Menschen im Rathaus
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Menschen im Rathaus

  1. 86 Seiten
  2. German
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Menschen im Rathaus

Über dieses Buch

Ein Rathaus ist ein Mikrokosmos. In ihm arbeiten viele Menschen, die lediglich der Arbeitgeber eint, die aber ansonsten vollkommen verschieden sind. Das gängige Vorurteil, "die im Rathaus" seien eine besondere Sorte Mensch, ist ebenso unsinnig wie die Annahme, es gebe "den Beamten".Niemand, der hier beschrieben wird, existiert wirklich; und doch: Die meisten Eigenheiten – seien sie nun positiv oder auch weniger angenehm – hat der Autor selbst erlebt und gesehen. Er hat sie nur kräftig durcheinander geschüttelt und durch eigene Erfindungen ergänzt, um neue Persönlichkeiten entstehen zu lassen. Selbstverständlich sind nicht alle Beschäftigten dieser Verwaltung in dem kleinen Buch vereint – das würde viel zu umfangreich und möglicherweise irgendwann auch langweilig werden. Aber der kleine Ausschnitt aus einem großen Kreis mag einen Eindruck davon geben, wie es in einem wirklichen Rathaus sein kann.

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Information

1. Stock Mitte und Rechts
Das erste Stockwerk ist der Politik vorbehalten. Hier sind der Ratssaal und die kleineren Sitzungsräume; außerdem befindet sich auf dieser Etage das Amtszimmer des Bürgermeisters. Der Ratssaal hat schon mehrere Umbauten hinter sich. Zunächst gab es einen langwierigen Disput um die Farbe des Teppichbodens. Der dunkle grün-braune Boden (inzwischen mehrfach erneuert, aber farblich nicht verändert) ist zwar gegen den unvermeidlichen Schmutz unempfindlich, gibt aber dem Raum auch eine reichlich düstere Atmosphäre. Die schweren Tische und das braun gepolsterte Gestühl, die seit der Einrichtung des Hauses geblieben sind (was immerhin für ihre Qualität spricht), verstärken diesen Eindruck noch.
Einladend ist der Raum nicht, er ist der dunkelste im ganzen Haus, deshalb erhielt er auch schon bald den Beinamen „Dunkelkammer”. Eigentlich sollte der Raum auch für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden, aber nach zwei Kammermusikabenden war allen klar – das geht nicht. Die Töne werden vom Raum, mehr noch vom Teppichboden einfach verschluckt! Nur die Abschlusskonzerte der Musikschule finden hier noch statt – da ist die Akustik ziemlich egal, denn die begeisterten Eltern, Großeltern und sonstigen Anverwandten finden jeden Ton toll, den ihre Sprösslinge dem Instrument entwinden.
Natürlich ist in den letzten Jahren die Technik ausgebaut worden. Waren in den 1970er Jahren die Vorlagen (abgesehen von den Bebauungsplänen) noch recht übersichtlich, vergeht jetzt keine Sitzung ohne mindestens zwei Power-Point-Präsentationen – und die Technik schreitet unaufhaltsam weiter. Seit zwei Jahren ist davon die Rede, jedes Ratsmitglied mit einem Laptop auszustatten, um die Vorlagenflut einzudämmen. Aber nicht nur der Bürgermeister fragt sich inzwischen, ob dieser Aufwand notwendig ist …
Die größten Veränderungen hat allerdings die Anordnung der Sitze erfahren. Als das Rathaus eingeweiht wurde, gab es nur zwei Fraktionen, die SPD als die stärkere und die CDU. Das war noch schön übersichtlich, zumal man sich um die Mehrheit bei Abstimmungen keine Gedanken machen musste (und mancher in den Amtsstuben denkt gern an diese „goldenen” Zeiten zurück). In den 1980er Jahren kam dann zunächst die FDP dazu, so dass (sie hatte nur zwei Sitze) ein Tisch von der CDU abgerückt wurde. Danach kamen dann die Grünen – hier reichte ein Tisch nicht. Die SPD musste zwei Tische „hergeben”. Ganz kritisch wurde es, als sich wegen der geplanten Umgehungsstraße ein Teil der CDU abspaltete und als „Bürgerliste” nicht nur kandidierte sondern auch mit fünf Sitzen in den Rat einzog. Die CDU weigerte sich strikt, die Bürgerliste neben sich zu haben (man redete nicht mehr miteinander), so dass nun zwischen der FDP und den Grünen Platz geschaffen wurde.
Bei der letzten Wahl kam als sechste Fraktion auch noch die Linke dazu. Sie hätte nach parlamentarischer Übung rechts von der SPD sitzen müssen, aber das wollten die Sozialdemokraten partout nicht. Sie wollten wie die CDU direkt an den Kopftisch anschließen, an dem traditionell der Bürgermeister und die Verwaltungsspitze sitzen. Als Lösung wurde erwogen, die Linke und die FDP (die kleinsten Fraktionen) hinter die Grünen und die Bürgerliste zu setzen. Das empfand nun die FDP („Wir sind nach der CDU und der SPD die älteste Ratspartei!”) als Zurücksetzung. Schließlich wurden einige Zuschauerstühle weggerückt, damit die vier kleinen Fraktionen in einem großen Halbkreis Platz finden konnten. Amüsiert hatten die Zeitungen, vor allem die den Sozialdemokraten näher stehende, über das „Stühlerücken im Rathaus” gespottet. Mit Sorge sehen die Ratsmitglieder der nächsten Wahl entgegen, denn dann entfällt jede Sperrklausel, so dass vermutlich weitere Gruppen in den Rat einziehen werden.
Das Bürgermeisterzimmer war ursprünglich sehr gediegen in Eiche gestaltet worden; das hatte dem Geschmack des damaligen Amtsinhabers entsprochen. Seine Nachfolger hatten – da sie als langjährige Ratsmitglieder den Anblick gewohnt waren – daran nichts geändert. Jetzt aber hatte die Stadt einen jungen, unabhängigen Bürgermeister bekommen („Der Wähler hat es so gewollt”). Dem gefiel die altväterliche Einrichtung überhaupt nicht. Allerdings konnte er sich politisch einen teuren Umbau nicht leisten. Also ließ er nur den Schreibtisch und die Besprechungsecke gegen moderne Möbel austauschen. Vor die massige Schrankwand ließ er eine dünne Wand ziehen, auf der die Wappen aller Partnerstädte abgebildet sind. Das hatte in der Tat gefehlt. Das Zimmer – das geben selbst seine politischen Gegner zu – ist jetzt viel heller als früher geworden und die Wappenwand belebt den ansonsten ziemlich nüchternen Raum sehr vorteilhaft.
Vor dem Bürgermeisterzimmer allerdings residiert das Sekretariat. Melanie A. dient nun schon dem dritten Bürgermeister; sie hat alle Wechsel überstanden. Dabei hatte sie diesmal große Sorgen. Bisher waren alle Bürgermeister von immer derselben Partei gestellt worden, seit der letzten Wahl gibt es aber nun einen unabhängigen Amtsinhaber. Melanie A. fürchtete, er werde ihr eine zu große Nähe zur bisherigen Bürgermeisterpartei unterstellen. Doch der „Neue” erwies sich als sehr zuvorkommend („Ich habe das Gerücht gehört, ich wolle Sie versetzen – das stimmt überhaupt nicht”); seither arbeitet sie gut mit ihm zusammen und kennt inzwischen auch seine Marotten. Er trinkt nur grünen Tee („wegen des Magens”) – also serviert sie ihm morgens eine Kanne, obwohl sie den Geruch nicht besonders leiden kann. Außerdem zieht er gerne das Jackett aus und seine alte Strickjacke über. Melanie A. muss dann Besucher immer einen Moment warten lassen, bis der Bürgermeister sich umgezogen hat.
Deshalb achtet sie auch darauf, dass niemand an ihr vorbei zum Bürgermeister hineinspaziert – es sei denn, es ist seine Familie (zwei ganz drollige Kinder!). Melanie A. ist der Auffassung, dass der Bürgermeister ein Recht auf bequeme Kleidung hat, niemand aber ihn so sehen soll. Wenn sie den Raum verlassen muss, hängt sie deshalb auch immer ein Schild an die Tür („Bin gleich wieder da”). Sollte jemand dieses Schild ignorieren, dann kann er aber was erleben! Bei der nächsten Terminanfrage lässt sie so jemanden ziemlich lange zappeln.
Über sich selbst spricht sie wenig; das, so denkt sie, tut eine Chefsekretärin nicht. Sie ist das Vorzimmer – und das ist es. Natürlich weiß man, dass es einen Herrn A. gibt und beide in einem kleinen Vorort der Stadt wohnen. Das Haus gehört ihren Eltern, die auch das Erdgeschoss bewohnen. Das Ehepaar A. hat keine Kinder – irgendwie hat es sich nicht ergeben. Jetzt sind sie dafür auch zu alt. Außerdem müssen sie sich ja auch ein wenig um die alten Leute kümmern, auch wenn die noch recht gut zu Fuß sind.
Ihre heimliche Passion, von der nur der neue Bürgermeister weiß, sind Quiz-Shows im Fernsehen. Zusammen mit ihrem Mann versucht sie die Fragen an die Kandidaten zu beantworten. Zusammen sind sie gar nicht schlecht – das meiste hätten sie auch gewusst. Passen müssen sie allerdings bei Fragen nach neueren Filmen oder aus dem Bereich der Naturwissenschaften. Manchmal hat Melanie A. auch schon daran gedacht, ihren Mann (für sie selbst kann das wegen ihrer besonderen Stellung im Rathaus selbstverständlich nicht in Frage kommen) bei einer dieser Shows anzumelden. Er darf natürlich nichts davon erfahren – er würde sich mit Sicherheit dagegen sperren. Aber den letzten Schritt hat sie bisher doch nicht gewagt.
Gerade weil man so wenig über sie weiß, ist Melanie A. auch für ihre Mitmenschen „das Vorzimmer des Bürgermeisters”; da sie das schon so lange ist, ist sie mittlerweile so etwas wie eine Institution. Die Erinnerung an ihre Vorgängerin, die auch mehr als zehn Jahre auf ihrem Platz gesessen hatte, ist völlig verblasst. Die Einrichtung ihres Zimmers ist schlicht, sie vermeidet allzu viel Grün, auch wenn sie ein paar kleine Pflanzen auf dem Tisch bzw. im Fenster stehen hat („aber immer dezent”). An der Wand hängt nur ein Bild des alten Rathauses, mehr gehört ihrer Auffassung nach in ein Vorzimmer eines Bürgermeisters nicht hinein; auch private Fotos auf dem Schreibtisch – die ansonsten im Rathaus üblich sind – versagt sich Melanie A., für sie ist dieser Raum eben etwas Besonderes.
Allerdings hat sie ein kleines Problem: sie raucht. Nicht übermäßig viel, aber knapp zehn Zigaretten am Tag können es schon werden. Früher hat das niemanden gestört, zumal die früheren Bürgermeister selbst gerne gequalmt haben. Jetzt muss Melanie A. nach draußen, wenn sie rauchen will; aber das kann ein Vorzimmer ja nicht, weil Besucher kommen könnten oder vielleicht ein wichtiger Anruf gerade dann eingeht, wenn sie an einer Zigarette zieht. Also wird das Rauchen – abgesehen von der Mittagspause – für sie immer mehr zum Stress. Jetzt darf sie nur nicht – ermahnt sie sich – anfangen, gegen den Stress Schokolade zu essen. Melanie A. achtet sehr auf ihr Gewicht („Ein Vorzimmer muss eine gute Figur machen!”) und trägt außerdem stets ausgesuchte, allerdings dezente Kleidung. Der neue Bürgermeister verteilt ab und zu ein Kompliment („Das Kostüm ist aber sehr schick”, „Heute haben Sie aber etwas Hübsches an”), so dass sie ein wenig errötet. Zu ihrem Geburtstag stellt er ihr höchstpersönlich einen Strauß Rosen auf den Schreibtisch. Auch wenn Melanie A. sich jedes Mal ziert – „Herr Bürgermeister, das ist doch nicht nötig” –, tut es doch gut. Seine Vorgänger hatten an so etwas nicht im Traum gedacht!
Manchmal kommt der frühere Bürgermeister und will ihr Briefe diktieren oder Kopien von ihr bekommen. Melanie A. hasst diese Tage, auch wenn der neue Bürgermeister dem Vorgänger freundlich, aber unmissverständlich erklärt, das ginge nicht. Der Alt-Bürgermeister kommt merkwürdigerweise aber immer dann, wenn ihr Chef nicht da ist. „Kommen Sie Frau A., die drei Briefe gehen doch schnell – nur aus alter Freundschaft.” Dann betätschelt er auch noch ihre Schulter – grauenvoll. Doch sie bleibt hart und erklärt meistens, dass sie etwas aus dem Archiv holen müsse, komplimentiert den Alt-Bürgermeister hinaus und schließt die Tür ab. Anfangs hat er tatsächlich dann vor der Tür bestimmt eine Viertelstunde gewartet, zumal ja viele Kolleginnen und Kollegen vorbeikamen und mit ihm (er war nicht unbeliebt) ein paar Worte wechselten. Inzwischen sind die Besuche jedoch seltener geworden – allerdings hat Melanie A. auch ihre Ausreden mehrfach variieren müssen.
Neben dem Bürgermeisterzimmer residiert die Pressereferentin. So etwas hatte es beim Bau des neuen Rathauses noch gar nicht gegeben, das hatte der Leiter des Hauptamtes eben miterledigt. Doch dann kam die Forderung nach professioneller Pressearbeit (was immer das bedeuten mochte, jedenfalls verstand der Hauptamtsleiter sofort, dass seine Professionalität nicht ausreichte). Rasch wurde eine neue Stelle geschaffen – am Ende wurde der Pressereferent zum persönlichen Assistenten des Bürgermeisters, schrieb dessen Reden und machte auch Pressearbeit. Nach einigen Jahren schaffte er das nicht mehr, so dass eine weitere Stelle eingerichtet wurde. Manch Amtsleiter bekam einen hochroten Kopf, wenn er daran dachte, welchen Kampf die Ausweisung einer neuen Stelle normalerweise bedeutete.
Der neue Bürgermeister hat das nach seinem Amtsantritt sofort verändert. Der damalige Pressereferent wurde in das Ordnungsamt versetzt (er war auch zu aktiv in der Partei des alten Bürgermeisters). Der Pressereferent hatte sogar selbst darum gebeten, weil er zu viele Interessenkonflikte befürchtete und seine Partei ihn möglicherweise gegen den neuen Amtsinhaber nutzen wollte („Respekt”, hatte der neue Bürgermeister daraufhin gesagt). Seine frühere Kollegin macht nun ausschließlich Pressearbeit und betreut zusätzlich den Tourismus und die Einzelhandelsgemeinschaft. Brigitte B., Mitte 30, ist seitdem sehr zufrieden, da ihre Arbeit viel inhaltsreicher und aufregender geworden ist, während sie früher nur die ungeliebten Tätigkeiten (Auswerten der örtlichen Presse, Versand von Pressemeldungen an die Redaktionen, Einpflegen der Meldungen in den städtischen Internet-Auftritt, Amtsblatt und ähnlich Eintöniges) machen durfte.
Brigitte B. ist nicht verheiratet, hat aber eine Tochter von neun Jahren aus einer früheren Beziehung. Doch kurz nach (vielleicht auch wegen, denn er hatte das Kind nicht gewollt) der Geburt des Kindes war die Beziehung in die Brüche gegangen. Zum Glück wohnt ihre Mutter am Ort, die sich tagsüber um das Kind kümmern kann. Einen neuen Partner zu finden, ist da natürlich schwierig, auch wenn mancher Kollege aus dem Rathaus (Brigitte B. ist sehr hübsch) mit ihr anzubandeln versucht hat. Das will sie aber nicht, denn dann wird nur getratscht – erst recht wenn man sich dann vielleicht doch wieder trennt. Allerdings hat sie durch den intensiveren Kontakt zur Presse vor einigen Monaten einen ganz netten Redakteur einer Nachrichtenagentur kennengelernt, der eigentlich nur wegen des parteilosen Bürgermeisters persönlich in die Stadt gekommen war. Er hatte zunächst mit ihr gesprochen, bevor er das Interview machte – auf Brigitte B. wirkte er ernsthaft, aber seine Grübchen verrieten, dass er auch ein Schelm sein konnte.
Nach dem Interview war sein Auftrag eigentlich erledigt, aber er kam danach wieder in die Stadt; schließlich hatte man sich auf einen Kaffee getroffen … Er hatte sie zu Hause besucht und sich mit Laura, ihrer Tochter gut verstanden („Wann kommt denn der ‚neue Herr’ wieder?”). Außerdem teilen sie das Interesse an historischen Romanen. Sie steht im Moment voll auf Mittelalter-Themen; insbesondere Rebecca Gablé hat es ihr seit einigen Jahren angetan. Auch Ken Follet hat sie begierig verschlungen. Ihr neuer Bekannter (Brigitte B. vermeidet das Wort Freund immer noch) begeistert sich dagegen viel mehr für Christian Jacq, dessen Romane im alten Ägypten spielen.
Brigitte B. hat das gewisse Kribbeln im Bauch, wenn sie „ihren” Redakteur sieht. Doch sie ist oft genug enttäuscht worden, so dass ihr Kopfes ihr eigentlich verbietet, sich zu sehr auf einen Mann einzulassen. Aber diesmal – vielleicht ist es doch der Richtige?! Als alleinerziehende Mutter hat sie wenig Freundschaften, also gibt es niemanden, den sie um Rat fragen kann. Ihre Mutter will sie nicht hineinziehen, auch wenn sie weiß, dass sie Gregor, so heißt der Redakteur, vor ihrer Mutter nicht verstecken kann, zumal Laura bestimmt schon von Gregor gesprochen hat. Ihre Oma, ja die hätte sie gefragt; aber Oma ist vor zwei Jahren ganz plötzlich gestorben. Im Rathaus will sie erst recht nicht über ihre privaten Probleme sprechen; der einzige, dem sie vertrauen würde, wäre der Bürgermeister, aber den kann sie damit natürlich nicht behelligen …
1. Stock links
Als das Rathaus errichtet wurde, war hier der Platz für die Kantine. Zunächst gab es auch frisches Essen; allerdings erwies sich das wirtschaftlich als nicht sehr erfolgreich. Denn viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gingen in der Mittagspause lieber nach Hause, hatten sich etwas mitgebracht oder holten sich lieber in der Stadt einen kleinen Snack. Hinzu kam, dass das Essen in der Kantine manchmal zu wünschen übrig ließ. Auch die Einrichtung regte nicht gerade zum Verweilen an. So kam es, dass das Pächterehepaar schon nach zwei Jahren aufgab. Auch zwei weitere Pächter blieben nicht lange. Schließlich wurde auf einen Lieferservice umgestellt. Das war zunächst sehr erfolgreich, weil er mit Pizza, Lasagne oder auch mal Gyros den geänderten Geschmack besser traf. Hatten doch die Vorgänger mehr auf Traditionelles wie Schnitzel, Erbsensuppe oder Gulasch gesetzt.
Doch auch dieses Modell war nach einigen Jahren überholt. Als die Zahl der Bestellungen immer weiter zurückging, verlängerte der Lieferant seinen Vertrag eines Tages nicht mehr. Nicht zuletzt das steigende Angebot an kleinen Speisen in der Stadt, die es inzwischen beim Metzger, beim Bäcker, an der Supermarkttheke und natürlich der wachsenden Zahl von Dönerläden gab, war als Konkurrenz zu stark. In letzter Zeit hatten auch ein Thai-Express und ein Asia-Snack eröffnet, die sich besonderer Beliebtheit erfreuten.
Die Verwaltung reagierte darauf mit einem kompletten Umbau der Kantine. Die Kücheneinrichtung und das nüchterne Mobiliar wichen einer Cafeteria, die einen gewissen Charme besaß. Zunächst stand das Hauptamt einem „gemütlichen” Raum mit großer Skepsis gegenüber („Dann kommen die Leute nicht mehr zum Arbeiten.”); doch die Personalvertretung konnte mit ihren Vorschlägen Gehör finden. Der damalige Leiter des Hauptamtes blieb den neuen Räumen denn auch konsequent fern, auch wenn er zuvor zu den treuesten Besuchern der alten Kantine gehört hatte.
Mittlerweile kommt auch der neue Bürgermeister ab und an in die Cafeteria („Das ist der beste Ort, um ungezwungen mit den Kolleginnen und Kollegen sprechen zu können.”). Tatsächlich lassen sich viele Probleme bei einem Espresso oder einem Chai Latte – natürlich ist die Cafeteria mit den aktuellen Trends gegangen – weit besser lösen als durch hausinternen Schriftverkehr. Der Bürgermeister ermuntert gerade die Führungskräfte im Haus, ab und zu den Kontakt in der Cafeteria zu suchen. Seit der alte Hauptamtsleiter, der jeden, dem er auf dem Weg in die Cafeteria sah, mit seinen Blicken geradezu durchbohrte, in Pension gegangen ist, trauen sich ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. Das Rathaus
  7. Erdgeschoss links
  8. Erdgeschoss rechts
  9. 1. Stock Mitte und Rechts
  10. 1. Stock links
  11. 2. Stock rechts
  12. 2. Stock links
  13. 3. Stock rechts
  14. 3. Stock links
  15. 4. Stock rechts
  16. 4. Stock links
  17. Mit dem Fahrstuhl zurück