1. Die Kunst der Gesprächsführung
Die besten Gespräche mit Gott führe ich in den frühen Morgenstunden, wenn meine Welt noch still und ohne Ablenkungen ist. Ich spreche von vier Uhr oder halb fünf – also wirklich früh. Ich weiß nicht genau, wie Gott es macht: Wenn ich schlafe, entzündet er einen kleinen Funken in meinem Geist oder meiner Vorstellung, und dann bin ich hellwach, stehe auf und höre auf ihn. Manchmal stellt sich das als eine Inspiration für etwas heraus, was ich schreibe, manchmal als der Anstoß, ein bestimmtes Buch oder eine bestimmte Schriftstelle zu lesen, manchmal nur, dass ich höre, was er sagt.
Heute Morgen wollte Gott sich mit mir über Pilze und meine Mutter unterhalten. Ich hörte zu, stellte Fragen, schrieb in mein Gebetstagebuch und lernte viel. Aber eigentlich lerne ich ja immer viel, wenn ich mich hinsetze und höre, was er sagt. Gott ist ein wunderbarer Gesprächspartner!
Neulich kaufte ich zum ersten Mal in einem bestimmten asiatischen Geschäft an unserem Wohnort ein. Ich kam mir vor, als wäre ich in eine Miniversion der Chinatown von San Francisco oder Victoria, B.C. geraten. Das sind die einzigen Chinesenviertel, die ich bislang kennengelernt habe, und von beiden bin ich begeistert. Die Gerüche, das fremdartige Essen, die ungewöhnlichen Kochutensilien, die Geräuschkulisse aus Klappern und Stimmengewirr – all das finde ich faszinierend. Herrlich!
In dem Asialaden hier am Ort waren nur wenige Kunden, als ich ihn neulich morgens aufsuchte, also nahm ich mir einen Einkaufswagen, schlenderte in Ruhe durch die Gänge und sah mir alles genau an. Unter anderem kaufte ich eine große Tüte getrockneter Shiitake-Pilze. Etwas Hässlicheres hatte ich noch nie gesehen, aber sie waren so billig, dass ich nicht widerstehen konnte. Zu Hause experimentierte ich mit den Pilzen zunächst einmal nur herum – ich wässerte und kochte sie.
Gott erinnerte mich daran, dass die Shiitake-Pilze, so ungenießbar und regelrecht eklig sie aussehen, in sich einen köstlichen, fleischartigen Geschmack bergen, der nur darauf wartet, sich entfalten zu können. Nach der Anleitung auf der Packung (also dem kurzen Abschnitt, der in englischer Sprache verfasst war) weichte ich sie etwa eine Stunde in kaltem Wasser ein. Sie wurden zwar etwas dicker, sahen aber nicht wesentlich besser aus. Nach wie vor waren sie so hart, dass auch das beste Küchenmesser an ihnen scheiterte. Danach legte ich sie eine Weile in heißes Wasser. Das brachte einen weiteren Fortschritt. Jetzt ließen sie sich besser schneiden, aber immer noch ähnelten sie eher aufgeweichter Pappe als Pilzen. Dann kam mir die Idee, sie langsam in selbstgemachter Hühnerbrühe köcheln zu lassen. O du meine Güte! Wie köstlich sie jetzt schmeckten! Heute sind Shiitake-Pilze meine neue Lieblingszutat für alle möglichen Gerichte.
Mir wurde sofort klar, was Gott mir mit dieser Erinnerung sagen wollte. Ich erkannte das Bild: wie eine harte, ausgetrocknete Seele nach und nach lebendig wird und sich zu ihrem vollen Potenzial entwickelt. Gott ist wirklich gut darin, die normalsten Dinge als Beispiel zu verwenden.
Er stößt nicht nur gute Gespräche an, sondern wechselt auch schon einmal schnell das Thema. Aber damit verfolgt er immer eine Absicht und macht immer eine Aussage, ich darf mich nur nicht ablenken lassen. Gerade als ich dachte, damit wäre die Lektion für heute Morgen zu Ende, wurde er persönlich. Erinnerst du dich, wie hart und lieblos dir deine Mutter immer vorkam, wenn sie in Gegenwart ihrer eigenen Mutter war? Ja, daran erinnerte ich mich allerdings. Es war mir unbegreiflich gewesen. Meine Mutter nannte Großmutter immer beim Vornamen, Bertie, ohne irgendeine Art von Kosenamen oder den Ausdruck einer liebevollen Beziehung. Sie tat ihrer Mutter gegenüber ihre „Pflicht“, mehr nicht.
Für mich war Großmutter meine „Mamo“. Sie überschüttete mich mit Liebe und Bestätigung, die ich wie ein Schwamm aufsog. Aber zwischen meiner Mutter und ihr herrschte ein Verhältnis wie unter Fremden. Sogar bei Mamos Tod waren die letzten Worte meiner Mutter zu ihr: „Ich kann dir nicht vergeben.“
Zum Teil war mir ihre Geschichte bekannt. Bertie hatte mit nur sechzehn Jahren einen älteren Mann geheiratet, einen wohlhabenden, berühmten Arzt. Ihre Eltern waren begeistert. Innerhalb eines Jahres erwartete sie ihr erstes Kind (meine Mutter), und ihr Mann bestand darauf, dass sie es abtreiben ließe. Das war im Jahr 1912, aber auch damals konnten Ärzte so etwas machen. Bertie war entsetzt und weigerte sich. Das selbstsüchtige, verkehrte, üble Ansinnen dieses Mannes kam ans Licht und er verließ seine Familie, ging fort und ließ nie wieder von sich hören.
Aus einem prächtigen, herrschaftlichen Haus mit Personal zog Bertie zurück in das bescheidene Heim ihrer Eltern. Schmach und Schande kam über die Familie. Eine Scheidung galt als Makel. Das Baby im Haus war eine ständige Erinnerung. Damals gab es keinen gesetzlichen Anspruch auf Alimentezahlung oder staatliche Unterstützung, deshalb arbeitete Bertie bei einem Juwelier, und meine Mutter wurde von enttäuschten und strengen Großeltern erzogen.
Das verwerfliche Tun eines einzigen selbstsüchtigen Mannes wirkte sich auf die ganze Familie meiner Mutter aus, bis er vergessen war. Aus unerfindlichen Gründen wurde die Schande meiner Großmutter angelastet statt ihrem treulosen Ehemann, vielleicht, weil sie da war und er nicht. Warum auch immer: Mamo war der Sündenbock der Familie.
Wenn man nichts anderes kennt, kann Dysfunktionalität in einer Familie zum Normalzustand werden. Ich habe nie verstanden, warum meine Mutter sich weigerte, meiner Großmutter zu vergeben, besonders nicht, als meine Mutter mit über sechzig Jahren wiedergeboren wurde. Aber wenn man lange genug mit den Dynamiken der eigenen Familie lebt, stellt man sie irgendwann gar nicht mehr infrage.
So, wie Gott von den Pilzen auf Mama zu sprechen gekommen war, erinnerte er mich dann an einen bestimmten Nachmittag: Es war kurz nach Mamos Tod, ich war bei meiner Mutter zu Besuch. Wir saßen vor ihrem Haus und tranken Eistee. Mit der Absicht, gute Erinnerungen an Mamo zu wecken, fragte ich beiläufig: „Was sind eigentlich deine frühesten Erinnerungen an deine Mutter?“ Mama wurde so wütend, wie ich sie noch nie erlebt hatte – und ich hatte sie oft wütend gesehen.
„Ich will dir sagen, woran ich mich erinnere! An meinen sechsten Geburtstag erinnere ich mich. Mein Geburtstagsgeschenk war ein neues, blaues Haarband, und Bertie versprach, mit mir ins Kino zu gehen. Vor Aufregung konnte ich es kaum erwarten, bis sie nach der Arbeit wieder zu Hause wäre. Doch als sie schließlich kam, war sie in Begleitung eines Kollegen und sagte, sie würde mit ihm ins Kino gehen. Erst dachte ich, dass ich dabei sein dürfte, aber als wir an der Ecke vor unserem Haus standen und auf die Straßenbahn warteten, da schickte sie mich wieder nach Hause. Sie sagte, ich könne nicht mit ihnen kommen. Meine Wünsche kümmerten sie gar nicht. Was ich wollte, war ihr immer egal.“
Diese eine Erinnerung fasste die lebenslange Enttäuschung meiner Mutter und ihr Gefühl der Ablehnung zusammen. Natürlich war der Bösewicht in der Geschichte eigentlich mein Großvater, aber der war weg. Alles bekam Mamo ab: das Gefühl meiner Mutter, verlassen und ungewollt zu sein, und die allgegenwärtige, überwältigende Scham – alles richtete sich nur gegen Mamo.
Der Herr sagte mir: Deine Mutter fühlte sich wie so ein getrockneter Pilz – ohne Leben, ohne Geschmack, ohne jede Schönheit.
Mein Herz rief: „Oh Herr! Ich wünschte, ich hätte gewusst, wie ich ihr hätte dienen können. Aber zu der Zeit lernte ich ja selber erst, wie du Leben verändern kannst. Du hast mich verändert, aber damals stand ich ganz am Anfang und war selber noch nicht stabil und fest gegründet. Bei meiner Mutter habe ich so viele Möglichkeiten verpasst.“
Und dann kam Gott (wie immer) zu dem, was er mit dieser frühmorgendlichen Unterhaltung letztendlich sagen wollte: Ich wünschte, du könntest sie jetzt sehen! Sie ist erfüllt von meiner Liebe. Sie ist die Liebliche, als die ich sie geschaffen habe, voll ewigen Lebens. Eines Tages wirst du es selber sehen.
Das Gespräch mit Gott verwandelt mich!
Ich weiß nicht, warum Gott dieses Gespräch über meine Mutter angeregt hat. Sie war 1997 verstorben, ich hatte gar nicht an sie gedacht. Es lag auch kein bestimmtes Datum an, kein Geburts- oder Todestag. Gott meinte wohl einfach, dass ich das heute hören sollte. Das Gespräch war detailliert, gleichzeitig aber auch recht weitschweifig. Es enthielt ein paar längst vergessene Erinnerungen und aussagekräftige Symbole. Es war kein besonders langes Gespräch, hinterließ aber einen starken Eindruck in mir. Es erfüllte mich mit Hoffnung, Liebe, Befreiung, Erwartung, Freude und tiefer Dankbarkeit. Es hatte sich für mich überraschend und unerwartet ergeben.
Bei anderen Gelegenheiten ist ein Gespräch mit Gott kurz und bündig und kommt ohne Umschweife zum Punkt, ohne Vorrede, Symbolik oder Erklärungen. Manchmal spricht Gott nur ein Wort oder ein paar Sätze, und ein Leben wird verwandelt. Ich erinnere mich an Brenda, eine Frau, die wir seit einigen Jahren kennen. Als sie zu uns kam, war ihr Leben ein Scherbenhaufen. Sie plagte sich mit kaputten Beziehungen herum, mit Süchten, Selbstverletzung, Selbsthass und einem eklatanten Mangel an Gottvertrauen. Immer und immer wieder sagten wir und andere zu Brenda, dass sie sich genau von dem abwandte, der doch ihr einziger Helfer war. Sie wollte Hilfe, aber sie wollte Gott nicht.
Als Kind war Brenda von einem der Ältesten ihrer Kirchengemeinde missbraucht worden. In ihrem unreifen Denken hatte sie gefolgert: Da das im Hause Gottes geschehen war, hatte Gott es auch zugelassen. Seitdem hatte sie Gott den Rücken zugekehrt. Als wir sie kennenlernten, war sie verzweifelt und selbstmordgefährdet.
Conlee und ich verbrachten in den folgenden paar Jahren viel Zeit mit ihr, wir gaben ihr Liebe, Ermutigung, Ermahnung, Predigten, Bibelverse und waren schließlich frustriert. Außer uns versuchten auch viele andere, Brenda zu helfen. Jeder tat, wozu er in der Lage war, doch sie rutschte immer mehr ab. Dann und wann erholte sie sich mal ein bisschen, aber insgesamt ging es stetig bergab. Schließlich musste sie ihre Stelle aufgeben und Arbeitsunfähigkeitsrente beziehen.
Als wir Brenda eines Tages nach einer mehrwöchigen Unterbrechung wiedersahen, schien sie ein anderer Mensch zu sein. Alles war verändert an ihr: ihr Gesichtsausdruck, ihr Verhalten, ihre innere Einstellung, selbst ihre Körperhaltung. Wir konnten es kaum erwarten zu hören, was geschehen war. Sie sagte, dass sie bei einer bestimmten Gelegenheit völlig verzweifelt zu Gott geschrien habe – klagend und voller Selbstmitleid. Gott habe unmissverständlich zu ihr gesprochen, und das habe sie quasi augenblicklich verändert.
Was er ihr gesagt hatte, war keinesfalls, was ich ihr gesagt hätte, ich hätte auch nicht gedacht, dass sie das hören müsste. Es war mit Sicherheit nichts, was ich aus Gottes Mund erwartet hätte. Ich bin nicht sicher, wie ich reagiert hätte, wenn er es mir gesagt hätte. Aber wie immer passten seine Worte perfekt auf die Person, an die sie gerichtet wurden. Für Brenda waren sie genau richtig.
Sie hörte Folgendes: Brenda, es geht nicht immer nur um dich. Es geht immer um mich.
Mehr nicht. Diese wenigen Worte trafen sie ins Mark. Für Brenda waren sie wie eine blitzartige Erleuchtung. Sie markierten den Beginn eines wiederhergestellten und geheilten Lebens, das bis heute Frucht bringt.
Dem Gesprächspartner vertrauen
Die Unterhaltung, die Gott mit mir über Pilze und meine Mutter führte, war so unerwartet, so unverkrampft und detailliert gewesen, dass Si...
