1.Das Fundament
Im Laufe seiner Karriere hat Stephen R. Covey mit zahllosen Menschen in der Wirtschaft, an Universitäten und im familiären Bereich gearbeitet. Viele von ihnen waren von außen besehen unglaublich erfolgreich, aber innerlich verzweifelt auf der Suche nach einer harmonischen und sinnvollen Beziehung zu anderen.
1.1Von innen nach außen
Covey war von diesen Menschen fasziniert: Menschen, die ihr Privatleben für ihre Karriere aufgeopfert hatten, die sich ständig gehetzt fühlten und sich fragten, ob ihr Leben wohl einen Sinn hätte. Auch er selbst sah sich in seiner eigenen Familiensituation mit dem folgenden Problem konfrontiert: Einer seiner Söhne kam in der Schule und beim Sport nicht gut zurecht. Er musste einiges an Spott über sich ergehen lassen. Covey und seine Frau ermutigten ihn, sagten, dass er es doch schaffen könne, wenn er nur sein Bestes gäbe, und nahmen ihn anderen gegenüber in Schutz. Damit entschuldigten sie sich quasi für das Verhalten ihres Sohnes – er gab schließlich sein Bestes. Aber auf diese Weise nahmen sie ihm seine Würde. Sie vermittelten ihm das Gefühl, dass er ihrer Ansicht nach unzulänglich war.
Covey wollte verstehen, wie er seinem Sohn und all den Menschen, denen er bei seiner Arbeit begegnete, helfen konnte. Indem er sich eingehend mit dem Thema Wahrnehmung befasste und damit, was sie bei Menschen bewirkt, wurde ihm bewusst, dass die Art, wie er und seine Frau ihren Sohn sahen, das eigentliche Problem war. Durch ihre Sichtweise verstärkten sie nur sein negatives Selbstbild. Covey kam zu dem Schluss, dass er vor allem die Art und Weise untersuchen müsse, wie Menschen Situationen betrachten. Fortan ließ ihn dieser Gedanke nicht mehr los: Man muss damit beginnen, sich selbst zu ändern, wenn man eine Situation verändern will. Dies bildete einen der Ausgangspunkte seiner Forschung zu den Grundregeln eines sinnvollen Lebens.
Persönlichkeits-Ethik und Charakter-Ethik
Covey studierte alles, was in den vergangenen 200 Jahren über Erfolg geschrieben worden war, und kam so zu den sieben Wegen. In der Literatur aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg begegnete ihm vor allem die Charakter-Ethik. Wer diese Haltung verinnerlicht hat, lebt nach Prinzipien wie Integrität, Demut, Treue, Mäßigung, Mut, Gerechtigkeit, Geduld, Fleiß, Einfachheit, Bescheidenheit – und nach der goldenen Regel: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“
Nach dem Ersten Weltkrieg ergab sich eine grundlegende Verschiebung zu einer Persönlichkeits-Ethik. Erfolg wird nun an persönlicher Leistung, an Status, Verhalten und Fähigkeiten im Umgang mit anderen bemessen. Die Verschiebung von der Charakter- zur Persönlichkeits-Ethik bedeutet, dass wir uns mehr auf äußeren und kurzfristigen Erfolg konzentrieren. Infolgedessen haben wir aus den Augen verloren, was wirklicher Erfolg und Glück sind.
Covey erkannte, dass er und seine Frau das Problem ihres Sohnes durch die Brille der Persönlichkeits-Ethik betrachtet hatten. Ihr Sohn musste sich verhalten, wie es andere von ihm erwarteten: sportlich, erfolgreich, sozial. Covey wurde bewusst, dass die Brille, durch die man die Welt und die Menschen in seinem Umfeld betrachtet, bestimmt, was man sieht – und dass das, was man sieht, wiederum bestimmt, was man tut. Um seinem Sohn dabei zu helfen, sich zu ändern, mussten seine Frau und er zunächst einmal sich selbst ändern, vor allem ihre Sichtweise auf ihren Sohn. Sie mussten sich von der Persönlichkeits-Ethik lösen und sich wieder auf die Charakter-Ethik besinnen. Aus dieser Haltung heraus beschlossen sie, ihren Sohn stärker zu bestätigen und mehr wertzuschätzen. Er begann, sein Leben auf seine eigene Weise zu gestalten; sein Selbstvertrauen wuchs und er blühte auf.
Natürlich sind einige Einsichten aus der Persönlichkeits-Ethik nützlich und manchmal sogar für Erfolg unerlässlich. Man sollte beispielsweise sich selbst darstellen und einen inspirierenden Vortrag halten können. Aber auf lange Sicht funktionieren sie nicht. Um dauerhafte menschliche Beziehungen zu unterhalten und langfristig Erfolg zu erzielen, braucht man die Charakter-Ethik.
Die Macht eines Paradigmas
Die Charakter- und die Persönlichkeits-Ethik sind Beispiele für soziale Paradigmen. Ein Paradigma ist ein Bezugsrahmen, eine Art, die Welt zu betrachten, ein System von Annahmen. Diese Annahmen bestimmen unser Verhalten. Paradigmen können wir als Landkarten ansehen, die uns helfen, unseren Weg im Leben zu finden.
Angenommen, Sie wären aufgrund eines Fehldrucks gezwungen, sich mit einem Stadtplan von Berlin in Köln zurechtzufinden. Was immer Sie auch tun, Sie werden Ihr Ziel nie erreichen. Mit einer positiven Einstellung erreichen Sie höchstens, dass es Ihnen nicht so viel ausmacht. Mit anderen Worten: Wenn wir uns nicht bewusst machen, an welchen grundlegenden Paradigmen, an welcher Landkarte wir uns tatsächlich orientieren, wird unser Verhalten auf die Dauer nicht effektiv sein. Nur wenn Sie eine gute Karte haben, sind Ihr Engagement und Ihre Haltung relevant.
Covey beschreibt dies wie folgt: „Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist. Im Gegenteil: Wir sehen die Welt so, wie wir sind. […] Wir sehen das, worauf wir konditioniert sind.“ Wenn wir beschreiben, was wir sehen, beschreiben wir uns selbst. Je bewusster wir uns unserer grundlegenden Paradigmen sind, desto besser können wir sie mit denen anderer vergleichen und versuchen, unsere Sichtweise zu erweitern.
Die Macht eines Paradigmenwechsels
Thomas Kuhn hat festgestellt, dass fast jeder bedeutsame Durchbruch in der Wissenschaft einen Bruch mit traditionellen Paradigmen bedeutet. Um Fortschritte zu erzielen, ist ein neuer Bezugsrahmen erforderlich: ein Paradigmenwechsel. Dies gilt auch für Veränderungen in unserem Leben. Covey veranschaulicht dies anhand einer Erfahrung, die er in der New Yorker U-Bahn gemacht hat. Lebhafte Kinder stellten das Abteil auf den Kopf und ihr Vater unternahm nichts dagegen. Als Covey den Mann auf das Verhalten seiner Kinder ansprach, erklärte dieser, dass seine Frau, die Mutter der Kinder, in dem Krankenhaus, aus dem sie gerade kommen, gestorben sei. Auf einen Schlag ändert sich Coveys Bild der Situation und auch sein Verhalten.
„Grundvoraussetzung für eine tief greifende Veränderung ist“, so Covey, „dass wir an unseren grundlegenden Paradigmen arbeiten.“ Für kleine Verbesserungen in unserem Verhalten reicht die Persönlichkeits-Ethik aus, doch wenn wir unsere Lebensqualität wirklich verbessern wollen, müssen wir uns auf die Charakter-Ethik zurückbesinnen.
Leben nach Prinzipien
Die Charakter-Ethik geht von der Idee aus, dass ein gutes Leben nur auf grundlegenden Prinzipien beruhen kann. Wie die Schwerkraft für die Physik grundlegend ist, so sind es Prinzipien für ein gutes Leben. Ein Prinzip ist wie ein Leuchtturm. Ob für ein großes oder kleines Boot, ein Handelsschiff oder ein Kriegsschiff, der Leuchtturm hat immer dieselbe Bedeutung und Funktion. Es ist eine unerschütterliche Tatsache, ein Naturgesetz.
Für Covey sind Prinzipien grundlegend für all seine Leistungen. Immer wieder überprüft er sein eigenes Verhalten und das der anderen, um zu sehen, ob es mit den Prinzipien übereinstimmt oder nicht. Dabei achtet er auf die Nachhaltigkeit des Ergebnisses seines Verhaltens. Wenn das Ergebnis mit den Prinzipien übereinstimmt, ist es gut. Wenn nicht, ist ein anderes Verhalten erforderlich.
Covey nennt Beispiele für Prinzipien: Gerechtigkeit, Geduld, Fleiß, Einfachheit, Bescheidenheit. Die Liste lässt sich noch erweitern. Prinzipien gelten jederzeit und überall und sind nicht an eine bestimmte Religion oder Weltanschauung gebunden. Ob etwas ein gutes Prinzip ist, entscheidet Covey, indem er untersucht, ob es zur Nachhaltigkeit von Beziehungen oder Gesellschaften beiträgt. Eine Beziehung oder eine Gesellschaft, die nicht auf Gerechtigkeit basiert, ist nicht nachhaltig. Also ist Gerechtigkeit ein Prinzip.
Kann man ohne Fleiß bleibende Ergebnisse erzielen? Der vielfältigen Diät- und Fitnesswerbung zufolge schon, doch die Praxis beweist das Gegenteil. Einfachheit siegt über die Komplexität, und Manager werden nicht wegen ihrer Bescheidenheit, sondern nur wegen ihres Hochmuts entlassen. Vielleicht kennen Sie aus Ihrem Umfeld Menschen, die augenscheinlich erfolgreich sind, obwohl sie ständig gegen Prinzipien wie Gerechtigkeit oder Bescheidenheit verstoßen. Sie scheinen damit durchzukommen. Aber genau das ist es: Sie scheinen damit durchzukommen. Auf lange Sicht wird sich in all diesen Fällen zeigen, dass der Erfolg nicht von Dauer ist.
Aber beachten Sie: Prinzipien sind etwas anderes als Werte. Werte kann man selbst wählen und ändern, Prinzipien hingegen sind natürliche Gegebenheiten.
Die Prinzipien von Wachstum und Wandel
Die Persönlichkeits-Ethik ist trügerisch, sagt Covey. Wertvolle Ergebnisse im Leben mit diesem schnellen, pragmatischen Ansatz anzustreben, ist ebenso effektiv, wie – denken Sie an das Beispiel zurück – sich in Köln mit einer Karte von Berlin zurechtzufinden.
Manchmal versuchen wir, einen entscheidenden Schritt zu überspringen, um so in kürzerer Zeit mehr zu erreichen. Aber echtes Wachstum ist ein natürlicher Prozess. Denken Sie an einen Bauernhof: Man muss im Mai säen, um im Oktober zu ernten. Im September säen und im Oktober ernten zu wollen, das funktioniert nicht. Nicht einmal mit sehr harter Arbeit und einer positiven Einstellung. Sie können den erforderlichen Wachstums- und Entwicklungsprozess nicht erzwingen. Das führt zwangsläufig zu Enttäuschungen. Eine Reise von tausend Kilometern beginnt mit dem ersten Schritt. Wer beim Tennisspielen oder Klavierspielen den ersten Schritt überspringt, scheitert sofort. Jeder weiß, dass das nicht funktioniert.
Aber bei der emotionalen Entwicklung ist das für einen selbst und für andere viel schwieriger auszuloten. Mit den „Tricks“ der Persönlichkeits-Ethik lässt sich der Sc...