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Goldrausch: Das Gelobte Land
An einem Junitag 2008 an der Nordwestküste von Schottland blickte eine Gruppe von Dorfbewohnern auf den äußeren Hebriden in den Himmel auf ein herannahendes Flugzeug. Die Inseln, auf denen sie lebten, waren geformt wie ein mittelalterlicher Knüppel, schmal am südlichen Ende und breiter im Norden, hingestreckt im unruhigen graublauen Wasser. Ein Großteil des spärlich besiedelten Landes sah aus der Ferne wie eine endlose Rasenfläche aus, es gab Felder, die bis an zerklüftete Klippen reichten und an felsige Strände, jenseits derer eine Kette von Inselchen lag. Die Inselbewohner warteten, während die Boeing 727 in ihre Richtung drehte.
Der Jet war ein ungewöhnlicher Besucher, kein Vergleich zu den propellergetriebenen Pfützenspringern oder den klappernden Fliegern der Royal Mail, die normalerweise die Insel ansteuerten. Das Flugzeug, das den Atlantischen Ozean auf seiner Reise von Boston aus überquert hatte, schnitt durch die Winde, kam mit hüpfenden Reifen auf der Rollbahn auf und rollte dann langsam an den kleinen Terminal in Stornoway, der Hauptstadt der Isle of Lewis mit einer Bevölkerung von 8.000 Menschen. Das Flugzeug war nach den genauen Spezifikationen seines Besitzers aus Manhattan, Donald J. Trump, modifiziert worden. Es hatte ein großes Schlafzimmer, großzügig Platz zum Sitzen für 24 Passagiere, einen Essbereich für fünf Gäste mit dazugehörigem Porzellan und Kristallgläsern und, um das Ganze abzurunden, zwei vergoldete Waschbecken.1 Ein einzelnes Wort war in Großbuchstaben auf den Rumpf geschrieben: TRUMP. Als die Turbinen des Fliegers zum Stillstand kamen, luden Trumps Bedienstete die Kisten mit Büchern aus, die wie Talismane an die Inselbewohner ausgeteilt werden würden. Auf einer Kiste stand: TRUMP: WIE MAN REICH WIRD und auf einer anderen: GIB NIEMALS AUF. Trump, der einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd und eine blaue Krawatte trug, die bis über seinen Gürtel hing, die blonden Haare im Wind wehend, begrüßte die Inselbewohner. Dann gingen er und seine Mitreisenden zu einem schwarzen Porsche Cayenne und zwei BMW X5. Die Entourage fuhr etwa zehn Kilometer an den sanften, grünen Hügeln vorbei, durch Siedlungen mit am Wasser gebauten Häusern und kleinen Industriegebäuden, bis sie an einem grauen Haus ankamen, das als 5 Tong bekannt war, benannt nach dem Dorf, in dem es lag. Das Haus war so bescheiden, dass Trump es nur 97 Sekunden besichtigte, Fotos wurden gemacht und die Angelegenheit schien an ein Ende gekommen. Trump besuchte den Geburtsort seiner Mutter, Mary Anne MacLeod.
„Ich fühle mich hier sehr wohl“2, erklärte Trump den versammelten Reportern. „Wenn die Mutter aus einer bestimmten Gegend kommt, neigt man dazu, diese Gegend zu mögen. Ich fühle mich schottisch, aber bitten Sie mich nicht, das zu definieren. Etwas von meiner Mutter hat sich bei mir sehr stark durchgesetzt.“ Falls irgendjemand es noch nicht bemerkt hatte, setzte er hinzu: „Ich habe eine Menge Geld“.3
Trump war vorher nur einmal hier gewesen, als er drei oder vier Jahre alt war, und dieser Aufenthalt schien so kurz wie möglich, kaum drei Stunden. Es gab ein Gespräch darüber, dass er ein Schloss vor Ort in ein Luxushotel4 verwandeln wollte. Dann ging es weiter in einen anderen Teil Schottlands, wo Trump hoffte, diese seltene Gelegenheit, auf seine Herkunft hinzuweisen, könnte dabei helfen, Politiker zu überzeugen, ihn ein riesiges Golfresort5 und mehrere Häuser in einem umweltschutztechnisch sensiblen Landstrich in der Nähe von Aberdeen bauen zu lassen.
Trumps Geschichte über seine Mutter war die klassische Erzählung des Wunsches nach einem neuen Leben in einem fremden Land, aufgeladen mit dem anscheinend unrealistischen Traum unvorstellbaren Reichtums. Der Reichtum stellte sich bei Trumps Familie eines Tages ein. Aber dieses Ergebnis wäre schwer vorstellbar gewesen, wenn man in der Zeit zurückgereist wäre bis zu einer Szene, die in einem grobkörnigen Foto festgehalten worden war, ganz in der Nähe des Ortes aufgenommen, den Trump an diesem Junitag so kurz besucht hatte.
DAS SCHWARZWEISSFOTO WAR 1930 in 5 Tong gemacht worden. Eine Frau, leicht gebeugt, mit einem langen Kleid, die Haare nach hinten gebunden, ein Strick über der Schulter. Der Strick ist an einem Bündel auf ihrem Rücken befestigt, das etwa zehn Mal so groß ist wie ihr Kopf. Laut der Bildunterschrift der Tong Historical Society ist sie eine Ahnin von Trump, möglicherweise Donalds Großmutter, die „eine Hummerreuse voller Seetang auf dem Rücken trägt“6. Im Hintergrund steht eine junge Dame, vermutlich Trumps Mutter Mary MacLeod, damals 18 Jahre alt, die bereits den Plan hat, ihr zunehmend bettelarmes Land zu verlassen und nach Amerika auszuwandern.
Mary wuchs an diesem entlegenen Ort auf und sprach den örtlichen gälischen Dialekt. Tong war die Heimat von Marys Eltern, Großeltern und Urgroßeltern gewesen sowie von zahllosen Cousinen und Cousins. Das Land um das Haus war bekannt als ein „Croft“, eine kleine Farm, für gewöhnlich von der Mutter bestellt, damit der Vater Zeit hatte, häufig fischen zu gehen. Es war eine karge Existenz und viele Häuser waren „unbeschreiblich schmutzig und die Türen so niedrig, dass man hinein und heraus kriechen musste“, wie ein Lokalhistoriker berichtet. Familien hatten zu kämpfen, ihr Auskommen zu finden, indem sie die saure Erde bestellten, Tiere hielten und in den nahegelegenen Buchten und Flüssen fischten. Außerdem sammelten sie Torf, welcher verkauft oder als Brennstoff benutzt wurde, und Seetang, der als Dünger auf dem schwierig zu bestellenden Land eingesetzt wurde. Es war nicht selten, dass die Männer mit ihren Segelschiffen untergingen, ein Schicksal, das 1868 auch Marys 34 Jahre alten Großvater Donald Smith7 ereilte, der denselben Vornamen hatte, den Mary Jahrzehnte später ihrem Sohn Donald Trump geben sollte.
Mary wurde 1912 geboren, während des Höhepunkts eines Booms der Heringfischerei. Dieser fetthaltige Fisch war in ganz Europa zu einer Delikatesse geworden. Viele junge Einwohner arbeiteten in dem Gewerbe, putzten den Fisch oder segelten mit den Fischerflotten hinaus. Im Ersten Weltkrieg, als die Fischindustrie der Insel zusammenbrach, war Mary noch ein Kind. Zehn Prozent der männlichen Bevölkerung starben. Eine Auswanderungswelle folgte, die Familien suchten anderswo nach neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten. Ein Mann aus Tong hatte angeblich so viel Erfolg, dass er bei einem Besuch in einem großen amerikanischen Wagen mit Weißwandreifen ankam und die Kinder des Ortes mitfahren ließ.
1918 zahlte einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner der Insel, Lord Leverhulme, der für das Lever-Seifenimperium seiner Familie bekannt war, 143.000 Pfund8, um die Isle of Lewis zu kaufen, auf der Tong lag. Er zog in das große Lews Castle und verkündete eine Reihe großer Pläne, inklusive des Verkaufs von vor Ort gefangenem Fisch in Hunderten von Geschäften9 im ganzen Vereinigten Königreich. Vor allem aber drängte er die Einwohner dazu, ihm zu trauen.
In dieser kurzen Periode der Hoffnung geschah eine weitere Tragödie. Am Neujahrstag 1919 kam ein Schiff mit britischen Soldaten an Bord vom Kurs ab, setzte auf Felsen auf und es starben 174 Männer10 aus Lewis, was erneut die männliche Bevölkerung dezimierte. Bald wurde offensichtlich, dass Leverhulmes große Versprechen sich nicht erfüllen würden. Die Inselbewohner rebellierten. Eine Gruppe von Männern aus Tong fiel auf einer Farm ein, die Leverhulme gehörte, und beanspruchte das Land für sich. 1912 hatte Leverhulme die Bautätigkeit auf Lewis eingestellt und konzentrierte sich auf das benachbarte Harris, das bekannt war für seine Wollfabrik mit Namen Harris Tweed. Seine Unternehmungen an anderen Orten kamen ins Straucheln, besonders angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise, und 1923 war Leverhulmes Traum von einem Utopia auf Lewis geplatzt. Leverhulme starb11 zwei Jahre später, und als Mary ins Teenageralter kam, verließen Hunderte Menschen die Insel.
Die MacLeods waren stolz auf die robusten Tiere der Insel. Im Familienwappen fand sich ein Stierkopf und das Motto „DURCHHALTEN“12. Aber das wurde beinahe unmöglich mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929. Die Möglichkeiten für eine junge Frau, irgendetwas anderes zu werden als Bäuerin oder eine Kinder gebärende Sammlerin von Seetang, waren rar. Also bestieg Mary Anne MacLeod am 17. Februar 1930, nach dem Schwarzen Dienstag und all der weiteren Finsternis, die die Weltwirtschaftskrise gebracht hatte, die SS Transylvania13, ein Schiff mit drei Schloten, das vier Jahre zuvor gebaut worden war. Das Schiff war 175 Meter lang14, 21 Meter breit und konnte 1.432 Passagiere befördern. Mary, eine attraktive junge Frau mit heller Haut und blauen Augen, scheint alleine gewesen zu sein und steht in der Passagierliste zwischen den McIntoshes und McGraths und McBrides. Sie nannte sich selbst „Hausangestellte“, ein Sammelbegriff für „Hausmädchen“ und andere Arbeiten, die sie annehmen konnte, sobald sie in New York war. Gegenüber den Einwanderungsbeamten auf Ellis Island gab sie an, sie wolle mit ihrer älteren Schwester Catherine, die geheiratet und gerade einen kleinen Jungen geboren hatte, in Queens bleiben. Mary erklärte, sie wolle dauerhafte Einwohnerin werden, und hoffe, die Staatsbürgerschaft ihrer Wahlheimat zu erhalten.
DIE VEREINIGTEN STAATEN HATTEN den größten Teil ihrer Geschichte Einwanderer willkommen geheißen, Arbeitskräfte importiert und die Besiedlung des Westens gefördert. Eine Kombination aus ökonomischem Abschwung, Nationalismus und dem Erstarken der eugenischen Bewegung hatte es jedoch vor Kurzem zunehmend schwerer für bestimmte Menschengruppen gemacht, US-Bürger zu werden. Die Rückschläge begannen in den frühen 1920er-Jahren. Der Ku-Klux-Klan versuchte, die demokratische Nationalversammlung 1924 in New York zu übernehmen, erzwang extreme Beschränkungen bei der Zahl der Immigranten und diskriminierte Katholiken, was zu Schlägereien in den Sitzreihen des drückend heißen Madison Square Garden führte. Mehr als 20.000 Klan-Angehörige hielten eine politische Veranstaltung in der Nähe ab und feierten, als die Versammlung knapp daran scheiterte, einen Tagesordnungspunkt zu verabschieden, der die Gruppe ausschloss. Der daraus resultierende „Klanbake“15, wie die Tage des Zorns genannt wurden, brachte die Versammlung derart aus dem Tritt, dass es 103 Wahlgänge brauchte, um John W. Davis als Kandidaten aufzustellen, der die Wahl dann gegen den Republikaner Calvon Coolidge verlor. Trotzdem verfügte der KKK weiter über politische Macht, und als die Wirtschaft schwächelte, erfasste eine Anti-Immigrations-Stimmung das Land. Der Nominierte der Demokraten von 1928, Al Smith, wurde vom KKK an den Pranger gestellt, weil er katholisch war, und verlor gegen den Republikaner Herbert Hoover. 1929 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das die Immigrantenquoten für viele Länder reduzierte, inklusive europäischer Nationen wie Deutschland. Bald wurden Hunderttausende Mexikaner ausgewiesen. Menschen aus China, Japan, Afrika und Arabien hatten wenig Chancen, die US-Staatsbürgerschaft zu erhalten. Gleichzeitig verdoppelte der Kongress beinahe die Quote für Immigranten vom Großteil der britischen Inseln. Mary, die der bevorzugten Gruppe16 der britischen Weißen angehörte, wurde in einer Zeit willkommen geheißen, in der die Vereinigten Staaten für die meisten anderen die Tore schlossen.
Als Mary auf dem Weg über den Atlantik war, hatte die Transylvania mit einem schweren Sturm zu kämpfen. Das Schiff erreichte schließlich den Hafen von New York. Es schüttete wie aus Eimern und Blitze hatten für einen Stromausfall gesorgt17, unter anderem in der Flamme der Freiheitsstatue, die dennoch die Müden und Armen der Welt willkommen hieß. Die Schlagzeile auf der ersten Seite der New York Times am Tag von Marys Ankunft schien beruhigend: „Die schlimmste Wirtschaftskrise ist überstanden, sagt Hoover, und Zusammenarbeit mindert das Leid.“ Hoover setzte seine Hoffnungen auf einen Bauboom18 und insistierte, dieser Trend habe sich „über alle Hoffnungen hinaus“ beschleunigt. Seine Hoffnungen sollten sich als zu optimistisch erweisen. Im Weißen Haus wurde Hoover bald durch den Gouverneur von New York abgelöst, Franklin Delano Roosevelt, und es sollte Jahre der Regierungsintervention brauchen, bis Amerika sich selbst aus der Wirtschaftskrise gekämpft hatte. Einer von denen, die Hoovers Hoffnungen auf einen Bauboom teilten, war ein junger Mann namens Fred Trump. Er war der Sohn eines deutschen Einwanderers und gerade dabei, ein Vermögen zu machen, indem er bescheidene Eigenheime in derselben Gegend von New York City baute, in die Mary MacLeod unterwegs war.
DER TRUMP-TEIL DER AMERIKANISCHEN Familiensaga beginnt mit Donalds Großvater Friedrich. Er wuchs in dem Dorf Kallstadt auf, in einem südwestdeutschen Weinbaugebiet, das für den unbefangenen Beobachter prosperierend und wohlhabend wirkte, aber für den ehrgeizigen Teenager, der später Donald Trumps Großvater väterlicherseits werden sollte, kaum eine Zukunft bot.
Das zweistöckige Haus in der Freinsheimer Straße mit dem steilen Dach, in dem Friedrich aufwuchs, war nur ein paar Minuten Fußmarsch vom Glockenturm der protestantischen Kirche im Stadtzentrum von Kallstadt entfernt. Mit zwei oder drei Schlafzimmern19, um genug Platz für eine achtköpfige Familie zu bieten, war es nicht unbedingt das größte Winzerhaus. Aber auch wenn die Trumps nicht die reichsten Winzer im Kallstadt des späten 19. Jahrhunderts waren, so verfügten sie doch über ein anständiges Einkommen. Sie besaßen Land, auf dem man Wein anbauen konnte, und ihr Haus hatte mehrere Außengebäude für Vieh und einen großen Gewölbekeller direkt neben den Räumen des Erdgeschosses, in dem die jährliche Ernte fermentiert wurde.
Kallstadt liegt in der Pfalz, einer üppig bewachsenen, hügeligen Gegend im Rheintal, in der Millionen deutsch-amerikanische Familien wie die Trumps ihre Wurzeln haben und wo die Nazis später eine Weinstraße20 schufen, um Produkte zu vermarkten, nachdem sie die lokalen jüdischen Händler vertrieben hatten. Vom Harzgebirge im Westen abgeschirmt, schuf die sanfte Topografie ein fast mediterranes Klima, die sogenannte deutsche Toskana, wo Mandeln, Feigen und süße Walnüsse gediehen. Wein wurde hier schon seit mindestens 2.000 Jahren angebaut, seit die Römer eine Villa auf einem Hügel über dem Dorf errichtet hatten. Ordentliche Reihen von Riesling liefen kreuz und quer über Felder und füllten kleine Grundstücke zwischen Dorfhäusern.
Jahrelange Unruhen sorgten dafür, dass viele f...