Teil I: Grundlagen und Marketing
Kapitel 1: Grundlagen zum besseren Verständnis
Mit dem Versandhandel steht Ihnen eine Geschäftsart zur Verfügung, die Sie nach Ihren eigenen Vorstellungen aus den kleinsten Anfängen auf- und ausbauen können. Hier sind Sie nicht von einigen Großkunden abhängig, sondern von vielen Tausenden gewerblichen und privaten Kunden. Diese können Sie durch geschickte Werbung und preiswerte Waren hoher Qualität langfristig als Stammkunden für Ihr Versandgeschäft gewinnen.
Folgen Sie dem Konzept meines Buches, benötigen Sie für den Aufbau eines Versandgeschäftes im Vergleich zum stationären Einzelhandel ein Startkapital von vielleicht ein paar Tausend Euro. Bei einem Versandgeschäft stehen nicht die finanziellen Mittel im Vordergrund, sondern Einfallsreichtum, Beharrlichkeit und Ehrgeiz seines Inhabers. Denken Sie in diesem Zusammenhang an das Versandgeschäft „Amazon“, das 1994 von Jeff Bezos gegründet wurde und ein Jahr später online ging. Seither hat es sich kontinuierlich zum weltweit größten Versender entwickelt.
Ein Versandgeschäft bietet Ihnen beim Aufbau einer eigenen Existenz etwas ganz Besonderes: Sie können Ihr Geschäft betreiben, ohne je Ihr Büro verlassen zu müssen. Es kann sich in Ihrer Wohnung, in einer Garage oder auf dem Boden eines Hauses befinden. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen wird Sie auch kein Kunde besuchen.
Den Kontakt zu Ihren Kunden stellen Sie mit Hilfe von elektronischen und gedruckten Werbemaßnahmen sicher. Mit diesen muss es Ihnen gelingen, einen möglichst engen persönlichen Kontakt zu Ihren Kunden aufzubauen und zu erhalten. Nur so wird es Ihnen gelingen, die Wünsche und Bedürfnisse Ihrer Kunden kennenzulernen und erfolgsversprechende Angebote in Online-Shops, Katalogen, Werbebriefen oder auf Online-Marktplätzen wie Amazon und eBay zu unterbreiten.
Zum Begriff des Versandhandels
Über den Begriff des Versandhandels bestehen in der Wissenschaft und unter Praktikern sehr unterschiedliche Auffassungen. Ich will das Thema hier nicht weiter vertiefen, denn eine eindeutige Definition des Versandhandels hat eigentlich nur akademischen Wert. Deshalb beschränke ich mich hier auf eine praxisorientierte Umschreibung des Versandhandels, für den oft auch die Begriffe „Distanzhandel“ (Handel mit räumlichem Abstand) oder „Interaktiver Handel“ (wechselseitiger Handel) verwendet werden. Die folgenden drei Kriterien sind für den Versandhandel charakteristisch:
Das Angebot
Beim Versandhandel findet kein direkter Austausch von Informationen zwischen Kunde und Verkäufer statt, wie es beim stationären Einzelhandel der Fall ist. Waren werden vielmehrmit Hilfe von elektronischen Werbemaßnahmen (Online-Shop, Online-Marktplätze wie Amazon und eBay, E-Mail, Telefon) und mit gedruckten Werbemaßnahmen (Katalog, Anzeige, Werbebrief, Prospekt) angeboten und verkauft.
- Werden dabei gedruckten Webemaßnahmen eingesetzt, wird in der Praxis vom klassischen Versandhandel gesprochen.
- Werden dabei digitale Datennetze wie das Internet eingesetzt, wird in der Praxis vom elektronischen Versandhandel, vom E-Commerce. (Electronic Commerce, kurz: E-Commerce) oder vom Online-Handel gesprochen. Umgekehrt wird der Handel ohne Nutzung des Internets als Offline-Handel bezeichnet.
Der Kauf auf Distanz
Die räumliche Trennung zwischen Anbieter und Besteller wird auf schriftlichem, telefonischem oder elektronischem Weg überwunden.
Der Waren- und Geldversand
Die Waren werden an den Kunden mit Versanddienstleistern wie DHL, Bahn, eigenen Serviceunternehmen oder privaten Paketdienstleistern verschickt und das Gelb mit Finanzdienstleistern an die Versender.
Zur Geschichte des Versandhandels
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts baute die Deutsche Post ihr Dienstleistungsangebot konsequent aus. Sie stieß damit bei der aufblühenden Wirtschaft auf eine große Nachfrage. Einige Unternehmen hatten es verstanden, die neuen Angebote systematisch für den Vertrieb einzusetzen. So waren es zuerst die Bielefelder Fabrikanten, die Wäsche per Nachnahme an ihre vorwiegend ländliche Kundschaft verschickten.
Sehr bald entdeckten auch Unternehmen anderer Branchen den Verkauf ihrer Waren per Post. Einige von ihnen existieren noch heute. So begann Eduard Kettner bereits im Jahre 1884 mit den ersten Postverkäufen seiner Jagdwaffen. Wenige Jahre später folgten der Briefmarken- und Münzenversender Richard Borek und der Wäscheversender Josef Witt in Weiden.
Bis in die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts boten vorwiegend Spezialversender ihre Waren sehr preiswert direkt ab Fabrik oder ab Lager an. Am bekanntesten waren wieder die Wäscheversender aus Bielefeld und die Stahlwarenversender aus Solingen. Inzwischen hatten auch Hamburger und Bremer Importeure den Versandhandel für sich entdeckt: In großem Umfang verkauften sie Kaffee, Kakao, Tee, Zigarren und exotische Spirituosen direkt an den Endverbraucher.
Ganz allmählich lösten sich aus den vielen Spezialversendern einige heraus und entwickelten nach und nach ein Sortiment, das vergleichbar war mit dem der großen Warenhäuser. Dies geschah weniger aus Marketing Gesichtspunkten, als mehr aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Bei dem immer härter werdenden Konkurrenzkampf mussten die Anlagen für die Warenwirtschaft und die Verwaltungsgebäude besser ausgenutzt werden. Dies geschah am einfachsten durch den Schritt zum Vollsortiment.
Nach der Währungsreform 1948 erlebte der Versandhandel in der Bundesrepublik eine ungeahnte Blütezeit. Neben den 4.000 Spezialversendern galt das besonders für die Universalversender, die wie der Otto Versand, der Neckermann Versand und der Schwab Versand praktisch aus dem Nichts entstanden. Zur gleichen Zeit entwickelte sich Quelle vom Textilversender zum zeitweise weltgrößten Universalversender. Die Ursache für diese Expansion lag in den hervorragend gestalteten Katalogen, die in keinem bundesdeutschen Haushalt fehlen durften. Es wurden neben einem umfangreichen Modesortiment auch viele technische Artikel zu Preisen angeboten, bei denen der Einzelhandel kaum noch mithalten konnte.
In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zog die kommerzielle Nutzung des Internets in den Versandhandel ein. Es war besonders der E-Commerce Gigant Amazon, der den Universalversendern Otto-Versand, Quelle-Versand und Neckermann-Versand das Leben schwergemacht hat. Sie hatten nur eine Chance zu überleben, wenn sie sich an den Preisen von Amazon orientierten und eigene Spezialsortimente für neue Zielgruppen aufgebauten. Wichtig dabei war, was oft vernachlässigt wurde, dass ihre elektronischen Werbemaßnahmen auch zu den Zielgruppen passten.
Dem Otto-Versand ist die Anpassung gelungen. Unternehmen wie der Quelle-Versand und der Neckermann-Versand hatten die Online-Anpassung nur halbherzig versucht und sind gescheitert. Beide Unternehmen gehören Vergangenheit an.
Die Verbraucher kaufen besonders gern Bekleidung, Elektronikartikel und Computerzubehör im Internet. Den höchsten Zuwachs weisen aber Lebensmittel, Haushaltsgeräte und Haus- und Heimtextilien aus. Dabei shoppen Frauen laut Studie eher Tierbedarf, Bekleidung oder Drogerieprodukte, während Männer bei Elektronik, Computern sowie Auto- und Motorradbedarf vorne liegen.
Dem Otto-Versand ist die Anpassung gelungen. Unternehmen wie der Quelle-Versand und der Neckermann-Versand hatten die Online-Anpassung nur halbherzig versucht und sind gescheitert. 2009 wurde der Quelle-Versand, 2012 Neckermann insolvent.
Im 21. Jahrhundert hat sich das Internet als Vertriebsweg für Waren und Dienstleistungen durchgesetzt und wächst kräftig. Mehr als 60 Millionen Deutsche kauften 2019 nach dem Motto „online first“ Waren und Dienstleistungen für fast 60 Milliarden Euro im Internet. Damit entfiel jeder achte Euro des gesamten Einzelhandels-Umsatzes auf den Handel im Internet. Im Jahr 2020 wird voraussichtlich die Schwelle von 100 Milliarden EUR überschritten.
Die höchsten Umsätze erzielten die Online-Marktplätze wie Amazon und Ebay, das stärkste Wachstum erwirtschafteten aber Versender, die ihre Heimat im stationären Handel haben. Sie klagen nicht wie 60 Prozent der Einzelhändler des stationären Handels über sinkende Besucherzahlen, sondern setzen konsequent auf Multi-Channel-Konzepte. Sie bieten ihre Waren nicht nur in stationären Geschäften an, sondern auch in Online-Shops, Online-Marktplätzen (Amazon, eBay) und per E-Mail. Oft werden diese Verkaufsaktivitäten noch durch Kataloge, Anzeigen und Mailings (Werbung per Brief) unterstützt. Das kann beispielsweise wie folgt aussehen:
Einer Kundin gefällt ein Kostüm im Modekatalog eines Versenders und bestellt es per Online-Shop mit der Bitte, es im Ladengeschäft des Versenders auszuliefern. Hier zieht sie es an, lässt sich von der Verkäuferin beraten und entschließt sich letztendlich, es zu behalten. Hätte sie sich gegen das Kostüm entschieden, hätte die Verkäuferin es an das Zentrallager zurückgeschickt.
Die Produkte des Versandhandels
In der Wirtschaftstheorie werden Waren und Dienstleistungen zusammenfassend als Produkte bezeichnet. Unter Waren werden dabei alle materiellen Wirtschaftsgüter verstanden, wie beispielsweise Autos, Maschinen und Bücher. Dienstleistungen sind dagegen immaterielle Wirtschaftsgüter wie Bahn- und Flugtickets, Konzertkarten oder Reisen. Da im Versa...