Dritter Theil.
In der Vendée.
Inhaltsverzeichnis
Erstes Buch.
Die Vendée.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII
I.
Die Wälder.
Inhaltsverzeichnis
Es gab damals in der Bretagne sieben grauenvolle Wälder. Der Vendéerkrieg ist der Priesteraufruhr gewesen, und der Wald hat ihm Vorschub geleistet, Finsterniß im Bund mit Finsterniß.
Die sieben »schwarzen Wälder« der Bretagne waren: Der Wald von Fougères, der den Weg zwischen Dol und Avranches versperrt; der Wald von Princé mit einem Umfang von acht Meilen; der Wald von Paimpont, der, von Schluchten und Bächen durchfurcht, für einen Angriff von Baignon her fast unzugänglich war und den Rückzug auf den royalistischen Marktflecken von Concornet deckte; der Wald von Rennes, wo Puysaye Focard verlor und wo man aus der Ferne das Sturmgeläut der republikanischen Gemeinden hören konnte, deren es um die größeren Städte herum allenthalben eine beträchtliche Anzahl gab; der Wald von Machecoul, mit seinem Ungeheuer: Charette; der Wald von La Garnache, der den Familien La Trémoille, Gauvain und Rohan, und der Wald von Brocéliande, welcher dem Feenreich gehörte.
»Herr der sieben Wälder« war ein Adelstitel, der sich unter den Vikomtes von Fontenay vererbte, welche auch den bretonischen Fürstentitel führten, bretonisch im Gegensatz zu den französischen Fürsten. Solche bretonische Fürsten waren auch die Rohan. Der Fürst von Talmont wurde am 15. Nivôse des Jahres Zwei, in einem Bericht von Garnier Saintes an den Konvent, als »jener Capet der Räuber und souveräne Herr in Maine und Normandie« bezeichnet. Ueber die bretonischen Wälder von 1792 bis 1800 ließe sich eine Monographie abfassen, die sich der Geschichtschreibung der Vendéerkriege gewissermaßen als Legende anschließen würde. Wie die Geschichte, so hat auch die Legende ihre innere Wahrheit, und diese unterscheidet sich von der historischen blos der Form nach; von einer Fiktion ausgehend, gelangt sie schließlich bei der Wirklichkeit an. Geschichte und Sage verfolgen ein gemeinsames Ziel, die Schilderung der menschlichen Wesenheit in vergänglichen Typen. Es wird nur dann ein vollständiges Verständniß der Vendée erzielt, wenn die Legende die Geschichte, das Besondere das Allgemeine ergänzt. Und sagen wir es gleich heraus, die Vendée ist es auch werth. Die Vendée ist wunderbar. Jener Ignorantenkrieg, so stupid und doch so glänzend, scheußlich und herrlich, hat Frankreich mit Jammer und doch wieder mit einem Gefühl der Genugtuung erfüllt; die Vendée ist eine ruhmvolle Wunde. Zu gewissen Zeiten giebt die menschliche Gesellschaft Räthsel auf, Räthsel, die sich für den Wissenden in Klarheit, für den Unwissenden in Verdüsterung, Gewaltthätigkeit und Barbarei lösen. Der Philosoph zögert mit der Anklage. Er zieht die Verwirrung in Betracht, welche Probleme mit sich bringen, denn wie die vorüberziehenden Wolken, so werfen auch Probleme ihre Schatten unter sich.
Das Verständniß der Vendée hängt von der Beachtung des großen Gegensatzes ab zwischen der französischen Revolution einerseits und andererseits dem bretonischen Bauern. Neben jene unvergleichlichen Ereignisse, jene ungeheuere unmittelbare Bedrohung mit allen Wohlthaten zugleich, jenen Zornanfall der Kultur, jenen tobenden über's Ziel schießenden Fortschritt, jene maßlos unbegreifliche Besserungswuth stelle man den sonderbar feierlichen Eingeborenen, den Mann mit dem blauen Auge und dem langen Haar, der von Milch und Kastanien lebt, dem sein Strohdach, sein Zaun und der Graben dahinter die Welt bedeuten, der jedes Nachbardorf am Klang seiner Glocke erkennt, der das Wasser lediglich zum Stillen des Durstes verwendet, der ein Lederwamms mit seidenen Arabesken trägt, die Stickerei auf der Rohheit, der, wie seine keltischen Vorfahren ihr Gesicht, nunmehr seine Kleider tätowirt, der in seinem Henker noch seinen Herrn hochhält, der eine ausgestorbene Sprache spricht, seine Gedanken also unter einen Grabhügel sperrt, der seine Ochsen antreibt, seine Sense wetzt, sein Feld ausjätet, seinen Buchweizenfladen knetet, der seinen Pflug zuerst und dann seine Großmutter verehrt, der an die heilige Jungfrau und an die weiße Dame glaubt, der in Andacht schauert vor dem Altar und auch wieder vor dem geheimnißvollen hohen Stein, welcher über der Haide ragt, der in der Ebene auf den Ackerbau, an der Küste auf den Fischfang und im Dickicht auf's Wildern ausgeht, der seine Könige, seine Schloßherren, seine Priester, ja seine Läuse lieb hat und oft stundenlang stehen bleiben kann am weiten einsamen Strand in düsterem Belauschen des Meeres – man denke sich in den Gegensatz hinein und frage sich dann, ob dieser Blinde jenes Licht zu begrüßen fähig war.
II.
Die Menschen.
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Der Landmann hat an zwei Dingen einen Halt, am Feld, das ihn ernährt, am Walde, der ihn birgt. Von den bretonischen Wäldern machen wir uns kaum noch einen Begriff. Es waren Städte. Nichts Verschlosseneres, Stummeres, Wilderes, als jene ineinandergewachsenen Verstrickungen von Dornhecken und Astwerk; die dichten Gebüsche schienen Lagerstätten regungslosen Schweigens; keine Einöde konnte einen vollständigeren Eindruck des Ausgestorbenen, Grabähnlichen hervorbringen. Wären jedoch plötzlich, mit einem Zauberschlag, die Bäume vom Erdboden verschwunden, so hätte man ein ganzes Menschengewimmel erblickt.
Enge runde Gruben, durch einen unter Zweigen versteckten steinernen Deckel verschlossen, welche sich trichterförmig nach unten zu erweiterten und, erst senkrecht, dann horizontal laufend, in dunkle Kammern mündeten, das hatte Cambyses in Egypten vorgefunden, und das fand Westermann in der Bretagne; die egyptischen Keller dehnten sich unter der Wüste, die bretonischen unter den Wäldern aus; in jenen lagen Todte, in diesen hausten Lebendige. Eine der entrücktesten Lichtungen im Gehölz von Misdon, welche ihrem ganzen Umfang nach unterhöhlt war und in deren Stollen und Zellen eine geheimnißvolle Einwohnerschaft ab-und zuging, hieß »die große Stadt«; eine andere, oberhalb nicht minder öde und unterhalb nicht minder bevölkerte hieß »der Königsplatz«. Dies unterirdische Treiben in der Bretagne ließ sich auf undenkliche Zeiten zurückführen; von jeher hatte dort der Mensch vor Menschen flüchten müssen; daher die Schlupfwinkel zwischen den Baumwurzeln. Dies Unterkriechen schrieb sich noch von den Druiden her, und einige dieser Krypten sind so alt wie die Dolmens. Die Gespenster der Sage und die Ungeheuer der Geschichte, Alles war über dieses finstere Land dahingefluthet: Teut, Cäsar, Hoël, Neomen, Gottfried von England, Alain mit dem eisernen Handschuh, Pierre Mauclerc, das französische Haus von Blois, das englische Haus der Montfort, die Könige und die Herzoge, die neun bretonischen Barone, die fahrenden Richter, die Grafen von Nantes in Fehde mit den Grafen von Rennes, die entlassenen Kriegsvölker und plündernden Vagabundenrotten, René II., Vikomte von Rohan, die königlichen Statthalter, der »gute Herzog von Chaulnes«, der unter den Fenstern der Frau von Sévigné die Bauern baumeln ließ, im fünfzehnten Jahrhundert die Feudalmetzeleien, im sechzehnten und siebzehnten die Religionskriege, im achtzehnten die dreißigtausend auf den Mann dressirten Bluthunde. Das ohne Unterlaß dermaßen zusammengestampfte Volk hatte zum Verschwinden seine Zuflucht genommen: so verkrochen sich denn der Reihe nach die Ureinwohner vor den Kelten, die Kelten vor den Römern, die Bretonen vor den Normannen, die Hugenotten vor den Katholiken, die Schmuggler vor den Zollwächtern, erst in die Wälder und dann unter die Wälder, wie die Thiere, denn so weit bringt die Tyrannei den Menschen. Seit zweitausend Jahren in allen möglichen Gestalten: Eroberung, Feudalwesen, Priesterfanatismus, Steuererpressung, hetzte sie diese jammervolle, athemlose Bretagne ab und gab das unerbittliche Treibjagen in der einen Form nur auf, um es in einer neuen fortzusetzen. Die Menschen gruben sich ein. Die zornverwandte Verzweiflungsangst dehnte sich schlagfertig in den Seelen, und die Höhlen dehnten sich schlagfertig unter den Wäldern, als die französische Revolution ausbrach. Die Bretagne hielt die aufgedrungene Freiheit für Unterdrückung und empörte sich. Aber so sind die Sklaven.
III.
Einvernehmen der Menschen und Wälder.
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Die tragischen Wälder der Bretagne fielen in ihre gewohnte Rolle und spielten, wie in allen vorausgegangenen Aufständen, so auch im gegenwärtigen die Helfershelfer und Mitschuldigen. Der Boden unter jenen Wäldern war meistens sternkorallenförmig ausgehöhlt, also nach allen Richtungen von einem unsichtbaren Netz von Schatten, Zellen und Galerien durchzogen: in jeder dieser schwarzen Zellen lebten fünf bis sechs Männer; fast ohne Luft: darin bestand die Hauptschwierigkeit. Wie gewaltig der große Bauernaufstand organisirt war, läßt sich aus gewissen überraschenden Zahlen ersehen: Im Wald von Le Petre, Departement Ille-et-Vilaine, dem Asyl des Fürsten von Talmont, war kein Hauch zu vernehmen, keine menschliche Spur zu entdecken, und doch hatte Focard seine sechstausend Mann dort. Im Wald von Meulac, Departement Morbihan, wo sich keine Seele blicken ließ, lagen achttausend Mann, und jene zwei Wälder, Le Petre wie Meulac, gehören nicht einmal zu den größern. Wehe dem, der sie betrat! Jene trügerischen Gebüsche mit dem unterirdischen Labyrinth voll Kämpfern glichen ungeheuern dunkeln Schwämmen, die unter dem ersten Schritt der Gigantin Revolution den Bürgerkrieg in Strömen ausspritzten. Unsichtbar lauernde Bataillone, ja, ungeahnte Armeen wanden sich unter den Füßen den republikanischen Kolonnen hin und her, quollen plötzlich aus der Erde und quollen ebenso wieder hinein, stürmten massenhaft vor und zerstoben, allgegenwärtig, allverschwindend, erst Lawine, dann Staub, Ungeheuer, welche wie durch Zauber zusammenschrumpften, im Angriff Riesen und Zwerge auf der Flucht, Leoparden mit allen Eigenschaften des Maulwurfs.
Nicht genug, daß es Wälder gab; es gab auch noch Gehölze; wie die Städte durch Dörfer, so waren die Waldungen durch eine Anzahl allenthalben zerstreuter Forste unter einander verbunden. Die alten Schlösser, aus denen nun wieder Festungen, und die Dörfer, aus denen Feldlager geworden waren, die Pachtgüter, hinter deren Umzäunungen die Hinterlist ihre Fallen legte, und die Wirtschaftsgebäude mit ihren Schanzgräben und Baumpallisaden bildeten die einzelnen Maschen des Netzes, in das die republikanischen Armeen sich verrannten. Einer jener Komplexe von Forsten hieß le Bocage. Von Bedeutung waren darin das Gehölz von Misdon, in dem ein Teich verborgen lag, wo Jean Chouan hauste; ferner das Gehölz von Gennes mit dem Bandenführer Taillefer, das Gehölz von La Huisserie mit Gouge-le-Bruant; la Charnie mit Courtillé-le-Bâtard, den man den Apostel Paulus nannte, und der im Lager von La Vache-Noire kommandirte; Burgault mit jenem räthselhaften Monsieur Jacques, der im Gewölbe von Juvardeil ein unerklärtes Ende finden sollte; das Gehölz von Charreau, wo Pimousse und Petit-Prince, von der Garnison von Châteauneuf angegriffen, sich in die republikanischen Reihen stürzten und Grenadiere zwischen ihren Armen in die Gefangenschaft forttrugen; das Gehölz von La Heureuserie, wo die Abtheilung von Longue-Faye eine Niederlage erlitt; das Gehölz von l'Aulne, das einen Ausblick hatte auf die Straße zwischen Rennes und Laval; La Gravelle, das durch einen Fürsten von La Trémoille beim Kugelspiel gewonnen worden; im Departement Côtes-du-Nord, Lorges, wo nach Bernard von Villeneuve Charles von Boishardy befahl; Bagnard bei Fontenay, wo Lescure Chalbos den Kampf bot und Chalbos ihn eins gegen fünf annahm; La Durondais, einst ein Streitgegenstand zwischen den Söhnen Karls des Kahlen, Alain Le Redru und Héripoux; das Gehölz von Croqueloup am Rand jener Haide, wo Coquereau seine Gefangenen schor; La Croix-Bataille, wo Jambe-d'Argent und Morière ihre homerischen Beschimpfungen ausgetauscht; La Saudraie, wo wir ein Pariser Bataillon auf einer Rekognoszirung begleitet haben, und noch manches andere Gehölz.
In mehreren jener Wälder und Forste gab es außer den um die Höhle des Anführers gruppirten unterirdischen Dörfern noch ganze Weiler von niedrigen Hütten, die unter Bäumen versteckt und oft so zahlreich waren, daß der ganze Wald davon wimmelte. Zuweilen wurden sie durch ihren Rauch verrathen. Zwei jener Weiler im Gehölz von Misdon sind berühmt geblieben: Lorrière beim Teich und gegen Saint-Ouen-les-Toits zu der Hüttenkomplex La Rue de Bau.
Die Weiber lebten in den Hütten und in den Gruben die Männer, welche zum Kriegführen die Feengalerien und die alten keltischen Schächte verwertheten; die Nahrung wurde ihnen zugetragen, und wurde dies vergessen, so verhungerten diejenigen, welche ihre Gruben nicht zu öffnen verstanden; es waren dies, fast in allen Fällen, ungeschickte Leute, denn die bemoosten und belaubten Deckel waren nicht nur so künstlich geformt, daß man sie von außen zwischen dem Gras unmöglich unterscheiden konnte, sondern sie ließen sich auch ganz leicht von innen heben und zumachen. Die Höhlen wurden mit Sorgfalt gegraben; die abgetragene Erde warf man in den nächsten Weiher; Boden und Wände waren mit Farrenkraut und Moos austapezirt. Solch ein Loch hieß »loge« und war soweit bequem, wenn der Bewohner von Licht, Feuer, Brod und Luft absehen wollte.
Ohne Vorsicht unter die Lebenden zurückzusteigen, war mit Gefahr verbunden, denn man konnte zur Unzeit auferstehen und zwischen die Beine einer Armee gerathen. Schrecklich waren jene Gehölze mit ihren Doppelfallen unter und über der Erde: die Blauen wagten sich nicht recht hinein und die Weißen nicht recht hinaus.
IV.
Das Leben unter der Erde.
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Man langweilte sich unter der Erde; zuweilen, des Nachts, stieg man auf alle Gefahr hin ins Freie, um auf der Haide zu tanzen; oder man schlug die Zeit mit Beten todt. »Den ganzen Tag über,« sagt Bourdoiseau, »ließ uns Jean Chouan rosenkränzeln.« Fa...