
- 170 Seiten
- German
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eBook - ePub
Über dieses Buch
"Es fällt immer leichter, die Menschenwürde zu schützen, wenn man für das Gute eintreten kann. Das Böse hingegen im Namen der Menschenwürde nicht angreifen zu dürfen, ist eine Zumutung. Um diese Zumutung kommen wir nicht herum."
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Information
1. Schwierigkeiten mit der Würde: Norm oder Tabu?
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des Nationalsozialismus hat sich der Parlamentarische Rat mit dem Grundgesetz und seinem Menschenwürdesatz auf einen Gründungstext verständigt, der die Grundrechte ganz bewusst auf ein oberstes Prinzip zurückführt, das selbst noch über diesen Rechten steht und nicht gegen sie abgewogen werden soll. Während die freie Entfaltung der Persönlichkeit dort ihre Grenzen findet, wo die Rechte anderer (oder das »Sittengesetz«) verletzt werden, während in das Recht auf freie Meinungsäußerung im Namen des Jugendschutzes oder des Rechtes der persönlichen Ehre eingegriffen werden und die Versammlungsfreiheit »durch ein Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden« kann, gilt der Würdeschutz uneingeschränkt, ohne Wenn und Aber. »Die Würde des Menschen ist unantastbar« steht über allen Dingen, auch und vor allem über der staatlichen Gewalt, die diese Würde in all ihrem Tun und Lassen zu achten und zu schützen hat.
Die herausragende Stellung des Würdesatzes folgt den völkerrechtlichen Erklärungen nach Kriegsende, der UN-Charta (1945) und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), die in ihren Präambeln jeweils den gemeinsamen »Glauben« der Völkergemeinschaft »an die Würde und den Wert der menschlichen Person« bekräftigen. Auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beginnt Artikel 1 mit einem feststellenden Würdesatz: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.« Was der erste Satz des Grundgesetzes indes deklariert, wirkt in seiner sprachgewaltigen Performanz noch wesentlich stärker, zumal es den Anfang eines Gesetzestextes und keiner bloßen Erklärung darstellt. Das Gesetz beginnt, indem dieser erste Satz vollzieht, was durch ihn erklärt wird: die Unverfügbarkeit der Menschenwürde.
Mit dieser Unverfügbarkeit müssen Staatsrechtler, die auf der Basis klarer Definitionen den normativen Gehalt des Grundgesetzes verstehen, auslegen und auf Konfliktsituationen in der Wirklichkeit anwenden wollen, Schwierigkeiten haben. Der Würdesatz steht im Grundgesetz und scheint doch in seiner Unverfügbarkeit in den Bereich des vorpositiven Rechts zu weisen, auf naturrechtliche Quellen, die das Recht aus dem Wesen des Menschen, aus seiner Würde als Vernunftwesen, begründen, oder gar, sofern man die Menschenwürde theologisch als Gottesebenbildlichkeit versteht, auf das Christentum, das Joseph Ratzinger vor dem Deutschen Bundestag als autoritative Quelle und Orientierung des aufgeklärten Rechtsstaates empfahl.1
Solche Bezüge stellen den säkularen Charakter des Staates ebensowenig in Frage wie der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes, aber sie können, auch wenn man sie nicht nach der Maßgabe Josef Isensees ausdrücklich affirmiert,2 zumindest als Symptom dafür verstanden werden, dass der säkulare Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht einholen kann.3 Ein solches Verständnis kann sich auf eine Evidenz in unserem Rechtsgefühl berufen, auf das »Erschrecken«4, das einen angesichts der Tatsache ergreifen kann, dass das positive, von Menschen gemachte Recht jederzeit für Änderungen offen ist. In vielen gesellschaftlichen Bereichen haben wir überhaupt kein Problem mit Gesetzesänderungen, so manchem Steuerzahler gehen sie nicht schnell genug; ohne Zweifel aber gibt es andere, wesentliche Gebiete, wo es sich anders verhält. Offensichtlich folgen wir bestimmten rechtlich bewehrten Verboten und Normen nicht nur, weil sie gesetzt und beschlossen worden sind. Sie besitzen eine nicht nur rein rechtlich verbindliche Geltungskraft, weshalb wir Scheu haben, sie einfach auf dem Gesetzesweg zu ändern. Bei allem, was die Menschenwürde tangiert, sind wir mit guten Gründen konservativ. Und es erscheint daher plausibel, dass um die Unverfügbarkeit des Menschenwürdesatzes zusätzlich zu ihrer Formulierung in Artikel 1 des Grundgesetzes zwei weitere Schutzzonen gezogen sind, die ihre Unantastbarkeit garantieren sollen. In Artikel 19 heißt es: »In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.« Und Artikel 79 Abs. 3 erklärt Änderungen des in Artikel 1 formulierten Menschenwürdeschutzes für »unzulässig«, was der Sprachgebrauch die »Ewigkeitsgarantie« des Grundgesetzes nennt.
Worin genau liegt nun die Schwierigkeit mit dem Würdesatz in seiner dreifach gesicherten Unverfügbarkeit? Die Antwort auf diese Frage berührt einen Begriff, der für kulturtheoretisch interessierte Philologen im anregenden Sinne problematisch, für Juristen dagegen ein von Berufs wegen äußerst heikler Grenzbegriff ist, fast schon eine Glaubensfrage und mit Sicherheit ein Punkt, wo sich die rechtspolitischen Geister zugleich scheiden und unerwartete Allianzen bilden. Etabliert die Unantastbarkeit der Menschenwürde ein Meidungsgebot, wie wir es aus der von der Völkerpsychologie des 19. Jahrhunderts begierig aufgesogenen Primitivismusforschung als Tabu kennen, ein Tabu, von dem Freud uns dann erklärt hat, dass es sich als Verhaltensmuster keineswegs mit dem aufgeklärten Wissen über die vermeintlich primitiven Kulturen erledigt, sondern gar »nicht so weit von uns abliegt«, so »daß die Aufklärung des Tabu ein Licht auf den dunklen Ursprung unseres eigenen ›kategorischen Imperativs‹ zu werfen vermöchte«?5 Mit der Antwort auf diese Frage steht viel auf dem Spiel. Während die Kulturwissenschaft relativ unbefangen davon ausgeht, dass das gesellschaftliche Zusammenleben »ohne Tabus undenkbar« ist, »weil der Einzelne ansonsten ohne implizites Wissen über Verhaltensgebote und ohne Schutz vor Verletzung seiner persönlichen Rechte leben würde«,6 kann im Rahmen der Rechtswissenschaft nicht schlicht konstatiert werden, die Menschenwürde an der Spitze des Grundrechtsteils der Verfassung sei ein Tabu. Wo das so festgestellt wird, taugt ›Tabu‹ immer schon als Kampfbegriff in einer Debatte, in der es letztlich um das Recht selbst geht. Juristen sind dazu da, Entscheidungen zu treffen und Urteile zu fällen, und sie müssen sie begründen. Die Grundlage dafür bietet das Gesetz. Beim Menschenwürdesatz geht es jedoch um eine Unverfügbarkeit signalisierende Formulierung, die dieser Grundlage ihrerseits ein Fundament geben soll. Die Gründe des Rechts wiederum zu begründen, führt Luhmann zufolge unvermeidlich in einen infiniten Regress.7 Daraus könnte man auch den Schluss ziehen, dass ein Tabu die einzige Möglichkeit darstellt, um den Höchstwert einer Verfassung zu formulieren. Der Europa- und Völkerrechtler Ulrich Haltern meint, dass Juristen gerade deshalb nichts vom Tabu wissen wollen und dazu neigen, die Gründungsakte des Rechts, den eigenen Anfang also, zu tabuisieren.8 Derrida hat das vor Jahren mystisch den »mystischen Grund der Autorität« genannt.9
Anstatt angesichts des in der Tat großen Anfangsproblems nur zu staunen, scheint mir ein differenzierender Blick auf die Debatte angebracht, der die Tabusemantik so polemische und kämpferische Züge verleiht. Es lassen sich drei Argumentationstypen unterscheiden, die ich als Tabubehaupter, Tabubrecher und Tabuskeptiker bezeichnen möchte, wobei diese Einteilung nicht trennscharf zu verstehen ist. Zwischen Tabubehauptung und Tabubruch gibt es natürlich eine systematische Verbindung, die sich exemplarisch an den Thesen von Josef Isensee beobachten lässt. Ich betrachte daher die ersten beiden Typen im Zusammenhang.
»In der Menschenwürde stößt die demokratische Gesellschaft auf ein Tabu«10, schreibt Isensee ganz klar, um von dieser Feststellung doppelten Gebrauch zu machen. Einerseits will er polemisch zum Ausdruck bringen, dass der Menschenwürdesatz in seiner tabuisierenden Unantastbarkeit zur »Denkblockade« führt und als »juristische Argumentationssperre« und »Definitionsverbot« der »Norm von vornherein die Chance praktischer Wirksamkeit« zu nehmen droht.11 Er bezieht sich damit auf die von Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat geprägte und später vielfach aufgegriffene Rede von der Menschenwürde als einer »nicht interpretierten These«12. Andererseits, nicht minder polemisch, aber durchaus affirmativ, interpretiert Isensee das Tabu der Menschenwürde als säkularen Restbestand ehemals religiöser Vorstellungen eines heiligen Absoluten und empfiehlt, »nun auf echte Religion zurückzugehen und das Christentum zu befragen«13. Mit Joseph Ratzinger wird erklärt: »Würde bedeutet Gottesnähe«, was die »Christophobie« des Zeitgeistes sich jedoch nicht eingestehen könne.14
Entscheidend ist, was beide Polemiken historisch und systematisch verbindet, nämlich eine Leitvorstellung von Säkularisierung, in der die für die verfassungsrechtliche Kommentierung des Würdesatzes lange unwidersprochen als Reflexionsanker benutzte Moralphilosophie Kants die Schlüsselrolle spielt. Die Dürig’sche ›Objektformel‹ legt im Kommentar zum Grundgesetz fest, dass die Menschenwürde überall dort als verletzt anzusehen sei, wo »der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird«15. Dies geht auf die zweite Formulierung von Kants Kategorischem Imperativ zurück bzw. auf Kants Feststellung: »Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde«16, die das Verbot jeglichen Aufrechnens und Abwägens der Würde des Einzelnen autorisiert. Was die Juristen ›Abwägungsresistenz‹ nennen, findet hier sein Klassikerzitat. Und gegen genau diese Traditionslinie schreibt Isensee mit seiner Tabubehauptung an, die gezielt den aus ihr folgenden ›Tabubruch‹ vorbereitet. Während das Christentum Menschenwürde in der Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit begründe, könne säkulare Philosophie wie die Kants sie nur postulieren.17 Im »spätere[n] säkulare[n] Verständnis« drohe »der Begriff der Würde leerzulaufen«.18 Hier zeigt sich das Säkularisierungsnarrativ als historische Verlaufsthese einer Entsubstantialisierung. Das Christentum begründete die Substanz der Menschenwürde, seit der Aufklärung blieb davon nur mehr der Begriff. Entsprechend ist von der »Leerformel«, »Großformel« oder einem »Formelkonsens« die Rede, den es zu »entlarven« gelte.19 Ziel der Enthüllung ist, klar zu machen, dass Konfliktsituationen der Praxis mit einem in seiner Universalität und Absolutheit leeren und daher tabuartig wirkenden Begriff nicht angemessen durch juristische Entscheidungen zu bewältigen sind.
Und damit lässt Isensee die Katze aus dem Sack und zeigt, worauf diese Denkweise hinausläuft. »Aufschlussreich« sei die »Ächtung der Folter« auf der Basis eines absoluten Folterverbots, das die Folter also tabuisiere. »Das Tabu der Folter verbindet sich mit dem Tabu der Menschenwürde.«20 Rechtliches und soziales Tabu korrespondierten, heißt es an anderer Stelle.21 Isensee führt das bekannte ticking bomb scenario ins Feld: von einer Polizei, der die Drohung und Anwendung körperlicher Gewalt die einzige Chance eröffnet, das Leben einer Geisel zu retten, deren Aufenthaltsort der Geiselnehmer nicht preisgeben will. Er verweist auf das »analoge Problem«22 mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, die bekanntlich den Abschuss eines von Terroristen entführten Passagierflugzeugs zur Rettung von bedrohten Zivilisten am Boden untersagt hat. Hier habe das Gericht aus purer Prinzipienreiterei (»Denkblockade« Absolutheit!) allein auf die Menschenwürde der »ohnehin dem Tod geweihten ersten Opfer des Terrors«23 geachtet, nicht aber auf die der externen Opfer. So in Fahrt, wird dann folgerichtig auf Matthias Herdegens Neukommentierung zu Artikel 1 GG verwiesen,24 die die Abwäg...
Inhaltsverzeichnis
- Umschlag
- Titel
- Impressum
- Inhalt
- Prolog
- 1. Schwierigkeiten mit der Würde: Norm oder Tabu?
- 2. Menschenwürde als absolute Metapher – Selbstbehauptungsdrama Faust
- 3. Säkulare Auferstehung: Der Schritt zur Menschenwürde
- 4. Fortschritt als Resignationsform
- 5. Der Nomos der Neuzeit: Gewinn des freien Grundes
- 6. Faust und Mose
- 7. Würde ohne Auftritt
- 8. Kein Mitleid mit Jack Bauer
- 9. Säkulare Tabus: Glauben an die Gesellschaft204
- 10. Entsetzte Würde: Reproduzierbarkeit
- 11. Revolution oder Evolution
- 12. Ende der fatalen Sprachen: Der faustische Ödipus
- Dank
- Register
- Anmerkungen