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Erster Teil - Fünfter Dialog
Cicada: Lass mich nun einen Blick darauf werfen, denn gerne würde ich die Bedeutungen dieser Leidenschaften begreifen, die in der Reihenfolge dieses Ritterheers dargestellt werden.
Tansillo: Du siehst, dass sie die Insignien ihrer Emotionen und Schicksale zeigen. Wir wollen sie nicht auf Grund ihrer Namen oder ihres Äußeren betrachten. Es genügt, wenn wir beim Sinnbild ihres Wappens verweilen und dem Motto, das in die Gestaltung des Bildes eingefügt wurde. Zur besseren Erklärung werden wir die Inschriften lesen, die des Öfteren dem Wappen hinzugefügt wurden.
Cicada: In Ordnung. Das Wappen des ersten ist in vier farbige Bereiche aufgeteilt. Ein Feuer ist unter einem bronzenen Kessel gemalt, aus dessen Öffnungen mit großer Kraft Dampf entweicht. Rundherum steht geschrieben: At regna senserunt tria. (Aber drei Reiche haben es gespürt.)
Tansillo: Zu erkennen ist, so denke ich, dass das Feuer den Behälter mit dem Wasser erwärmt, und die Kraft der Hitze das nasse Element verdünnt und ausdehnt. Es verwandelt sich in Dampf, der viel mehr Raum benötigt und wenn er nicht leicht entweichen kann mit sehr großer Kraft und einem lauten Knall die Kugel sprengt und zerstört. Doch wenn es eine Öffnung gibt, durch die er leicht entweichen und verdampfen kann, strömt er mit geringerer Heftigkeit und allmählich heraus, und im selben Maß, in dem sich Wasser in Dampf verwandelt, löst sich der Dampf in Dunst auf und verweht in der Luft. Dies ist ein Sinnbild für das leidenschaftliche Herz, das wie auf einer gut vorbereiteten Feuerstelle von der Flamme der Liebe ergriffen wird. Ein Teil seines lebendigen Wesens leuchtet im Feuer auf, der andere kocht in Form von tränenreichem Weinen in der Brust über, ein weiterer fliegt im tief ausatmenden Seufzen in die Luft fort.
Allerdings sagt er: Aber drei Reiche haben es gespürt, wobei dieses „aber“ die Kraft hat, einen Unterschied, eine Verschiedenheit oder einen Gegensatz auszudrücken, als ob es zeigen wollte, dass es noch anderes gibt, was dasselbe empfinden könnte, es jedoch nicht tut. Dies wird in den folgenden Reimen unter dem Bild klar verdeutlicht.
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Ich irdisch‘ Ding, aus meinen beiden Lichtern quellen
So viele Wasser zu des tiefen Meeres Wellen.
Was meine Brust so sehr beengt,
Als viele Seufzer in die weiten Lüfte drängt.
Das Feuer, das sich hoch aus meinem Herz erhebt,
Ohne zu verlöschen empor zum Himmel schwebt.
Mit meinen Tränen, Seufzern, meiner Glut
Zoll ich dem Wasser, der Luft, dem Feuer den Tribut.
Meine Teile zu Wasser, Luft und Feuer dringen,
Aber meine Göttin ist so grausam,
So schändlich und infam,
Dass weder meine Tränen sie bezwingen,
Noch will sie auf mein Rufen hören
Noch kann meine Glut ihr Mitleid beschwören.
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Die zugrundeliegende Materie, versinnbildlicht durch das irdisch Ding, ist hier sein leidenschaftliches Wesen. Er vergießt aus den beiden Lichtern, aus seinen Augen, reichlich Tränen, die zum Meer strömen. Er entlässt aus der Brust viele, tiefe Seufzer in die weite Luft. Die Glut seines Herzens kühlt nicht ab auf dem Weg durch die Luft wie ein winziger Funke oder eine schwache Flamme, verwandelt sich nicht in Rauch oder eine andere Form, sondern mächtig und voll Kraft erreicht sie die wesensverwandte Sphäre, wobei sie viel eher von anderem etwas aufnimmt, als selbst von der eigenen Substanz etwas abzugeben.
Cicada: Ich habe alles gut verstanden. Nun weiter!
Tansillo: Der nächste gibt sich durch ein Wappen zu erkennen, das ebenfalls in vier unterschiedliche Farben aufgeteilt ist. Auf dem Bild streckt die Sonne ihre Strahlen zur Oberfläche der Erde aus. Ein Schriftzug umgibt es: Idem semper, ubique totum (Immer dasselbe und überall als Ganzes)
Cicada: Ich sehe, dass die Interpretation nicht ganz einfach sein wird.
Tansillo: Der Sinn ist umso vorzüglicher, je weniger allgemeinverständlich er ist. Du wirst erkennen, dass es nur einen einzigen gibt, der nicht weit hergeholt zu werden braucht. Bedenke, dass die Sonne, obwohl sie sich in den verschiedenen Zonen der Erde abhängig von der Zeit, vom Ort oder vom Gebiet jeweils anders zeigt, trotzdem für die gesamte Erdkugel immer dieselbe ist und stets an jedem Ort alles bewirkt! An welchem Punkt der Ekliptik sie auch immer ist, stets führt sie Winter, Sommer, Herbst und Frühling herbei, so dass der Erdkugel an sich, als Ganzes, alle vier Jahreszeiten zuteilwerden. Nie ist es heiß an einem Teil, wenn es nicht an einem anderen kalt ist, wie sie für uns im Wendekreis des Krebses am heißesten ist und am kältesten im Wendekreis des Steinbocks. Dieselbe Ursache ist es, die für einen Teil den Winter bringt, für einen anderen Sommer und für jene in der Mitte milde Temperaturen, wo abhängig vom Breitengrad Frühling oder Herbst ist. So fühlt die Erde immer Regen, Stürme, Wärme und Kälte, und sie könnte in der Tat nicht hier feucht sein, wenn sie nicht an einem anderen Ort trocken wäre, und die Sonne könnte sie nicht auf einer Seite erwärmen, wenn sie nicht auf der anderen Seite davon ablassen würde.
Cicada: Schon bevor du deinen Vortrag beendet hast, verstehe ich, was du sagen willst: Wie die Sonne immer alle ihre Einwirkungen der Erde zuteilwerden lässt, und diese sie immer alle als Ganzes empfängt, so macht sein Ziel mit seinem aktiv einwirkenden Leuchten sein leidenschaftliches Wesen zum passiven Ausgangspunkt der Tränen, die das Wasser sind, des glühenden Verlangens, welches das Feuer ist, und des Seufzens, das sicherlich der Dampf ist, der gezeigt wird, wie er vom Feuer ausgehend zu Wasser oder vom Wasser ausgehend zu Feuer wird .
Tansillo: Dies wird nun sehr treffend gezeigt:
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Wenn die Sonne sinkt zum Steinbock nieder,
Fließt reicher der Regen in jedem Bach und Fluss.
Kommt sie zurück zum Äquinoktium wieder,
Bläst lauter sein Horn jeder Postillon des Äolus.
Die Sonne umso höher dort am Himmel prangt,
Je näher sie zum heißen Krebs gelangt.
Meine Tränen, Seufzer, Gluten vergehen nimmer,
Und beste...