1 Einleitung
Gegenstand der folgenden Darstellung ist die viel diskutierte Frage, wie und in welche Richtung die digitale Transformation von Arbeit verlaufen wird. Untersucht werden soll, welche Konsequenzen die zunehmende Verbreitung verschiedenster digitaler Technologien wie etwa mobile Datenendgeräte, smarte Robotersysteme oder vernetzte Planungs- und Steuerungssysteme für die Zahl von Arbeitsplätzen, die Art der Tätigkeiten und die Qualifikationen der Beschäftigten hat. Daran schließt die Frage an, inwieweit die Digitalisierung von Arbeit zu beeinflussen ist und welche Gestaltungsmöglichkeiten sich für digitalisierte Arbeit ergeben. Bevor diese Fragen aufgegriffen werden, muss allerdings vorausgeschickt werden, dass der Wandel von Arbeit keineswegs monokausal nur von einem Faktor wie eben neuen Technologien bestimmt oder zumindest beeinflusst wird. Vielmehr wird die Entwicklung von Arbeit historisch von einer Vielzahl weiterer Bedingungen geprägt: beispielsweise von der ökonomischen Entwicklung, von politischen Regelungen, von sich wandelnden Arbeitsmarktbedingungen, von der demografischen Entwicklung, von personalpolitischen Unternehmensstrategien oder auch von den Ergebnissen arbeitspolitischer Verhandlungsprozesse zwischen Management und Gewerkschaften bzw. Betriebsräten zu Fragen der Arbeitsgestaltung. In stärker soziologischer Formulierung: Nicht allein eine singuläre technologische Logik bestimmt die Entwicklung von Arbeit, sondern vor allem auch das wechselseitige Zusammenspiel institutioneller Arrangements und das Handeln der beteiligten Akteure mit ihren divergierenden Interessen. Daraus resultieren historisch und kulturell spezifische Entwicklungstrends von Arbeit, die sich einerseits durch gemeinsame Merkmale und Muster auszeichnen, andererseits auch stets ein hohes Maß an Divergenz und Ungleichzeitigkeit aufweisen.
Dennoch ist es methodologisch legitim, nur einen dieser Bestimmungsfaktoren dann ins Zentrum der Analyse zu stellen, wenn er in einer bestimmten Phase der Entwicklung von Arbeit sich als relevanter Faktor angesehen werden kann. Dies trifft auf den Einfluss der digitalen Technologien zu. Denn die fortschreitende Digitalisierung ökonomischer und sozialer Prozesse ist als ein »Megatrend« der derzeitigen und zukünftigen Entwicklung von Gesellschaft und Arbeit zu begreifen.
1.1 Technologieschub
Dass es sich bei der Digitalisierung tatsächlich um einen Megatrend handelt, ist angesichts des seit Jahren schnell ablaufenden Entwicklungsschubs von digitalen Technologien weithin unstrittig. Es eröffnen sich völlig neue und unbekannte Nutzungspotenziale der Technologien, und es werden geradezu disruptive soziale und ökonomische Folgen erwartet, eben auch ein durchgreifender Wandel von Arbeit. Die Rede ist von einem neuen Zeitalter, das in der internationalen Debatte als »The second machine age« (vgl. Brynjolfsson/McAfee 2014) oder »Third industrial revolution« (vgl. Rifkin 2011; Markillie 2012) – im deutschen Sprachraum bekanntlich als »Vierte industrielle Revolution« bzw. »Industrie 4.0« (vgl. Forschungsunion/acatech 2013) – bezeichnet wird. Oder es wird sogar, in freilich sehr unterschiedlicher Perspektive, ein neues Produktionsregime wie »Postkapitalismus« (vgl. Mason 2015) oder »Digitaler Kapitalismus« (vgl. Betancourt 2016; Staab 2019) ausgerufen.
In der laufenden Debatte werden daher spektakuläre Veränderungen und Entwicklungsperspektiven prognostiziert. In der Fachöffentlichkeit, in der Politik und weit darüber hinaus wird der Digitalisierung die zentrale Rolle für die zukünftige gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung zugeschrieben. Man fühlt sich an die zweite Hälfte der 1990er Jahre erinnert, als die New Economy und mit ihr Schlagworte wie Multimedia und Internet als die Vorboten einer prosperierenden gesellschaftlichen Zukunft gefeiert wurden.
Betrachtet man die Debatte genauer, so finden sich durchaus überzeugende Argumente dafür, dass gegenwärtig ein technologischer Entwicklungsschub Platz greift, dessen gesellschaftliche Konsequenzen kaum absehbar sind. Ausgangspunkt hierbei ist die weithin geteilte Annahme, dass die Entwicklung digitaler Technologien nach vielen Jahren derzeit ihre »full force« erreicht habe (Brynjolfsson/McAfee 2014, S. 9). Damit eröffne sich eine völlig neue Qualität ihrer Anwendung. Ursächlich hierfür sind die dramatische Steigerung der Leistungsfähigkeit der Computersysteme, die gleichzeitige massive Senkung ihrer Kosten und ihre rasante Miniaturisierung in den letzten Jahrzehnten (vgl. OECD 2019).
Historisch können mehrere Phasen der Digitalisierung unterschieden werden: In einer ersten Phase hat sich dieser Prozess spätestens seit Ende der 1990er Jahre schon in jenen Wirtschaftsbereichen durchgesetzt, wo Produktion, Konsumtion und Kommunikation unmittelbar auf immateriellen Transaktionen und der Nutzung von Daten und Informationen basieren. Zu nennen sind hier Dienstleistungssektoren wie die Musikherstellung und -distribution, das Verlags- und Zeitschriftenwesen oder auch Finanzdienstleistungen, deren Digitalisierung weitreichende Strukturveränderungen einzelner Geschäftsmodelle sowie ganzer Firmen- und Branchenstrukturen nach sich gezogen hat (Zuboff 2010; Brynjolfsson/McAfee 2014).
Seit Beginn der 2000er Jahre kann von einer zweiten Phase der Digitalisierung gesprochen werden, die sich auf die Verknüpfung der Digitalisierung mit physischen Gegenständen unterschiedlichster Art richtet. Shoshana Zuboff (2010, S. 8) bezeichnet diese Entwicklung als »second-wave mutation« des technologischen und damit verbundenen sozio-ökonomischen Wandels. In einer primär technologischen Perspektive wird dieser Zusammenhang unter dem Schlagwort Internet der Dinge thematisiert. Mit diesem Begriff wird eine Vernetzung von physischen Prozessen und Gegenständen und ihrer informationstechnologischen, virtuellen Abbildung und Simulation bezeichnet (vgl. z. B. Fleisch/Mattern 2005; Bullinger/ten Hompel 2007).1 Konkreter wird auch von Cyber-physischen Systemen (CPS) gesprochen, die in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen wie Wohnen, Medizin, Verkehr oder industrielle Produktion die virtuelle Datenebene mit einer realen Prozessebene verknüpfen (vgl. z. B. Geisberger/Broy 2012). Unter dem Begriff der CPS wird das informationstechnologische Zusammenspiel von physischen Systemen und »eingebetteter« Software mit der virtuellen Datenebene sowie vernetzten und interaktiven Anwendungssystemen verstanden. Die zentrale informationstechnische Voraussetzung hierfür ist die Darstellung der realen Prozesse in Form eines sog. Digitalen Zwillings (»digital twin«), der die Prozesse modelhaft in Algorithmen abbildet und damit ihre Simulation und Steuerung ermöglicht (z. B. Sendler 2013). Im wirtschaftlichen Bereich wird diese Entwicklung mit der Digitalisierung von B2B-Geschäftsbeziehungen (business to business) beschrieben, die die bisherigen B2C-Relationen (business to consumer) der ersten Digitalisierungsphase erweitern. Dies betrifft besonders den industriellen Sektor, da hier zumeist B2B-Beziehungen anzutreffen sind. Damit ergeben sich bislang nicht gekannte und völlig neue Anwendungspotenziale und daraus resultierende gesellschaftliche Folgen.
Schließlich zeichnet sich derzeit eine dritte Phase der Digitalisierung ab, die von der zunehmenden Nutzung von Systemen der Künstlichen Intelligenz (KI) und dem Einsatz sog. Autonomer Systeme geprägt ist. Diese Technologien verweisen auf eine mit hohen Erwartungen verbundene Entwicklungsperspektive, deren tatsächliche Reichweite, Anwendungsfelder und sozialen Konsequenzen bislang nur schwer abschätzbar sind (
Kap. 8).
Begrifflich soll im Folgenden – orientiert an der international gebräuchlichen Definition (vgl. OECD 2019) – unter
Digitalisierung informationstechnologisch die Nutzung und Verbreitung digitaler Technologien und deren Vernetzung sowie damit verbundene neue Funktionen und Aktivitäten verstanden werden. Des Weiteren wird der Begriff der
digitalen Transformation aufgegriffen. Er bezeichnet den ökonomischen und sozialen Wandel, der durch die Digitalisierung angestoßen wird.
2 Der deutsche Begriff Industrie 4.0 soll, ähnlich wie in der laufenden Debatte, weniger präzise verwendet werden und beide genannten Dimensionen umgreifen. Der Begriff der digitalen Technologien umfasst sowohl Hard- als auch Softwarekomponenten und bezieht sich auf sehr unterschiedliche Funktionszusammenhänge, die von prozessübergreifenden Steuerungssystemen über autonome Robotersysteme bis hin zu mobilen Datenendgeräten wie Datenbrillen reichen (
Kap. 2).
1.2 Weitreichende Erwartungen – Technikutopie Digitalisierung
Der Digitalisierungsdiskurs richtet sich nicht allein auf technologische Perspektiven, vielmehr werden zugleich weitreichende gesellschaftliche Zukunftserwartungen formuliert, mit denen sich ungebrochene Wachstums- und Fortschrittsperspektiven verbinden (vgl. Pfeiffer 2015). Zuboff bezeichnet den digitalen Technologieschub sowohl technologisch als auch im Hinblick auf dessen sozialen Konsequenzen als »unprecented« – als beispiellos und noch nie dagewesen. Ihr zufolge werden der Digitalisierungsdiskurs und seine weitreichenden Erwartungen im globalen Maßstab besonders von dem digitalen Milieu des Silicon Valley geprägt. Vorherrschend sei ein Credo, das mit Formeln wie Disruption, Geschwindigkeit, Agilität, ungehinderte Innovation und – mit Rückgriff auf das bekannte Diktum von Schumpeter – als »kreative Zerstörung« der bestehenden sozialen und ökonomischen Verhältnisse umschrieben werden kann (vgl. Zuboff 2019, S. 50 f.).3
Festmachen lässt sich diese Perspektive vor allem auch an den prognostizierten immensen ökonomischen Gewinnen einer erfolgreichen Digitalisierung der industriellen Produktion in Deutschland: So wird in einer weithin rezipierten Studie von einem durch Industrie 4.0 ermöglichten Wirtschaftswachstum für Deutschland in Höhe von 78 Mrund Euro bis 2025 ausgegangen, wobei einzelnen Branchen wie dem Maschinen- und Anlagenbau Wachstumsraten von bis zu 30 Prozent vorhergesagt werden (vgl. Bauer et al. 2014). Ähnlich optimistisch ist eine Untersuchung der Unternehmensberatung PwC: Ihr zufolge können innerhalb von fünf Jahren nach der Einführung von Industrie-4.0-Systemen Produktivitätssteigerungen von rund 18 Prozent und jährliche Umsatzsteigerungen von zwei bis drei Prozent erwartet werden. Danach ergeben sich hochgerechnet in der gesamten Industrie pro Jahr Umsatzzuwächse von 30 Mrund Euro (vgl. PwC 2014). Insbesondere wird die Digitalisierung als die Voraussetzung dafür angesehen, neue digital gestützte Geschäftsmodelle und Absatzstrategien zu realisieren, um bestehende Konkurrenzvorteile auf dem Weltmarkt zu sichern und neue Märkte zu erschließen; die entsprechenden Losungen im Diskurs über Industrie 4.0 heißen: Individualisierung der Produktion und »Losgröße 1« (vgl. z. B. acatech 2018).
Auch wird mit positiver Konnotation ein nachhaltiger und positiver Wandel von Bildung und Arbeit prognostiziert. Zitate wie »Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen«, »Noch nie war Bildung so leicht zugänglich und noch nie hat Bildung so viel Spaß gemacht« oder »Die Vernetzung macht die Expertinnen und Experten schneller und schlauer und das hilft uns in allen Lebensbereichen« belegen eine überaus optimistische Entwicklungsperspektive, die von einflussreichen politischen Akteuren mit der Digitalisierung verbunden wird (vgl. BMWI 2016a). So prognostiziert beispielsweise das World Economic Forum, dass bis zum Jahr 2022 weltweit rund 75 Mio. Jobs durch die neuen Technologien ersetzt werden, aber zugleich 133 Mio. neue Jobs entstehen, d. h. die Arbeitsmarktentwicklung wird im Zuge der Digitalisierung in sehr vielen Ländern eine überaus positive Bilanz aufweisen (vgl. WEF 2018). Die weitgreifenden Digitalisierungsprozesse sollen dabei nicht nur zu einer positiven Entwicklung des Arbeitsmarkts, sondern auch zur Realisierung selbstbestimmter und qualifizierter Arbeit, einer Verbesserung der Work-Life-Balance und einer Bewältigung der demografischen Probleme beitragen. Eine absehbar positive Qualifikationsentwicklung betont beispielsweise Henning Kagermann (2014, S. 608), einer der Protagonisten der Vision Industrie 4.0, dem zufolge Mitarbeiter in Zukunft weniger als »Maschinenbediener« eingesetzt werden, »sondern mehr in der Rolle des Erfahrungsträgers, Entscheiders und Koordinators, (…) die Vielzahl der Arbeitsinhalte für den einzelnen Mitarbeiter nimmt zu«. Im Hinblick auf den Wandel von Arbeit werden unter Verweis auf Google und das Silicon Valley die dort anzutreffenden Formen digitalisierter Wissensarbeit – vernetzt, hoch flexibel, autonom, selbstbestimmt sowie kreativ – als der Arbeitstypus der Zukunft generalisiert (vgl. Weinberg 2016). Damit verknüpft sind Perspektiven, die seit längerem unter dem Label Agilität diskutiert werden. Darunter wird ein Gegenmodell zur tradierten bürokratischen Unternehmensorganisation verstanden, das sich durch flexible Formen der Projektorganisation und mittels digitaler Kommunikationssysteme und Methoden unterstützte Entwicklungs- und Innovationsprozesse auszeichnet. Der Ursprung dieses Modells stammt aus der IT- und Softwareindustrie, es wird aber zunehmend auch als relevant für Engineeringprozesse in traditionellen Industriezweigen erachtet (vgl. z. B. Boes et al. 2018).
Mehr noch: Davon ausgehend werden mit der fortschreitenden Digitalisierung bislang nicht gekannte Demokratisierungspotenziale auf der Ebene von Unternehmen, vor allem aber auch auf der gesellschaftlichen Ebene verbunden (vgl. Herzog 2019). Für Unternehmen eröffnen sich demnach weitreichende Möglichkeiten, die Mitarbeiter systematisch am internen Entscheidungsprozess zu beteiligen und Partizipation und Mitsprache der Beschäftigten digital gestützt sehr deutlich zu erweitern – Stichwort ist hier »liquid democracy« – oder auch Chancenfairness für alle Unternehmensmitarbeiter gleichermaßen durchzusetzen (vgl. Sattelberger et al. 2015). Im Hinblick auf gesellschaftliche Trends wird die Entstehung einer neuen Qualität der Demokratisierung prognostiziert, und es werden durch die Digitalisierung ganz grundsätzlich große Chancen einer gesellschaftsweiten »Digitalen Aufklärung« gesehen (vgl. Urchs/Cole 2013). Darüber hinaus zielen noch weiter reichende Erwartungen auf Möglichkeiten einer Perfektionierung von Markt und Gesellschaft, indem die Unzulänglichkeiten und die Konfliktträchtigkeit ökonomischer und politischer Prozesse durch digitale Technologien als Koordinationsmedium überwunden und neue Niveaus einer kollektiven Effizienz und Effektivität erreicht werden. Zuboff (2019, S. 398 ff., 430 ff.) interpretiert diese Perspektive als die Vision einer »instrumentarian society«, die von Systemen Künstlicher Intelligenz abgebildet und gesteuert wird. Brüc...