Abbildung 05: Die Kirche in Georgetown erstrahlt in unschuldigem Weiß.
Bakkers Manuskript spendet Trost
Vom 9. bis zum 18. Juli 1725 suchte Leonard Bosch vergebens Wasser. Abends zerstreute er weiter seine Sorgen mit der Lektüre seines Ex-Lovers Jan Bakker:
„Für Pablo, Pedro und Hugo war diese Höhle der Ort, an dem sie unbelauscht miteinander über ihre Befreiungspläne sprechen konnten. Meist rauschte die Brandung so laut, dass sie nicht einmal ihre Stimmen zu dämpfen brauchten. An diesem traurigen Abend schwiegen die Männer jedoch lange Zeit. Vorsichtig, die Glut in den hohlen Händen verbergend, zogen sie an ihren selbst hergestellten Zigarren. Pedro hatte, wie schon des Öfteren, am Fuß einer Klippe, unter einem Stein, einige Tabakblätter gefunden. Deron musste sie, während sie am Damm schufteten, dort verborgen haben. Der Sklave stammte aus der Gegend, in der auch Pedro ursprünglich beheimatet war. Sie hatten herausgefunden, vor mehr als einem Jahr, als Pedro einmal die Latrine des Kapitäns im Landhaus säubern musste, dass sie sogar gemeinsame Bekannte besaßen. An diesem Tage begann die Freundschaft zwischen dem afrikanischen Sklaven und dem weißen Zwangsarbeiter. Wenn es irgendwie möglich war, versteckte Deron etwas zu essen oder zu rauchen unter jenem großen Stein. Er hatte Pedro natürlich darum gebeten, bloß niemandem etwas davon zu sagen, da er sonst schwer bestraft werden würde. Pedro hatte das Versprechen bis zu diesem Abend gehalten. Doch dann entschloss er sich, Pablo und Hugo in sein Geheimnis einzuweihen. Er wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte. Die drei Männer rauchten schweigend, löschten die Glut und warfen die Stummel ins Meer. Pedro brach als erster das Schweigen: „ Wir müssen Marco rächen!“ sagte er. Weder Pablo noch Hugo antworteten darauf. Sie nickten nur, doch das konnte Pedro in der Dunkelheit nicht sehen.
„Das miese, perverse Schwein Moreno hat auf ihn getreten, als er schon lange kein Lebenszeichen mehr von sich gab“, fuhr er fort. Pablo ballte die Hände. Sein Gesicht war von Hass entstellt. Er knirschte mit den Zähnen. „Marco wird nicht der letzte gewesen sein, den dieses Monster totschlägt! Jeder von uns kommt noch an die Reihe, jeder! Damasco wird mit unserem Blut gedüngt! Moreno will uns in Angst und Schrecken versetzen. Lorenzo, der schlaksige Kerl aus der vierten Hütte, musste heute Nachmittag zwei neue Gräber ausheben. Auf Vorrat. Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Das soll eine Warnung an die Arbeiter sein. Eine Drohung. Wer nicht spurt, für den ist das Grab schon vorbereitet.“ Pablo atmete heftig und zitterte am ganzen Körper. „Ich kann nicht mehr, Brüder! Lasst uns handeln, bevor es zu spät ist. Bevor dieser neue Teufel uns alle tötet. Ach, wäre Eduarda nur hier. So ist nur ein Teufel durch einen viel schlimmeren Satan ersetzt worden.“ Pedro griff das Stichwort auf: „Was meinst Du, Pablo. Wo ist Curtis Eduarda? Kann es ein Zufall sein, dass der Kapitän stirbt und sein Kronprinz zur selben Zeit verschwindet? Da ist doch was faul, oder?“ Hugo schaltete sich ein und meinte: „Natürlich ist hier was faul. Alles stinkt hier zum Himmel! Du kannst davon ausgehen, dass auch Curtis nicht mehr lebt. Auch zwei andere Arbeiter, die sich oft sehr rebellisch verhielten, sind spurlos verschwunden. Wahrscheinlich liegen ihre mit Kugeln durchsiebten Körper längst in einem tiefen Brunnenschacht oder wurden ins Meer geschmissen. Sie haben Thielen womöglich gar vergiftet. Dieser Bernardo Sanchez, dieser hässliche Gnom, steckt vielleicht dahinter. Der frisst seinem Herrn Moreno genauso aus der Hand, wie Eduarda es bei Thielen tat. Nur sind Moreno und Sanchez offensichtlich um einiges cleverer, skrupelloser und brutaler als der Capitano und seine schwule Marionette. Irgendwie hat dieser Händler es geschafft, Damasco im Handstreich zu übernehmen und keiner unternimmt etwas dagegen.“
Der alte Arbeiter seufzte. Pedro schlug die Hände über seinem Kopf zusammen. „Wir drei, Hugo, was können wir denn schon ausrichten? Man wird uns genauso zu Tode treten und prügeln wie Marco!“ „Wir müssen Geduld haben!“ sagte Hugo barsch. „Zu früh anfangen, bedeutet meist, falsch gehandelt zu haben. Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an!“ Pablo wurde aufbrausend. „Geduld! Geduld!“ stieß er hervor. „Wie lange noch? Bis wir tot sind?“ Der Alte lächelte nachsichtig und verständnisvoll.
„Bis die Gelegenheit für uns günstig ist, Pablo“, sagte er mit Nachdruck. Doch Pablo ließ sich mit dieser Antwort nicht mehr beruhigen, sie erregte ihn nur noch mehr. „Vielleicht ist dann keiner mehr am Leben, der sich befreien kann!“ höhnte er. „Seid ihr Luschen zu feige?“ Pedro fuhr beleidigt hoch, doch ein starker Händedruck von Hugo zwang ihn, sich wieder zu setzen. „Wahrscheinlich werden noch viele sterben müssen, bevor es soweit ist“, verlautbarte der alte Arbeiter ruhig und gelassen. „Das ist nicht zu ändern, wenn wir die Freiheit für uns und die anderen erlangen wollen!“ Er wandte sich direkt an Pablo. „Ich begreife deinen Hass und deine Ungeduld, amigo. Doch überlege: Ich bin alt, und jeder Tag, den ich auf Curaçao bleiben muss, macht mich schwächer und bringt mich dem Tode näher. Meine Chance, lebend zum Festland zurückzukehren, wird von Woche zu Woche geringer. Und doch muss ich Geduld haben!“ Pablo senkte den Kopf. Er schämte sich seiner Worte. Pedro und er waren jung und verfügten über mehr Widerstandskraft als ihr alter Freund. Auch Pedro schwieg. Er vertraute Hugo, dessen Ruhe und Besonnenheit ihm Respekt und Achtung einflößten, doch er konnte Pablo auch sehr gut verstehen. Seit dieser Händler auf der Insel erschienen war, begann sich ihr bis dahin schon kaum erträgliches Los in eine Hölle auf Erden zu verwandeln.
Die Plantage des Grauens, Damasco, auf der sich dornige Pflanzen vom Blut und Schweiß der Menschen ernährten, befand sich nun, nach dem Exitus Thielens, im unbarmherzigen Griff eines diabolischen Schinders. Das Essen war trotz aller Versprechungen noch weniger geworden, und die geforderte Arbeitsleistung steigerte sich mehr und mehr. Und auch die Schläge, die heute Marco getroffen hatten, würden nicht die letzten sein. Als er an dieses schreckliche Erlebnis dachte, fragte er voller Verzweiflung: „Wer gibt diesem Teufel das Recht, uns zu schlagen, uns zu quälen? Sind wir seine Sklaven, mit denen er machen kann, was er will?“ Pablo schüttelte den Kopf. „Recht!“ sagte er bitter, doch ruhiger als zuvor, „für uns gibt es kein Recht. Er hat unsere Arbeitsleistung vom Kapitän abgekauft wie eine Ware!“
Wieder schwiegen die Männer für Minuten. Nur das Meer rauschte eintönig. In dieses Schweigen hinein sagte Hugo: „Wir können erst dann etwas unternehmen, wenn wir die Möglichkeit haben, von dieser Insel wegzukommen!“ „Das Schiff dieses Satans!“ schrie Pedro aufgeregt. Er dachte an den Augenblick, da ihm dieser Gedanke zum ersten Male gekommen war. „Dieses Schiff kann unsere Rettung sein“, bestätigte Hugo. „Doch bevor wir daran denken können, es in unsere Hand zu bekommen, müssen wir mit unseren Brüdern sprechen. Wenigstens mit ein paar von ihnen. Wir allein können uns nicht befreien. Denkt daran, dieser Moreno ist bewaffnet, und die Schwarzen sind es auch!“ Er verstummte, schien zu überlegen und fragte dann: „Was haltet ihr von Antonio und Jorge, die mit uns die Hütte bewohnen? Können wir sie in unser Vorhaben einweihen? – Ihr wisst, wir müssen äußerst vorsichtig zu Werke gehen.“ Pablo bejahte es, ohne lange zu überlegen. „Es sind keine schlechten Peonen“, sagte er. „Jorge und Antonio haben nichts verbrochen. Genauso wenig wie wir. Sie haben ihrem Patron nur offen ins Gesicht gesagt, wie ungerecht er ist. Ich bin dafür, dass wir mit den beiden sprechen. Sie sind tapfer und unerschrocken und werden uns nicht verraten!“ Auch Pedro war damit einverstanden. „Gut“, sagte Hugo daraufhin, „ich bin derselben Meinung wie ihr. Lasst uns in unsere Hütte zurück kehren und mit ihnen sprechen.“ Geschickt und lautlos überkletterten sie die Klippen und schlichen in ihre Unterkunft. Niemand bemerkte sie. Antonio und Jorge schliefen noch nicht. Die drei Männer streckten sich neben ihnen aus. Eine Weile sagte keiner ein Wort. Dann fragte Hugo flüsternd: „Woran denkst Du, Antonio?“ „An den toten Marco“, erwiderte dieser leise. Pablo atmete tief. Pedro fühlte sich plötzlich leicht angestoßen. Er wälzte sich herum. Hugo flüsterte dicht an sein Ohr: „Geh, Bruder, setze dich vor die Tür und pass auf. Wenn jemand sich unserer Hütte nähert, sagst Du sofort Bescheid.“ Pedro erhob sich, kroch durch den Eingang und kauerte sich vor der Hütte in den Sand. Er war zornig, und es gelang ihm nicht, ruhiger zu werden. Hinter sich hörte er Hugo leise mit Antonio und Jorge sprechen, konnte jedoch nichts verstehen. Rings um ihn war dunkle Nacht. Undeutlich erkannte er die einige Meter entfernt stehende Hütte. Etwa fünfhundert Schritte vor ihm leuchteten noch immer zwei Fenster des Landhauses durch die Finsternis. In Umrissen erkannte er Bernardo Sanchez, der wohl um diese Zeit noch dabei war, Schriftstücke und Dokumente des verstorbenen Capitano zu sichten.
Pedro blickte sich aufmerksam um, lauschte, die Sinne angespannt, doch nichts Verdächtiges war zu sehen oder zu hören. Allmählich beruhigte er sich. Nichts würde jetzt noch geschehen, die Nacht war ihr Freund. In den Nächten wagten sich die schwarzen Aufseher nicht in die Nähe der Hütten, schon gar nicht der feige, hinterhältige, Speichel leckende „Gnom“ Sanchez, und auch Riccardo Moreno würde sich hüten, sie in der Dunkelheit aufzusuchen. Pedros Stimmung verfinsterte sich beim Nachdenken über ihre Situation. Was konnten sie in den Nächten tun? Fliehen? Wohin? Sie konnten sich nur unterhalten, Pläne schmieden und träumen, nichts weiter. Wirklich nichts weiter? Doch, sie konnten und mussten mehr tun. Sie mussten versuchen, nachts in das Depot einzudringen, um Lebensmittel zu besorgen, damit man für den Tag der Befreiung stark und kräftig blieb. Sie mussten sich Waffen holen, Werkzeuge…. Pedro konnte vor Ungeduld das Ende der Unterredung in ihrer Hütte kaum erwarten. Endlich rief ihn Hugo herein. Pedro fragte leise: „Und?“ Der Alte klopfte ihm auf die Schulter. „Alles in Ordnung, Freund, Antonio und Jorge gehören zu uns!“ „Auf Leben und Tod, Brüder!“ bestätigte Jorge. „Habt ihr daran gezweifelt?“ brummte Antonio. Pedro konnte nicht länger schweigen. „Hört, was ich mir soeben überlegt habe“, begann er hastig zu flüstern. Die Männer lauschten, ohne zu unterbrechen, gespannt seinen Vorschlägen und waren der gleichen Meinung. Pablo wollte sofort beginnen, sie auszuführen, doch Hugo bremste ihn. „Was Pedro vorschlägt, ist gut“, begann er, „wir brauchen Waffen, und wir brauchen Lebensmittel. Doch wir dürfen nichts überstürzen.“ Pablo begehrte auf. Er konnte nicht verstehen, dass Hugo immer und immer wieder zur Geduld mahnte. Jetzt, wo sogar der Kapitän tot und Curtis verschwunden war, schwebten sie doch offenbar alle in akuter Gefahr. Worauf sollte man da noch warten? Er hatte keine Geduld mehr.
Doch die anderen waren nicht seiner Ansicht. „Hugo hat recht“, brummte Jorge. „Es darf niemand merken, dass etwas fehlt. Merken das Schwein Sanchez und der Teufel Moreno etwas, durchsuchen sie unsere Unterkünfte.“ „Sie werden nichts finden, weil wir bessere Verstecke haben“, trumpfte Pablo auf. „Dann werden sie aber die Vorräte schärfer als bisher bewachen, und wir können nichts mehr holen. Sanchez ist ein richtiger Geizkragen. Der zählt doch alles genau ab. Der würde uns nicht mal einen halben Laib schimmeliges Brot schenken!“ „Richtig!“, bestätigte Hugo. „Hört meinen Vorschlag! Wir müssen warten, bis Riccardo Moreno seinen Schoner entleert und die Waren nach Damasco abtransportiert hat oder bis das Versorgungsschiff aus Amsterdam endlich hier eintrifft. Im Augenblick ist das Depot fast leer. Jede Kiste, jeder Sack ist von dem Gierhals Sanchez gezählt. Ich stand zufällig in der Nähe, als dieser miese, kleine Erbsenzähler eine Inventur des Lagers durchgeführt hat. Er schrieb alles genau auf. Wenn jedoch das Versorgungsschiff hier anlandet oder die komplette Ladung der „Vincent Verga“ gelöscht wird, dann verlieren sie den Überblick. Dann wird es nicht auffallen, wenn wir etwas verschwinden lassen. Bis dahin müssen wir die Wachmaßnahmen rund um das Depot herausfinden und vor allem überlegen, wie wir an die Nahrungsmittel heran kommen!“ „Neben dem Landungssteg an der Caracasbaai steht doch ein Stapel leerer Kisten“, fiel Antonio ein. „Die Afrikaner verfeuern sie allmählich, wenn sie ihr Essen kochen. Wenn wir das Schiff ausladen, muss es uns einfach nur gelingen, einige der Kisten auszuwechseln. Wir stellen volle ab und tragen leere ins Depot. Nachts holen wir sie uns dann!“
Ein guter Vorschlag“, sagte Hugo, „aber auch sehr, sehr gefährlich. Was machen wir denn, wenn der verdammte Sanchez den Inhalt der Kisten im Depot umgehend kontrolliert?“ „Wenn es um die Freiheit geht, muss man etwas wagen“, erklärte Jorge ruhig. „Und Werkzeuge brauchen wir, als Waffen!“ schlug Pedro vor, „Schaufeln, Hacken, Äxte...“ Pablo hatte sich nicht an dem Gespräch beteiligt. Jetzt hob er den Kopf. „Und ein Netz, amigos, damit wir des Nachts fischen können. Ich habe großen Hunger. Ihr doch auch! Wenn wir ein Netz hätten, könnten wir unseren Hunger stillen!“ Hugo widersprach erneut. Er gab Pablo zu verstehen, dass man das Fehlen des Netzes sehr rasch bemerken würde. Außerdem wäre die Gefahr, dass sich ein Sträfling verriet, zu groß. Pablo musste es, wenn auch widerwillig, einsehen. Er dachte einen Augenblick nach und sagte dann: „Aber ein neues Versteck brauchen wir, in dem wir die Werkzeuge und die Kisten verbergen können. In den nächsten Nächten müssen wir eines suchen.“ Die anderen stimmten ihm zu. Dann verstummte die Unterhaltung allmählich. Hugo sagte: „Wir wollen Schluss machen, Amigos, die Nacht ist bald herum, und wir können heute nicht alle Dinge beraten.“ Bald verkündeten tiefe Atemzüge, dass die Männer eingeschlafen waren. Nur Pedro lag noch lange wach. Der heutige Abend hatte ihm neue Hoffnung gegeben. Vielleicht würde er bald wieder frei sein. Er träumte vor sich hin, bis auch ihn die Erschöpfung übermannte. Auch Riccardo Moreno schlief nicht. Er lag zur selben Zeit im Bett seines Liebhabers Shermon und hielt den jungen Holländer eng umschlungen in den Armen.
Er war froh, den schwulen Sklaven Curtis umgebracht zu haben, bevor dieser seine eigene Homosexualität enttarnen konnte. Überdies entsprach der blonde Jüngling, mit dem er nun nackt das Kissen teilte, durch und durch seinen Vorstellungen der Reinheit des Blutes. Die Karibik und auch Südamerika wurde fast ausschließlich von Schwarzen, Indios, Mulatten, Mestizen und sogar Zambos bevölkert. Die Auswahl an attraktiven, jungen Kerlen europäischen Ursprungs, die sich für die reine Männerliebe interessierten, tendierte gegen Null. Insofern handelte es sich bei Shermon Heijn um einen Glücksfall. Der junge Soldat musste nur noch seine Militärkarriere beenden, mit ihm nach Damasco ziehen und das Glück wäre perfekt. Aber dummerweise würde Shermon für weitere fünfzehn Jahre in der niederländischen Armee dienen, konnte jederzeit versetzt werden und auch nicht die Beziehung mit dem Händler in aller Öffentlichkeit führen. Insofern zogen bereits die ersten dunklen Wolken über dem jungen Glück auf, was Riccardo Moreno unglaublich belastete. Shermon Heijn selbst war auch unzufrieden. Zwar konnte er zum ersten Mal im Leben der puren Lust frönen, doch der Reiz des Neuen verflog schnell. Kaum hatte der junge Offizier Erfahrungen mit seinem ersten Mann gemacht, der vom Alter her sein Vater hätte sein können, da richteten sich seine begierigen Blicke auch schon auf andere, weit jüngere und attraktivere Burschen. Heijn schwärmte insgeheim für einen seiner Soldaten und sein Verlangen steigerte sich nun nahezu von Tag zu Tag. An manchen Tagen konnte er kaum mehr einen klaren Gedanken fassen, so „rattig“ war er. Mit unguten Vorahnungen bezüglich seines Lovers schlich sich Moreno kurz vor Sonnenaufgang heimlich ins Landhaus Damasco zurück und begann den Tag dort mit ziemlich schlechter Laune. Er musste sich irgendwie von seinen privaten Problemen ablenken und dachte von daher vermehrt an die Arbeit, die Plantage und die Zukunft. Die war solange nicht gesichert, bis das Salz im Gebäude des Magasinas und in den benachbarten Schuppen nicht endlich verkauft war. Er musste wohl in Willemstad einen Zwischenhändler finden, denn wenn das Versorgungsschiff nicht kam, blieb er auf der Ware sitzen.
Ein Zwischenhändler wollte jedoch auch noch einen Gewinn erzielen und so würde er das bisher produzierte Salz zum einen mühsam nach Willemstad transportieren und zum anderen auch einen geringeren Verkaufspreis akzeptieren müssen. Ein niedrigerer Verkaufspreis müsste durch eine höhere Produktion ausgeglichen werden. Moreno überlegte, wie er die Leistungen der Arbeiter noch erhöhen konnte, ohne als Antreiber direkt in Erscheinung zu treten. Und er fand auch eine Methode. Jedem Arbeiter wurde täglich eine genau festgelegte Fläche Land zur Rodung und Aushebung im Gebiet der neuen Saline zugewiesen, oder eine Anzahl von zu bewegenden großen Steinen genannt, für die er dann Lebensmittel erhielt. Moreno hatte dabei die Rationen so knapp bemessen, dass sie gerade ausreichten, um den ärgsten Hunger zu stillen. Sein pedantischer, willfähriger Handlanger Bernardo Sanchez, der selbst kaum je im Leben hart arbeiten musste, teilte den gequälten Arbeitern die unzureichenden Portionen zu. Manchmal saß Sanchez sogar am Fenster des Landhauses, starrte auf die ausgemergelten Gestalten, und stopfte einen fettigen, vor Kalorien triefenden, Kuchen auf der Basis von Ziegenmilch in sich rein, ohne auch nur einen Gedanken an die armen Menschen draußen vor dem Haus zu verschwenden. Um satt zu werden und bei Kräften bleiben zu können, mussten die Sträflinge versuchen, mehr zu leisten, als vorgeschrieben wurde, was bei ihrem Gesundheitszustand nahezu ausgeschlossen war. Schafften sie es dennoch, erhielten sie lediglich eine Handvoll Mais und ein paar Blätter Tabak zusätzlich. Leisteten sie weniger, und dies war bei fast allen der Fall, so wurden die ohnehin kleinen Rationen noch mehr gekürzt. Die Folge war, dass die Gefangenen bis zum Umfallen schufteten. Und das hatte Moreno erreichen wollen. Aufmerksam und gierig beobachtete er die Ergebnisse dieses von ihm eingeführten teuflisches Systems und optimierte es allmählich derart, dass die Leistungen zwar sprunghaft anstiegen, jedoch kaum einer der Sträflinge in den Genuss der Sonderration kam. Kurz darauf ergänzte er es noch auf raffinierte Weise.
Er machte auch die Lebensmittelzuteilungen an die schwarzen Aufseher von den Arbeitsleistungen der Zwangsarbeiter abhängig. Bernardo Sanchez, dieser „Bürokrat des Todes“, brachte ihn auf diese menschenverachtende Idee. Zwar erhielten die Aufseher mehr zu essen, als die Arbeiter, doch nur dann, wenn die vorgeschriebenen Ziele von der jeweiligen Gruppe geschafft wurden, bekamen sie Zucker, Schnaps und Tabak. Als besonderen Anreiz organisierte Bernardo Sanchez für die schwarzen Sklaven eine Hure, die fortan einmal in der Woche gegen ein geringes Entgelt ihre Dienste anbot. Die Hure, eine ca. 45jährige Mulattin mit einer starken Gehbehinderung, die auf den Plantagen nicht mehr arbeiten konnte, verkaufte ihren alten, geschundenen Körper für ein wenig Essen. Der gewissenlose Bernardo Sanchez handelte die arme Frau im Preis schließlich so weit herunter, dass sie die Reste seiner und Morenos Mahlzeiten als Lohn akzeptierte, die sonst auf dem Müll gelandet wären. Auf der frauenlose Plantage wirkte diese Art von „Belohnung“ wahre Wunder und die "Kraft der Muschi", wie Sanchez es nannte, aktivierte Potenziale, von denen Moreno und sein widerwärtiger Handlanger nicht einmal zu träumen gewagt hatten. Bis auf den schüchternen Deron setzten alle afrikanischen Sklaven Himmel und Hölle in Bewegung, um an ein Schäferstündchen mit der besagten Dame zu gelangen. Was das für die Arbeiter bedeutete, konnte sich jeder ausmalen. Ihr Leben mutierte tatsächlich immer mehr zu einer Hölle auf Erden. Die notgeilen Aufseher, die endlich an eine Frau kommen konnten, trieben die Arbeiter immer rücksichtsloser an und schlugen sie beim geringsten Anlass. Es war ein wahrhaft diabolisches System, das nur dem Gehirn eines auf Reichtum und Macht versessenen Menschen entspringen konnte. Sanchez manipulierte die Sklaven nicht nur mit seiner billigen Prostituierten, sondern verschaffte sich bei den Aufsehern ein Ansehen und einen Respekt, den sein Vorgänger, der notorische Frauenhasser Curtis Eduarda, nie genossen hatte. Adriaan Thielen, der als einziger diese gnadenlose und niederträchtige Ausbeutung von Menschen hätte verhindern können, lebte nicht mehr. Und Shermon Heijn wurde von dem gierigen, skrupellosen Händler ganz bewusst von der Plantage fern gehalten, damit der junge Offizier kein schlechtes Bild von seinem Liebhaber bekam.
Bernardo Sanchez vergrub sich indessen trotz seiner geschickten Steuerung der Sklaven mehr und mehr in seinem Zimmer im Landhaus. Fast nie ging er vor die Türe, wenn es nicht unbedingt sein musste. Er hatte Angst, dass irgendjemand von den wütenden Peonen ein Messer zücken könnte und es ihm hinterrücks in den Rücken rammen würde. Immer stand er um 4.30 Uhr auf und ging um 20.00 Uhr ins Bett. Seine Flexibilität glich in diesem Punkt der eines Steines im Damm der Saline, d.h. sie war nicht vorhanden. Die unter Zwang arbeitenden Peonen sanken abends, kaum dass sie ihr kärgliches Essen gekocht und verzehrt hatten, todmüde und völlig erschöpft zu Boden und schliefen wie Tote. Wenn der Morgen graute, riss sie das Trompetensignal wieder aus ihren Hütten. Müde schleppten sie sich zum Depot, wurden gezählt, empfingen Sägen, Äxte, Hacken, Brechstangen und Schaufeln und wurden zum Spaanse Water getrieben, um dort die große, flache Senke für die neue Saline auszuheben. Nur hin und wieder, und dies auch nur in den ersten Tagen nach Einführung des neuen Antreibersystems, schafften einige der Männer etwas mehr als die ihnen zugewiesene Arbeit. Es waren die kräftigsten. Sie schufteten, ohne auch nur einmal aufzusehen und ohne sich, wenn auch nur für Sekunden, auszuruhen. Die Angst vor dem kaum zu ertragenen Hunger saß ihnen im Nacken, fast mehr noch als die Angst vor den Schlägen. Doch schon bald ließen auch ihre Kräfte nach, und sie erreichten nicht einmal mehr die von ihnen geforderte Leistung. Immer öfter brach einer zusammen. Röchelnd blieb er liegen, bis ihn die brutalen Schmerzen der Peitschenhiebe wieder hochtrieben. Riccardo Moreno, unzufrieden mit seiner bröckelnden Bezi...