Kaiser und Reich
eBook - ePub
Verfügbar bis 5 Dec |Weitere Informationen

Kaiser und Reich

Eine Verfassungsgeschichte (1500-1806)

  1. 406 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Verfügbar bis 5 Dec |Weitere Informationen

Kaiser und Reich

Eine Verfassungsgeschichte (1500-1806)

Über dieses Buch

This book recounts the constitutional history of the Holy Roman Empire from the late 15th century up to the end of the Empire in 1806, using a dual approach. Following a chronological overview of the development of the imperial constitution, in-depth systematic chapters are devoted to the Empire=s institutions and protagonists and the ways in which it functioned. The negotiation of power between the emperor and the imperial Estates at the imperial diets is discussed, along with ceremonials and the importance of the?local empire= for imperial subjects. Separate sections are devoted to the peripheries of the empire, imperial public relations, and historiography. Matthias Schnettger combines classical constitutional history with the findings of recent research in social and cultural history. In this way, he succeeds in vividly presenting both the institutions and standards and also the changing constitutional realities of the Empire in a concise and highly readable introduction.

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Kaiser und Reich von Matthias Schnettger im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Geschichte & Moderne Geschichte. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

1 Kaiser und Reich um 1500

1.1 Das Reich um 1500

Wenn man eine Geschichte des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation um 1500 beginnen lässt, befindet man sich im Einklang mit der gängigen Epocheneinteilung und mit vielen bereits vorliegenden Reichsgeschichten. Jenseits aller Konventionen sprechen gewichtige sachliche Gründe für diese Entscheidung. Denn in den Jahrzehnten um 1500 erlebte das Reich eine Phase grundlegender Transformationen und Neuformierungen – Prozesse, die es im Folgenden näher zu betrachten gilt. Zugleich aber können die vorangegangenen Perioden der Geschichte des damals immerhin schon siebenhundertjährigen Reichs nicht gänzlich ausgeblendet werden, denn trotz aller Veränderungen lassen sich doch auch eine Reihe von Kontinuitäten zu den Jahrhunderten des Spätmittelalters beobachten. Immer noch war das Reich dem Anspruch nach die Fortsetzung des Römischen Kaisertums, das gemäß der Theorie der Translatio Imperii unter Karl dem Großen im Jahr 800 auf die Franken übergegangen war und seit der Kaiserkrönung Ottos I., des Großen, 962 mit dem deutschen Königtum verknüpft war. Die hochmittelalterliche Trias der drei Regna Deutsches Reich, Italien und Burgund/Arelat, die zusammen das Reich bildeten, bestand zwar de facto nicht mehr – die letzte burgundische Königskrönung hatte 1365 stattgefunden, und der Großteil des Arelats war längst unter französische Herrschaft geraten. Aber immer noch führte der deutsche König den Titel »Römischer König« und hielt an seinem Anspruch auf Italien und das Kaisertum fest. Dieser Anspruch manifestierte sich am deutlichsten bei den Romzügen der Könige, denn üblicherweise wurden sie nicht nur in Rom durch den Papst zum Kaiser, sondern auch in Mailand oder Pavia mit der Eisernen Krone der Langobarden gekrönt. Die Divergenzen zwischen den hehren Ansprüchen und den begrenzten finanziellen, personellen und militärischen Ressourcen des Reichsoberhaupts waren jedoch erheblich. Insbesondere an den Peripherien des Reichs, wie eben in Italien, aber auch in den Grenzgebieten zu Frankreich, war der Autoritätsverlust des Römischen Königs bzw. Kaisers evident. Anders als etwa in England und Frankreich bildete sich zudem im deutschen Reichsteil keine starke monarchische Zentralgewalt heraus. Der Institutionalisierungsgrad auf Reichsebene blieb gering.1
Kennzeichnend und folgenreich für die Entwicklung des Reichs im Spätmittelalter war ein forcierter Territorialisierungsprozess. Der Konzentration von Herrschaftsrechten in den Händen regionaler geistlicher oder weltlicher Großer hatte Kaiser Friedrich II. Vorschub geleistet, als er ihnen in der Confoederatio cum Principibus Ecclesiasticis (1220) bzw. im Statutum in favorem Principum (1231/32) wichtige Regalien überlassen hatte. Nach und nach gelang es einer Reihe von geistlichen und weltlichen Fürsten, die in ihren Händen gebündelten Herrschaftsrechte zum Aufbau von mehr oder weniger ausgedehnten Landesherrschaften zu verdichten, konkurrierende Herrschaftsträger dagegen zurückzudrängen oder auszuschalten. Dabei handelte es sich um einen langwierigen Prozess, der bis zum Beginn der Frühen Neuzeit zwar schon weit vorangeschritten war, aber in manchen Gegenden erst nach dem Ende des Alten Reichs zum Abschluss gebracht wurde. Historische Karten vermitteln einen guten Überblick über die Vielgestaltigkeit und Kleinteiligkeit der deutschen Territorienlandschaft seit dem ausgehenden Mittelalter. Gleichzeitig suggerieren sie eine Abgeschlossenheit von Territorien und eine Eindeutigkeit von Grenzen, die so in den allermeisten Fällen nicht gegeben waren. Der weiter voranschreitende Territorialisierungsprozess ist ein Element, das auch noch die frühneuzeitliche Reichsgeschichte wesentlich prägte.
Der Mediävist und Landeshistoriker Peter Moraw hat durch seine Forschungen die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass die Regionen des Reichs verschiedene Profile entwickelten und in unterschiedlicher Weise in das Reich als Kommunikations- und Handlungsraum eingebunden waren.2 Eine Sonderrolle nahmen nach Moraw die Stammlande des jeweiligen Königs bzw. Kaisers ein, da er dort die landesherrlichen und die königlich-kaiserlichen Rechte in seiner Hand bündelte. Insofern bildeten die Stammlande zweifellos einen Nukleus der königlichen bzw. kaiserlichen Herrschaft im Reich. Andererseits konnten sie auch ein Eigenleben entwickeln, sich vom Rest des Reichs entfernen, insbesondere dann, wenn sie, wie die Stammlande der Luxemburger oder der Habsburger, eine beträchtliche Größe und territoriale Geschlossenheit erreichten und zudem geographisch an der Peripherie des Reichs lagen. Eine herausgehobene Stellung hatten – so Moraw – ebenfalls die Lande der Kurfürsten, der Königswähler, inne. Auch hier war der Territorialisierungsprozess vergleichsweise weit fortgeschritten. Zugleich aber waren v. a. die Herrschaftsgebiete der rheinischen Kurfürsten, der Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie des Pfalzgrafen bei Rhein, eng in die Kommunikationsstrukturen des Reichs eingebunden.
Während man die kaiserlichen und kurfürstlichen Lande recht genau zuordnen kann, ist die Trennschärfe bei den anderen Kategorien Moraws, den königsnahen, königsoffenen und königsfernen Regionen, weniger eindeutig. Das gilt umso mehr, als der Grad der Einbindung einzelner Regionen in den Handlungsraum Reich sich im Lauf der Zeit ändern konnte. Dennoch sind diese heuristischen Begriffe nützlich, um zum Ausdruck zu bringen, dass es königsnahe Gebiete gab, in denen der König, wie in Schwaben, in Franken und am Oberrhein, vergleichsweise große Handlungsspielräume besaß, auch immer wieder physische Präsenz zeigte, königsoffene Gebiete, in denen das Reichsoberhaupt zumindest von Fall zu Fall mit Erfolg intervenierte, wie am Niederrhein und in Westfalen, und königsferne Gebiete, in denen der König kaum je Präsenz zeigte und nur gelegentlich einzugreifen vermochte, wie in Norddeutschland, den Niederlanden oder Italien. Für den Frühneuzeithistoriker sind die von Moraw gebildeten Kategorien v. a. deswegen interessant, weil sie sich auch als nützlich erwiesen haben, um das frühneuzeitliche Reich zu erfassen. Allerdings spricht man für die Frühe Neuzeit üblicherweise von reichsnahen bzw. -fernen Regionen und berücksichtigt damit die Beziehungen nicht nur zum Oberhaupt, sondern auch zu anderen Institutionen des Reichs. Außerdem lassen sich einige Traditionslinien von den regionalen mittelalterlichen Kommunikationsräumen zu den frühneuzeitlichen Reichskreisen erkennen.
Trotz seiner begrenzten Machtfülle war der König bzw. der Kaiser ein zentraler, wenn nicht der zentrale Akteur des Reichs. Das deutsche Königtum war eine Wahlmonarchie. Doch anders als im Zeitalter der »springenden Wahlen« im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert, als die Kurfürsten Männer aus unterschiedlichen Dynastien gewählt hatten, um ein übermächtiges Königtum zu verhindern, entwickelten sich seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts dynastische Verfestigungstendenzen in den Häusern Luxemburg und Habsburg. Ohne dass das Wahlprinzip aufgegeben wurde, wurden seit 1346/47 mit der einzigen Ausnahme Ruprechts von der Pfalz (1400) nur noch Angehörige dieser beiden Familien gewählt. Denn nur diese verfügten angesichts des weitgehenden Verlustes des früheren Reichsgutes über die nötige Hausmacht, um die Last der Krone zu tragen und um ein Mindestmaß an königlicher Autorität aufrechtzuerhalten. Zumal der Luxemburger Karl IV. erlangte zeitweise eine hegemoniale Stellung im Reich. Anders aber als im Zeitalter der Ottonen, Salier und Staufer lag die Machtbasis der spätmittelalterlichen Reichsoberhäupter im äußersten Osten des Reichs, in den Ländern der Böhmischen Krone bzw. der österreichischen Ländergruppe. Man kann daher von einem Randkönigtum sprechen, das von der Peripherie aus das Reich zu regieren versuchte.3
Der Herrschertitel »Römischer König« signalisierte die Anwartschaft der deutschen Könige auf die Kaiserkrone. Im 14. und 15. Jahrhundert erlangten immerhin fünf von ihnen in Rom die höchste weltliche Würde der Christenheit. Die Kehrseite der Medaille dieser Verbindung von deutscher Königs- und Römischer Kaiserkrone war, dass der Papst als derjenige, der nach eigenem Selbstverständnis die Kaiserkrone zu vergeben hatte, bei der deutschen Königswahl ein Approbationsrecht beanspruchte. Dieser Anspruch wurde jedoch von den Kurfürsten regelmäßig zurückgewiesen.
Eine zentrale Bedeutung für die Wahl des Römischen Königs besaß die nach dem anhängenden kaiserlichen Goldsiegel benannte Goldene Bulle von 1356, ein umfangreiches Privileg Karls IV., das zu den Grundgesetzen des Reichs gezählt wurde und seine Verfassung dauerhaft prägte. Die Goldene Bulle fixierte nicht nur eindeutig den Kreis der sieben Königswähler – die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg –, sondern traf durch die Festlegung der Primogeniturerbfolge in den weltlichen Kurfürstentümern Vorsorge dafür, dass es in Zukunft keine Unklarheiten über den Kreis der Wahlberechtigten geben sollte. Die Übertragung wertvoller Regalien und das Zugeständnis einer stärkeren Beteiligung an der Reichsregierung sowie beachtlicher zeremonieller Prärogativen sicherten den Kurfürsten eine Sonderstellung unter den Fürsten des Reichs. Diese Sonderstellung trat augenfällig bei der Königswahl und -krönung hervor, wenn die drei Erzbischöfe die Königssalbung und -krönung vollzogen und die weltlichen Kurfürsten beim anschließenden Krönungsmahl ihre Erzämter als Erzschenk (König von Böhmen), Erztruchsess (Pfalzgraf bei Rhein), Erzmarschall (Herzog von Sachsen) bzw. Erzkämmerer (Markgraf von Brandenburg) ausübten. Die geistlichen Kurfürsten führten demgegenüber den Titel von Reichserzkanzlern. Während das kurtrierische und das kurkölnische Erzkanzleramt per Galliam bzw. per Italiam an Bedeutung verloren, weil der Kaiserhof sich nicht mehr in den Gebieten ihrer Zuständigkeit aufhielt, gewann das Erzkanzleramt per Germaniam ein erhebliches Gewicht und sicherte dem Mainzer Kurfürsten in der Neuzeit großen Einfluss etwa auf die Reichshofkanzlei, auf den Reichstag oder auf die höchsten Reichsgerichte, um hier nur wenige Beispiele zu nennen.4
Eine herausgehobene Stellung unter den weltlichen Kurfürsten gewährte die Goldene Bulle dem Pfalzgrafen bei Rhein und dem Herzog von Sachsen, denen gemeinsam das Reichsvikariat während einer Thronvakanz zugesprochen wurde.5 Abgesehen vom Römischen König war der böhmische König das einzige gekrönte Haupt im Reich und der ranghöchste weltliche Kurfürst, doch bis zur sog. Readmission der böhmischen Kur (1708) nahm er nur an Wahltagen teil, war aber nicht auf dem Reichstag und auch nicht auf nichtwählenden Kurfürstentagen vertreten (s. S. 304–306).6
Infolge der Begünstigung der Kurfürsten durch die Goldene Bulle sahen sich einige Fürsten des Reichs benachteiligt, die sich an Vornehmheit den Königswählern ebenbürtig fühlten. Am folgenreichsten war die Reaktion Herzog Rudolphs IV., des Stifters, von Österreich, der für das Haus Habsburg in dem gefälschten Privilegium maius (1358/59) umfangreiche Sonderrechte beanspruchte. Beeinträchtigt wurde durch
Images
Abb. 1: Der Kaiser und die Kurfürsten. Kupferstich im Erstdruck der Constitutio Criminalis Carolina, Mainz 1533.
die Goldene Bulle aber auch der Papst, dessen Anspruch auf Approbation des Römischen Königs unerwähnt blieb und damit implizit zurückgewiesen wurde.
Die skizzierten Entwicklungen führten dazu, dass die Macht und der Einfluss des Römischen Königs inner- und außerhalb des Reichs schwanden. Nichtsdestotrotz hielten die Reichsoberhäupter an ihrem Anspruch auf die Römische Kaiserwürde fest. D. h., sie betrachteten sich als das weltliche Oberhaupt der Christenheit, das gemeinsam mit dem Papst an der Spitze der Hierarchie der christlichen Fürsten stand, und in diesem Sinne als Universalmonarch. Diese Anschauung stand im Einklang mit der Vier-Reiche-Lehre, die in der Spätantike mit Bezug auf das alttestamentliche Buch Daniel entstand und der zufolge das Römische Reich das letzte der vier Universalreiche sei und bis zur Wiederkunft Christi fortbestehen müsse. Indem die Vier-Reiche-Lehre dem Römischen Reich einen festen Platz in der christlichen Heilsgeschichte zuwies, wurden die Vorstellungen von Reich und Kaiseramt in hohem Maß eschatologisch aufgeladen.
Die mit dem Römischen Kaiseramt verknüpften Schutz- und Ordnungsfunktionen blieben dagegen ebenso vage wie die territoriale Basis, auf die es sich bezog. Die Offenheit des Kaiser- sowie des Reichsbegriffs wird im Lateinischen sowie in modernen romanischen Sprachen wie dem Italienischen deutlich: Der Quellenbegriff »Imperium« bzw. »Impero« kann sowohl »Kaisertum«/»kaiserliche Regierung« als auch »Reich« bedeuten.
Eine weitere Bedeutungsebene von »Reich«, neben der des Römischen Universalreichs, ist die des Lehnsreichs, also aller Gebiete, die eine feudalrechtlich begründete Oberherrschaft des Kaisers anerkannten. Dieser Reichsbegriff war weniger umfassend als der des Römischen Universalreichs, schloss aber neben dem deutschen Reichsteil große Teile Ober- und Mittelitaliens ein. Ob ein konkretes Gebiet in einer feudalen Abhängigkeit vom Kaiser stand, konnte allerdings, wie im Fall von Florenz oder Genua, durchaus umstritten sein.
Schließlich wurde der Reichsbegriff immer häufiger primär oder ausschließlich auf das Reich der Deutschen bezogen. Diese Tendenz verstärkte sich mit dem institutionellen Entwicklungsschub im deutschen Reichsteil in den Jahrzehnten um 1500. Er führte zur Herausbildung eines sich verdichtenden Handlungsraums, der im Wesentlichen den Kaiser und die auf dem Reichstag vertretenen Fürsten und Stände umfasste. In diesem Zusammenhang wird in der Forschung auch von »Reichstags-Deutschland« gesprochen. Die institutionellen Verdichtungsprozesse gingen einher mit einer protonationalen Identitätsbildung, die die Tendenz zu einer Verengung des Reichsbegriffs auf das Reich der Deutschen verstärkte.
Doch auch wenn die Bedeutungsebene »Deutsches Reich« immer mehr an Bedeutung gewann, heißt das nicht, dass die Dimensionen »Universalreich« und »Lehnsreich« verschwanden. Die unterschiedlichen Bedeutungsebenen existierten vielmehr bis zum Ende der Neuzeit nebeneinander bzw. ineinander verschränkt fort, sodass unter angemessener Beachtung der jeweiligen Kontexte von Fall zu Fall entschieden werden muss, was in einer Quelle mit »Reich« gemeint ist.7
Oft gibt die im konkreten Einzelfall verwendete Terminologie Hinweise auf den Bedeutungsgehalt des Reichsbegriffs. Schon seit der Stauferzeit war die Bezeichnung »Heiliges Römisches Reich« (Sacrum Romanum Imperium) gebräuchlich. Seit dem späten 15. Jahrhundert findet sich in Quellen der spezifizierende Zusatz »deutscher Nation«. Damit konnte Verschiedenes zum Ausdruck gebracht werden: dass es um den deutschen Reichsteil im größeren (Universal- oder Lehns-)Reich ging, dass die Deutschen die Träger des Reichs seien oder dass das Reich mit »Deutschland« identisch sei. Alle diese Bedeutungsebenen sind in den Quellen nachzuvollziehen und werden auch in der Forschungsliteratur vertreten.
Der in der Forschungsliteratur als korrekte, vollständige Bezeichnung des frühneuzeitlichen Reichs firmierende Terminus »Heiliges Römisches Reich deutscher Nation« ist erstmals im Jahr 1512 nachweisbar. Das bedeutet freilich nicht, dass dieser Begriff sich als offizieller Reichstitel durchgesetzt hätte. Vielmehr fanden stets auch Kurzformeln wie »Heiliges Reich«, »Imperium Romanum« »Teutsches Reich« oder auch nur »Reich« mit ihren spezifischen Konnotationen Verwendung. Festzuhalten ist dabei, dass insbesondere am Kaiserhof großer Wert auf den römischen Charakter des Reichs gelegt wurde, denn darauf stützte sich der Anspruch des Reichsoberhaupts auf Vorrang vor den anderen christlichen Monarchen.

1.2 Der römisch-deutsche Kaiser

Seit 1438 wurden bis zum Ende des Reichs nur Habsburger (bzw. ab 1745 Habsburg-Lothringer) zu Römischen Königen bzw. Kaisern gewählt, mit der einzigen Ausnahme des bayerischen Wittelsbachers Karl VII. Eine solche dynastische Kontinuität in einer Wahlmonarchie war, wenn man etwa an die polnischen Wasa denkt, im frühneuzeitlichen Europa nicht ungewöhnlich, ist in dieser Ausprägung jedoch singulär und bedarf der Erklärung.8 Neben anderen Faktoren sprach für die Habsburger, v. a. seit der Erwerbung des burgundischen Erbes (1477), ihr deutlicher Machtvorsprung vor allen anderen deutschen Dynastien. Mindestens ebenso wichtig war aber ihre bis in die Zeit Rudolphs I. (1273–1291) zurückreichende königliche bzw. kaiserliche dynastische Tradition, die durch jede neue Wahl eines Habsburgers zum ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Einleitung
  6. 1 Kaiser und Reich um 1500
  7. 2 Das Zeitalter der »Reichsreform«
  8. 3 Kaiser, Reich und Reformation
  9. 4 Kaiser und Reich vom Augsburger Religionsfrieden zum Westfälischen Frieden
  10. 5 Kaiser und Reich nach dem Westfälischen Frieden
  11. 6 Das Alte Reich in seiner Spätphase
  12. 7 Was hielt das Reich zusammen?
  13. 8 Das Reich in seinen Gliedern
  14. 9 Peripherien des Reichs
  15. 10 Nachdenken über das Reich
  16. Fazit
  17. Anmerkungen
  18. Abbildungsverzeichnis
  19. Auswahlbibliographie
  20. Register