Suchthilfe und Suchtprävention sind zentrale Tätigkeitsfelder für Fachkräfte der Sozialen Arbeit. Das Wissen um Suchtgefährdung und der fachliche Umgang mit missbrauchenden und abhängigen Menschen sind angesichts der Risiko-Klientel in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit (z.B. der Wohnungslosenhilfe, Jugendhilfe) wesentlicher Bestandteil des Berufsprofils. Das Buch ist angelegt als systematisches Grundlagenwerk zur Sozialen Arbeit in der Suchthilfe und Suchtprävention. Es entfaltet die Theorie und die relevanten Wissensbestände in enger Ausrichtung auf ihre Bedeutung für die Bewältigung beruflicher Anforderungen und stellt die dafür notwendigen Handlungskonzepte anschaulich vor.
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In diesem Kapitel lernen Sie die Begriffe »Sucht« und »Abhängigkeit« kennen und es wird Ihnen nahegebracht, welche grundlegenden Vorstellungen sich mit den Begriffen verbinden. Sie erfahren, welche Implikationen in Hinblick auf Verantwortung, Schuld und Selbstbestimmung mit unterschiedlichen Suchtmodellen assoziiert sind und welche allgemeineren Modelle von Krankheit und Gesundheit dahinterstehen. Abschließend werden Ihnen das Selbstverständnis und die Aufgaben der Sozialen Arbeit und der Klinischen Sozialarbeit innerhalb dieser Diskurse kurz vorgestellt.
1.1 Einleitung
Jeder Betrachtung von Gesundheit und Krankheit liegt ein bestimmtes Menschenbild zugrunde. Menschenbilder implizieren Vorstellungen darüber, wie Menschen krank werden, wie sie wieder gesunden können und welche Anteile sie am Krankheits- und Genesungsprozess tragen. Diese Vorstellungen können explizit oder implizit sein, bewusst oder unbewusst, rational oder irrational. Sie berühren auch immer ethisch-normative Fragen: Sind wir verpflichtet, im Falle einer Erkrankung alles für eine Genesung zu tun? Was ist kranken Menschen zumutbar, was kann man ihnen abverlangen und an welchen Stellen und in welchem Ausmaß sollte die Solidargemeinschaft eintreten? Sucht als eine »Krankheit des Willens« steht in der Mitte solcher Auseinandersetzungen.
Sucht wurde in Deutschland im Jahr 1968 durch ein Urteil des Bundessozialgerichts als Krankheit mit allen sozialleistungsrechtlichen Folgen und Ansprüchen anerkannt. Trotzdem handelt es sich bei der Sucht für viele Menschen nicht um eine »Krankheit wie jede andere auch«. Sie stellt sich dar als ein schillerndes, herausforderndes Geschehen, das immer wieder durch Medien verschiedenster Art aufgegriffen und inszeniert wird und sich zudem offenbar für Projektionen jeder Art denkbar gut eignet.
In diesem Kapitel soll eine Annäherung an die verschiedenen Sichtweisen, Verständnisse von Sucht vorgenommen werden. Nach einer Auseinandersetzung um die Begriffe Sucht und Abhängigkeit bewegt sich die Auseinandersetzung um die Frage, inwieweit Sucht tatsächlich als eine Erkrankung wie jede andere auch zu verstehen ist und – falls es so sein sollte – welches Modell von Krankheit und Gesundheit dann sinnvoll angewendet werden kann.
1.2 Begriffliche Annäherung
Das Wort »Sucht« (germ. suhti-, ahd. suht, suft, mhd. suht) geht etymologisch auf »siechen« (ahd. siuchan, mhd. siechen) zurück, das Leiden an einer Krankheit. Diese Bedeutung findet sich noch heute in vielen Krankheitsbezeichnungen wieder, wie z. B. der Gelbsucht, Schwindsucht oder Wassersucht. Mit dem Begriff »suchen« ist das Wort Sucht nicht verwandt, obgleich eine Suchtdynamik häufig als erfolglose Suche nach Sinn, nach extremen Erlebnissen, Zuständen oder ähnlichem charakterisiert wird.
In der Alltagssprache hat der Suchtbegriff einen festen Platz erhalten. Sowohl die Abhängigkeit von Substanzen als auch ein als zwanghaft erlebtes Verhalten wird oftmals als »süchtig« bezeichnet. »Süchtig nach Dir«, »Süchtig nach Schokolade« oder ähnliche Redewendungen beschreiben ein zwanghaftes Sich-Hingezogen-Fühlen zu Gegenständen, Personen oder auch Verhaltensweisen.
Begriffe wie »Geltungssucht«, »Tobsucht« beziehen sich eher auf Persönlichkeitsmerkmale von Menschen. In ihnen klingt aber ebenfalls das Merkmal der Übertreibung an und die mangelnde Fähigkeit oder ein Unwille, diese »übertriebenen« Eigenschaften in gemäßigtere Bahnen zu lenken.
In der Fachwelt wurde und wird der Begriff »Sucht« auch kritisch diskutiert: Der Begriff »Sucht« sei äußerst negativ besetzt und würde die Diskriminierung und Marginalisierung von Betroffenen vorantreiben, Stigmatisierungsprozesse verstärken und einen offenen und unvoreingenommenen Umgang mit dem Problem eher verhindern. Vor dem Hintergrund dieser Argumente hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die das diagnostische Manual der International Classification of Diseases (ICD-10,
Kap. 11) herausgibt, im Jahr 1963 den Begriff »Sucht« (addiction) durch den Begriff der »Abhängigkeit« (dependence) bzw. durch das »Abhängigkeitssyndrom« ersetzt.
Doch auch der Abhängigkeitsbegriff erfuhr Kritik: Er verallgemeinere zu stark und verharmlose das Krankheitsgeschehen. Eine Abhängigkeitserkrankung im Sinne des ICD-10 sei beispielsweise mit der Abhängigkeit des Kleinkindes von seinen Bezugspersonen in keiner Weise vergleichbar und würde dem Leid, das oftmals mit einer Abhängigkeitserkrankung verbunden ist, nicht gerecht werden.
So hat sich in der Fachwelt die durch die WHO vorgenommene Umbenennung von »Sucht« nach »Abhängigkeit« nicht vollständig durchsetzen können: Die größte deutsche Fachzeitschrift heißt »Sucht«, eine der bedeutsamsten internationalen Fachzeitschriften »addiction«, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung gibt jährlich einen »Sucht- und Drogenbericht« heraus und die »Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen« vertritt mit wenigen Ausnahmen sämtliche Träger der ambulanten Beratung und Behandlung, der stationären Versorgung und der Selbsthilfe. Die Beratung abhängiger Menschen findet in der Regel in »Suchtberatungsstellen« statt.
Heute findet sich dementsprechend meist ein synonymer Gebrauch der Begriffe »Sucht« und »Abhängigkeit«, dem auch in diesem Buch gefolgt wird. Wenn jedoch der Begriff »Sucht« manchmal zu überwiegen scheint, so ist dies dem Umstand geschuldet, dass sich manche Konstrukte nicht durch den Abhängigkeitsbegriff ausdrücken lassen: Es gibt ein Suchthilfesystem in Deutschland, aber kein Abhängigkeitshilfesystem.
Konsequenter ist die Umstellung des Begriffs »Rauschgift« gelungen: Dieser wurde in den vergangenen Jahren und vor dem Hintergrund der o. g. Argumente durch die wertneutraleren Begriffe »Substanzen«, »psychoaktive Substanzen« oder »psychotrope Substanzen« fast durchgängig ersetzt.
1.3 Substanzgebundene und substanzungebundene Süchte
Grundsätzlich kann zwischen substanzgebundenen und substanzungebundenen Süchten unterschieden werden. Substanzgebundene oder auch stoffgebundene Süchte sind immer mit dem Konsum psychoaktiver Substanzen verbunden; demgegenüber steht bei den substanzungebundenen bzw. stoffungebundenen Süchten ein bestimmtes Verhalten im Zentrum des Suchtgeschehens.
Die WHO geht davon aus, dass das Abhängigkeitssyndrom als Krankheit nur dann zu diagnostizieren ist, wenn dies mit einem Substanzkonsum verbunden ist. Im Kontext des Konsums folgender Substanzen bzw. Substanzgruppen kann laut WHO eine Abhängigkeit entstehen: Alkohol, Opioide, Cannabinoide, Sedativa und Hypnotika, Kokain, weitere Stimulanzien einschließlich Koffein, Halluzinogene, Tabak, flüchtige Lösungsmittel, andere psychotrope Substanzen (Dilling et al. 2015: 46). Damit sind legale Substanzen (z. B. Tabak), illegale Substanzen (z. B. Cannabinoide) und bestimmte Medikamente (z. B. Sedativa) gleichermaßen im ICD-10 aufgenommen, ohne dass der ICD-10 in Hinblick auf den rechtlichen Status einer Substanz eine Unterscheidung vornimmt. In der Tat gibt es hier auch zahlreiche Überschneidungen: Opioide können beispielsweise sowohl als illegales »Straßenheroin« als auch legal in Form von bestimmten Medikamenten konsumiert werden und dabei gleichermaßen Abhängigkeitserkrankungen auslösen.
Das ebenfalls bedeutsame Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen hat in seiner fünften Revision (DSM-5, Falkai und Wittchen, 2015) demgegenüber die Glücksspielsucht als erste stoffungebundene Sucht in die Gruppe der Abhängigkeitserkrankungen mit aufgenommen.
Andere zwanghafte Verhaltensweisen, wie sie z. B. mit den Begriffen Sexsucht und Kaufsucht ebenfalls als Abhängigkeitserkrankung diskutiert werden, gehören aus der Perspektive von ICD-10 und DSM-5 nicht in die Gruppe der Abhängigkeitserkrankungen. Andere Autoren verweisen darauf, dass nicht der Substanzkonsum im Zentrum einer Abhängigkeitsentwicklung steht, sondern dass vor allem die dahinterstehende Psycho-Dynamik relevant sei (
Kap. 2) und dass diese bei den substanzungebundenen wie bei den substanzgebundenen Süchten durchaus vergleichbar sei. Sie plädieren dementsprechend dafür, auch die substanzungebundenen Süchte als Süchte zu betrachten.
In diesem Buch wird in den nachfolgenden Darstellungen der Fokus auf die Substanzen und Suchtformen gelegt, die aus der Perspektive der Praxis der Suchtkrankenhilfe relevant sind.
1.4 Sucht als ein Phänomen der Moderne
Dem übermäßigen Konsum von psychoaktiven Substanzen einen »Krankheitswert« zuzuordnen, ist ein Phänomen der Moderne. Auch wenn es in vormodernen Zeiten übermäßigen und schädlichen Substanzkonsum gegeben hat (z. B. die legendären mittelalterlichen Trinkgelage), so ist eine Verknüpfung von einem bestimmten Konsumverhalten mit einer Krankheitszuschreibung eine neuzeitliche Idee, weswegen auch von der »Erfindung der Sucht« gesprochen wird (Groenemeyer und Laging 2012). Die »Erfindung« der Sucht fand in einem gesellschaftlichen Zusammenhang statt, in dem die gesellschaftlichen Anforderungen an den Menschen in Bezug auf Rationalität und Selbstkontrolle sehr viel stärker wurden. Damit wurde Trunkenheit erstmals als ein Mangel an Selbstdisziplin und als Verlust von Selbstkontrolle erfahrbar. Benjamin Rush (1745–1813) war der erste, der übermäßigen Alkoholkonsumformen einen Krankheitswert zugewiesen hat. Seine Krankheitskonzeption nahm bereits zentrale Merkmale vorweg, die 175 Jahre später mit den Arbeiten von Elvin Morton Jellinek (1890–1963) allgemeine Anerkennung erlangten (
Kap. 3). Rush ging davon aus, dass der Liebe zum Alkohol zunächst eine willentliche Entscheidung vorausgeht, die über ein gewohnheitsmäßiges Trinken dann allerdings zu einer Notwendigkeit wird. Diesen Zustand bezeichnet Rush dann als eine »Krankheit des Willens«. Aus diesem bereits als Sucht bezeichneten Verlangen nach Alkohol wird von Rush der ökonomische Ruin und der soziale Abstieg der betroffenen Individuen abgeleitet; eine soziale Komponente findet sich dementsprechend von Beginn der Auseinandersetzung an um das Phänomen Sucht (ebenda).
Aber erst im Juni 1968 stellte das Bundessozialgericht in Deutschland fest, dass Sucht als Erkrankung anzuerkennen sei und damit die Krankenkassen und die Rentenversicherungsträger für die Kosten von Behandlung und Rehabilitation einzutreten haben. Doch ungeachtet dessen gibt es weiterhin Thematisierungen auf unterschiedlichen Ebenen (Fachöffentlichkeit, medial, unter Betroffenen, z. B. Anonymen Alkoholikern) zu der Frage, ob und inwieweit Sucht tatsächlich eine Erkrankung ist, die einen Menschen »treffen« kann, wie beispielsweise Rheuma oder Parkinson, oder ob es sich bei der Sucht nicht doch zum großen Teil um eine Art moralisches Fehlverhalten handele. Beide Modelle – Sucht als eine Erkrankung im medizinischen Sinne und Sucht als ein Fehlverhalten – sind aber nicht die einzigen diskutierten Modelle, Vorstellungen bzw. Denkstile zu dem Phänomen Sucht (vgl. Wolf 2003). Sie sollen aber hier herausgestellt werden, da sie in einem engen Bezug zu der Frage stehen, inwieweit ein suchtkranker Mensch für seine Sucht persönlich zur Verantwortung zu ziehen ist und dementsprechend auch, welche Haltung suchtkranken Menschen im Kontext der jeweiligen Modelle zuteilwerden sollte.
1.5 Sucht: Krankheit oder Fehlverhalten?
In einem Aufsatz von Morse (2004) finden sich zusammenfassend die zentralen Argumente der beiden o. g. Perspektiven. Dabei ist wichtig, sich zunächst die Implikationen eines bio-medizinisch geprägtenKrankheitsmodells zu vergegenwärtigen...
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Vorwort zur Reihe
Vorwort zu diesem Band
Inhalt
1 Sucht – Eine Erkrankung wie jede andere auch?
2 Modelle der Entstehung von Sucht
3 Psychotrope Substanzen
4 Die Verbreitung von Alkohol, Drogen, Glücksspielsucht und Internetabhängigkeit
5 Soziale Ungleichheit und Sucht
6 Geschlecht und Sucht
7 Migration und Sucht
8 System der Suchtkrankenhilfe
9 Prävention von Suchterkrankungen
10 Angehörige von suchtkranken Menschen
11 Diagnostik und Diagnosen in der Suchthilfe
12 Profil und ausgewählte Arbeitsansätze der Sozialen Arbeit im multidisziplinären Feld der Suchthilfe