Der Fluch der göttlichen Gnade
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Der Fluch der göttlichen Gnade

  1. 170 Seiten
  2. German
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Der Fluch der göttlichen Gnade

Über dieses Buch

Zu der Frage, warum gerade die Juden die Hassobjekte der christlichen Völker Europas sind, warum gerade die Anhänger der Mutterreligion des "einzig wahren Glaubens" so ohne jegliches Mitgefühl und Erbarmen, so ohne Nächsten- und Feindesliebe verfolgt, ermordet und zu Tode gefoltert wurden – zu dieser Frage tritt seit dem Zweiten Weltkrieg eine andere hinzu: Warum sind es gerade die Deutschen, die diesen Hass mit unstillbarem Vernichtungswillen auf einen mit menschlichem Denken und Fühlen nicht fassbaren Höhepunkt trieben? Der Antworten hierzu gibt es viele, auch sehr gute und von tiefem geschichtlichen Wissen geprägte. Doch es bleibt beim Studium dieser Analysen ein Gefühl, dass da etwas fehlt, dass etwas nicht gesagt werden darf, dass da ein Tabu im Hintergrund droht, das jedem "das Maul verbietet", der es anzurühren sucht. Doch genau diesem Unberührbaren wollen wir uns hier zuwenden, wollen es ohne Scheu vor religiösem Glauben und überkommenen Vorstellungen tun. Denn die Erwählung durch einen Gott kann zum furchtbaren Fluch, der begehrliche Neid darauf zum Verlieren alles Menschlichen werden.

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l. 2587

Warum ein anständiger Mensch kein Christ sein sollte!

l. 2593
„… er (Kant) hat den Himmel gestürmt, er hat die ganze Besatzung über die Klinge springen lassen, der Oberherr der Welt schwimmt unbewiesen in seinem Blute, es gibt jetzt keine Allbarmherzigkeit mehr, keine Vatergüte, keine jenseitige Belohnung für diesseitige Enthaltsamkeit, die Unsterblichkeit der Seele liegt in den letzten Zügen – das röchelt, das stöhnt – und der alte Lampe steht dabei mit seinem Regenschirm unterm Arm, als betrübter Zuschauer, und Angstschweiß und Tränen rinnen ihm vom Gesichte. Da erbarmt sich Immanuel Kant und zeigt, dass er nicht bloß ein großer Philosoph, sondern auch ein guter Mensch ist, und er überlegt, und halb gutmütig und halb ironisch spricht er: ‚der alte Lampe muss einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich sein – der Mensch soll aber auf der Welt glücklich sein – das sagt die praktische Vernunft – meinetwegen – so mag auch die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbürgen‘. In Folge dieses Arguments unterscheidet Kant zwischen der theoretischen Vernunft und der praktischen Vernunft, und mit dieser, wie mit einem Zauberstäbchen, belebt er wieder den Leichnam des Deismus, den die theoretische Vernunft getötet.“ Mit diesem ironischen Bild zeigt Heinrich Heine in unübertrefflicher Weise, wie gut er Kant gelesen und verstanden hat und vor allem, mit welch treffsicherem Witz er das Wesen der kantischen Religionsphilosophie herausarbeiten konnte, so dass es auch der oberflächliche Leser verstehen, aber erst derjenige wirklich begreifen kann, der etwas tiefer in das kantische Denken eingedrungen ist.
l. 2613
Was aber haben die kantischen Gedanken über Religion, mit der im Wesentlichen das ihm vertraute Christentum gemeint ist, mit unserer Frage nach dem religiös begründeten Judenhass und seinen Folgen zu tun? Dieses: Kants Analysen führen uns zu entscheidenden Fehlern – Geburts- und Konstruktionsfehlern –, zum entscheidenden Makel von Offenbarungsreligionen überhaupt, zu einem Irrweg des Menschen, der solch furchtbare Folgen in seiner Geschichte hatte, der, da in seinem Wesen nach wie vor unzureichend erkannt – besser: geleugnet! –, immer noch gefährlich ist. Wir wollen darum den großen Königsberger ein wenig selbst zu Worte kommen lassen und einen Blick in seine Religionsphilosophie werfen. (Die Seitenzahlen beziehen sich auf: I. Kant, Werke in sechs Bänden, Band IV, Hrg. v. W. Weischedel)
l. 2626
Am Schluss seiner Überlegungen fasst Kant diese zusammen, was wir dazu nutzen wollen, um die vorhergehenden Schritte – das Ergebnis bereits kennend – besser verstehen zu können: „Noch aber hat man nicht gesehen: dass jene, ihrer Meinung nach, außerordentlich Begünstigten (Auserwählten) es dem natürlichen ehrlichen Manne, auf den man im Umgange, in Geschäften und in Nöten vertrauen kann, im mindesten zuvortäten, dass sie vielmehr, im ganzen genommen, die Vergleichung mit diesem kaum aushalten dürften; zum Beweise, dass es nicht der rechte Weg sei, von der Begnadigung zur Tugend, sondern vielmehr von der Tugend zur Begnadigung fortzuschreiten.“ (879) Hier wird also konstatiert, dass der „natürliche ehrliche Mann“, der ganz normale ehrliche Mensch, dem glaubenden (Christen) in Dingen der Alltagsmoral in der Regel überlegen ist, dass er der bessere Mensch ist, dem man mehr vertrauen kann. Diese These wird dann ganz am Schluss – es ist der letzte Satz der kantischen Religionsphilosophie – dahingehend theoretisch zusammengefasst, dass der Weg nicht von der Offenbarung des Glaubens, von der Bekehrung, zu einem gottgewollten, einem tugendhaften, oder um es mit heutigen Worten zu sagen, zu einem anständigen Leben führt, sondern dass es sich andersherum verhält: Dieses anständige Verhalten kann zur Vorstellung eines (moralischen) Gottes führen. Der mit Vehemenz vorgetragenen Behauptung sämtlicher christlicher Kirchen, dass nur der Glaube an einen, nämlich den eigenen Gott, zur Moral verhelfe, dass nur die Gnade (ihres) Gottes ein wirklich anständiges Leben der Menschen ermögliche, letztlich die Errettung der Welt – wovon eigentlich? Vom zu diesem Zweck erfundenen Bösen? – nur durch in Offenbarung und Gnade geschenktem Glauben möglich sei, dieser überheblichen Selbsteinschätzung der Gottes- und Glaubensvertreter, der „Pfaffen“, wie Kant sie nennt, wird hier entschieden widersprochen.
l. 2649
Denn woher nehmen diese eigentlich die Autorität „im Namen (ihres) Gottes“ zu sprechen, woher wissen die überhaupt, was dieser Gott will, woher seine Gesetze kommen – wie hat dieser Gott all diese (sehr menschlichen) Gedanken, diese Glaubensgrundsätze, diese Dogmen autorisiert. Nehmen wir als ein jedermann bekanntes Beispiel die zehn Gebote, wie sie uns in der Thora – für die gebildeten Christen der Pentateuch, für die schlichteren Gemüter die „fünf Bücher Mose“ –, genauer im Buch Exodus, vorgestellt werden. Der Gott der Israeliten gibt den Wortlaut seiner Gebote dem Anführer Mose wörtlich bekannt – der Text wird dem Religionsstifter geoffenbart. Diese Übermittlung der göttlichen Befehle, dieses göttliche Eingreifen in die Geschicke der Menschen, wird in einem Hollywood-Film der Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts genauso dargestellt, wie es sich die fromme Klein-Erna vorstellt, die denn auch die Kinos damals weltweit überfüllt und den enormen finanziellen Erfolg des Filmes „Die zehn Gebote“ bezahlt – gewissermaßen eine Filmeintrittskirchensteuer, wo ihr gegen mäßige Gebühr das verkündet wurde, was sie in ihrem Glauben erhoffte und für ihr Geld erwartete. Der von der heiligen Handlung ergriffene Zuschauer kann hier mit eigenen Augen sehen, wie Gott das damals gemacht hat, das mit den Geboten; auch wird so begreiflich, warum diese tatsächlich auch zu befolgen sind, hat sie doch Gott höchstpersönlich, mit eigener Hand auf die Tafeln geschrieben, die die Menschen ihm demütig hingehalten haben: Moses, alias Charlton Heston, ist der einzige, der zusehen darf, wie die göttlichen Blitze den heiligen Text in den ewigen Stein hinein gravieren und so die göttlichen Befehle übermitteln. Dieser als Gottesdienst für schlichte Christen auf der ganzen Welt – „Und die Bibel hat doch Recht!“ – gedachte Abenteuerfilm – wenn doch alle Gottesdienste so unterhaltsam wären! – steht nun aber leider in einem gewissen Widerspruch zu dem, was die aktuelle Forschung zu dieser „Offenbarung“ sagt. Das so oft betonte Bekenntnis auch heutiger Theologen – besonders gut geeignet für Worte zum Sonntag oder ähnliche Anlässe, bei denen auch „der natürliche ehrliche Mann“, also auch der Kirchensteuerverweigerer (missionarisch) erreicht werden soll, – ist die mit Pathos vorgetragene Behauptung, dass der Dekalog, dass die zehn Gebote die erste in der Geschichte fassbare Fixierung ethischer Grundsätze seien, dass sich alle anderen moralischen Gebote von diesen göttlichen Befehlen ableiteten. Eine fromme Lüge, die nur darum nicht als Lüge entlarvt werden kann, weil sie eben – geglaubt wird, als göttliche Wahrheit behauptet wird; und dagegen sind Wissenschaft und Forschung machtlos, die allerdings längst herausgefunden haben, dass der israelitische Dekalog nichts anderes ist, als eine Art zusammenfassender Wiederholung gesellschaftlicher Regeln, die im alten Orient bereits weit vor dieser „Gesetzgebung“ als Gesetze und Gebote, als verbindliche Regeln des menschlichen Zusammenlebens bekannt und auch nachgewiesen sind. Doch der Dekalog hat (göttliche) Autorität! Darum gilt er. Grundsätze beispielsweise des römischen Rechtes haben das nicht: „In dubio pro reo!“ gilt nicht, hat schon immer nicht gegolten, wenn der Angeklagte, reus, gegen Glaubensgrundsätze zeugte – dann wartete der Scheiterhaufen; dagegen „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“ – das gilt immer, ansonsten wartete … na, was wohl? Immer dasselbe. Das gilt auch heute noch, nur ist der Scheiterhaufen ins Jenseits der Hölle verlagert, wo ihn keine aufgeklärte humane Gesetzgebung abschaffen und verbieten kann, wo er aber seine Wirkung auf die (im Glauben) Versklavten sehr wohl noch hat, die im Elend des in Angst erwarteten göttlichen Gerichtes (geistig) Erstarrten.
l. 2688
Doch kehren wir zurück zur göttlichen Offenbarung, die in den „heiligen Büchern“ von Gott persönlich inspiriert und darum als göttliche Wahrheit absolut verbindlich ist. Sehen wir uns doch einmal an, wie sich genau dies bei Kant anhört, wobei – so meine ich jedenfalls – die altertümelnde Sprache in einem erfrischenden Gegensatz, wie eine munter machende Wechseldusche, zum aufgeklärten Inhalt, zur Sichtweise des „natürlichen ehrlichen Mannes“ steht: „Man hat also nicht Ursach, zur Gründung und Form irgend einer Kirche die Gesetze geradezu für göttliche statutarische zu halten, vielmehr ist es Vermessenheit, sie dafür auszugeben, um sich der Bemühung zu überheben, noch ferner an der Form der letzteren zu bessern, oder wohl gar Usurpation höhern Ansehens, um mit Kirchensatzungen durch das Vorgeben göttlicher Autorität der Menge ein Joch aufzulegen.“ (766) Und mit beißendem Spott ergänzt Kant auf der folgenden Seite seine Kirchenkritik – dieser so nüchtern trocken erscheinende Mann war ein Liebhaber des ironischen Witzes: „Ein heiliges Buch erwirbt sich selbst bei denen (und gerade bei diesen am meisten), die es nicht lesen, wenigstens sich daraus keinen zusammenhängenden Religionsbegriff machen können, die größte Achtung, und alles Vernünfteln verschlägt nichts wider den alle Einwürfe niederschlagenden Machtspruch: da steht’s geschrieben.“(767) Hat man sich erst einmal an die altertümliche Sprache gewöhnt – der Text ist immerhin ca. 230 Jahre alt und im Gegensatz z. B. zur Lutherbibel nicht an ein modernes Idiom angepasst worden, was ihn auch möglicherweise verfälschen würde –, so erscheint hier ein glasklares Bild der Kritik an jedem in heiligen Büchern fixierten Offenbarungsglauben, wie es zeitgemäßer nicht sein könnte.
l. 2709
Wir sollten uns spätestens jetzt aber klar machen, dass bei jeder (geistes)wissenschaftlichen Auseinandersetzung, bei der es um theologische Inhalte oder im weiteren Sinne um religiöse Fragen überhaupt geht, in der Regel mit Zitaten argumentiert wird, mit Worten und Texten, die irgendwann in der Vergangenheit einmal von Menschen gesagt und niedergeschrieben worden sind, denen dann, oft erst nachträglich, große Autorität zugesprochen wurde oder wird. Im Judentum spielen hier natürlich die prophetischen Bücher eine große Rolle, aber höchste Autorität kommt selbstverständlich ihrem Gott selbst zu, wenn er z. B. durch seinen engen Vertrauten Mose höchstpersönlich zu seinem Volk spricht. (Nebenbei: Der frühe Jahwe wendet sich ausschließlich an das gesamte Volk, er ist der Gott des Volkes Israel – nicht des einzelnen Israeliten! Dass er sich dem Individuum zuwendet, das ist späteren Zeiten vorbehalten; auch Jahwe sozialdemokratisiert sich erst langsam.) Die Christen haben es da einfacher. Neben Aposteln und Kirchenvätern sind es vor allem Heilige und Päpste, Reformatoren und andere Glaubenskapazitäten, denen eine besondere Glaub(ens)würdigkeit zukommt; doch oberste Autorität in allen Fragen nicht nur der Glaubenswahrheit, sondern einer umfassenden Wahrheit über all das, was man zusammenfassend Welt nennt, kommt natürlich dem Gott selbst zu, der als Mensch verkleidet hier selbst „wandelte“, wie das Herumlaufen auf der Erde bei Göttern heißt.
l. 2728
Als Jeschua ben Jussuf, wie er mit menschlich-bürgerlichem Namen hieß, opferte er sich nicht nur für die Menschheit, sondern er hat auch seine göttlichen Anweisungen für die Menschen schriftlich hinterlassen, was er nun aber – leider, leider! – nicht selbst aufgeschrieben hat. Denn dann könnte die Wissenschaft der Philologie vielleicht anhand einer Rechtschreibschwäche (?) Eigenschaften Gottes beschreiben, oder es könnte, falls die Originalschrift in Tonkrügen am Toten Meer von der Archäologie entdeckt würde, auf Grund des Schriftbildes, von Graphologen ein Wesens- und Charakterbild Gottes erstellt werden; geradezu ungeahnte wissenschaftlich theologische Möglichkeiten täten sich auf. Ein neues Buch würde Bestseller: „Und das Neue Testament hat doch Recht!“ Nein, die Theologie muss leider in dem nur für sie selbst zugänglichen Bereich bleiben, den sie eine „andere Dimension“ nennt. Aufgeschrieben hat dieser Jesus, alias Gott und Weltenschöpfer und deren allmächtiger Herrscher, leider nichts. Dies geschah alles von Menschen, ausschließlich von Menschen, und zwar von solchen, die ihn weder gesehen noch gehört hatten – es geschah „von Hörensagen“; es wurde ihnen von anderen Menschen erzählt, die diesen Gott-Menschen ebenfalls nicht persönlich gekannt hatten, die aber an eine neue Verkündigung glaubten, die dem Geist dieser Zeit perfekt entsprach und die nur allzu gern geglaubt und weitergegeben wurde, und der man durchaus „Ursurpation höheren Ansehens“, nämlich „das Vorgeben göttlicher Autorität“ unterstellen kann.
l. 2748
Die moderne Exegese des Neuen Testaments – weniger Glauben, dafür mehr wissenschaftliche Forschung – zeigt uns dagegen, dass dieser Handwerkersohn aus Nazareth sich nicht für einen Gott, einen Teil des unfassbaren Jahwe hielt – ein solcher Gedanke müsste für diesen konservativen Juden eine ungeheuerliche Blasphemie gewesen sein! –, sondern höchstens, und auch das ist fraglich, für dessen Gesandten (Messias). Nein, auch die Worte Jesu in den Evangelien sind Menschenworte, von Menschen erdacht und formuliert, niedergeschrieben mit einem bestimmten Zweck. Und um diesem Zweck besser zum Erfolg zu verhelfen, um ihrem (Glaubens)Anliegen beim (einfachen) Volk mehr Nachdruck zu verschaffen, hat man sie als Gottesworte behauptet, hat ihnen „göttliche Autorität“ unterstellt. So war es bei jedem theologischen Disput , um welche Fragen es sich jeweils auch handelte: „argumentiert“ wurde mit Zitaten, kaum mit Gedanken, und das Gewicht, ihre Argumentationskraft, wurde nicht an der Klarheit des Gedankens gemessen, sondern ausschließlich an der Autorität dessen, von dem es stammt oder zu stammen vorgibt. Ein Wort des Augustinus hat mehr Gewicht als eines von Herrn Ratzinger, was aber für einen Katholiken wiederum mehr Autorität hat als ein Bonmot von Luther. (Außer wenn es sich um die Anzahl der wöchentlichen Beischlafaktivitäten handelt, nämlich zwei- bis dreimal pro Woche, wobei die außerehelichen, da Sünde, nicht mitgezählt werden brauchen.) Kant hat vollkommen Recht: Die Kirchenfürsten und ihre wissenschaftlichen Assistenten, die Theologen, geben ihren menschlich allzu menschlichen Befehlen, mit denen sie „der Menge ein Joch auflegen“, „göttliche Autorität“, um so die Befehlsempfänger fügsamer zu machen.
l. 2769
So funktioniert Offenbarung und Offenbarungsglaube!
l. 2776
Kant war nicht nur ein kluger und wissender Mensch – Egon Friedell nennt ihn in seiner „Kulturgeschichte des Abendlandes“ den wahrscheinlich intelligentesten, den klügsten Menschen, der je diese Erde betreten hat – er war zudem und vor allem ein durchaus menschlicher Mensch. Dieses Menschsein hat er konsequent durchdacht – und selbst gelebt. Er war ein moralisch denkender Mensch, der dieses moralische Gesetz in sich selbst denkend zu erfassen suchte und konsequent danach handelte. Aber er war alles andere als eine „Vogelscheuche“, wie ihn Nietzsche nannte – und dabei gründlich irrte. Denn Kant war kein Moralapostel, (spieß)bürgerliches Moralgetue ging ihm völlig ab; dem widersprach schon seine gütige Menschlichkeit – und sein ausgeprägter Sinn für ironischen Humor, für treffsichere Paradoxa. Kants Gott war ein gedachter moralischer Gott, kein geoffenbarter und darum geglaubter Welterlöser. (Siehe das Heinezitat, über das der Königsberger schallend gelacht hätte, da bin ich mir ganz sicher!) Die Betonung liegt hier auf „gedachter“ Gott, gedacht für Menschen, die ihn als Stütze brauchen, um ein anständiges Leben führen zu können. Doch hören wir ihn selbst:
l. 2790
„Ich nehme erstlich folgenden Satz, als einen keines Beweises benötigten Grundsatz an: alles, was, außer dem guten Lebenswandel, der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes.“(842) Was ist das nun genauer in Kants Augen – dieser „Religionswahn“? „… wenn die Kirche ein solches Geheimnis“ – gemeint ist ein göttliches Geheimnis, etwa die Erlösung des Menschen durch den Kreuzestod Jesu – „etwa als offenbart verkündigen sollte, so wird doch die Meinung, dass diese Offenbarung, wie sie uns die heilige Geschichte erzählt, zu glauben, und sie … zu bekennen, an sich etwas sei, dadurch wir uns Gott wohlgefällig machen, ein gefährlicher Religionswahn sein.“ Der Wahn des Glaubenden besteht also darin, dass er annimmt, die göttliche Gnade, den „Himmel“, zu erlangen, indem er etwas von der Kirche Verkündetes glaubt und bekennt – dass dies seine Leistung sei, die ihn ins göttliche Paradies katapultiert. Hier schreit uns das luthersche „sola fide!“ geradezu an, das seit Paulus in allen Varianten, und derer gibt es beileibe genug, wesentlicher Inhalt christlichen Glaubens ist: Durch den Glauben allein an die Erlösungstat Christi wird der Mensch vor Gott gerechtfertigt; wie sein tatsächliches (Erden)Leben aussah oder aussieht hat dabei keinerlei Bedeutung, jedenfalls wenn man von der kirchlichen Quelle leichtverdienten Ablassgeldes absieht.
l. 2809
Es ist dies der Kerngedanke christlichen Glaubens jeglicher Couleur. Und dem setzt Kant ein hartes Wort entgegen: Nein, es ist ein Wahn, ein Religionswahn, noch dazu ein gefährlicher! (Ein Blick in die Religions- und Kirchengeschichte erläutert das ergänzende Adjektiv „gefährlich“.) Dieses Glauben und Bekennen ist, so fährt Kant fort, „… ein Tun, das durch Furcht“ – vor Höllenstrafen – „abgezwungen wird, dass ein aufrichtiger Mensch eher jede andere Bedingung als diese eingehen möchte, weil er … hier etwas dem Gewissen in einer Deklaration, von deren Wahrheit er nicht überzeugt ist, Widerstreitendes tun würde.“(842) Mit anderen Worten: Das „credo, quia absurdum“ (Ich glaube, weil es absurd ist.) klingt nicht nur verrückt, es ist (Religions)Wahn! Etwas zu glauben und zu bekennen, von dem ich weiß, dass es nicht stimmt, dass es nicht der Wahrheit entsprechen kann – z. B. Jungfrauengeburt, Auferstehung, Himmelfahrt etc. – und es gerade darum als Leistung vor Gott mit dem Ziel der Erlangung der Bevorzugung vor diesem Gott doch zu tun – das ist nicht nur ein Irrweg, das ist allgemein gefährlicher Wahn!
l. 2825
Darum sollte ein anständiger Mensch kein Christ sein!
l. 2833
Wir müssen hier allerdings erläuternd und ergänzend festhalten, dass die oben erwähnten für den Glauben notwendigen Widrigkeiten jeglicher Vernunft in den Zeiten der Entstehung dieser christlichen Glaubenslehren beim einfachen Volk durchaus akzeptiert wurden: Alexander wurde durch den Geist des Zeus, der allerdings kein Heiliger Geist war, in Form eines Blitzes gezeugt; Götter wie Adonis, Isis und Osiris liefen auf der Erde herum und wurden als Opfer für die Menschheit umgebracht, und der göttliche Augustus ist als Adler in den Himmel aufgefahren, wo er zur Rechten seines Vaters Jupiter sitzt … etc. Der Rest ist mit anderen Namen bekannt. Doch die Zeiten haben sich geändert, ob man dies nun wahrhaben will oder nicht: Keine zukünftige Mutter braucht ihre Beine nur breit zu machen und schon schlägt ein göttlicher Blitz in ihre Vagina ein und sie wird schwanger mit einem zukünftigen Welteroberer; keine Isis setzt sich auf die Mumie ihres Bruder Osiris, um mit ihm Sex zu machen, denn das ist heute verboten – Beischlaf unter Geschwistern, und Nekrophilie ist es zudem und auch gesetzlich untersagt. Und über den Wolken – „da mag die Freiheit wohl grenzenlos sein“ –, aber auf dem Thron von Vater Jupiter, Gottvater oder Vater Zeus und wie die Himmelsbewohner und Throninhaber dort oben auch sonst noch alle heißen mögen, da wird der Platz neben dem jeweiligen Thron auch langsam eng – und gefährlich dazu, bei den Massen an Weltraumschrott die da oben (im Himmel und zwischen den Engeln hindurch) überall herumfliegen. Nein, die Zeiten haben sich gründlich geändert (siehe: G. Scholz, Die Wahrhaftigkeit des großen Betruges, Kapitel „Die Scheintür“, Berlin 2019), heute ist es eine Zumutung solche Dinge als Wahrheit, sei sie auch noch so heilig und meinetwegen auch göttlich, einem denkenden Menschen anzubieten und geradezu eine Frechheit, einen solchen Glauben als Freikarte für einen imaginären Himmel mittels Kirchensteuer zu verkaufen!
l. 2856
Doch bleiben wir noch ein wenig bei dem alten Kant – einfach weil’s so schön (vernünftig) ist: „Himmlische Einflüsse in sich wahrnehmen zu wollen, ist eine Art Wahnsinn, in welchem wohl gar auch Methode sein kann.“ (846) Und ob darin Methode ist! Vor allem die römische Kirche lebt von diesem Wahn(sinn) mit Methode. Für ihre Gründer (Kirchenväter) und Stützen (Heilige) ist dieser persönliche Kontakt zur Gottheit sogar ein Charakteristikum, geradezu Pflicht, in heutiger Sprache eine Jobbeschreibung, nämlich „himmlische Einflüsse in sich wahrnehmen zu wollen“; ohne das geht es einfach nicht, ohne diesen „Wahn“ hätten und haben sie ihren Beruf als „Diener Gottes“ glatt verfehlt! Sah man Herrn Karol Wojtyla beim Beten zu – dank weltweiter Fernsehübertragung konnte das heute überall (Ausnahme Nordkorea, die durften nur ihren eigenen Gott namens Kim sehen) jedermann aus nächster Nähe beobachten, und auch manche Nichtkatholiken waren tief ergriffen –, so konnte der aufmerksame Beobachter genau erkennen, wann die Leitung zum Himmel stand: Jetzt, genau jetzt hat der Heilige Geist ihn erfasst: Hast Du das himmlische Leuchten gesehen, das über seine Gesichtszüge glitt, hast Du gesehen, wie seine Augen sich schmerzhaft schlossen, geblendet vom göttlichen Licht? Das hatte sich Kant noch nicht träumen lassen, dass man diese „Art Wahnsinn“ in einem Schauspiel für Millionen Zuschauer weltweit gleichzeitig inszenieren, vorführen und somit vorspielen kann. Mehr Technik aber bedeutet eben nicht mehr aufgeklärte Vernunft! Computer können nicht nur von Steinzeitgehirnen bedient werden, nein, sie können auch von diesen konstruiert und gefertigt werden! Da ist höchstens ein gradueller Unterschied zwischen dem mit den Insignien seiner spirituellen Macht behängten um das Feuer herum tanzenden Medizinmannes, dem die in Angst und Hoffnung verharrenden Stammesangehörigen gebannt zusehen, wenn er in der Trance seines Tanzes die „himmlischen Einflüsse in sich wahrnimmt“, und dem ebenfalls mit den Insignien seiner spirituellen Macht bekleideten und behängten Priester der römischen Kirche, der mit dem Duft des Weihrauches die Sinne der Gottheit für die Anliegen der Gemeinde öffnet: Der eine würfelt mit Knochen, der andere betet Knochen (eines Heiligen) weihevoll an. Kant drückt genau das so aus: „Von einem tungusischen Schaman, bis zu dem Kirche und Staat zugleich regierenden Prälaten, … zwischen dem ganz sinnlichen Wogulitzen, der die Tatze von einem Bärenfell sich des Morgens auf sein Haupt legt, mit dem kurzen Gebet: ‚Schlag mich nicht tot!‘ bis zum sublimierten Puritaner und Independenten in Connecticut ist zwar ein mächtiger Abstand in der Manier, aber nicht im Prinzip zu glauben.“ (848)
l. 2886
Wir müssen hier kurz inne- und uns zwei Dinge vor Augen halten: Erstens: Kant ist kein Rationalist, dazu ist er zu vernünftig, besser: zu klug – nicht (der Rationalist) Descartes, sondern (der Empirist) David Hume war sein denkerisches Vorbild! Hier wird keine göttliche Vernunft einem (primitiven) Offenbarungsglauben entgegengehalten. Im Gegenteil – K...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Vorbemerkung
  3. Apion – ein Ägypter, der Griechisch konnte
  4. Das Gesetz ist tot – es lebe das Gesetz!
  5. Luther – der nicht nur die Kirche, der auch den Judenhass reformierte
  6. Wie aus „Herrenmördern“ eine „entartete Rasse“ wurde?
  7. Perversos contra Conversos – der Holocaust hat schon einmal stattgefunden
  8. Warum ein anständiger Mensch kein Christ sein sollte!