II Die Managementkompetenzen verbessern
Lernen und fortwährend üben:
Ist das denn nicht auch befriedigend?
Konfuzius (551 – 479 v. Chr.)
Realitäten erkennen
Bevor du kämpfst, musst du lernen zu stehen.
Aus Shaolin
Aufmerksamkeit
Dinge wahrzunehmen ist der Keim der Intelligenz.
Laotse (6. Jahrhundert v. Chr.)
Auf Dinge, die man nicht kennt, auf Entwicklungen, die einem nicht bewusst sind, kann man nicht angemessen reagieren. Besonders unter Stress neigen Menschen dazu, ihre Umgebung nicht hinreichend wahrzunehmen und sich dadurch unnötigen Risiken auszusetzen.
In der Selbstverteidigung spricht man vom Tunnelblick. Werden wir angegriffen, fokussieren wir uns instinktiv auf den Angreifer. Die Umwelt blenden wir aus. Allerdings kann sich ein weiterer Angreifer von der Seite oder von hinten unbemerkt nähern und uns attackieren. Ein guter Trainer ermahnt seine Schüler daher, stets aufmerksam zu sein und die Umgebung im Auge zu behalten.7
Bei Herausforderungen im Management geht es nur selten um Angriff und Verteidigung im eigentlichen Sinne. Dennoch bestehen viele Ähnlichkeiten. Beschäftigen wir uns intensiv mit nur einer Sache oder mit den falschen Themen, fokussieren wir etwa ausschließlich auf das Tagesgeschäft und vernachlässigen die Marktentwicklung, beschwören wir unter Umständen vermeidbare Schwierigkeiten erst herauf. Die Erkenntnis ist nicht neu. »Heftiges Streben nach einem Ziel macht die Seele für andere blind«, wusste bereits Demokrit. Trotzdem fehlt vielen Menschen die Bereitschaft, sich mit unangenehmen Fragen und schwierigen Rahmenbedingungen zu beschäftigen. Doch zu viel Selbstbeschäftigung führt zu gefährlichen blinden Flecken und damit zu latenten Risiken. Das klassische und viel zitierte Beispiel hierfür ist Kodak, der ehemalige Weltmarktführer der analogen Fotografie. Die Veränderung des Marktes zur digitalen Fotografie wurde nicht erkannt oder, schlimmer noch, nicht ernst genommen. Das Unternehmen setzte den falschen Fokus. Der Rest ist Geschichte. 2012 meldete Kodak Insolvenz an.
Beispiele für eine »Task Disorientation« gibt es leider viele – im Großen wie im Kleinen. In der Finanzkrise zu Beginn dieses Jahrtausends »übersahen« fast alle Beteiligten die Wertlosigkeit der als Sicherheit dienenden Immobilien. Ein Bauträger »übersieht« rechtliche Vorgaben zum Artenschutz, worauf die zuständigen Behörden einen Baustopp verhängten. Ein Geschäftsführer »übersieht« die kritische Schieflage seines Unternehmens und beschäftigt sich als Kompensation lieber intensiv mit zweitrangigen Themen.
Die Geschäftswelt wird ständig vielschichtiger und komplexer. Wollen wir in ihr erfolgreich bestehen, muss sich unsere Fähigkeit zur Aufmerksamkeit im gleichen Maß verbessern. Wir müssen in der Lage sein, die Perspektiven einer immer größer werdenden Zahl von Interessengruppen und deren oft widerstreitende Ziele in unsere Entscheidungen einzubeziehen.
Instrumente zur Erfassung und Systematisierung von externen und internen Entwicklungen sind in der überwiegenden Zahl der Unternehmen bekannt. Balanced Scorecards, Szenariotechniken, SWOT-Analysen und andere Verfahren werden im Risikomanagement, im Controlling, in der Unternehmensplanung und bei wichtigen Investitionsentscheidungen regelmäßig eingesetzt. Bei der erforderlichen Überprüfung und Anpassung von Geschäftsmodellen liefert die Business Model Innovation zuverlässig Ansatzpunkte.
Es reicht jedoch nicht aus, die gewohnten Analysen und Planungen routiniert durchzuführen und beispielsweise die letztjährigen Ergebnisse in die Zukunft fortzuschreiben. Vermeintliche Gewissheiten, unreflektierte Annahmen und Entscheidungsprämissen sind kritisch zu hinterfragen. Notwendig ist die Aufmerksamkeit auf aktuelle Entwicklungen, auf Chancen und Risiken zu lenken und diese dann – wie im nächsten Kapitel beschrieben – zu analysieren.
Klarheit
Wenn du begreifst, sind die Dinge, wie sie sind.
Begreifst du aber nicht, sind die Dinge immer noch,
wie sie sind.
(Buddhistische Weisheit)
Wir sollten stets versuchen, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind, ohne sie zu beschönigen, zu verzerren oder zu verleugnen. Wir sollten uns Klarheit verschaffen. Beschäftigt man sich zu einseitig mit einer Entwicklung, nimmt man sie falsch wahr. Wir brauchen aber eine möglichst ganzheitliche Sicht auf die Dinge.
In der buddhistischen Parabel von den blinden Männern und dem Elefanten wird die Gefahr einer verzerrten Wahrnehmung eindrucksvoll beschrieben.8 Buddha erzählte die Geschichte eines indischen Herrschers, eines Raja, auf dessen Geheiß blind geborene Männer einen Elefanten untersuchen sollten.
Nachdem die blinden Männer den Elefanten befühlt hatten, ging der Raja zu jedem von ihnen und sagte: »Ihr habt einen Elefanten erlebt, ihr Blinden?« – »So ist es, Majestät. Wir haben einen Elefanten erlebt.« – »Nun sagt mir, ihr Blinden: Was ist denn ein Elefant?«
Sie versicherten ihm, dass der Elefant sei wie ein Topf (Kopf), ein weicher Korb (Ohr), eine Pflugschar (Stoßzahn), ein Pflug (Rüssel), ein Kornspeicher (Körper), eine Säule (Bein), ein Mörser (Rücken), ein Pistill (Schwanz) oder eine Bürste (Schwanzspitze).
Die blinden Männer begannen über die richtige Beschreibung, ihre jeweilige Wahrheit, zu streiten und Buddha erklärte seinen Zuhörern: »Daran nun eben hängen sie, die Pilger oder Geistlichen; da disputieren, streiten sie, als Menschen, die nur Teile sehen.«
Oft gleichen wir diesen blinden Männern. In der Hektik des Tagesgeschäfts nehmen wir nur Dinge wahr, die wir unmittelbar erkennen, und verstehen sie nicht in ihren Zusammenhängen. Dann ignorieren wir wichtige Sichtweisen anderer, kommen zu falschen Schlussfolgerungen und treffen letztendlich falsche Entscheidungen.
Der renommierte schwedische Mediziner und Gesundheitsforscher Hans Rosling beschreibt in dem Buch »Factfulness – Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist« sehr eindrucksvoll, dass unsere Annahmen über die Welt oft ganz falsch oder veraltet sind. Selbst grundlegende Fragen – beispielsweise zur Entwicklung der Weltbevölkerung und der damit verbundenen wirtschaftlichen Dynamik – werden in erschreckender Regelmäßigkeit – selbst von wichtigen Entscheidern – falsch beantwortet.
- Nehmen Sie sich die Zeit, um Ihren Geist zur Ruhe kommen zu lassen und sich Klarheit zu verschaffen.
- Agieren Sie umsichtig und weitblickend. Erarbeiten Sie sich einen umfassenden Informationsstand. Versuchen Sie nicht nur die kurzfristigen, sondern auch die mittel- und langfristigen Auswirkungen zu berücksichtigen.
- Bedenken Sie, dass nichts von Dauer ist, für sich alleine steht und die Dinge auf vielfältigste Weise miteinander verknüpft sind.
Buddhistische Lehrer vergleichen Herausforderungen gerne mit einem Glas Wasser, das gerade aus einem Teich geschöpft wurde. Anfangs ist das Wasser trüb. Bleibt das Glas unberührt stehen, sinken die Schmutzpartikel langsam zum Boden des Glases – erst dann sieht man klar.
Fokus
Wer am falschen Faden arbeitet, zerstört das ganze Gewebe.
Konfuzius (551 – 479 v. Chr.)
Besteht Klarheit über die Ausgangssituation und die Herausforderungen, ist es an der Zeit, eine Entscheidung über die Prioritäten zu treffen.
Der Aufsichtsratschef eines börsennotierten Konzerns erläuterte mir seinen Plan, einen Unternehmensbereich auszugliedern. Da er einen Interim CFO für die neue Tochtergesellschaft suchte, sprach er mich an.
Zehn Wochen vor der Transaktion kam ich an Bord. Die Liste der abzuarbeitenden Aufgaben war lang: der Aufbau der bisher von der Muttergesellschaft wahrgenommenen Holding funktionen, die Integration und Finanzierung einer Akquisition, die Erneuerung des IT-Systems, die Kostenreduktion in einem wichtigen Geschäftsbereich und die Erfüllung aller regulatorischen Vorgaben. Von Anfang an stürzte eine Vielzahl von Informationen auf mich ein. Meine Kollegen meinten es gut: Sie machten mich auf zahlreiche kritische Entwicklungen und Risiken aufmerksam, die die Transaktion gefährden konnten. Alles war wichtig. Alles hatte höchste Priorität.
Nach wenigen Tagen wurde mir klar, dass ich den Fokus verschieben musste. Ich musste klare Prioritäten setzen, denn wir verfügten einfach nicht über die erforderlichen Ressourcen, uns um alles zu kümmern.
Daher konzentrierten wir uns auf die beiden wichtigsten Herausforderungen: die Durchführung der Ausgliederung und die Einstellung der erforderlichen Mitarbeiter. Die anderen Probleme mussten warten. Das war unbefriedigend, aber wir hatten keine andere Wahl.
Manchmal ist es unausweichlich, Verzögerungen oder sogar Fehlentwicklungen in einem Bereich zu akzeptieren, um übergeordnete Ziele zu erreichen.
Zwar kann aktionistische Betriebsamkeit die Nerven beruhigen, wenn der Schreibtisch überquillt. Man sollte aber nicht der Gefahr erliegen, Bewegung mit Fortschritt zu verwechseln.
Sich zur Festlegung der mittel- und langfristigen Ziele – »des strategischen Fokus« – auf Workshops oder Klausurtagungen zurückzuziehen ist gängige Praxis. Man sollte das Tagesgeschäft aber wirklich ausblenden. Nicht ohne Grund gründet der Begriff Klausur auf den strengen Ruhe- und Ordnungsvorschriften mittelalterlicher Ordensklöster. Es ist immer wieder erstaunlich zu erleben, wie sich die Qualität und Nachhaltigkeit der Ergebnisse durch den Verzicht auf externe Ablenkungen oder Unterbrechungen durch E-Mails und Telefonate verbessert.
Mit der Festlegung der notwendigen Initiativen und Projekte sowie ihrer Zwischenziele ergibt sich der Bezugsrahmen für die tägliche Arbeit.
Persönlich hinterfrage ich mich mindestens einmal die Woche, ob ich meine Arbeitszeit im Hinblick auf die definierten Ziele sinnvoll investiere. Gegebenenfalls passe ich mein Arbeitsprogramm an. Meine Mitarbeiter bitte ich ähnlich zu verfahren. Dieses Verfahren funktioniert wie eine Navigationshilfe, die die laufende Korrektur von Kursabweichungen unterstützt.
Denn es geht weniger darum, wie viel Zeit man seiner Arbeit widmet, sondern vor allem darum, wie erfolgreich man sich auf die entscheidenden Themen fokussiert.
Zusammenfassung
Um die vielschichtigen Herausforderungen unserer Arbeit umfassend verstehen und erfolgreich bewältigen zu können, benötigen wir Aufmerksamkeit, um unsere Umgebung wahrzunehmen, Klarheit, um sie zu analysieren, und Weitsicht, um die richtigen Prioritäten zu setzen. Nur so können wir die Grundlagen für gute Entscheidungen und deren Umsetzung legen.
Bewährte Instrumente zur Beschaffung, Strukturierung und Analyse der notwendigen Informationen stehen uns zur Verfügung. Wir sollten uns ihrer ernsthaft bedienen. Die Ergebnisse des letzten Jahres...