Im Giftstrom
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Im Giftstrom

  1. 113 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Im Giftstrom

Über dieses Buch

"Im Giftstrom" (auch "Das Ende der Welt"; im Original: "The Poison Belt") ist ein 1913 erschienener Roman des britischen Schriftstellers Sir Arthur Conan Doyle. Im Zentrum der Erzählung steht eine herannahende Giftwolke, die das Ende der Menschheit ankündigt.Diese zweite Folge der "Challenger Stories" gehört zu den früheren Science-Fiction-Romanen in englischer Sprache, greift jedoch zugleich auch Elemente des Abenteuerromans auf. Verbreitete deutsche Titelalternative ist "Das Ende der Welt".

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Information

I. Die Linien verschwimmen.

Ich fühle mich bewogen, diese ganz erstaunlichen Ereignisse jetzt sofort niederzuschreiben, solange ihre Einzelheiten noch frisch in meinem Gedächtnis ruhen, ohne bereits vom Strom der Zeit verwischt worden zu sein.
Als ich vor einigen Jahren in den Spalten der »Daily Gazette« die sensationelle Reise beschrieb, durch die Professor Challenger, Professor Summerlee, Lord John Roxton und ich in eine so merkwürdige Gegend Südamerikas verschlagen wurden, habe ich es mir allerdings nicht träumen lassen, daß ich jemals in die Lage kommen würde, von einem weit seltsameren Erlebnis zu berichten, einer Sache, die sich über alle bisherigen Geschehnisse der menschlichen Geschichte berghoch erhebt. Das Ereignis an sich ist, wie gesagt, wunderbar, die Art und Weise jedoch, wie wir vier zur Zeit dieser Episode zusammenkamen und sie nun als Beobachter miterleben konnten, wurde ganz einfach und logisch herbeigeführt. Ich will mich nun bemühen, alle Umstände, die vorhergingen, so kurz und deutlich wie möglich zu erklären, obwohl ich ganz gut weiß, daß dem Leser die ausführlichste Mitteilung am willkommensten wäre. Das öffentliche Interesse für diese Angelegenheit hat ja bekanntlich noch immer nicht nachgelassen.
Es war also an einem Freitag (jenem siebenundzwanzigsten August, der für immer denkwürdig in der Weltgeschichte sein wird), als ich mich in die Redaktion meiner Zeitung begab, um von Mr. Mac Ardle, dem Leiter der Abteilung »Neuigkeiten«, einen dreitägigen Urlaub zu erbitten. Der biedere alte Schotte schüttelte den Kopf, kraute sich nachdenklich die flaumigen Reste seines rötlichen Haares und kleidete seine Abneigung gegen eine Gewährung meines Ersuchens in die Worte:
»Sehen Sie, Mister Malone, wir hätten gerade in den nächsten Tagen etwas ganz Besonderes für Sie gehabt, eine Sache, sage ich Ihnen, die ganz einfach nur Sie so durchführen können, wie sie eben durchgeführt werden soll«
»Das tut mir wirklich leid«, erwiderte ich und versuchte, meine natürliche Enttäuschung nach Möglichkeit zu verbergen, »selbstverständlich, wenn Sie mich brauchen, ist ja die Sache erledigt. Allerdings wäre meine Angelegenheit dringend – und wenn es also doch irgendwie möglich wäre, daß ich entbehrt werden könnte –«
»Es geht leider absolut nicht.«
Das war bitter, aber ich mußte eben gute Miene zum bösen Spiel machen. Schließlich hätte ich vom Anfang an wissen müssen, daß ein Journalist niemals auf eigene Faust über sich und seine Zeit verfügen kann.
»Dann werde ich mir die Sache aus dem Kopfe schlagen«, sagte ich so heiter, als es mir in meiner Stimmung möglich war. »Was für eine Aufgabe hätten Sie denn für mich?«
»Ich möchte, daß Sie diesen Teufelskerl da drunten in Rotherfield interviewen.«
»Wie – Sie meinen doch nicht etwa gar Professor Challenger?« rief ich.
»Gerade ihn meine ich – natürlich. Er hat vorige Woche den jungen Alex Simpson vom ›Courier‹ beim Kragen und an den Hosenträgern erwischt und ihn so eine Meile lang hinter sich über die Landstraße hergeschleift. Sie werden ja wohl im Polizeibericht darüber gelesen haben. Unsere Jungens würden ebenso gern einen aus dem Zoo entwischten Alligator interviewen. Sie sind der einzige Mensch, der das machen könnte – Sie, der langjährige Freund dieses Krokodils.«
»Ah!« sagte ich erleichtert, »das vereinfacht die die Sache bedeutend. Ich wollte Sie nämlich um Urlaub bitten, um Professor Challenger zu besuchen. Es kommt jetzt der Jahrestag eines ganz besonderen Abenteuers, das wir vier zusammen erlebt haben und da bat er uns alle eingeladen, ihn zu besuchen und mit ihm den Tag zu feiern.«
»Famos!« rief Mac Ardle, indem er sich die Hände rieb und mich durch seine Brillengläser freudestrahlend anfunkelte. »Dann werden Sie ja genug des Interessanten aus ihm herausbringen können. Wäre er nicht er, würde ich alles für leeres Geschwätz halten, aber der Mann hat schon einmal in einem ähnlichen Falle Recht behalten und wer weiß, was diesmal wieder eintreten kann.«
»Was soll er mir denn so Besonderes mitteilen?« fragte ich, »was ist denn geschehen?«
»Ja, haben Sie denn nicht seinen Brief über die ›Wissenschaftlichen Möglichkeiten‹ in den heutigen ›Times‹ gelesen?«
»Nein.«
Mac Ardle tauchte unter den Tisch und fischte eine Zeitung vom Fußboden auf.
»Bitte, lesen Sie laut«, sagte er, indem er mich auf eine Stelle hinwies. »Denn ich weiß nicht, ob ich alles genau verstanden habe und würde es gerne noch einmal von Ihnen hören.«
Ich las also folgendes vor:
»Wissenschaftliche Möglichkeiten.«
Geehrter Herr!
Mit stillem Ergötzen, dem jedoch auch einige weniger schmeichelhafte Empfindungen beigemengt waren, habe ich den außerordentlich selbstzufriedenen und außerordentlich albernen Brief des James Wilson Mac Phail gelesen, den Sie kürzlich in Ihrem Blatte brachten und der das Verschwimmen der Frauenhoferschen Linien in den Spektren der Planeten wie auch der Fixsterne behandelte. Jener Herr bezeichnet die Sache als völlig belanglos. Ein etwas schärferer Verstand allerdings würde dieser Erscheinung besondere Bedeutung beimessen, da sie letzten Endes das Wohl und Wehe aller Lebewesen berühren kann. Ich kann ja wohl nicht damit rechnen, daß es mir möglich sein würde, mit wissenschaftlichen Fachausdrücken das Verständnis jener geistig abgestumpften Kreise zu erreichen, welche gewohnt sind, ihr Wissen aus den Spalten einer Tageszeitung zu schöpfen. Ich will es daher versuchen, mich dem beschränkten Fassungsvermögen eben dieser Kreise anzupassen und die Sachlage durch ein handgreifliches Beispiel zu illustrieren, das sich wohl innerhalb der Verstandesgrenzen Ihrer Leser bewegen wird.«
»Ein unglaublicher Kerl!« rief Mac Ardle aus, »Der könnte selbst das Gefieder einer neugeborenen Turteltaube zum Sträuben bringen und in der sanftesten Quäkerversammlung einen Aufruhr provozieren. Nun begreife ich auch, daß ihm der Boden Londons zu heiß geworden ist. Schade, Mister Malone, denn er ist wirklich ein bedeutender Kopf. Nun, jetzt wollen wir einmal den Vergleich hören.«
Ich fuhr fort:
»Nehmen wir an, daß ein kleines Bündel miteinander verknüpfter Korke durch den Atlantischen Ozean in einer langsamen Strömung dahintreibt. Tag für Tag schwimmen die Korke unter stets gleichmäßigen Verhältnissen langsam weiter. Hätten diese Korke einen ihnen angemessenen Verstand, so würden sie wahrscheinlich überzeugt sein, daß dieser Zustand der Dinge ewig gleichbleibend ist. Wir aber, mit unserem so überlegenen Fassungsvermögen, wissen, daß sich vielleicht etwas ereignen kann, worauf die Korke nicht gefaßt sind. So könnten sie an ein Schiff oder einen schlafenden Walfisch treiben oder sich in Seetang verwickeln. Letzten Endes aber müßte ihre Reise damit enden, daß die Korke irgendwo an die Felsküste Labradors geworfen werden würden. Aber sie ahnen nichts von all dem, da Sie doch so sanft und gleichmäßig Tag für Tag in einem, wie sie annehmen, unbegrenzten und ewig gleichmäßigen Ozean weiterschwimmen.
Ihre Leser werden vielleicht schon begreifen, daß ich in diesem Gleichnis mit dem Ozean den unendlichen Äther meine, durch den wir treiben und daß die zusammengebundenen Korke das kleine, unbedeutende Planetensystem darstellen sollen, welchem wir angehören. Eine Sonne dritten Grades, mit einem Pack von unbedeutenden Satelliten hinterher, treiben wir unter stets gleich scheinenden Verhältnissen einem unbekannten Ende zu, einer ganz abscheulichen Katastrophe, die uns in den äußersten Grenzen des Raumes ereilen wird, wo wir über einen Äther-Niagara hinabstürzen oder an einem unsichtbaren Labrador zerschellen werden. Ich teile den seichten und unwissenden Optimismus Ihres Korrespondenten James Wilson Mac Phail keineswegs, sondern glaube vielmehr, daß es geboten wäre, eine Veränderung unserer kosmischen Umgebung, welche schließlich unser aller Schicksal bedeuten kann, auf das Genaueste zu erforschen.«
»Mensch, das wäre doch ein fabelhafter Prediger geworden«, meinte Mac Ardle. »Seine Worte dröhnen wie eine Orgel. Aber sehen wir weiter, was ihm eigentlich solche Sorgen bereitet.«
»Das Verschwimmen und Verschwinden der Frauenhoferschen Linien im Spektrum weist meiner Ansicht nach auf eine Veränderung im Kosmos bin, eine Veränderung von ganz besonderer Art. Das Licht der Planeten ist bekanntlich der Reflex des Sonnenlichtes. Das Licht der Fixsterne hingegen strömt aus ihnen selbst hervor. Nun zeigt gegenwärtig sowohl das Spektrum der Planeten wie das der Fixsterne dieselbe Veränderung. Kann der Grund hiezu wirklich an allen diesen Planeten und Fixsternen selbst liegen? Das hatte ich für ausgeschlossen. Von welcher gemeinsamen Veränderung sollten sie plötzlich alle befallen worden sein? Oder ist vielleicht der Grund eine Veränderung der Erdatmosphäre? Das wäre eventuell möglich, ist jedoch nicht wahrscheinlich, da wir hiefür kein sichtbares Anzeichen haben und diesbezügliche chemische Analysen ergebnislos geblieben sind. Was gibts also für eine dritte Möglichkeit? Eine Veränderung in dem so unendlich feinen Äther, dem lebenden Medium, das Stern mit Stern verbindet und das ganze Weltall ausfüllt. Tief unten in diesem Ozean treiben wir in langsamer Strömung dahin. Ist es nun nicht möglich, daß diese Strömung uns in Ätherzonen führt, welche uns neu sind und Eigenschaften besitzen, von welchen wir nie etwas erfahren haben? Irgend eine solche Veränderung im Äther dürfte vorhanden sein, die kosmische Veränderung des Spektrums spricht dafür. Dieser Umstand kann günstig für uns sein, kann Gefahren für uns bergen und kann drittens mit keinerlei Wirkung für uns verbunden sein. Wir wissen vorläufig gar nichts darüber. Einfältige Beobachter mögen die ganze Angelegenheit als unbedeutend abtun, jemand aber, der wie ich, einen doch etwas schärferen Verstand besitzt, muß begreifen, daß die Möglichkeiten, die im Weltall ruhen, unbegrenzt sind und daß der am klügsten ist, der stets auf Unvorhergesehenes vorbereitet ist. Um nun mit einem augenfälligen Beispiel zu kommen: Wer kann beweisen, daß jener allgemeine Ausbruch einer geheimnisvollen Krankheit bei den eingeborenen Stämmen Sumatras, von dem Ihrem Blatte gerade am selben Morgen berichtet wurde, nicht irgendwie im Zusammenhange mit jener angenommenen kosmischen Veränderung steht, auf welche eben diese Völker früher reagieren mögen, als die komplizierteren Europäer? Das wäre eine Frage, die sich derzeit weder mit Ja noch mit Nein beantworten läßt. Immerhin wäre derjenige, der nicht begreifen würde, daß die wissenschaftliche Möglichkeit hiezu tatsächlich vorhanden ist, in der Tat ein ganz unverbesserlicher Dummkopf.
Mit Hochachtung
George Eduard Challenger.
The Bruars, Rotherfield.«
»Das ist doch wirklich ein fabelhaft anregender Brief«, meinte Mac Ardle gedankenvoll und steckte sich eine Zigarette in die lange Glasröhre, die ihm als Zigarettenhalter diente. »Was denken Sie darüber, Mr. Malone?«
Zu meiner Beschämung mußte ich gestehen, daß ich über die fragliche Angelegenheit nicht das Geringste wußte. Was vor allem waren Frauenhofer'sche Linien? Mac Ardle hatte sich mit Hilfe unseres wissenschaftlichen Redakteurs über die Sache informiert und entnahm seinem Schreibtisch zwei jener vielfarbigen Spektralbänder, welche Dinger große Ähnlichkeit mit den Kappenbändern eines jungen, ehrgeizigen Kricketklubs aufwiesen.
Mac Ardle zeigte mir nun gewisse schwarze Linien, die quer über die Parallelreihen der Farben – rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett – liefen.
»Diese dunklen Streifen hier sind eben die Frauenhofer'schen Linien«, sagte er. »Die Farben zusammen sind das Licht selbst, jedes Licht, das Sie durch ein Prisma spalten, ergibt diese Farben. Und zwar immer dieselben. Die Farben sind also nicht das Bedeutende. Bestimmend sind die Linien, denn sie verändern sich je nach dem Ursprungskörper des Lichtes. Diese Linien sind es, die, sonst völlig klar, in der letzten Woche verschwommen sind und alle Astronomen können wegen der Ursache nicht einig werden. Hier haben Sie eine Photographie dieser verschwommenen Linien. Wir bringen das Bild morgen heraus. Bisher hat ja das Publikum sich nicht dafür interessiert, doch jetzt wird es durch den Brief Challengers in den ›Times‹ meiner Meinung nach ziemlich aufgerüttelt werden.«
»Und was ist mit Sumatra?«
»Das ist allerdings ein weiter Weg – von den verschwimmenden Linien im Spektrum zu den kranken Eingeborenen in Sumatra. Aber Challenger bat uns schon einmal bewiesen, daß seine Behauptungen Hand und Fuß haben. Dort unten ist also eine Krankheit ausgebrochen, welche die merkwürdigsten Wirkungen auf die Eingeborenen mit sich bringt. Dazu kommt, daß nach einer soeben eingetroffenen Kabelmeldung aus Singapore die Leuchtfeuer in der Sundastraße plötzlich erloschen sind. Die Folge davon war, daß dort natürlich sofort zwei Schiffe an der Küste aufgelaufen sind. Das alles zusammen ist jedenfalls genug Material für Sie, um Challenger zu interviewen. Und wenn Sie wirklich etwas aus ihm herausbringen, schicken Sie uns eine Spalte für das Montagblatt.«
Ich verabschiedete mich von Mac Ardle. Huf der Treppe hörte ich, wie man vom Wartezimmer aus meinen Namen rief. Es war ein Telegraphenbote, der mir eine Depesche brachte, welche man mir von meiner Wohnung in Streatham nachgeschickt hatte.
Das Telegramm kam eben von jenem Manne, über den wir gerade gesprochen hatten und lautete:
malone 17 hill street streatham
mitbringet sauerstoff challenger.
»Mitbringet Sauerstoff?!« Ich erinnerte mich, daß der Professor den Humor eines Mammuts besaß, der ihn oft zu den plumpsten und unerquicklichsten Kapriolen veranlaßte. Sollte das vielleicht einer jener Scherze sein, die ihn dann stets derart in brüllendes Gelächter ausbrechen ließen, daß seine Augen völlig verschwanden – aus dem einfachen Grunde, weil er nach solchen Scherzen dermaßen lachte, daß von seinem Antlitze nichts zu sehen war als ein riesig aufgesperrter Rachen und ein wackelnder, buschiger Bart. Wobei ihn die ernsten und unbeweglichen Mienen seiner Umgebung nie im geringsten aus der Fassung bringen konnten.
Ich las immer wieder, ohne jedoch ein Kennzeichen dafür zu finden, daß es sich hier tatsächlich um einen Scherz handle. Es mußte also doch ein ernst zu ...

Inhaltsverzeichnis

  1. I. Die Linien verschwimmen.
  2. II. Der Giftstrom.
  3. III. Von der Flut ergriffen.
  4. IV. Das Tagebuch eines Sterbenden.
  5. V. Die tote Welt.
  6. VI. Auferstehung.
  7. Impressum