Kapitel 1
Und Sie glauben, Sie könnten verhandeln?
Was sind Verhandlungen eigentlich?
Verhandlungen sind eine Notwendigkeit, ein Vorgang und eine Kunst. Sie rufen komplexe Gefühle hervor, die viele zu vermeiden versuchen und die dennoch grundlegend dafür sind, wie Geschäfte gemacht und auf der ganzen Welt täglich millionenfach getätigt werden. Wenn Sie sich selbst, Ihre Werte und Vorurteile unter Kontrolle haben, was für Fairness und Ihr Ego erforderlich ist, können Sie beginnen, bei Ihren Verhandlungen die bestmöglichen Resultate zu erkennen. Die größte Herausforderung dabei ist es nicht, sich zu einem besseren Verhandler zu entwickeln, sondern sich zu motivieren, sich und die Art und Weise, wie Sie über Verhandlungen denken, zu verändern. In den vielen tausend Workshops zum Thema Verhandlungen, die ich bei The Gap Partnership geleitet habe, habe ich erkannt, dass sich die größten Veränderungen der Klienten im Bereich der Eigenwahrnehmung vollziehen. Das Studium des Verhandelns ist ein Training der Selbstwahrnehmung, denn das Selbstverständnis und das Verständnis, welchen Einfluss eine Verhandlung auf Sie nehmen kann, ermöglicht es Ihnen, sich dem Druck, den Dilemmas und Belastungen anzupassen, die mit Verhandlungen einhergehen. Selbstverständnis hilft uns zu erkennen, weshalb wir tun, was wir tun, und welche Auswirkungen dies auf unsere Ergebnisse hat. Es hilft uns auch, unser Vorgehen und unser Verhalten jeder Verhandlung anpassen zu können, anstatt eine Vorgehensweise jeder Situation anzupassen, einfach weil es unserem persönlichen Stil entspricht.
Weshalb sollte man verhandeln?
Nur weil alles verhandelbar ist, bedeutet es noch nicht, dass alles verhandelt werden muss. Der Wert Ihrer Zeit im Verhältnis zum potenziellen Vorteil, der durch Verhandlungen erreicht werden kann, ist immer einer Abwägung wert. Weshalb sollte man beim Kauf eines Zehn-Euro-Notizblocks zehn Minuten lang verhandeln, wenn man normalerweise 100 Euro in der Stunde verdient? So spart man vielleicht zwei Euro, das sind 20 Cent pro Minute! Wenn es allerdings um Ihr neues Auto geht und dabei fünf Prozent gespart werden können, dann könnte das 1 500 Euro ausmachen und dann ist die Zeit wahrscheinlich gut investiert.
Es wird Situationen geben, in denen wichtigere Entscheidungen getroffen werden müssen, bei denen Sie aufeinander angewiesen sind, aber unterschiedliche Ansichten haben. Wenn eine Übereinkunft gründlich durchgearbeitet werden muss, kann eine effektive Verhandlung helfen, nicht nur einfach zu einer Lösung zu gelangen, sondern vielleicht auch zu einer Lösung, die von beiden Parteien gerne getragen wird.
Keine andere Fähigkeit hat solch sofortige und messbare Auswirkungen auf Ihr Ergebnis wie Verhandlungsgeschick. Eine kleine Anpassung an den Zahlungsbedingungen, an einer Spezifikation, an einem Schwellenwert oder sogar am Lieferzeitpunkt wird Auswirkungen auf den Wert oder die Rentabilität des Vertrags haben. Das Verständnis für die Wirkung und den Wert einer solchen Anpassung schon vor Beginn der Verhandlungen ist grundlegend für die Planung einer effektiven Verhandlung. Das Geschick, bessere Verträge durch den Ausgleich verschiedener Interessenlagen, Werte und Prioritäten herzustellen, nennt man Verhandlung. Im geschäftlichen Zusammenhang ist dies das Geschick der Profitmaximierung.
Schwellenwert
Dieser Begriff wird genutzt, um ein Niveau festzulegen, auf dem Nutzen, wie etwa der Preis, Rabatte, Lieferungen oder andere Dienstleistungen maßgeblich werden.
Effektives Verhandeln schafft also die Gelegenheit, Wert aufzubauen oder aufzulösen – aber was bedeutet Wert wirklich? Es wäre zu einfach und es kommt zu oft vor, dass man sich nur auf den Preis konzentriert. Die Frage des »wie viel« ist so eine Frage – transparent, messbar und deshalb in den meisten Verhandlungen auch ein ständiges Thema.
Der Preis ist allerdings nur eine Variable, über die verhandelt werden kann. Es ist möglich, einen großartigen Preis zu erzielen und sich als Gewinner zu fühlen, aber gleichzeitig ein schlechtes Geschäft zu machen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Ware nicht rechtzeitig geliefert wird, nach zweimaligem Gebrauch auseinanderfällt, keine schützende Verpackung hat, und so weiter. (Kennen Sie die Redewendung »man bekommt das, wofür man bezahlt«?)
Variable
Dies kann ein Preis sein oder irgendeine Bedingung, über die Einigung erzielt werden muss.
Bei Verhandlungen werden Ihr Ego und Ihr Konkurrenzdenken, der Ehrgeiz zu »gewinnen«, angeheizt, besonders wenn es zu einer Art von Wettkampf kommt. Allerdings geht es bei Vertragsverhandlungen nicht um einen Wettkampf oder das Gewinnen. Bei Verhandlungen geht es darum, sich den höchsten Wert zu sichern. Deshalb sollte man verstehen:
- Was die andere Partei oder Person möchte, braucht oder glaubt;
- was die andere Partei tut und
- wie das die Möglichkeiten beeinflusst.
Als »kompletter Verhandler« müssen Sie sich auf das konzentrieren, was für die andere Partei wichtig ist: ihre Interessen, ihre Prioritäten, ihre Optionen, ihre Schlusstermine und ihre Verhandlungslimits. Versuchen Sie, das Geschäft aus ihrer Perspektive zu sehen. Wenn Sie anfangen, die Gegenpartei und ihre Motivationen zu verstehen, dann können Sie diese Erkenntnisse zu Ihrem Vorteil nutzen und, letztlich, den Wert des Abschlusses für sich selbst erhöhen. Wenn Sie in einer Verhandlung die andere Partei besiegen wollen, dann wird Sie das sehr wahrscheinlich von Ihrem wichtigsten Ziel, nämlich die Möglichkeiten in der Verhandlung für sich zu maximieren, abbringen.
Verhandlungslimits
Verhandlungslimits sind Dinge, Zeiten oder Umstände, die die Machtposition der anderen Partei beeinflussen.
Proaktivität und Kontrolle
Ihre erste Aufgabe ist es, proaktiv zu werden – die Kontrolle über die Verhandlungsführung zu übernehmen. Arbeiten Sie die Themen aus, formulieren Sie eine Agenda, die Ihnen hilft, eine Übereinkunft zu verhandeln, die Ihren Zielen dient. Versuchen Sie ehrlich mit sich selbst zu sein, wenn Sie entscheiden oder vereinbaren, welches diese sind. Denken Sie daran, der Preis ist nur ein Teil des Geschäfts, und hinsichtlich des Preises zu gewinnen, muss nicht unbedingt das beste Geschäft für Sie sein. Sie könnten auf Kooperation angewiesen sein, bis zu dem Punkt, an dem die andere Partei nicht nur einverstanden ist weiter zu verhandeln, sondern auch bereit ist, ihre Verpflichtung einzuhalten. In Ihren Verhandlungen gibt es keinen Platz für Ihr Ego. Allein der Gesamtwert über die Vertragslaufzeit zählt.
Gewöhnen Sie sich daran, mit Unbehagen zu leben
Die Person auf der anderen Seite des Verhandlungstisches könnte eine harte Position einnehmen, die Sie möglicherweise als Provokation oder als Konkurrenzgehabe empfinden. Sich an derartige Situationen, in denen auch Sie wahrscheinlich ein Gefühl des Drucks, der Anspannung und Angst erleben, mehr zu gewöhnen und mit ihnen vertraut zu werden, ist für Sie als geschickter Verhandler eine der wichtigsten Voraussetzungen. Ohne dies können unser klares Denken und unsere Leistung gefährdet sein. Sie müssen also erkennen, dass Sie sich bei Verhandlungen in einem Prozess befinden, und die Menschen, mit denen Sie verhandeln, brauchen Zeit, um sich im Rahmen der Teilnahme an diesem Prozess anzupassen. Typischerweise ist dies der Fall, wenn
- neue Risiken, Verpflichtungen, Konditionen oder Folgen präsentiert werden, oder
- Sie Vorschläge machen, die den Wert der Vereinbarung wesentlich verändern.
Entscheidungsbefugte, unerfahrene Verhandler stellen ein echtes Risiko dar
Die Einführung von auf der Cloud-Technologie basierenden Lösungen in Organisationen hat ein sich schnell veränderndes, komplexes Umfeld geschaffen, in dem es wichtig ist, nicht nur IT-Experten an Ihrer Seite zu haben, sondern auch einen Verhandler, der die in Verträgen enthaltenen Variablen verstehen kann.
PIC, eine in Paris ansässige Beratungsgesellschaft, war stark daran interessiert, in ein neues HR-System zu investieren, um den Herausforderungen gerecht werden zu können, die mit einem ständig wachsenden Team verbunden sind. Während ihrer Recherchen fanden sie eine Lösung, die auch ein integriertes Learning Management System (LMS) enthielt. Das ist eine Plattform für das Management der Mitarbeiterentwicklung und enthält Trainings-Inhalte, auf die Mitarbeiter zugreifen können.
People Technologies, der potenzielle Lieferant, machte PIC ein überzeugendes Angebot, das auch die Nutzung ihres LMS-Systems als Plattform für die Klienten von PIC einschloss. Das bedeutete, dass PIC nicht nur ein System kaufen würde, das dem eigenen Unternehmen zur Verfügung steht, sondern eine Lösung, die als Service auch ihren eigenen Klienten angeboten werden konnte.
Der neue IT-Manager stellte diese Idee dem Vorstand von PIC vor, der von dessen kreativem Denken beeindruckt war. Die jährliche Lizenzgebühr war zwar doppelt so hoch, wie in der Budgetplanung vorgesehen, aber die kundenbezogene Bereitstellung wurde als echte Chance verkauft, um den Klienten »eine geldwerte technologische Lösung bieten zu können« – und das überzeugte den Vorstand.
Der Vorstand stimmte der Idee zu und unterzeichnete einen Vertrag über drei Jahre. Allerdings wurde es schon bald offensichtlich, dass People Technologies diese Lösung erstmalig durchführte. Obwohl es ein großes Unternehmen war, hatte es seinen Service noch nie einem Klienten zum Wiederverkauf angeboten. Es gab Aspekte, die nicht durchdacht worden waren, etwa das Thema kostenpflichtige Lizenzen und die Tatsache, dass PIC für jeden einzelnen Nutzer bei seinen Klienten haften musste. Themen, die etwas mit Integration und Wartung zu tun hatten, waren vom IT-Manager nicht völlig verstanden oder verhandelt worden. Der Vorstand war jedoch davon ausgegangen, dass dieser Verständnis für die gegenseitigen Abhängigkeiten hatte. Nach wenigen Wochen sah sich der Finanzvorstand mit Fragen der Mitarbeiter aus dem operativen Bereich konfrontiert. Er untersuchte die Auswirkungen des Vertrags und stellte fest, dass dieser Lösung...