Reform oder Blockade
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Reform oder Blockade

Welche Zukunft hat die UNO?

  1. 320 Seiten
  2. German
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Reform oder Blockade

Welche Zukunft hat die UNO?

Über dieses Buch

Die UNO befindet ich in der schwierigsten Lage seit der Gründung vor 75 Jahren. Ihr mächtigstes Mitglied, die USA, hat mit der UNO-feindlichen "America first"-Politik von Trump die Weltorganisation erheblich geschwächt. Zugleich stellt die Corona-Pandemie die 193 Mitgliedsstaaten sowie die Weltgesundheitsorganisation und die anderen humanitären Programme der UNO vor bislang ungekannte Herausforderungen. Wichtige Reformvorhaben zur Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit liegen unerledigt auf dem Tisch. Zudem beschädigt das Versagen des Sicherheitsrates im nun schon zehn Jahre währenden Syrienkrieg die Glaubwürdigkeit der UNO. Mit dem rasanten Machtzuwachs Chinas sowie dem Konflikt zwischen Washington und Peking droht erneut eine Totalblockade des Sicherheitsrates und anderer Teile des UNO-Systems wie im Kalten Krieg.Über all die Probleme geraten die vielen großen Verdienste der Weltorganisation aus dem Bewusstsein. Und es wachsen die Zweifel, ob multilaterale Kooperation, wie sie 1945 mit der UNO institutionalisiert wurde, unter veränderten Rahmenbedingungen überhaupt eine Chance hat. Wird die Weltorganisation sich reformieren können und wieder handlungsfähig sein?

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Syrien, Ukraine, Israel und Palästina – das Scheitern der UNO-Mitgliedstaaten in den aktuellen Krisen und Konflikten

Die Kriege in Syrien, der Ukraine und im Gazastreifen mit jeweils gewaltigen Zerstörungen und horrenden Zahlen an Toten, Verletzten und Flüchtlingen, die rasante Ausbreitung der Ebola-Seuche sowie der erfolgreiche Vormarsch der Terrormilizen des »Islamischen Staats« mit seinen über das Internet weltweit verbreiteten Greueltaten – insbesondere diese fünf scheinbar unkontrollierbaren Krisen und Gewaltkonflikte machten bereits das Jahr 2014 zum extremsten Krisenjahr seit Ende des Kalten Krieges und weckten bei immer mehr Menschen den Eindruck eines globalen Chaos. Dies umso mehr, als die UNO in keiner dieser Krisen und in keinem dieser Gewaltkonflikte eine wirksame Rolle spielte, um sie zu beenden oder um wenigstens weitere Eskalationen zu verhindern. Selbst die ausreichende humanitäre Versorgung der überlebenden Opfer dieser Krisen und Gewaltkonflikte konnte die UNO 2014 angesichts immer knapperer Ressourcen häufig nicht mehr gewährleisten. Keine dieser Krisen und Gewaltkonflikte wurde seitdem überwunden. Im Jemen und anderswo kamen neue Kriege hinzu, in denen sich die UNO ebenfalls als weitgehend handlungsunfähig erwies.
Diese Defizite und das Versagen der UNO sind allerdings weder Schicksal noch das Ergebnis von Unfähigkeit der weltweit tätigen UNO-Mitarbeiter. Verantwortlich für das Versagen der Vereinten Nationen – wie auch für ihre Erfolge – sind immer die Mitgliedstaaten. In allen fünf Krisen und Gewaltkonflikten gab es und gibt es auch weiterhin Alternativen für ein wirksames Handeln der UNO. Die Mitgliedstaaten müssen das nur wollen.

Syrien – die Dauerblockade des UNO-Sicherheitsrats

Bei keinem anderen Gewaltkonflikt seit Ende des Kalten Krieges sind sich weite Teile der öffentlichen und veröffentlichten Meinung derart einig, dass die Vereinten Nationen und insbesondere der UNO-Sicherheitsrat gescheitert sind, wie bei dem seit März 2014 stattfindenden Vielfrontenkrieg in und um Syrien. Im Völkermord in Ruanda im Frühjahr 1994 wurden zwar innerhalb der kurzen Zeitspanne von wenigen Wochen fast 900’000 Menschen niedergemetzelt. Und der Völkermord an fast 8000 muslimischen Jungen und Männern im ostbosnischen Srebrenica im Juli 1995 gilt auch deswegen als besonders gravierendes »Versagen der UNO«, weil dieser Völkermord in einer vom Sicherheitsrat proklamierten und von Blauhelmsoldaten bewachten UNO-Schutzzone stattfand. Zudem waren die weltweite mediale Aufmerksamkeit und Erschütterung auch deswegen so groß, weil dieser Völkermord in Europa stattfand. Vergleichbare Gewaltakte mit ähnlicher oder noch größerer Grausamkeit und Opferzahl auf dem afrikanischen Kontinent stoßen auf weit weniger Interesse.
Doch der nach ersten gewaltfreien Protesten gegen die Regierung von Präsident Bashar al-Assad im März 2011 entflammte Syrienkrieg zieht sich inzwischen schon zehn Jahre hin und ist in dieser Zeit fast ständig eskaliert. Bis Ende 2020 hat dieser Krieg mehr als 500’000 Todesopfer gefordert. Über 13 Millionen Syrerinnen und Syrer – das ist weit über die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung – befinden sich inzwischen als Flüchtlinge im Ausland oder sind Binnenvertriebene innerhalb Syriens. Das ist die größte Flüchtlingskatastrophe und – neben dem seit 2015 eskalierenden Jemenkrieg – die größte Herausforderung für die humanitären Organisationen des UNO-Systems seit Ende des Zweiten Weltkrieges.
Erst im Dezember 2015 – über viereinhalb Jahre nach Beginn des Syrienkrieges – konnte sich der UNO-Sicherheitsrat mit seiner einstimmig verabschiedeten Resolution 2254 erstmals auf Vorschläge zur Lösung dieses Gewaltkonflikts einigen. Die Resolution enthält einen bis heute gültigen Fahrplan für die Beendigung des Krieges und die Aushandlung einer Nachkriegsordnung durch die Konfliktparteien. Doch abgesehen davon, dass Anfang 2016 ein von einem UNO-Vermittler moderierter, bislang aber fast völlig ergebnisloser Verhandlungsprozess begonnen hat, wurde keiner der Schritte der Resolution 2254 bis heute umgesetzt.

Rivalisierende Interessen der Vetomächte

Warum konnte die UNO sich bis Ende 2015 nicht einmal auf einen solchen Plan zur Beendigung des Syrienkrieges einigen? Hauptsächlich wegen der Interessengegensätze der fünf Vetomächte im Sicherheitsrat, insbesondere zwischen Russland und den USA. Als Ursache hinzu kommen die machtpolitischen, zum Teil religiös verbrämten Rivalitäten zwischen den mit jeweils einem dieser beiden UNO-Vetomächte verbündeten Nachbarstaaten Syriens, in erster Linie Iran und Saudi-Arabien.
Nach Tunesien, Ägypten, Libyen sowie zwischenzeitlich Bahrain war Syrien der fünfte Staat in der Region Nordafrikas und des Nahen Ostens, der seit Ende 2010 vom »arabischen Frühling« ergriffen wurde. Die Menschen in diesen Ländern gingen auf die Straße, protestierten gegen die autoritären, diktatorischen und korrupten Regime und forderten die grundlegenden Freiheits- und Menschenrechte für sich ein. Doch hier enden die Gemeinsamkeiten zwischen den fünf Staaten. Im Unterschied zu Tunesien, Ägypten und Libyen ist Syrien von erheblicher strategischer Bedeutung. Das gilt zwar auch für das kleine Ölemirat Bahrain, das direkt am Persischen Golf liegt, und wo die siebte Flotte der US-Seestreitkräfte ihren wichtigsten Hafen hat. Aus diesem Grund wurden die gewaltfreien Demonstrationen der schiitischen Mehrheitsbevölkerung gegen das sunnitische Minderheitsregime in Bahrain im März 2011 schnell und effektiv von Truppenverbänden aus dem benachbarten Saudi-Arabien niedergeschlagen – unter offener Zustimmung der Regierungen in Washington und anderen westlichen Hauptstädten.
Syrien ist aber nicht nur wegen seiner geografischen Lage mit gemeinsamen Grenzen zu Irak, Libanon, Israel und der Türkei von strategischer Bedeutung und von großem Interesse für äußere Akteure, seien es globale Großmächte oder benachbarte Regionalmächte, sondern auch, weil Syrien unter der Herrschaft der aus der schiitisch-alawitischen Bevölkerungsminderheit stammenden Herrscherfamilie Assad die Verbindung zwischen dem schiitischen Iran und der schiitischen Hisbollah in Libanon ermöglichte. Zudem ist Syrien das einzige Land der gesamten Region von Marokko bis Pakistan, das während der viereinhalb Jahrzehnte des Kalten Krieges ein Verbündeter Moskaus war. Auch nach Ende des Kalten Krieges blieb dieses Bündnis erhalten. Die Marinebasis Tartus an der syrischen Küste, 90 Kilometer südlich der Stadt Latakia, ist der einzige Zugang der russischen Seestreitkräfte zum Mittelmeer und darüber hinaus die einzige russische Militärbasis außerhalb des Gebiets der früheren Sowjetunion. Diese Marinebasis ist für Russland so wichtig wie der Hafen in Bahrain für die USA. Auch nach Ende des Kalten Krieges blieb Syrien einer der größten Käufer russischer Waffen.

Vom politischen Aufstand zum Stellvertreterkrieg

Aus allen diesen Gründen eskalierte die Arabellion in Syrien von einem politischen Aufstand klar identifizierbarer innenpolitischer Oppositionsgruppen gegen das Assad-Regime zu einem Stellvertreterkrieg zwischen diversen äußeren Akteuren. Daher waren die Chancen der UNO, diesen Krieg zu beenden, von Anfang an sehr gering. Zwar konnten die UNO und die Arabische Liga im Februar 2012 den ehemaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan als Syrien-Vermittler gewinnen. Annan genoss bei fast allen politischen Akteuren in der Konfliktregion des Nahen und Mittleren Ostens großes Ansehen und Vertrauen. Wenn überhaupt jemand, dann hätte er es schaffen können, im Syrienkonflikt einen Waffenstillstand und dann vielleicht auch eine politische Lösung herbeizuführen. Dass Annan nicht einmal eine vorübergehende Waffenruhe bewirken konnte, ist nicht ihm anzulasten, dafür tragen die drei Vetomächte im UNO-Sicherheitsrat, Russland, China und USA, die Verantwortung. Ihre rhetorische Unterstützung für Annans Friedenspläne war immer unehrlich.
Bald nach seiner Ernennung Anfang 2012 unterbreitete Annan einen Sechs-Punkte-Friedensplan für die Beilegung des Syrienkonflikts. Der Plan sah einen dauerhaften Waffenstillstand vor, ungehinderten Zugang der Hilfsorganisationen zur bedürftigen Zivilbevölkerung im ganzen Land, einen Gefangenenaustausch, die Aufhebung der Medienzensur und schließlich eine Vereinbarung der syrischen Konfliktparteien über die politische Zukunft ihres Landes. Die Vetomächte im UNO-Sicherheitsrat stellten sich zwar hinter diesen Sechs-Punkte-Friedensplan und versicherten dem von ihnen beauftragten Syrien-Vermittler Annan immer wieder ihre Unterstützung. Hinter den Kulissen sabotierten sie Annan und seinen Plan aber nach Kräften.

Wie der UNO-Vermittler Annan sabotiert wurde

Die drei westlichen ständigen Ratsmitglieder und Vetomächte USA, Frankreich und Großbritannien gründeten Anfang 2012 zusammen mit Deutschland, der Türkei, Saudi-Arabien, Katar und weiteren Ländern die Staatengruppe der »Freunde Syriens«. Auf den Treffen der Außenminister dieser Ländergruppe legten Saudi-Arabien und Katar allein 100 Millionen US-Dollar auf den Tisch für Waffenlieferungen an die syrischen Rebellengruppen. Russland versorgte die Streitkräfte des Assad-Regimes weiterhin mit Waffen. Im UNO-Sicherheitsrat verhinderte Russland, unterstützt von China, durch Vetodrohungen die Verabschiedung westlicher Resolutionsentwürfe, in denen das Assad-Regime wegen seiner Menschenrechtsverletzungen kritisiert und zur Einstellung von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung aufgerufen wurde.
Grund für diese von westlichen Regierungen immer wieder kritisierte »Blockadehaltung« waren aber nicht nur die nationalen Eigeninteressen Russlands in Syrien und das für Peking ganz besonders wichtige Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten. Ausschlaggebend für die kompromisslose Haltung der beiden Vetomächte Russland und China war auch die Erfahrung mit der Libyen-Resolution des UNO-Sicherheitsrats vom März 2011. Damals hatten die westlichen Staaten im Rat sowie Libanon einen Resolutionsentwurf eingebracht zur Schaffung einer Flugverbotszone über Libyen. Mit dieser Maßnahme sollte die Zivilbevölkerung gegen Angriffe von Gaddafis Luftwaffe geschützt werden. Russland und China enthielten sich und ließen die Resolution damit passieren. Doch unter missbräuchlicher Anwendung dieser Resolution führten die drei NATO-Staaten Frankreich, USA und Großbritannien in der Folge einen Krieg gegen das Gaddafi-Regime bis zu dessen Sturz. Moskau und Peking fühlten sich hintergangen. »Nach dieser Erfahrung werden wir keiner Syrien-Resolution zustimmen, weder im Sicherheitsrat noch im Menschenrechtsrat der UNO«, erklärte Russlands UNO-Botschafter Witali Tschurkin damals unter beifälligem Nicken seines chinesischen Amtskollegen.
Mit Ausnahme der von Russland und den USA gemeinsam initiierten Resolution zur Beseitigung aller syrischen Chemiewaffen vom Oktober 2013 konnte sich der Sicherheitsrat wegen der rivalisierenden Interessen seiner gewichtigsten Mitglieder bis zur Resolution 2254 vom Dezember 2015 auf keine völkerrechtlich verbindliche Resolution zum Syrienkonflikt einigen. Der Rat verständigte sich lediglich auf einige unverbindliche Erklärungen seines Präsidenten. Der UNO-Menschenrechtsrat in Genf hat eine Reihe von Resolutionen beschlossen. In den meisten dieser Resolutionen werden nicht nur die schweren Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes verurteilt, sondern auch die Verstöße der bewaffneten Oppositionskräfte. Zwar stimmten Russland und China gegen diese Resolutionen. Doch im Menschenrechtsrat haben die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats kein Veto. Zudem etablierte der Menschenrechtsrat eine Unterkommission zur Lage in Syrien. Deren bisherige Berichte beruhen jedoch ausschließlich auf Zeugen und überlebenden Opfern, die außerhalb Syriens vor der UNO-Kommission aussagten. Denn das Assad-Regime gewährt den Mitgliedern der UNO-Untersuchungskommission bis heute keinen Zugang zu Syrien. Damit verstößt das Regime gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen.

Der unbrauchbare Formelkompromiss der Genfer Syrien-Konferenz 2012

Ende Juni 2012 flammte noch einmal kurzfristig Hoffnung auf eine baldige Beendigung des syrischen Bürgerkriegs auf. In Genf fand die erste vom UNO-Sicherheitsrat initiierte Syrien-Konferenz statt. Teilnehmer waren neben Syrien-Vermittler Kofi Annan und den Außenministern aller fünf Vetomächte des Sicherheitsrats auch deren Amtskollegen aus der Türkei, Irak, Katar und Kuwait, die Außenbeauftragte der Europäischen Union (EU) sowie Vertreter des Syrischen Nationalrats (SNC). Der SNC, ein sehr heterogener Zusammenschluss von etwa 300 im Exil lebenden Kritikern des Assad-Regimes, galt den westlichen Regierungen damals als die wichtigste politische Oppositionsgruppe.
Die Genfer Konferenz endete mit einer Vereinbarung, welche die Schritte beschreibt von einem Waffenstillstand in Syrien über die Etablierung einer aus Vertretern von Regierung und Opposition gebildeten Übergangsregierung in Damaskus bis hin zu von der UNO überwachten freien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Diese Vereinbarung vom Juni 2012 wird seitdem als »Erklärung von Genf 1« bezeichnet. Sie galt lange als Grundlage und Referenzpunkt für die weiteren diplomatischen Bemühungen der UNO um eine Beilegung des Syrienkonflikts. Allerdings beinhaltete diese Vereinbarung in der zentralen Streitfrage der künftigen Rolle Assads einen Formelkompromiss, der ihren politischen Gebrauchswert von Beginn an infrage stellte. Syrien-Vermittler Kofi Annan hatte in seinem Entwurf für die Vereinbarung vorgeschlagen, dass »jene Personen von der Übergangsregierung ausgeschlossen werden sollen, deren fortgesetzte Anwesenheit und Beteiligung die Glaubwürdigkeit der Transition untergraben und Stabilität und Versöhnung aufs Spiel setzen würden«. Mit diesem Passus waren Assad und andere führende Mitglieder des Regimes in Damaskus gemeint. Das zumindest war die Interpretation von neun der elf Teilnehmer der Genfer Konferenz: der drei westlichen Vetomächte des Sicherheitsrats, USA, Frankreich und Großbritannien, der EU, der Türkei und der drei arabischen Staaten Irak, Kuwait und Katar.
Der Syrische Nationalrat ging sogar noch einen Schritt weiter als Vermittler Annan in seinem Entwurf: »Letztendlich wollen wir das Blutvergießen in Syrien beenden. Wenn dazu ein politischer Dialog nötig ist, sind wir dazu bereit«, erklärte SNC-Sprecher Chalid Saleh und fügte hinzu: »Wir sind aber nicht bereit, mit Assad und jenen zu verhandeln, die Syrer getötet haben. Wir werden nicht verhandeln, solange sie Syrien nicht verlassen haben.«
Russland und China stellten sich auf der Genfer Konferenz jedoch entschieden gegen den Vorschlag von UNO-Vermittler Annan. »Wir lehnen einen von außen erzwungenen Ausschluss Assads von einer Übergangsregierung oder von Verhandlungen entschieden ab«, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow. »Unsere westlichen Partner wollen über das Ergebnis des politischen Prozesses in Syrien entscheiden, obwohl das eine Angelegenheit der Syrer ist«, monierte der Vertreter Moskaus.
Angesichts der Haltung Russlands und Chinas und um ein gänzliches Scheitern der Genfer Konferenz zu verhindern, wurde Annans Formulierungsvorschlag schließlich fallen gelassen. In dem Genfer Abschlussdokument heißt es stattdessen, »die Übergangsregierung aus Mitgliedern der derzeitigen Regierung und der Opposition« solle »auf Basis beiderseitigen Einverständnisses gebildet werden«.
Im Klartext heißt das: Vertreter des Regimes – darunter möglicherweise Assad selbst – sollen im Einverständnis mit Vertretern der Opposition darüber entscheiden, ob der Präsident und andere Mitglieder des Regimes an einer künftigen Übergangsregierung und an Verhandlungen über die Zukunft des Landes beteiligt sein sollen.
Dieses Szenario schien schon im Juni 2012 zumindest nach den bis dato erfolgten öffentlichen Festlegungen des Syrischen Nationalrats und anderer Oppositionsgruppen unvorstellbar.

Die Ausgrenzung Irans aus der Suche nach Beilegung des Syrienkonflikts

Russlands Außenminister Lawrow hatte in Genf den Vorschlag gemacht, auf einer weiteren Konferenz in Moskau eine Lösung für den Syrienkonflikt zu suchen. In Moskau sollten dann auch alle syrischen Konfliktparteien sowie Iran als engster Verbündeter der Regierung in Damaskus teilnehmen. Doch die USA wiesen diesen Vorschlag als »unannehmbar« zurück. Die Obama-Administration hatte mit ihrem Veto bereits verhindert, dass Iran zu der Genfer Konferenz im Juni 2012 eingeladen wurde. In Genf nahmen mit der Türkei, Katar und Kuwait auf Einladung der westlichen Vetomächte des UNO-Sicherheitsrats, USA, Frankreich und Großbritannien, drei Staaten aus der nahöstlichen Krisenregion teil, die die syrische Opposition unterstützen. Nicht nur Russland hatte vergeblich darauf gedrungen, auch die iranische Regierung nach Genf einzuladen. Auch Syrien-Vermittler Annan und UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hatten sich vehement für eine Einladung Teherans eingesetzt. Ihr Argument: Für eine Beendigung des Syrienkonflikts muss man sämtliche regionalen Akteure an den Verhandlungstisch holen, die im Syrienkonflikt eigene Interessen verfolgen und daran beteiligt sind durch finanzielle, militärische oder sonstige Unterstützung für die eine oder andere innersyrische Konfliktpartei. Doch mit ihrem Plädoyer für eine umfassende Beteiligung aller Konfliktakteure scheiterten Annan und Ban Ki-moon am Veto Washingtons.
Die Obama-Administration verfolgte im Jahr 2012 noch die Linie einer strikten internationalen Isolation Teherans und verweigerte zumindest offizielle Treffen und Gespräche mit Vertretern der iranischen Führung. Darüber hinaus setzte die Obama-Administration im Spätsommer 2012 UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon und den damaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi massiv unter Druck, nicht wie geplant zur Gipfelkonferenz der blockfreien Staaten Mitte Oktober nach Teheran zu reisen. Wie UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon hielt auch der sunnitische Muslimbruder Mursi die Einbindung des schiitischen Iran in die Bemühungen um eine Beendigung des Syrienkonflikts für unerlässlich. Zudem wollte Mursi mit dem ersten Iranbesuch eines ägyptischen Präsidenten seit Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern im Jahre 1979 infolge der iranischen Revolution und des Friedensvertrags zwischen Ägypten und Israel das Verhältnis zwischen Kairo und Teheran wieder normalisieren.
Mursi gab dem Druck aus Washington nicht nach, reiste nach Teheran und vermied auch die daraufhin von Spindoktoren der Obama-Administration über die US-Medien verbreitete »Gefahr«, sich von seinen iranischen Gastgebern »instrumentalisieren« zu lassen. Sowohl in seiner Rede vor dem Plenum der Blockfreien-Gipfelkonfe...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. Die Vision bleibt
  7. »Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte für alle« – die überfällige Reform der UNO
  8. Corona und Klimawandel – größte Herausforderungen für die Weltgemeinschaft
  9. Corona, Ebola – Gesundheit als Ware statt öffentliches Gemeingut
  10. Von Woodrow Wilson zu Joe Biden – das Ende des amerikanischen Jahrhunderts und seine Konsequenzen für die UNO
  11. Syrien, Ukraine, Israel und Palästina – das Scheitern der UNO-Mitgliedstaaten in den aktuellen Krisen und Konflikten
  12. Erosion des Völkerrechts – UNO-Charta und Menschenrechtsnormen werden zu Makulatur
  13. Ted Turner, Bill Gates, Nestlé und der Global Compact – die neoliberale Privatisierung der UNO und der wachsende Einfluss von Wirtschaftsunternehmen
  14. Rüstungskontrolle und Abrüstung im Rahmen der UNO – gefährdete Erfolge, unzulängliche Abkommen, häufiges Scheitern und ein historischer Durchbruch
  15. Von Rom nach New York – kleine Geschichte der UNO
  16. Anhang