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Hoffnung und Widerstand im Atomzeitalter

  1. 336 Seiten
  2. German
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Hoffnung und Widerstand im Atomzeitalter

Über dieses Buch

Dieses Buch behandelt ein Thema, das jeden Menschen interessieren sollte, da es ihn und seine Angehörigen in höchstem Maße betrifft. Es geht um die Bedrohung der Existenz der Menschheit und aller noch ungeborenen Generationen durch einen atomaren Weltkrieg, der angesichts des drohenden Rückfalls in den Kalten Krieg zwischen der Nato und Russland oder zwischen den USA und Nordkorea wieder näher rückt. Wie dramatisch die Gefahr eines solchen Krieges zunimmt, kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass die "Weltuntergangsuhr" des "Bulletin of Nuclear Scientists" im Jahr 2015 von 5 auf 3 Minuten, und 2016 auf 2, 5 Minuten vor 12 vorgestellt wurde (zum ersten Mal wieder seit 1984!).Das Buch setzt sich kritisch mit dem bekannten Römerspruch "Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg" auseinander. Diese weltweit verbreitete Lehre wird als Ideologie erkannt, das heißt als eine Unwahrheit, die nur deshalb nicht als solche erkannt wird, weil die meisten Menschen sie für wahr halten. Die Behauptung, die Politik der atomaren Abschreckung sichere den Frieden wird nicht zuletzt durch die Bemerkung des ehemaligen Kommandeurs des Strategic Air Command, General George Lee Butler, widerlegt, in der Zeit des Kalten Krieges sei der atomare Holocaust nur durch eine Mischung von "Sachverstand, Glück und womöglich göttlicher Fügung" verhindert worden. Gewalt, so lautet die These dieses Buches, ist ein untaugliches Mittel der Konfliktlösung auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen, sofern das Ziel darin besteht, den Konflikt im Interesse aller Beteiligten zu lösen. Es gibt jedoch eine konstruktive Alternative zur Gewalt als Mittel der Konfliktlösung: Die gewaltfreie Aktion. Eine nüchterne Betrachtung der Weltlage kommt zu dem Ergebnis, dass ein nuklearer Holocaust auf lange Sicht wohl kaum verhindert werden kann, wohl aber auf kurze oder mittlere Sicht. Es gibt also keinen Grund zu verzweifeln, denn noch lässt sich das Eintreten dieses Ereignisses durch kluge Politik in die Zukunft hinausschieben. Und es lohnt sich allemal, Konflikte mit den Methoden der gewaltfreien Aktion auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu lösen, denn dieses Bemühen trägt seinen Sinn und seinen Wert in sich selbst.

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Information

1.Das Atomzeitalter

Wir leben in der Endzeit, schrieb der Wiener Schriftsteller und Philosoph Günther Anders vor knapp sechzig Jahren. Mit Endzeit bezeichnete er die letzte Epoche der Menschheitsgeschichte. Sie wird von zwei Eckdaten begrenzt: dem Jahr 1945, als die ersten atomaren Sprengsätze auf der Erde explodierten, und dem Jahr X, in dem ein atomarer Weltkrieg die Menschheit und womöglich alles höhere Leben auf der Erde vernichten wird. Das erste Eckdatum ist Geschichte und steht als solches unverrückbar fest.5 Das zweite Eckdatum liegt in der Zukunft und ist infolgedessen unbestimmt. Es hängt vom Handeln der Regierungen der Atommächte und der Parlamente, vom Verhalten der Wähler, in letzter Konsequenz sogar vom Verhalten jedes Einzelnen ab, wenngleich nur in mikroskopisch kleinem Ausmaß. Es hängt aber auch von Zufällen sowie von technischem oder menschlichem Versagen ab.
Günther Anders erkannte das Jahr 1945 als epochales Datum. In diesem Jahr wurde das Atomzeitalter mit drei gewaltigen Paukenschlägen eröffnet: dem ersten erfolgreichen Atombombentest in der Wüste von Alamogordo (New Mexico, USA) am 16. Juli 1945, dem drei Wochen später die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima (6. August) und Nagasaki (9. August) folgten, die insgesamt 250 000 Menschen das Leben kosteten. Wann das zweite Eckdatum, der atomare Weltkrieg, fällig ist, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass es höchstwahrscheinlich dazu kommen wird. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist, dass es im Unterschied zum erstgenannten Eckdatum, das als geschichtliches Datum unverrückbar feststeht, durch das Handeln von Menschen beeinflussbar ist: durch gedankenloses, unverantwortliches, die atomare Abschreckung befürwortendes oder duldendes Verhalten, rückt es näher, durch verantwortungsvolles, Abschreckung und Krieg überwindendes Verhalten rückt es weiter in die Ferne.
Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Die Friedenspolitik Michail Gorbatschows, die auf die Unabhängigkeitskämpfe der Völker Osteuropas, die Ostpolitik der Regierung Brandt und die Friedensbewegung der frühen achtziger Jahre aufbaute, führte zur Beendigung des Kalten Krieges und läutete eine fünfundzwanzigjährige Friedensperiode zwischen den nuklearen Supermächten USA und Sowjetunion ein. Sie wurde erst durch den Rückfall in den Kalten Krieg im Zuge der Osterweiterung der Nato und der Ukraine-Krise im Jahr 2014 beendet. Zum Ende des Kalten Krieges hat allerdings – das sollte nicht vergessen werden – die massive Wirtschaftskrise in der Sowjetunion zu Beginn der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wesentlich beigetragen. Ohne sie wäre Gorbatschow, der die Beendigung des Kalten Krieges als Ausweg aus der Krise vorschlug, wohl nie zum Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) gewählt worden.
Ein zweites Beispiel ist womöglich noch besser geeignet, meine These zu untermauern. Die Klimawissenschaftler warnen uns, dass wir durch die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas die Atmosphäre mit Kohlendioxid anreichern und auf diese Weise einen Treibhauseffekt mit katastrophalen Auswirkungen auf das Weltklima bewirken. Die Messergebnisse legen einen kausalen Zusammenhang zwischen der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Klimaerwärmung nahe. Die Erkenntnis dieses Zusammenhangs und seiner katastrophalen Folgen – Ausdehnung der Wüstengebiete der Erde, Abschmelzen der polaren Eisschilde und Anstieg des Meeresspiegels um bis zu sieben Metern und anderes mehr – stellen die Weltgemeinschaft vor schwerwiegende Entscheidungen: Weitermachen wie bisher oder versuchen, die Erwärmung des Weltklimas durch radikales Gegensteuern auf höchstens zwei Grad zu begrenzen. Die dafür nötigen Strategien zu erörtern, ist hier nicht der Ort. Mir geht es an dieser Stelle ausschließlich darum, die enge Verflechtung des Kausalitäts- und des Finalitätsprinzips aufzuzeigen. Was in der Vergangenheit liegt, steht unverrückbar fest im Unterschied zu dem, was in der Zukunft liegt. Alles Zukünftige ist durch menschliches Handeln mehr oder weniger stark beeinflussbar. Theoretisch ist es sogar möglich, nicht nur den Klimawandel, sondern auch den atomaren Holocaust zu vermeiden. Das würde allerdings eine »Umkehr zum Leben« der ganzen Menschheit voraussetzen, für die es nicht das geringste Anzeichen gibt. Im Gegenteil, alle Versuche, die Atomwaffen wieder aus der Welt zu schaffen, sind bisher gescheitert. Ihre Weiterverbreitung war in der Vergangenheit nicht zu verhindern und wird es wohl auch in Zukunft nicht sein, trotz des Nichtverbreitungsvertrags und der Bemühungen, ihn umzusetzen. Folglich ist das Schicksal der Menschheit offensichtlich besiegelt.
Vielleicht bedurfte es eines durch die beiden Weltkriege, Auschwitz und Hiroshima sensibilisierten Juden, um die volle Tragweite dieser Ereignisse zu erfassen. Wie aber kam Günther Anders darauf, das Atomzeitalter als das unwiderruflich letzte Zeitalter in der Menschheitsgeschichte zu bezeichnen?6 Seine Antwort lautete: Seit dem Jahr 1945 gibt es mit dem Wissen um die Herstellung der Bombe die Möglichkeit, die Menschheit zu vernichten. Selbst wenn es gelänge, durch internationale Verträge die Atomwaffen abzuschaffen, ihre Herstellung und Aufstellung sowie ihren Einsatz völkerrechtlich zu ächten und unter Strafe zu stellen, wird es doch niemals gelingen, das Wissen um die Herstellung dieser Instrumente des Massenmords wieder aus der Welt zu schaffen. Die Möglichkeit, dass ein Diktator vom Schlage Adolf Hitlers, Josef Stalins, Mao Zedongs oder eine Terrororganisation sich Atomwaffen verschafft, um sie als Mittel der Erpressung oder des Angriffs einzusetzen, ist damit stets gegeben, desgleichen die Gefahr, dass sich bedroht fühlende Staaten atomar aufrüsten und auf diese Weise ein Wettrüsten zwischen Nationalstaaten in Gang kommt.
Das ist aber kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Im Gegenteil. Wenn es möglich war, durch Friedenspolitik den Kalten Krieg zu beenden und damit den atomaren Holocaust um mindestens fünfundzwanzig Jahre hinauszuschieben, so ist das Grund genug, alle Kraft dafür einzusetzen, das Eintreten dieses Ereignisses ses weiter in die Zukunft zu verschieben. Hier zählt jedes Jahr, jeder Monat, jeder Tag und jede Stunde. Unsere Kinder und Enkel werden es uns danken.
Einwand Weltuntergangspropheten hat es schon viele gegeben, sie haben sich mit ihren Vorhersagen allesamt geirrt. Obwohl es seit dem Jahr 1945 zahlreiche Kriege gab, ist uns der Einsatz von Atomwaffen bis heute erspart geblieben. Diejenigen, die über den Einsatz dieser Waffen entscheiden, wissen, dass die Schäden an Mensch und Natur so verheerend wären, dass ihr Einsatz keine Sieger und Verlierer, sondern nur Verlierer kennt. Die ungewollte Eskalation eines Konflikts bis zum Atomwaffeneinsatz und die Reaktion der Weltgemeinschaft darauf wären so negativ, dass es bisher keine Atommacht wagte, noch einmal Atomwaffen in einem Krieg einzusetzen. Und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Antwort Dass der Atomkrieg bisher ausblieb, bedeutet keineswegs, dass es keine Opfer gab. Wie viele Menschen bei Unfällen und durch die bei Atombombenversuchen freigesetzte Radioaktivität umkamen, ist unbekannt und wohl auch nicht zu ermitteln. Auch dürfen wir nicht vergessen, welche gigantischen Summen die Atomrüstung verschlang. Mit diesem Geld hätte man viele hundert Millionen Menschen vor Hunger und Armut bewahren können. So gesehen, ist die atomare Rüstung, einmal abgesehen von der Wahrscheinlichkeit ihres Einsatzes, bereits heute ein Verbrechen gegen die Menschheit.
Ein Grund zur Besorgnis ist auch die Erlaubnis für alle Staaten, die Atomkraft zum Zweck der Energieversorgung zu nutzen. Die zivile und die militärische Nutzung der Atomkraft sind auf weite Strecken konform. Zwar gibt es in Gestalt der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) Vorkehrungen, die den Missbrauch der Atomenergie für militärische Zwecke verhindern sollen. Ob sich solcher Missbrauch aber auf die Dauer verhindern lässt, ist fraglich. Nordkorea und Israel beweisen, dass selbst kleine Staaten in der Lage sind, sich atomar zu bewaffnen.
Überhaupt ist zu fragen, ob eine solche Regelung nicht dem Prinzip der nationalen Souveränität widerspricht. Ist es nicht eine Anmaßung, dass einige Staaten behaupten, ein Recht auf die Nutzung dieser Energiequelle für militärische Zwecke zu haben, während anderen dieses Recht abgesprochen wird? Wer kann denn garantieren, dass diese Waffen nicht von den offiziellen oder den inoffiziellen Atomwaffenstaaten7 missbraucht werden, um ihre Interessen durchzusetzen? Gewiss ist es wünschenswert, dass diese furchtbaren Waffen nicht weiter verbreitet werden. Die logische Konsequenz wäre jedoch, dass auch die gegenwärtigen Atomwaffenbesitzer diese Waffen aufgeben, um die Gefahr der Weiterverbreitung zu vermindern und sie völkerrechtlich zu ächten, wie das bei den chemischen und bakteriologischen Waffen schon heute der Fall ist. Stattdessen ist der Atomwaffenbesitz heute zu einem Statussymbol geworden. Der Versuchung, dem »feinen Klub« der Atommächte anzugehören, werden die meisten Staaten auf die Dauer nicht widerstehen können, zumal wenn sie in zwischenstaatliche Konflikte verwickelt sind.
Zwar haben sich die fünf anerkannten Atomwaffenstaaten USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China zur nuklearen Abrüstung verpflichtet, geschehen ist jedoch nichts. In Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrags vom 1.7.1968 heißt es: »Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle.«8 Dennoch verlangen die offiziellen Atomwaffenstaaten von den Nichtatomwaffenstaaten die strikte Beachtung eines Vertrags, den sie selbst permanent verletzen!
Im Übrigen ist es prinzipiell falsch, aus der Tatsache, dass es in den Jahrzehnten seit 1945 keinen Kriegseinsatz dieser Waffen gab, zu schließen, er werde auch in Zukunft unterbleiben. Ich werde im Fortgang dieses Buches noch ausführlich darauf eingehen, wie oft die Menschheit bereits am Rand eines Atomkriegs, ja sogar eines atomaren Weltkriegs stand. Das Sprichwort sagt: »Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.« Auch der »Atomkrug« geht in Gestalt des atomaren Wettrüstens so lange zum Brunnen, bis er bricht. Es gibt folglich keine Gewissheit, dass die Menschheit vor einem Atomkrieg, womöglich sogar dem atomaren Holocaust, verschont bleibt.
Einwand Warum denn gleich den Weltuntergang an den düsteren Horizont der Zukunft malen? Es ist doch durchaus denkbar, dass ein kleiner oder mittlerer Atomkrieg – selbst wenn er einige hundert Millionen Opfer fordern sollte – die Völker zur Besinnung bringt und die völkerrechtliche Ächtung dieser Waffengattung zur Folge hätte, so wie ja chemische und bakteriologische Massenvernichtungsmittel schon heute völkerrechtlich geächtet sind.
Antwort Eine derartige Entwicklung wäre trotz der vielen Millionen Todesopfer, Schwerverletzten, Sach- und Naturschäden zu wünschen, wenn dadurch die Menschheit als Ganze gerettet werden könnte. Sie ist auch nicht völlig auszuschließen. Allein die Chancen sind gering. Die beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts und nicht zuletzt der Einsatz von Atomwaffen gegen Japan im August 1945 wären wahrhaftig Grund genug gewesen, eine radikale Kehrtwende zu vollziehen. Der Völkerbund, der nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde, um künftige Kriege zu vermeiden, hat die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. Das gilt auch für die Organisation der Vereinten Nationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen wurde, von dem Wunsch beseelt, »künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat«.9 Sie wurden von den Großmächten an die Wand gedrückt. Dass ein dritter Anlauf nach einem regional begrenzten Atomkrieg mit seinen verheerenden Auswirkungen auf Mensch und Natur anders sein soll, ist unwahrscheinlich.
Die Waffenarsenale der Atommächte sind, trotz des Abbaus von Überkapazitäten, auch heute noch randvoll. Der feine Klub der Atommächte ist von fünf auf neun Mitglieder angewachsen. Er wird wahrscheinlich auch in Zukunft weiter wachsen. Die Atommächte verhalten sich wie Drogenabhängige, die von ihrer Sucht nicht lassen können, egal welche Folgen das hat. Ein Atomkrieg zwischen den USA und Russland ist heute, angesichts des seit 2014 drohenden Rückfalls in den Kalten Krieg, wahrscheinlicher geworden, da Russland heute in einer weit schwächeren Position ist als zu Beginn des Kalten Krieges. Es wird sich daher noch früher als die Sowjetunion im Jahre 1962 oder 1983 in einer ausweglosen Lage sehen und womöglich sein Heil in einem Angriffskrieg suchen. Ein Stellvertreterkrieg, wie der in der Ukraine, kann rasch zu einem Weltbrand eskalieren. Was Kriege zwischen den übrigen Kernwaffenstaaten oder zwischen Atommächten und Nicht-Kernwaffenstaaten anbelangt, so werden sie nicht bis zur Vernichtung der Menschheit eskalieren. Doch ist selbst in einem solchen Fall eine Umkehr der Weltgemeinschaft auf dem Weg in die atomare Selbstvernichtung äußerst unwahrscheinlich.
Man ist geradezu versucht, von einer »Halbwertszeit«10 des Vergessens der Menschheit für erfahrene Leiden zu sprechen. Der Dichter Bertold Brecht hat diese Erfahrung eindringlich in dem folgenden Text zum Ausdruck gebracht:
»Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für die kommenden Leiden ist fast noch geringer. … Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.
Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.«11
Wohl wahr, bis auf das »Zerschlagen der Hände«. Ich fürchte, die Mächtigen verstehen das weit besser als unsereins. Auch stehen Dutzende Möchtegern-Herrscher bereit, an ihre Stelle zu treten. Und wer weiß, ob auf diese Weise das Unheil, das abgewendet werden soll, nicht beschleunigt wird? Das heißt aber nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen sollten. Es gibt Alternativen. Darauf werde ich zurückkommen.
Was hat sich in den 45 Jahren, die seit der Diagnose von Günther Anders, wir lebten in der Endzeit, verändert?
Die Arsenale der Atommächte sind seit dem Ende des Kalten Krieges zwar erheblich geschrumpft, aber für einen mehrfachen Overkill der Menschheit reicht das immer noch. Das in den Waffenarsenalen der Atommächte bereitliegende Zerstörungspotenzial von 7500 Megatonnen TNT12 entspricht der Waffenwirkung von 2500 Zweiten Weltkriegen oder einer Tonne Sprengstoff für jeden Menschen.13 2015 gab es noch immer 15 850 Atomsprengköpfe weltweit.14 Die beiden ehemaligen atomaren Supermächte haben eine umfangreiche Modernisierung ihrerAtomwaffenarsenale angekündigt. Der Einsatz von nur 5 Prozent aller Atomwaffen weltweit kann den gesamten Planeten unbewohnbar machen. Wir leben folglich alle unter dem Damoklesschwert der atomaren Vernichtung, das an einem Rosshaar über unseren Häuptern hängt. Die Weiterverbreitung von Atomwaffen konnte – trotz des Nichtverbreitungsvertrags von 1970 – nicht wirklich verhindert werden. Sie wird wahrscheinlich auch in Zukunft weitergehen. Auch ist damit zu rechnen, dass einige Staaten bereits heute geheime Atomwaffenprogramme betreiben. Zudem wächst die Gefahr mit jedem Tag, dass radioaktives Material (»schmutzige Bombe«) oder Atomwaffen in die Hände von Terroristen gelangen.
Die Sprengkraft von Atombomben variiert von unter einer Kilotonne bis zu 50 Megatonnen TNT, das ist das 3333fache der Hiroshimabombe. Ist die Hemmschwelle für den Einsatz von Atomwaffen auf dem Gefechtsfeld erst einmal überschritten, besteht die Gefahr, dass es auf der nuklearen Rolltreppe rasch aufwärts geht.
Die Gefahr, dass ein »Stellvertreterkrieg« außer Kontrolle gerät, ist seit der Endzeit-Diagnose von Anders noch gewachsen. Das gilt vor allem für den Konfl...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Widmung
  3. Einführung
  4. 1. Das Atomzeitalter
  5. 2. »Wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg«
  6. 3. Die Krisenherde der Welt
  7. 4. Die großen »Helden«
  8. 5. Die kleinen »Helden«
  9. 6. Deutschland auf dem Weg in den Unrechtsstaat?
  10. 7. Ideologie
  11. 8. Die kapitalistische Ideologie
  12. 9. Die kommunistische Ideologie
  13. 10. Die Alternative I
  14. 11. Die Alternative II
  15. 12. Die Alternative III: Sarvodaya/ Wohlfahrt für alle
  16. 13. Gandhis Religion, Philosophie und Ethik der Wahrheit
  17. 14. Das Christentum als religiöse Ideologie I
  18. 15. Das Christentum als religiöse Ideologie II
  19. 16. Hoffnung und Widerstand im Atomzeitalter
  20. Anmerkungen
  21. Impressum