Jenseit des Tweed: Schottlandreiseberichte von Theodor Fontane
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Jenseit des Tweed: Schottlandreiseberichte von Theodor Fontane

Bilder und Briefe aus Schottland

  1. 265 Seiten
  2. German
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Jenseit des Tweed: Schottlandreiseberichte von Theodor Fontane

Bilder und Briefe aus Schottland

Über dieses Buch

Theodor Fontanes Buch 'Jenseit des Tweed: Schottlandreiseberichte' nimmt den Leser mit auf eine faszinierende literarische Reise durch die schottische Landschaft. Fontane beschreibt die raue Schönheit der schottischen Natur und fängt die Atmosphäre der Highlands auf eindrucksvolle Weise ein. Sein literarischer Stil ist geprägt von einer eleganten Sprache und einer feinen Beobachtungsgabe, die es dem Leser ermöglicht, sich in die beschriebenen Szenen hineinzuversetzen. Das Buch ist ein Meisterwerk der Reisebeschreibung und zeigt Fontanes Talent, sowohl landschaftliche Details als auch historische Hintergründe kunstvoll miteinander zu verweben. Theodor Fontane, als deutscher Schriftsteller und Journalist, war bekannt für seine präzisen Charakterstudien und seine detailreichen Beschreibungen. Seine Reiseberichte über Schottland zeugen von seinem Interesse an fremden Kulturen und seiner Fähigkeit, sich in verschiedene Lebenswelten einzufühlen. Fontanes persönliche Begeisterung für Schottland und seine Liebe zum Reisen kommen in diesem Buch deutlich zum Ausdruck. Durch seine genaue Beobachtungsgabe und seine lebendige Schreibweise gelingt es ihm, den Leser in die Welt des schottischen Hochlands zu entführen. 'Jenseit des Tweed: Schottlandreiseberichte' ist ein literarisches Juwel, das sowohl Reiseliebhaber als auch Literaturbegeisterte begeistern wird. Fontanes detaillierte Beschreibungen und sein einzigartiger Blick auf Schottland machen dieses Buch zu einem unverzichtbaren Werk für alle, die sich für die Schönheit der Natur und die Faszination des Reisens interessieren. Lassen Sie sich von Theodor Fontanes Meisterwerk entführen und entdecken Sie die Magie der schottischen Landschaften.

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Information

High-Street und Canongate

Inhaltsverzeichnis
Ich habe in einem früheren Kapitel bereits den Leser durch Canongate und High-Street geführt, vor allem in der Absicht, die Erscheinung und das Treiben der alten Straße als ein Totalbild auf ihn wirken zu lassen. Wir sind dabei, um unsern Gang von Holyrood-Palace bis Edinburg-Castle nicht allzu oft zu unterbrechen, an verschiedenen Plätzen von historischem Interesse vorübergegangen und wollen deshalb in diesem Kapitel eine Art Nachlese halten. Wir beginnen mit
1. Moray-House
Auf der langen Linie von Holyrood-Palace bis Edinburg-Castle ist kein Haus besser erhalten und wohnlicher in seiner Erscheinung als Moray-House. Höhere und auch jetzt noch imponierendere Gebäude ziehen sich in Menge zu beiden Seiten der High-Street entlang, aber sie gleichen einer meistbietend verkauften alten Wanduhr, deren Gehäuse jetzt als Wandschrank für arme Leute dient, während Moray-House, um im Vergleich zu bleiben, der Rokokopendüle im Zimmer des Sammlers entspricht.
Moray-House ist ungefähr 200 Jahre alt; es besteht aus einem Hause und einem Nebengebäude, jenes für die Herrschaft, dieses für die Dienstleute. Beide liegen in gleicher Linie, haben beide den Blick auf Canongate hinaus, aber keinen Ausgang auf die Straße. Die Türen befinden sich seitwärts und münden auf den gemeinschaftlichen hofartigen Zwischenraum, der zwischen den beiden Häusern liegt. Dieser hofartige Zwischenraum hat nach vornhin eine Feldsteinmauer und in der Mitte derselben eine torartige Einfahrt. Es ist vorzugsweise diese Einfahrt, die dem ganzen Hause einen besonderen Charakter leiht; sie besteht nämlich aus ziemlich niedrigen, nur wenig über die Mauer erhobenen Steinpfeilern, auf denen sich unverhältnismäßig hohe Obelisken erheben, in ihrer völligen Zuspitzung unseren alten schindelgedeckten Kirchturmspitzen, wie wir ihnen so oft in den Dörfern der Mark begegnen, nicht unähnlich. Über die Mauer hinweg hat man einen teilweisen Einblick in die kostbaren Gärten, die sich hinter dem Hause ausdehnen, Anlagen, die jetzt freilich durch größere Schöpfungen der Art vielfach übertroffen sind, früher aber eine Sehenswürdigkeit von Edinburg bildeten.
Was indessen dem alten Moray-House seine eigentliche Bedeutung gibt, knüpft sich weder an seine Gärten noch an seine Obelisken, sondern an den eisernen Balkon, der sich an den vier Fenstern der Beletage entlang zieht. Die Geschichte, die sich hier zutrug, ist folgende.
Die puritanische Sache hatte triumphiert, die Königlichen unter Montrose waren geschlagen. Auf denselben Heiden, auf denen wenige Jahre zuvor der siegreiche Montrose den puritanischen Grafen von Argyle gejagt hatte, jagten jetzt die Leute Argyles den umherirrenden Montrose. Argyle selbst war in Edinburg, jeder Tag konnte die Nachricht bringen vom Tode oder von der Gefangennahme seines Gegners; der Sieg war da, und Freude und Hochzeit sollte diesen Sieg beschließen. Die Häuser Moray und Argyle, seit langer Zeit befreundet und derselben Sache dienend, kamen überein, die alten Bande durch ein neues, engeres Band zu befestigen.
Es war am 11. Mai 1650, als Archibald, ältester Sohn des Grafen von Argyle, mit seiner Braut, der Tochter des Grafen von Moray, zum Altare trat. Die Hochzeit wurde in Moray-House gefeiert; Festlichkeit folgte auf Festlichkeit; die ganze Stadt nahm teil an der Freude beider Häuser. Die Festlichkeiten waren eben auf ihrer Höhe, als die Nachricht durch die Stadt lief, Montrose sei gefangen und werde eingebracht. Fast gleichzeitig mit der Nachricht kam er selbst. Man hatte ihn in Leith auf eine abgetriebene alte Mähre gesetzt, um ihn in diesem erniedrigenden Aufzuge durch die Straßen Edinburgs zu führen. Er hielt jetzt am Eingange von Canongate. Dem Haß des Pöbels aber genügte dieser Aufzug nicht, und eine Art Schlitten wurde herbeigeschafft, um ihn auf demselben durch die Stadt zu schleifen. Unter Hohn und Jubel ging es Canongate hinauf. Als der Zug sich Moray-House näherte, das noch in hochzeitlichem Schmucke stand, erschienen die Morays und die Argyles auf den Baikonen ihrer Fenster, um sich am Unglück des gefallenen Feindes zu weiden. Argyle murmelte Verwünschungen. Ruhig, beinahe heiter blickte Montrose zu den dichtbesetzten Balkonen auf; dem alten Argyle starb die Verwünschung auf der Lippe, seine Lady aber bog sich weit hinaus über die Brüstung und spie hinunter nach dem verhaßten Feind.
Das war 1650. Fünfunddreißig Jahre später kam wieder ein Zug die alte Straße von Edinburg hinauf und nahm seinen Weg am Moray-House vorbei. Die Royalisten hatten darauf bestanden, daß dieser Weg gewählt werde und kein anderer. An der Spitze des Zuges, neben sich den Mann mit dem Beil, schritt Archibald Graf von Argyle, derselbe, dessen Hochzeitstag (ohne sein Verschulden) in einen Tag der Rache verkehrt worden war. Sein Vater hatte längst vor ihm das Haupt auf den Block gelegt. Die alte Kirche von St. Giles umschließt die Leiber von Freund und Feind; Moray-House aber steht da wie eine Mahnung gegen den Übermut der Partei und als ein Erinnerungszeichen an den Wechsel ihrer Siege.
2. City-Cross und Old-Tolbooth
City-Cross und Old-Tolbooth, in einem früheren Kapitel bereits flüchtig genannt, befanden sich mitten in High-Street und erhoben sich rechts und links an den beiden Ecken der Nordfront von St. Giles. Old-Tolbooth war zu gleicher Zeit der nächste Nachbar des Parlamentsgebäudes, das sich, wenn auch verändert, noch diesen Augenblick im Rücken der alten, oftgenannten Kirche (St. Giles) erhebt. Zwischen diesen vier Plätzen: Parlament, Old-Tolbooth, City-Kreuz und St. Giles, herrschte ein innerlicher Zusammenhang, der dieselben in der Vorstellung des Volks fast noch näher brachte, als es durch ihre äußere Lage ohnedies geschah. Sie waren in den politischen Kämpfen des Landes die rasch aufeinander folgenden Stufen einer Leiter, der Leiter vom Leben zum Tod. Das Parlament sprach und verurteilte, die alten Mauern der Tolbooth nahmen den Verurteilten auf, und am Fuß des City-Kreuzes fiel wenig Wochen später sein Haupt, um in den Familiengewölben von St. Giles die letzte Ruhestatt und nach hundert Jahren vielleicht ein Marmorbild über dem Grabe zu finden. Ich spreche zuerst vom City-Croß.
Er bestand aus einem Postament, das eine zwanzig Fuß hohe Säule trug, die letztere wiederum mit einer Steinfigur geschmückt, die das »schottische Einhorn« darstellen sollte. Die Säule existiert noch (auf einem Landgut in der Nähe Edinburgs), Einhorn und Postament aber sind zerstört. Das letztere galt seinerzeit als eine Kuriosität und glich mehr einem hausartigen Unterbau als einem bloßen Sockel. Es war in der Tat ein achteckiger, abgestutzter, mit einer etwas vorspringenden Brüstung gekrönter Turm, der nur dadurch wieder seinen Turmcharakter verlor, daß sein Durchmesser seiner Höhe gleichkam oder sie noch übertraf. Dieser weite Durchmesser schuf um die Stelle herum, wo die Säule in den Unterbau eingelassen war, eine geräumige Plattform, die zu den mannigfachsten Zwecken benutzt wurde. Es war eine Art Schaubühne, auf der sich vor versammeltem Volk das öffentliche Leben der Stadt und bei mehr als einer Gelegenheit das des ganzen Landes abspielte. Hier erschienen die City-Herolde, um unter Trompetenschall öffentliche Erlasse und Anrufe zu verkünden, hier verlasen die puritanischen Lords ihren Protest gegen die schwächlichen Proklamationen König Karls, hier fielen die Häupter Montroses und der beiden Argyles, und hier endlich, unter dem Schwerterkreuzen seiner Hochländer, erschien Prinz Charlie an der Brüstung, um von der Edinburger Bevölkerung tausendstimmig begrüßt und zum Herrn des Landes ausgerufen zu werden. Auch Geister, echt oder unecht, bedienten sich diese Plattform, um, versteht sich zu üblicher Geisterstunde, von hier aus warnend oder ermutigend zum Volke zu sprechen. Als Jakob VI. (ich spreche in einem späteren Kapitel ausführlich darüber) im Jahre 1513 zu seinem stolzen, aber unüberlegten Kriegszuge gegen England sich anschickte, sprach, während der König in Holyrood sein letztes Nachtlager nahm, eine Geisterstimme von dieser Plattform aus in die Nacht hinein, warnte und nannte zugleich die Namen aller derer, die fallen würden, wenn seine Stimme ungehört verhallen sollte. Der erste Name war der des Königs selbst.
Aber nicht immer ging es hier gespenstisch her, und nicht immer hingen so böse Tage über Schottland wie damals, als das Blut der Argyles das Blut des beschimpften Montrose sühnen mußte; auch zu Lust und Heiterkeit, zu Gasterei und Trinkgelagen versammelten sich hier die guten Bürger von Edinburg, und die Chronik der Stadt erzählt von manchem Festmahl, das die Würdenträger der Stadt hier ihren Gästen und - sich selber gaben. Auch politische Zwecke gab es damals schon. Die Loyalität der nordischen Hauptstadt schien während der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in London gerechten Bedenken zu unterliegen, und das schlechte Gewissen des Edinburger Magistrats trieb diesen dazu, die Geburtstage der beiden ersten George mit ganz besondrem Pomp zu feiern. Eine Loyalität von gestern überschlägt sich immer in ihren Schaustellungen. Eins dieser ostensiblen Gastmähler, das wie gewöhnlich auf der Plattform des City-Kreuzes stattfand, wurde durch einen heftigen Gewitterschauer unterbrochen. Alles floh und suchte Schutz. Als die halbdurchnäßten Magistrate zu ihren Plätzen zurückkehrten, fanden sie natürlich Wasser statt Wein in ihren Gläsern. Das war zu gut, als daß der Witz der Jakobiten nicht hätte davon profitieren sollen. Eine Stuartsche Dame ließ am andern Tage folgende Verse zirkulieren:
Einstens zu Kana, als bei Tisch
Sich's um den fehlenden Wein gehandelt,
Hat der König des Himmels frisch
Alles Wasser in Wein verwandelt.
Gestern, als zu Braunschweigs Ehr'
Zechten unsre City-Prasser,
Sprach der Himmel: »Nimmermehr!«
Wandelnd ihren Wein in Wasser.
Walter Scott, der in seiner epischen Dichtung »Marmion« eine Beschreibung des City-Kreuzes gegeben und das alte Wahrzeichen dadurch für immer der Vergessenheit entrissen hat, hat einen ähnlichen und noch größeren Dienst dem alten Bau geleistet, der sich an der Südwestecke von St. Giles erhebt. Einen seiner berühmtesten Romane hat er nach dem alten Tolbooth-Gefängnis benannt, dem er dabei seine populäre Bezeichnung ließ: Das Herz von Midlothian. Woher dieser Name stammt, vermag ich nicht zu sagen. Die Grafschaft, in der Edinburg liegt, heißt bekanntlich »Midlothian«, das alte Tolbooth-Gefängnis ist aber keineswegs der Mittelpunkt oder das Herz derselben. Vielleicht mahnt der Ausdruck an Zeiten, wo Kerker und Schafott noch Haushaltsworte und nur allzuoft die Achse, das Herz waren, um das sich das Leben drehte. Dieser alte Bau, von dem jetzt, wie vom City-Croß, keine Spur mehr existiert, stand bis zum Jahre 1817 mitten in High-Street und erschwerte, die ganze Breite der Straße beinah einnehmend, die Kommunikation aufs äußerste. Dies führte endlich zu seiner Abtragung. Die Kommunikation, der man heutzutage so leicht geneigt ist, noch größere Opfer zu bringen, hat dadurch gewonnen, das Malerische des Platzes aber außerordentlich verloren. Als City-Croß und The Heart of Midlothian
Tolbooth noch standen, allerhand Buden sich an die Pfeiler von St. Giles und allerhand Kramläden an die Mauern des alten Gefängnisses lehnten, wird es hier sehr eng, sehr verworren, vielleicht auch sehr schmutzig gewesen sein, das Ganze aber muß einen fesselnderen Anblick gewährt haben als die jetzt breite Straße, an der, so hübsch sie ist, doch ihre Erinnerungen unbedingt das Hübscheste sind. Old-Tolbooth verdiente sein Beiwort »old« mit Fug und Recht. Schon zu Zeiten Maria Stuarts war es ein alter Bau. Seine früheste Bestimmung war wahrscheinlich die einer städtischen Burg, um, in den Zeiten schottischen Raubrittertums, die damals aus einer einzigen Straße bestehende Stadt gegen Überfälle der Hochländer von Norden und der Moßtrooper und Borderer (Grenzer) von Süden her zu schützen. 1561 erweitert und umgebaut, diente es von da ab bis zum Jahre 1640, wo das alte, in veränderter Gestalt noch jetzt existierende Parlamentshaus gebaut wurde, als Sessionsgebäude für die Sitzungen des Parlaments und der Gerichtshöfe. Von 1640 an sank es zu einem bloßen Gefängnis herab. Sein Äußeres muß etwas Unheimliches und durchaus die Miene von Gefangenwärter und Nachrichter gehabt haben. Alle Beschreibungen stimmen darin überein. Sein einziger Schmuck waren die Buden und Kramläden (»Krames« genannt), die zerfallen und bettelhaft, aber doch heiter und farbenbunt den alten Griesegram umlagerten. Er selber stand inmitten derselben da, grau und verräuchert, aus kleinen vergitterten Fenstern trübselig in die Welt blickend. An jeder Seite erhoben sich ein paar Treppentürme, die das zwingerhafte Aussehen des Hauses noch unterstützten, ohne seiner Schönheit irgendwie Vorschub zu leisten. Das gegenwärtig lebende Geschlecht scheint wenig oder nichts mehr von den Äußerlichkeiten des alten Baus zu wissen; man muß zu alten Bildern seine Zuflucht nehmen, wenn man sich orientieren will. Aber wenn sich auch niemand mehr kümmert um die Stelle, wo er stand, oder um die Zahl und Form seiner Türme, so lebt doch sein Name und seine Geschichte im Gedächtnis der Edinburger fort. Diese Geschichte, wie sich von selbst versteht, ist mit Blut geschrieben, aber sie hat doch auch heitere Blätter, und bei diesen wollen wir einen Augenblick verweilen.
Old-Tolbooth war immer berühmt durch die Leichtigkeit, mit der man ihm entwischen konnte. In Zeiten, wo man das Blutgeschäft im großen treibt, ist man nicht ängstlich mit Rücksicht auf den einzelnen. Findet er sich nicht selber wieder, so findet sich doch ein anderer. Der Laxheit im Verurteilen entspricht die Leichtigkeit im Entkommen. Graf Schlabrendorff (um aus moderner Blutzeit ein Beispiel zu geben) entging der Guillotine, weil seine Stiefel nicht gewichst waren. Was unsern »Kerker von Edinburg« angeht, so hatte jeder, der List und guten Willen genug besaß, mindestens eine Chance, trotz Schloß und Riegel, trotz Ketten und Gitterfenster, ihm glücklich zu entkommen. War der Gefangene aber gar reich oder vornehm, so steigerte sich diese Chance bis zur Wahrscheinlichkeit. Wenn trotzdem einzelne Grafen und Herren von Old-Tolbooth aus aufs Schafott geführt wurden, so hatte das seinen Grund darin, daß ihre ganze Sache darniederlag, daß die Freunde tot, die Anhänger zersprengt waren und daß sie, als die Führer einer geschlagenen Partei, dem Tod wie ihrem Schicksal oft wie ihrer Erlösung entgegengingen. Dies letztere gilt zumal vom Herzoge von Argyle, der hier ruhig seinen Tod erwartete.
Die Geschichten dieser Befreiungen lesen sich gut, doch paßt im ganzen auf dieselben, was von den Lustspielmotiven aller Länder und Literaturen gilt: es sind immer dieselben. Was in einem Fall die Horcher an der Tür, die Wandschränke, die Briefverwechselungen sind, das sind im andern Fall die betrunken gemachten Schließer, die Frauenkleider, die ausgestopften Puppen und vor allem die Särge, die Waschkörbe und Bücherkisten, in denen der Held der Geschichte, womöglich von seinen eignen Schergen, hinausgetragen wird. Nur eines scheint mir eine wirkliche Eigentümlichkeit des Platzes gewesen zu sein, der Schutz nämlich, den er zu verschiedenen Zeiten politisch Verfolgten gewährt hat. Old-Tolbooth wurde wider Wissen und Willen zu einem Sanktuarium. Personen, die, wenn sie unfreiwillig die Schwelle dieses Gefängnisses passiert hätten, aus demselben gewiß nur wieder geschritten wären, um straßenabwärts neben oder auf dem Postament des City-Kreuzes das Schafott zu besteigen, lebten hier unerkannt und ungestört, weil sie den Mut gehabt hatten, sich im Rachen des Löwen einzuquartieren. Robert Ferguson, bekannt durch seine hervorragende Teilnahme am Rye-House-Komplott (gegen Karl II.), lebte hier wochenlang in der Zelle eines befreundeten Schuldgefangenen, und im Einklange damit fanden hier 1746 mehrere Anhänger des Prätendenten Schutz und endliche Rettung, während englische Soldaten die Spur der in die Acht Erklärten bis weit ins Hochland hinein verfolgten. Daß solche Dinge möglich waren, zeigt am besten, wie es damals mit der Rechtspflege und vor allem mit der Gefängnisverwaltung stand. Old-Tolbooth war wie ein Hospital nach der Schlacht, wo man auch Freund und Feind ohne Auswahl durcheinander wirft, davon ausgehend, daß jeder traurig genug daran ist, dem das Los zufällt, an solchem Orte leben oder sterben zu müssen. Ein Eindringling wird nicht vermutet.
1817 wurde Old-Tolbooth niedergerissen. Edinburg verlor damit eine seiner vorzüglichsten Sehenswürdigkeiten. Wenig oder nichts mehr existiert von dem alten Bau; selbst die Stelle, wo er stand, ist bei den großen Veränderungen, die die Straße erlitten hat, nicht mehr mit vollster Genauigkeit anzugeben. Nur das alte Portal mit Tür und Vorlegeschloß ist noch vorhanden. Es wurde beim Abtragen des Gebäudes von Seiten der Stadt an Walter Scott geschenkt, der nicht zögerte, seiner romantischen Musterkarte, gemeinhin Abbotsford geheißen, auch diese Probe steinerner Romantik einzuverleiben. Dort hab' ich es später gesehen. Es macht indes in dieser Verpflanzung nur den Eindruck, den ein einzelner probeweis aufgestellter Spitzbogen in den »gotischen Höfen« des Kristallpalastes macht. Auch solche Dinge haben ein Leben; aus ihrem feuchten alten Boden gerissen, vertro...

Inhaltsverzeichnis

  1. Jenseit des Tweed: Schottlandreiseberichte von Theodor Fontane
  2. Vorbemerkung
  3. Von London bis Edinburg
  4. Johnstons Hotel. Erster Gang in die Stadt
  5. Holyrood-Palace
  6. Von Holyrood bis Edinburg-Castle
  7. Edinburg-Castle
  8. High-Street und Canongate
  9. Westbow, Grassmarket, ein paar Kapitel aus der Lynchjustiz
  10. Spukhäuser
  11. Ein Abend in High-Street
  12. Ein Gang nach St. Anthony's Chapel
  13. Linlithgow
  14. Floddenfield
  15. Von Edinburg bis Stirling
  16. StirlingCastle
  17. Loch Katrine oder das Land der »Lady of the Lake«
  18. Ein Sonntag in Perth
  19. Von Perth bis Inveness
  20. Inverness
  21. Cullodon Moor
  22. Der Letzte Hochlandshäuptling (Unserem Culloden-Führer nacherzählt)
  23. Der Kaledonische Kanal
  24. Oban
  25. Staffa
  26. Iona oder Icomkill
  27. Von Oban bis zum Loch Lomond – Rückkehr nach Edinburg
  28. Lochleven-Castle
  29. Melrose-Abbey
  30. Abbotsford