1 Ein Wort vorab
Jennifer Senior nutzte Anfang 2014 im ‚TED-Talk‘ das Zitat: „Kinder sind ökonomisch wertlos, aber emotional unbezahlbar.“ Im Original heißt es auf Englisch:
„Children are economically worthless
but emotionally priceless.“i
Sie beschreibt in ihrem Vortrag, dass es früher genau anders herum war. Kinder haben gearbeitet und waren daher ökonomisch wertvoll. Aber sie waren emotional eher unwichtig.
Sicher ist es illusorisch (und auch nicht wünschenswert), dass Mitarbeiter so wertvoll bzw. „unbezahlbar“ für Vorgesetzte werden wie Kinder. Aber ich denke, es wäre nicht schlecht, wenn Mitarbeiter ein wenig mehr wie Kinder für Vorgesetzte werden würden. Daher schreibe ich dieses Buch.
2 Einleitung
„Wo sind die Familienmanager?“, titelte das ‚Personalmagazin’ schon in seiner Ausgabe 03/2010 und stellte fest, dass sich zwar der Anteil von Unternehmen, die familienfreundliche Angebote an Mitarbeiter machen, deutlich erhöht hat, diese jedoch vielfach gar nicht genutzt würden.ii Die ‚Führungskräftestudie 2009’ der Haufe-Akademieiii kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass obwohl 92 % der Befragten sagen, dass sie eine ausgeglichene Work-Life-Balance als wichtige Eigenschaft einer Führungskraft sehen, aber nur 43 % entsprechende Angebote auch nutzen. Als eine Erklärung für dieses Phänomen wird der Umstand genannt, dass es bislang im Top-Management kaum Vorbilder gibt, die jüngeren Führungskräften Mut machen könnten, ihr Leben trotz des Wunsches nach Karriere konsequent auf mehr Familienorientierung auszurichten. Noch immer existiert in den Köpfen die Angst, als Teilzeitkraft schnell aufs Abstellgleis zu geraten bzw. dass eine wirkliche ‚Karriere‘ nur unter der Voraussetzung möglich ist, dafür auch zeitlich einen sehr hohen Einsatz zu bringen. Es scheint, dass niemand, der Karriere machen will, sich traut, Maßnahmen zu nutzen, die von Unternehmen angeboten werden. Zu groß ist die Sorge vor dem negativen Image bei den Kollegen oder einem ‚Karriereknick’.
Es ist also zunächst ein Bewusstseinswandel notwendig, durch den sich die Einstellung breitmacht, dass die Führungskraft selbst, der Arbeitgeber, die Familie und auch die Mitarbeiter (also eigentlich alle) davon profitieren, wenn sich eine Führungskraft entschließt, einen Teil ihrer ‚Arbeitszeit’ in das Familienleben einzubringen.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es durchaus Parallelen gibt zwischen dem ‚Managen’ eines Haushaltes/dem Erziehen von Kindern und dem Managen einer Abteilung/dem Führen von Mitarbeitern, so wird deutlich, dass diese beiden Lebensbereiche ohnehin nicht so scharf getrennt betrachtet werden sollten, wie das bislang der Fall ist.
Die Gemeinsamkeiten der beiden genannten Bereiche aufzuzeigen, ist mein Anliegen in diesem Buch. Ich bin durch meine eigenen beruflichen Tätigkeiten darauf gekommen, dass Kindererziehung und Mitarbeiterführung viel enger zusammen hängen, als man gemeinhin glaubt.
Mehr als 10 Jahre habe ich als Psychologin für eine Personalberatung gearbeitet. Eines meiner Aufgabengebiete war es zu beurteilen, wie Menschen sich als Führungskräfte verhalten und welche Auswirkungen das auf ihre Mitarbeiter hat. Dahinter steht natürlich die Frage, welche Art von Führungsverhalten bestimmte Mitarbeiter dazu bringt, sich so zu verhalten, wie es die Unternehmensführung gern hätte und wie es in einer bestimmten Situation notwendig ist. Wenn es beispielsweise in einer Führungsfunktion notwendig ist, bestimmte Umstrukturierungen vorzunehmen, Entlassungen durchzuführen und anschließend die verbliebenen, verunsicherten Mitarbeiter zu beruhigen und zu einer ‚schlagkräftigen’ Mannschaft zusammenzuführen und zu motivieren, so erfordert dies unter anderem ein hohes Maß an Konsequenz und Zielorientierung, aber auch Einfühlungsvermögen und zwischenmenschliches Geschick. Diese Eigenschaften gilt es, im Rahmen der Begutachtung zu thematisieren und einzuschätzen, inwieweit sie bei einem Kandidaten ausgeprägt sind oder nicht.
In den Jahren 1996 bis 1999 habe ich als psychologische Sachverständige für Familien- und Vormundschaftsgerichte in Berlin und Brandenburg gearbeitet. Hier ging es unter anderem um die Erziehungsfähigkeit von Eltern, die beurteilt werden musste, weil das Verhalten der Mütter und Väter und sein Einfluss auf das ‚Kindeswohl’ infrage stand. Beispielsweise sollte einmal die Frage beantwortet werden, ob es eher im Interesse der drei- und fünfjährigen Kinder (beides Jungen) sei, wenn sie beim Kindesvater lebten und von ihm erzogen würden, weil die alleinstehende Kindesmutter mit der Erziehung der Kinder (laut Jugendamt) überfordert schien. Oder ob das Erziehungsverhalten des Vaters (er galt als streng, hatte kurz nach der Geburt des zweiten Kindes sein Coming-out als Homosexueller und lebte inzwischen mit einem Mann zusammen) weniger geeignet wäre, dem Wohle der Kinder zu dienen. Oder aber ob es sinnvoll wäre, die Kinder zu trennen und nur den älteren Jungen (der eine engere Beziehung zum Vater hatte als der jüngere Sohn) zu ihm zu schicken. Besondere Anforderungen an das Erziehungsverhalten der Eltern waren hier also ebenfalls gefordert. Vor allem Konsequenz, aber auch ein besonders hohes Maß an Einfühlungsvermögen, da es darum ging, zwei verunsicherte Kinder zu verstehen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen.
Mir wurde irgendwann bewusst, dass es ziemlich viele Überschneidungen gibt zwischen den beiden Fragestellungen. Ich habe begonnen, dem etwas genauer auf den Grund zu gehen. Das Ergebnis ist das vorliegende Buch.
3 Was sagt die Wissenschaft?
Vergleicht man die Führungsforschung und die erziehungswissenschaftliche Forschung, so finden sich erstaunlich viele Gemeinsamkeiten. Nicht nur die Forschungsmethoden haben sich in beiden Fächern analog entwickelt. Es hat eine Entwicklung weg von einer qualitativen Forschungstradition hin zur empirischen Sozialforschung stattgefunden, welche die Überzufälligkeit des Auftretens einer Beobachtung/eines Ereignisses in den Mittelpunkt der Beweisführung rückt.
Aber auch inhaltlich existieren viele Parallelen. Bei näherer Überlegung sind diese so überraschend nicht, haben wir es doch in beiden Fällen mit zwischenmenschlichen Interaktionsprozessen zu tun. Außerdem besteht zwischen dem ‚Führer‘ und dem ‚Geführtem‘ auf der einen Seite und dem Erzieher und seinem ‚Zögling’ auf der anderen Seite eine ähnlich asymmetrische Beziehung. Diese Beziehungskonstellation beinhaltet ein Machtgefälle. Der Lehrer wie auch die Führungskraft besitzt disziplinarische Befugnisse gegenüber dem Schüler bzw. dem Mitarbeiter.
3.1 Parallelen in Geschichte und Entwicklung
zweier Forschungsgebiete
3.1.1 Die Wurzeln: Der Sozialpsychologe: Kurt Lewin (1890–1947)iv
Man kann Kurt Lewin als den ‚Vater‘ der Führungs-, aber auch der Erziehungsstilforschung bezeichnen. Er und seine Kollegen Lippit und White haben 1938 die Auswirkungen unterschiedlicher Führungsstile auf eine Gruppe von Kindern in einem wichtigen Experiment untersucht. In diesem Experiment wurde untersucht, wie sich unterschiedliche Führungsstile auf das Verhalten 10-jähriger Jungen in einem Jugendcamp auswirkten. Folgende drei Führungsstile wurden unterschieden:
- Autoritärer Stil,
- Demokratischer Stil und
- Laissez-faire-Stil
3.1.2 Noch heute in aller Munde: Stil-Konzepte
Es geht also um sogenannte ‚Stil-Konzepte’, d. h. es wird angenommen, dass Führungskräfte und Erziehungspersönlichkeiten einen bestimmten ‚Stil’ in ihrem Handeln haben. Die Stile von Lewin lassen sich folgendermaßen beschreiben:
Ein autoritärer Führer trifft alle Entscheidungen selbst und allein, er bestimmt, wer welche Tätigkeiten durchführt, verteilt Lob und Tadel nach eigenem Gutdünken usw. Bei demokratischer Führung werden alle wichtigen Fragen in der Gruppe diskutiert und die Gruppe trifft die Entscheidungen. Lob und Tadel werden nach sachlichen und objektiven Kriterien angewendet. Die Laissez-faire-Führung kann kaum als Führung bezeichnet werden, denn sie besteht im Wesentlichen darin, dass der Führer nie eingreift, es sei denn er wird dazu aufgefordert oder um seine Meinung gefragt.
Die Forscher stellten fest, d...