Die Zeitung
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Die Zeitung

Gesellschaftsroman

  1. 484 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Gesellschaftsroman

Über dieses Buch

Der 'MorgenKurier', das im Buch alles verbindende Element, provoziert einen ungewohnten Blick auf unsere Gesellschaft. Diese Zeitung kämpft um ihr Überleben, ein Kaufmann will Spuren seiner eleganten und gleichzeitig berüchtigten Vergangenheit hinterlassen, ein alter Chefredakteur versucht ihren Fortbestand zu retten und kämpft während der Redaktionssitzungen täglich um Vermittlung zwischen den Kollegen, aus dieser Runde erkennt nach einigem Anlauf ein Journalist die Chance seines Lebens und geht ein Bündnis mit dem Kaufmann ein, ein Mafioso steuert die Hamburger Baupolitik, erfolgreiche Politiker lassen sich bestechen und genießen ihr ausschweifendes Leben, das jederzeit von Aufdeckung bedroht ist. Das ist eine Seite ihres Lebens. Dieses Buch beschreibt die lange Reise des 'MorgenKurier' vom ersten Andruck, über Geschichten, die den Angestellten zustoßen, bis zu seinem bitteren Untergang. Die verlängerte Lebensdauer der Zeitung schien ohnehin nur durch die viele Monate gedruckte Serie über das Treiben des Hamburger Kaufmanns möglich. Seine Geschichte war den Lesern so interessant, dass die zunächst geringe Auflage enorm stieg und damit die Zeitung am Leben hielt. Ungewöhnlich ist die Konstruktion des Dialogs zwischen dem Schreiber der Serie und seinen treuen Lesern. Zeitungen werden von Menschen gemacht, die sich der Loyalität, aber auch ihren eigenen Zielen verschrieben haben. Doch je länger das Buch vorangeht, wird deutlich, wie sehr sich jeder Einzelne von ihnen nur vermeintlich freiwillig seinem Schicksal unterwirft, so als würde kein anderer Weg möglich sein.

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Information

Jahr
2018
ISBN drucken
9783848254095
eBook-ISBN:
9783746082943
Auflage
3
Thema
Poesie
„Ich freue mich, die so berühmt sichere Hand zu halten. Guten Tag! Hallo? Ich sagte: Guten Tag!!
Wieder keine Antwort? Gut, vielleicht ist es auch nicht notwendig, dass Sie reden und stattdessen lieber nur zuhören möchten! Ich will so beginnen: wir kennen wir uns nicht, obwohl Sie schon oft für Freunde tätig waren. Deswegen ist es nicht unbedingt eine unbekannte Fügung, dass ich auf Sie gestoßen bin. Auch ragt Ihr Ruf aus der langen Liste möglicher Schützen nicht unbedingt himmelhoch heraus, trotzdem habe ich mich für Sie entschieden. Wieso? Mein kleiner Finger blieb einfach an Ihrem Namen hängen. Jetzt, wo Ihre Wirklichkeit vor mir sitzt, bereue ich nicht meinen Schritt. Erschreckend kalt wirken Sie. Das macht mich glauben, Sie wären im Stande, zu treffen, was ich es will.
Nun zu mir! Ich bin aus der Mitte unserer Hamburger Gesellschaft, der, für den diesmal gearbeitet wird. Ich mache andere Geschäfte als Sie, bessere. Bei meinen geht man lautlos voran. Nicht der kleinste Knall, nicht der ansehnlichste Tote. Am Anfang nur schön weißes Papier, am Ende stehen ein paar verlorene Sätze darauf, aber stets machen sie mich zufrieden. Bitte? Ja, Sie haben recht, setzen wir uns erst einmal, so redet es sich besser. Also, über unseren Vermittler habe ich bereits gehört, dass viel Reden nicht Ihre Stärke ist. Verzeihen Sie, das macht mir gar nichts. Ich sage Ihnen, was zu tun ist, Sie nicken mit dem Kopf, ich erhalte Ihre Kontonummer. Was wollen Sie? Ich soll Ihre Notiz lesen? Was steht denn drauf? Sie wollen die Zwanzigtausend in bar? Auch gut. Nach Ihrer Zustimmung bekommen Sie fünf von mir für den Ankauf einer neuen Waffe, den Rest lege ich im Hauptbahnhof in das Schließfach mit der Nummer 'Einhundert'. Der Code ist 'Procida14'. Beginnen wir mit Ihrer Aufgabe. Was ich Ihnen jetzt erkläre, und ich tue das nur einmal, wird nicht einfach von Ihnen verstanden werden. Wenn es auch gegen Ihre Einstellung verstoßen sollte, diesmal wird nicht getötet! Sie schießen auch nicht mit Ihrer Waffe, sie wäre mir wegen ihres wahrscheinlichen Bekanntheitsgrades zu gefährlich. Ich will von Ihnen aus etwa zweihundert Metern den Schuss von vorn mit einer M40A3, Kaliber 6,72, in die Schulter eines Mannes. Er wird Dienstag nächster Woche gegen zehn Uhr über den Zebrastreifen Millerntorplatz/Ecke Reeperbahn gehen und ist etwa so groß wie Sie. Blond, auch hat er ein ähnliches Gewicht, ähnlichen Gang und fast wirkt er wie ein Student. Kleiden wird er sich wegen des ausgehenden Winters mit einer dicken, grün abgesteppten Lederjacke. Sonst scheint er ziemlich unempfindlich gegen Kälte zu sein, eine Mütze oder einen Kappe trägt er jedenfalls sehr selten. Ich werde etwa fünf Meter hinter ihm gehen und zum Zeichen, dass kein Problem ist, kurz mit meinem Hut in seine Richtung zeigen. Ist Ihr Schuss erfolgt, und habe ich mich davon überzeugt, das er den Angriff überstehen wird, liegt der restliche Betrag im Schließfach. Ist er tot, bekommen Sie nichts. Im Gegenteil, an das Ende der Welt lasse ich Sie von Ihren Kollegen verfolgen, bis ich nicht nur die ersten Fünftausend zurück habe, sondern auch Ihr Leben. Um den Fluchtweg müssen Sie sich selbst kümmern, kundschaften Sie ihn sicherheitshalber vorher aus. Vergessen Sie später nicht mein Geld aus dem Schließfach zu holen. Stelle ich fest, dass Sie Ihre Aufgabe gut erledigt haben, wird sich, wie versprochen das Geld dort befinden. Kann ich mich auf Sie verlassen? Gut, ich verstehe Ihr Nicken als Zustimmung. Sind noch Fragen? Moment, das kann man ja kaum lesen, soll das heißen: wo sind die Fünftausend? Dort an der Garderobe hängt ein heller Kamelhaarmantel. Nehmen Sie den Umschlag aus der Brusttasche. Nun bleibt mir nur, Ihnen ein gutes Gelingen zu wünschen und noch einmal darauf hinzuweisen, dass Sie bitte am Dienstag Hamburg verlassen. Auf Wiedersehen.“
„Herr Ober? Ja, Sie. Einen Café nur für mich, bitte. Der Herr neben mir geht sofort. Nein, keinen Zucker. Vielleicht ein paar von Ihren herrlichen Keksen? Auch die Zeitung?“
*
Wegen der angenehmen Kühle stand Morgentau in der Nähe eines halb geöffneten Fensters, das sich in der gemieteten zwanzigsten Etage eines neuen und ideenlos verglasten Bürogebäudes befand.
Hierher gezogen war der Verlag aus der schmutzigsten Ecke Altonas, wo sich selbst die Sonne dagegen stemmte, am Tag aufzugehen, sich abends fürchtete, auch nur eine Minute länger als notwendig zu scheinen.
Große Hoffnungen auf eine bessere Zukunft hatten den schwierigen Wechsel begleitet. Doch daran wollte er jetzt lieber nicht denken, denn Sorgen gab es genug. Optimistischer schien es, sich einen Schritt von dieser schwierigen Vergangenheit zu entfernen.
Er blickte auf, und wie er es seit Jahren gewohnt war, sah man weit über die Spielzeugdächer der Stadt hinaus, ja, bis an die letzte Linie des Horizonts. Heute jedoch war ein anderer Tag, er ließ ihn so weit nach vorn sehen, wie es Morgentau gar nicht wünschte. Auch schien der graue Horizont an diesem Morgen näher als gewohnt und bedeutete ihm aus diesem Grund ein schlechtes Omen. 'Der mit ihm verbundene Untergang meiner Zeitung ist also nicht mehr abzuwenden', dachte er.
Morgentau stütze das Kinn auf die offene Handfläche und zupfte leicht mit Zeige- und Mittelfinger an seinem rechten Ohrläppchen. Das sah seltsam aus, doch tat er es oft, wenn Aufregung drohte und kein anderer Ausweg erkennbar war. Die Sorge um das Wohl der Zeitung und ihrer Angestellten hatte ihn in den letzten Jahren beständig angsterfüllter in die Zukunft sehen lassen. Um sein Blatt wichtiger, vielleicht sogar einmalig erscheinen zu lassen, hatte er deshalb überall nach neuen Möglichkeiten gesucht, viele Gespräche mit Ideenlieferanten geführt. Entstanden war dabei der Gedanke, eine auffällige Unterscheidung zu den anderen Blättern würde aus der Misere helfen, nicht das drucken, was man bei den Konkurrenten lesen konnte. Nur absolut Neues dürfte das sein, mitreißen müsste es die Leute durch eine noch unbekannte Mischung von Gut und Bös, von Vorstellbarem und von Illusionärem, sodass sie gar nicht anders könnten, als seine Zeitung zu kaufen. Womit dürften sich die Themen beschäftigen? Nächte hatten ihn diese Gedanken belauert, herausgekommen war außer Qualen nicht eine einzige gute Idee. Wieso nur ist das so schwer, mal den eingeschrittenen Weg zu verlassen, entdecken was noch keinem gelang?
Furchtbar war die Ungewissheit, und sicher schien ihm, den endgültigen Untergang des Blattes durch niemanden mehr abwenden zu können.
Wenn er dann nach durchgrübelter Nacht endlich um fünf Uhr aufstand, um den Büroalltag noch im Haus vorzubereiten, war bereits der letzte verbliebene Freund, dieses krankmachende Gefühl, im Magen. Einzige Hilfe bot nur die Erkenntnis, seine Mitarbeiter müssten noch stärker motiviert werden, mussten weiter an einem unverwechselbaren Stil für die vielen noch unbekannten Artikel feilen. Aber mach das mal, wenn du nicht weißt für welchen? Dann versuchte er einen Kaffee, dazu ein paar Tropfen Averna. Auch die kleine Zigarre, Rest des Versuchs vom gestrigen Tag, glimmte schon in seiner Hand und doch, zu trinken oder zu rauchen konnte er sich selten überwinden. Er hasste Tabakgestank, der dann im Wagen unweigerlich aus seiner Kleidung aufsteigen würde. Auch heute begab er sich wieder an seinen überaus protzigen Wagen, das Einzige, was ihm aus besseren Zeiten geblieben war. Morgentau wohnte verkehrsgünstig. Er hätte auch mit der Bahn fahren können, aber sein Widerwille war groß gegen den auf jeder Station gleichen widerlichen Geruch von Buttercroissants und Käsebaguettes. Ihre Schwaden drangen selbst durch die geschlossenen Türen der Waggons und hinterließen nichts als Übelkeit. Da zog er doch das Alleinsein in seinem Wagen vor. Glücklich war er nicht damit, denn der Kontakt zu flüchtigen Bekanntschaften fehlte, auch zu den vielen ungleichen Gesichtern von Übernächtigten und Ausgeschlafenen, hinter denen oft lange Geschichten versteckt schienen.
,Und was ist mit meiner Frau Imme, die von einem Aussehen war, das jeden Mann dazu bringen würde, mit ihr auszugehen? Magnus, wieso stellst du dir diese Frage, jetzt an dieser Stelle?', dachte er, während sich der Zündschlüssel wie von Zauberhand bewegte. Doch Morgentau wusste, sie hatte den ihn täglich belastenden Druck nicht aushalten wollen. Hatte ihn an einem Morgen, elegant gekleidet im schulterlosen Kleid, noch mit ihren schicken Medusentränen vom Vorabend um den Hals und ein bisschen Aphrodites Schwester ähnlich, vor die Wahl gestellt: das Dünnbedruckte oder ich? Auch wenn Imme ihn dabei versöhnen wollend in den Arm genommen hatte, ahnte er, nie wird ihr der Gedanke 'ihm zu helfen' durch den Kopf gehen. Und Liebe? In diesem Augenblick musste man spüren, sie ist vorbei, und nichts als Qualen warten in einer gemeinsamen Einsamkeit. Dass ein Partner stirbt, ist schlimm genug. War man gewohnt, zu zweit zu sein, und geht nach Jahren streitend auseinander, wiegt eine Trennung weit schwerer. Lebte man doch lange miteinander, bis jeder Bestandteil des anderen geworden war – und dann kommt dieser lebende Bruch. Nun lösen sich zwei Menschen aus irgendeinem nichtigen Grund voneinander und werden bei vollständiger Besinnung darunter leiden bis an ihr Lebensende.
,Wie war es denn bei Beginn unserer Liebe?', fragte er sich und dachte mit Freude daran, wie ihn ihr Lächeln eingefangen hatte. So viel konnte sie hineinlegen. Wenn er sich früher auf der Fahrt ins Büro befand, war es ihm noch immer als unbeschwert und faszinierend in Erinnerung. 'Ich glaube, die Reinheit ihres Lächelns hat mich überwältigt, nicht zu lösen war mein Blick von ihr. Keine Druckmaschine konnte feinere Züge hervorbringen, kein Layout eine bessere Stimmung verbreiten. Als ich das erste Mal mit ihr tanzte, wandelten sich vor meinen Augen die anderen Frauen in den Armen der Männer. Plötzlich hatte jeder meine schöne Imme umfasst, sie war überall. Doch bevor es mir gelang eifersüchtig zu werden, löste sich der Schein, und nur ich besaß sie.'
An jenem schrecklichen Morgen vor ihrer Abfahrt hatte Magnus nicht bemerkt, wie lange er gelähmt geblieben war. Endlich reagierte sie und fragte, ob er etwas mit der Halswirbelsäule hätte, er wirke so seltsam verdreht. Es waren die letzten der guten Gefühle für ihn. Und am Morgen nach Immes Flucht war von ihrem Lächeln nichts mehr geblieben. Arm an Worten und Taten waren beide schon lange.
Auch hatte er in dem entscheidenden Augenblick nach ihrer Frage nichts anderes als das Dünnbedruckte gewollt, auch nicht zufällig das Richtige getan, nichts sie an sich zu binden. Nur die Zeitung war sein Leben! Nichts erfüllte ihn mehr. Doch waren in den nun vergangenen letzten Wochen seine Gedanken an die Frau wieder eindringlicher geworden, hatten sich in ein unentwirrbares Netz versponnen. Es abzustreifen mühte er sich bei jedem Start in den Morgen, doch zwecklos waren die Versuche. So fuhr er alle Tage, nachts mutlos geworden in ihrer unsichtbaren Nähe, hinein in die dunkle Tiefgarage, einundzwanzig Etagen unter seinem Büro. Öffnete er die Tür seines protzigen Wagens, schlug ihm beklemmende Dunkelheit entgegen, die in ihrer überquellenden Intensität an seinen vergangen Lebenstraum erinnerte.
Noch stand er am Fenster, und vielleicht heute hätte der Tag sein können, der ihn an einen verblüffenden Gedanken geführt hätte, wäre da nicht eben der überraschende Vorschlag eines Kollegen gewesen, schon jetzt mit der täglichen Redaktionssitzung zu beginnen. „Was gibt es Neues“, wollte Morgentau wissen, „einen Weltuntergang, einen neuen Planeten in unserem Sonnensystem, der in das Zentrum dieser Stadt einschlagen könnte? Wenigstens eine neue Rosensorte?“
„Nichts dergleichen, aber die jeden Tag eintreffenden Weltsensationen von Unfällen und Kriegen.“
„Herr Lange, es ist wirklich nicht mehr wichtig, was davon auf unseren Seiten steht und schon gar nicht, wo diese Ereignisse stattfinden. Alles wurde schon hundertmal berichtet und gedruckt. Von allen wird jede Neuigkeit bis zum Erbrechen durchgekaut. Merken wir denn nicht, wie abgestumpft die Leser durch ständige Wiederholungen von Mord und Totschlag geworden sind? Mich selbst ermüdet nur noch dieses Wühlen im Untergrund für eine unbedeutende Neuigkeit, das ständige Hervorheben von Banalitäten“, stöhnte Morgentau. „Wo ist nur meine alte Gelassenheit geblieben? Herr Lange, nun gehen Sie bitte schon vor, ich komme in einer halben Stunde nach. Herr Lange, selektieren Sie Ihre Nachrichten mit größter Sorgfallt, denn die braucht man, um den Lesern gegenüber ehrlich zu bleiben. Herr Lange, Sie wissen, dass ich zuvor noch kurz den Erikkson sehen will?“
Der Mitarbeiter stand wie angefroren vor ihm und fühlte sich angegriffen. 'Weiß der Alte, wie mühsam das Filtern der eingehenden Meldungen ist?' quälte er sich. 'Hat der jemals geprüft und geprüft, jeden Satz auseinandergenommen, Grammatik und Stil mit seinem eigenen Anspruch verglichen?'
„Haben Sie eine bessere Lösung, um unser Blatt zu füllen?“, fragte er beleidigt, wobei er bemüht war, seine Stimme nicht der inneren Haltung anzugleichen.
„Was haben Sie gesagt?“ Morgentaus ungeduldige Stimme klang scharf.
,Da erwartet der Alte Toleranz, Einfühlungsvermögen, ohne selbst einen Funken davon zu besitzen', dachte Herr Lange.
„Herr..., jetzt habe ich vor Ärger doch Ihren Namen vergessen! Herr Lange, mein Job macht hart, laut, oft auch ungerecht. Wenn Sie den Grund dafür nicht verstehen, kann das hier nicht Ihr Zuhause sein. Sie sind nicht bei uns, weil die Zeitung ein gemütlicher Verein ist. Hier geht es um schnellen Umsatz, Gewinn, verstehen Sie? Wir können nur das schreiben, was die Leute kaufen.“
„Wollten Sie mir nicht etwas anderes erzählen?“ Langsam wurde Lange aggressiv.
Morgentau hatte das Aufbegehrende seines Kollegen nicht hören wollen und schon gar nicht dessen Tonfall beachtet. Wieder bei der Suche nach einer Lösung ihres Problems war er und sagte wie abwesend: „Gerade habe ich die Idee, dass wir regionaler werden müssen, um uns zu unterscheiden. Eine neue Art von Einfühlungsvermögen entwickeln, am besten so richtig persönlich sein! Gespräche mit Leuten aus dem Kiez, wo einer den anderen kennt, das wäre doch was. Die Leute wird das aufmerksamer machen. Ebenfalls greifen wir auf Ereignisse aus der City zurück, kehren damit den Trend um, zu wissen was Einzigartiges in China oder auf den Philippinen eingetreten ist! Aber bitte nicht so einen Stil vom Lande, nein, die Leute müssen sich durch uns besser fühlen, vielleicht sogar gehobener? Wir bräuchten auch einen neuen Namen für unser Blatt, APH beispielsweise, die neue Alster-Pauli-Hafenzeitung.“
„Um Gottes Willen“, schrien die ersten, „das hört sich nach staubiger Provinz an. Wir leben in Hamburg und schreiben hier nicht für Kleinbürger! Wir sind gute Leute, die nichts weiter als anständige Arbeit wollen! Das ist wieder nur eine Ihrer fixen Ideen, nichts Reales darf sich hinter ihnen verbergen!“
„An was denken Sie sonst? Den Weg, uns in den Dienst einer Partei, einer religiösen Richtung zu stellen, das hatten wir schon abgehakt. Nur über Sport zu schreiben ist unter unserer Würde. Dieses Blatt ist mehr als ein Stück Papier mit Buchstaben und einem blassen Wasserzeichen. Wie sind bitte Ihre Vorschläge? Höre ich etwas? Sehen Sie, eine Antwort fehlt, wie immer. So einfach machen Sie sich das. Kritisieren, ja, meckern, ja, besser machen? Wie bitte? Warum denn?“
„Sollen wir uns etwa von der einmal gültigen Vorgabe lösen, nur Gutes mit überhöhenden Worten zu bringen, stattdessen das Leben ehrlich beschreiben wie es ist, mit viel Bösem und wenig Positivem?“
Verzweifelt sah Morgentau in ihre Richtung, zu sagen war nichts weiter, jede Lösung war jetzt entfernter als noch heute Morgen. Um keine Schwäche zu zeigen, informierte er seine Sekretärin, endlich gehen zu müssen. Für ein halbe Stunde, vielleicht auch ein paar unbedeutende Minuten länger.
*
Leiff beschloss, eine Weile länger im Bett zu bleiben. Wieder hatte er den Wecker nicht gehört und ein oder zwei Stunden später im Büro zu sein, bedeutete ihm noch nie etwas. Bewusst war ihm aber der Grund seiner Müdigkeit, hatte er doch erneut in der Nacht ein paar Stunden wachgelegen. Immer geisterten die ungeliebten Brüder Objektiv und Subjektiv vorbei. Sie zu vertreiben hatte er nach ihrem kleinsten Nenner gesucht und war auf 'Freiheit' gestoßen. Er wusste, wie wichtig das damit verbundene Lebensgefühl ist, war es ihm doch erst nach dem Verlassen der Mutter begegnet. ,Freiheit', dachte er, ,darunter versteht jeder etwas anderes. Und Freiheit muss subjektiv sein, sonst würde sie nicht dem Einzelnen gerecht werden. Oder sollen alle gleich empfinden? Wäre das objektiv?'
Leiff liebte diese Gedankenspiele, und in Ermanglung eines Partners waren sie einfach notwendig. Auch beim Frühstücken beeilte er sich nicht, schließlich kann Hektik lebensbedrohend sein. Dafür besserte sich die Stimmung von Minute zu Minute, und schließlich war seine Taktik ausgereizt. Irgendwann müsste sowieso gearbeitet werden.
Er betrat die Straße und bemerkte schmerzhaft den Unterschied zum warmen Bett. Eine aufgehende Sonne hatte die Temperatur der Nacht weiter sinken lassen, eiskalt war es, böiger Sturm scheuchte restliche Eichenblätter über Wege und Straßen der Innenstadt.
Vor dem Überqueren eines Fußweges verharrten seine Füße einen Augenblick. Gegen die Kälte wollte er noch seine schwedisch blaugelbe Wollmütze über den Kopf ziehen, auch der Schal musste noch ein paar Zentimeter enger gebunden werden, und nun machte sich der...

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  2. Impressum