Zeit“. Der erste Band behandelte das zentrale Thema der Vergangenheit und die mit ihm eng verknüpften Motive.4 Der zweite Band verdeutlicht, dass die Literatur heute, selbst im Zustand der Krise, an die literarische Tradition anschließt. Die Literatur unserer Tage schildert, was die Literatur zu allen Zeiten beschäftigte: menschliche Erfahrungen, Alltags- und Ausnahmesituationen, Liebe und gestundete Zeit, Jugend und Altern. Im Mittelpunkt der Darstellungen stehen des Öfteren Auseinandersetzungen mit drei Themen: Selbstverwirklichung, Liebesfähigkeit und Erkenntnis. Diese Themen veranschaulichen dem Lesepublikum einen begehbaren Weg zur Bejahung des Lebens.
Die vorliegende Darstellung verfolgt besonders wiederkehrende Kontraste und thematische Grundkonstellationen: Ich-Suche / Kontaktlosigkeit, Anpassung / Auflehnung, Liebe / Liebesverlust, politisches Engagement / Flucht ins Abseits, Jugend und Zukunftsvertrauen / Altern und Leiden, aber auch Bejahung eines erfüllten Lebens, Dialog mit der Vergangenheit, Selbstbejahung und Welterkenntnis.
Im Vordergrund unserer Betrachtung stehen Werke, in denen sich kein Missverhältnis nachweisen lässt zwischen dem, was sich die Autoren und Autorinnen vorgenommen und dem, was sie erreicht haben. Die Qualitäten ihrer Prosa, ein Deutsch von größter Präzision und höchster Suggestibilität, lassen die Fülle vorüberfliegender Eindrücke der Massenmedien verstummen. Aus der Sicht der Themengeschichte stehen die Erzählungen unter dem Dreigestirn Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Urs Widmer stellt fest: „Ohne Geschichte entsteht keine Literatur“.5 Dem ist hinzuzufügen, ohne genaues Sehen, formgebendes Gestalten, in dem die Erinnerung zu Wort kommt, entstehen keine Erzählungen. In Goethes unverwechselbarer Diktion der Römischen Elegien hört man den Wunsch, die Vergangenheit zum Sprechen zu bringen, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu deuten.
Deutlich ersichtlich ist, dass die jungen deutschsprachigen Autoren und Autorinnen den Verlust sinnstiftender Ideale und den Zusammenbruch festgefügter Weltbilder erfahren haben. Ihr Verfahren, das Unbestimmte, Unübersichtliche und ständig Wechselnde im heutigen Geistesleben, in der Wissenschaft und Politik zu erfassen, bedingt thematisch die Orientierungssuche, die Ortung und Bestandsaufnahme. Es zeigt sich im Stil, in der Struktur und in der Tendenz, labyrinthische Erzählschichten mit Zitaten, mit Selbstreflexion, theoretischen Überlegungen zur gesellschaftlichen Verantwortung und adäquaten Wirklichkeitsgestaltung sowie Analysen des künstlerischen Schaffensvorgangs anzureichern. Unmissverständlich in der Vielfalt der Texte bleibt das zentrale Anliegen der Sinnsuche im Rahmen der Selbstverwirklichung, deren vielfältigen Ausprägungen im Zentrum der folgenden Darstellung stehen.6

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. In memoriam
  6. 1. Einführung
  7. 2. Blick auf die Gegenwart
  8. 3. Die existenzielle Situation: Wirklichkeitserfahrung, Entwicklung, Krise und Verunsicherung
  9. 4. Einkreisung: Anpassung und Suche nach Orientierung
  10. 5. Kritik der politischen und gesellschaftlichen Verfassung
  11. 6. Selbstverwirklichung
  12. 7. Selbsterkenntnis: Bewusstsein des historischen Augenblicks
  13. 8. Spiraltendenz, Horizonterweiterung
  14. 9. Sinndeutung
  15. Literaturverzeichnis
  16. Register
  17. Fußnoten