1. Das Wesen der Freimaurerei
Nun gibt es seit 175 Jahren in Mönchengladbach eine feste und organisierte Gemeinschaft von Freimaurern in Form einer Loge und obgleich ihre Mitglieder auch Personen des öffentlichen Lebens umfassten, wie Kommunalpolitiker oder Unternehmer, weiß man in der Öffentlichkeit nur wenig über die Organisation, die Ziele, die Bräuche oder die Geschichte des Bundes. Es mag sein, dass der eine oder andere irgendwie, irgendwann oder einmal irgendwas von Freimaurern oder von Freimaurerei gehört hat, dennoch sind die Kenntnisse über die Freimaurerei an sich eher rudimentär, lückenhaft oder im schlimmsten Falle gänzlich von Vorurteilen geprägt. Seit jeher wird die Freimaurerei als eine geheime Gesellschaft angesehen, die man für Attentate oder Komplotte verantwortlich machte und deren Mitglieder man als Drahtzieher hinter Aufständen oder Umstürzen vermutete. Gleichzeitig gehörten diesem Bund aber auch berühmte und hervorragende Geister der menschlichen Kulturgeschichte an. Die Liste derer ist lang. Stehen wir hier also vor einem Paradox? In der heutigen Informationsgesellschaft gibt es mittlerweile unzählige Materialien über die Freimaurer wie Internetseiten, Bücher, Dokumentationen, Filme oder Nachschlagewerke. Darunter finden sich Beiträge von Befürwortern und Gegnern gleichermaßen oder aber von solchen, die versuchen durchaus objektiv an das Thema Freimaurerei zu gehen. Da das vorliegende Buch von Freimaurern in Mönchengladbach handelt, scheint es wichtig und richtig, in die grundlegende Thematik der Freimaurerei einzuführen, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben oder wie es der alte Goethe in Faust, Der Tragödie zweiter Teil von 1832 im 5. Akt, Bergschluchten, ausdrückte: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.“
Diejenige Frage, die einem Freimaurer in der Regel am häufigsten gestellt wird, lautet: Was ist Freimaurerei? Einfache Frage, einfache Antwort? Keineswegs einfach, da der Sachverhalt und die Seele der Freimaurerei zu komplex sind, als dass wir sie in wenigen Sätzen beschreiben könnten. Wer sich also die Mühe macht, sie entdecken zu wollen, „muss in großen Zusammenhängen […] denken und sich […] öffnen für Bereiche der Geschichte, der Philosophie, der Mythologie und auch der Psychologie.“ 1
Abb. 2: Das Allsehende Auge
Als Einstieg und verallgemeinert ausgedrückt, könnte man die Freimaurer etwa wie folgt definieren: die Freimaurerei ist eine Organisation, „deren Gemeinschaft auf ethischen Grundsätzen beruht und geistige Vertiefung und sittliche Vervollkommnung durch rituelle Handlungen erreichen möchte. Ihre Hauptziele richten sich dabei auf Erziehung zur Nächstenliebe, Toleranz und Wohltätigkeit.“2 Die genannte Definition drückt schon einige wesentliche Bausteine der Freimaurerei aus, dennoch bleiben für viele Zeitgenossen die Freimaurer nebulös, geheimnisumwittert, schwer zu greifen oder einfach nur suspekt. Für viele sind Freimaurer daher ein verschworenes und auch geheimnisvolles Völkchen, dessen Treffen unter sich stattfinden und die Versammlungsräume für Außenstehende verschlossen bleiben. Wenn sich Freimaurer an bestimmten Orten, die man Logen nennt, versammeln, führen sie während ihrer Treffen bestimmte und althergebrachte Rituale durch und erkennen sich an bestimmten Zeichen, Worten und Griffen. Das macht die Freimaurer befremdlich und der Mensch neigt dazu, alles, was er nicht kennt, mit Ängsten, Vorbehalten und Vorurteilen zu belegen. Sind die Freimaurer deshalb ein Geheimbund oder werden hinter verschlossenen Türen Verschwörungen entwickelt, wie es manche wissen wollen? Meistens wissen die, die nicht dabei sind, am meisten und Argumente gegen die Freimaurerei suchen ihre Gegner meist da, wo nichts zu finden ist. Man tut deshalb den Freimaurern Unrecht, würde man den Bund auf diese Klischees reduzieren. Geheim nein, verschwiegen und diskret ja, ist daher eine weitere Kernaussage, die man treffen kann. Was in einer Loge stattfindet, bleibt auch in der Loge. Dazu ist jedes Mitglied gehalten. Das nennt man Arkandisziplin und zeugt von einem hohen Maß an Diskretion und ethischem Grundverhalten. Das unterscheidet die Freimaurer im Übrigen auch nicht von anderen Vereinigungen, deren Mitglieder gehalten sind, nicht über Interna oder andere Mitglieder zu plaudern. Die heutige Zeit verfügt über eine komplett andere Informationsstruktur, als es noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten der Fall war, und derjenige, der etwas über die Freimaurerei wissen möchte, kann sie sich quasi mit den modernen Kommunikationsmitteln nach Hause holen und alles über den Bund erfahren. Fast alles wohlgemerkt, denn erstens sind sehr viele Halb- und Unwahrheiten im Umlauf und zweitens geht es bei den Freimaurern um wesentlich mehr als um ein intellektuelles Verstehen, welches man dem Schriftgut aus der Buchhandlung oder der Regalreihe in der Bibliothek entnehmen kann. Es sei hier an das Erleben, nicht an das Erklären erinnert.
Viele Logen entgegnen dem Vorwurf der Geheimniskrämerei mit öffentlichen Gästeabenden, die jedem offenstehen. Zudem sind die heutigen Logen im Vereinsregister eingetragen und folgen damit den vom Vereinsgesetz geforderten Mitgliederversammlungen und Vorstandswahlen.
Die Freimaurerei ist eine international verbreitete Vereinigung, dennoch sind die ethischen Ansprüche überall gleich, wobei die Achtung der Würde des Menschen, freie Entwicklung der Persönlichkeit, Brüderlichkeit und humanitäres Gedankengut grundsätzliche Bestandteile des Bundes sind.3 Die wesentliche Unterscheidung zwischen der Freimaurerei und den Organisationen mit ähnlichen ethischen Gesichtspunkten besteht allerdings „in der Pflege altehrwürdiger Rituale, in welchen mit Hilfe von Symbolen Bereiche der menschlichen Seele angesprochen werden, an die Worte nicht mehr heranreichen.“4 Gibt es also ein Geheimnis der Freimaurerei, wie es ihre Gegner behaupten? Sicherlich gibt es das und ein Teil dieses vielgerühmten freimaurerischen Geheimnisses befindet sich hier. Es liegt im Erfahren und im Erleben des freimaurerischen Rituals, an der Seite und in der Gemeinschaft und Vertrautheit von Gleichgesinnten, was man durch die Lektüre von Buchstaben nicht erlangen kann. Das Ritual ist eine Charakterschulung, basierend auf bestimmten Werten, Wechselgesprächen, überlieferten Kenntnissen von kosmischen Begebenheiten und uraltem Wissen vom Wesen der Welt, welche dem teilnehmenden Bruder ein Stadium der inneren Einkehr ermöglichen und ihm die Werkzeuge an die Hand geben, an der eigenen sittlichen Vervollkommnung zu arbeiten. Inwieweit der Einzelne die Werkzeuge nutzen möchte, um seine Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erweitern, liegt in seinem eigenen Ermessen. Das Ritual wird in verschiedenen Graden durchgeführt, dem Lehrlings-, Gesellen- und Meistergrad, dies zumindest in der so genannten blauen oder Johannismaurerei, wobei jeweils ein schwarzer Anzug, besondere Symbole, Abzeichen und weiße Handschuhe getragen werden. In den freimaurerischen Hochgradsystemen, der roten Maurerei, werden weiterführende Grade bearbeitet.
Abb. 3: Winkelmaß, Zirkel und das Buch des heiligen Gesetzes
In einem freimaurerischen Ritual hat die Symbolik eine besondere Akzentuierung. Das Symbol ist eine Art Vermittler, ein Sinnbild, das für etwas steht, was mit Worten nicht zu erfassen ist und sich einer rationalen Erklärung entzieht. Schon in den alten Mysterienkulten der Antike spielte die Symbolik eine wichtige Rolle und bei den Freimaurern haben Symbole ebenfalls eine bedeutsame Aufgabe, tragen sie immer auch eine geistige Entsprechung mit sich, die nur dem Eingeweihten verständlich ist. Die Zahl Drei beispielsweise ist für den Freimaurer mehr als nur eine Zahl, gleichsam Symbol, hat sie in der Freimaurerei einen ganz anderen Stellenwert. Ebenso verhält es sich mit Winkelmaß und Zirkel, die für den einen Werkzeuge des irdischen Bauens sind, aber für den Freimaurer noch eine weitaus tiefere Symbolik besitzen. Fassen wir noch einmal zusammen, dann liegt eines der freimaurerischen Geheimnisse im Erlebnis des freimaurerischen Rituals. „Freimaurerei ist die durchaus geheime Kunst des rechten Lebens. Sie kann im tiefsten Sinne nicht gelehrt werden. Weil keine Kunst, d.i. schöpferisches Tun, gelehrt werden kann. Der uns Freimaurer ‚Suchende‘ muss durch Form und Inhalt des Erlebens den Weg zum Geheimnis finden.“5 Das Erlebnis führt schließlich zur Erkenntnis und zu dem Satz, dem jeder Freimaurer einmal begegnen wird und der schon im Orakel von Delphi zu finden war: „Erkenne dich selbst.“
Kommen wir nun zu einer weiteren Frage, die Freimaurern gerne gestellt wird, die Frage nach dem Woher. Die Beschäftigung mit einem verschwiegenen Bund wie den Freimaurern beflügelt die Fantasie und es erscheint daher nicht verwunderlich, dass sich die Entstehungsgeschichte und die Ursprünge der Freimaurer zwischen Legende und Wahrheit bewegen. „Die Quellen zu den Ursprüngen und Anfängen der Freimaurerei sind vielfach und bilden erst zusammen eine Struktur des Werdungsprozesses trotz aller Ungewissheiten und offenen Fragen.“6 Vieles an der freimaurerischen Struktur, an ihren Bräuchen, Sitten und Symbolen erinnert an die mittelalterlichen Bauhütten und sehr häufig wird die Freimaurerloge auch als Bauhütte bezeichnet. In der historischen Forschung ist heute allgemein anerkannt, dass viele gedankliche Grundlagen der Freimaurerei auf die alten Dombauhütten und Steinmetzbruderschaften des Mittelalters und deren Vorgänger zurückgehen.7 Gleichwohl machen beträchtliche Inhalte und bestimmte Symbole im freimaurerischen Ritual auch deutlich, dass vieles in der Freimaurerei weitaus älter zu sein scheint als die mittelalterlichen Bruderschaften und dass Wissen aus anderen Quellen eingeflossen ist. Daher heißt es auch an einer Stelle im Ritualtext: „[…] älter als das Goldene Vlies und der römische Adler.“8
Das deutsche Wort Freimaurer ist eine Ableitung und Übersetzung des englischen Begriffes „Freemason“, welcher zum ersten Mal in einer Londoner Urkunde des Jahres 1376 auftaucht.9 In diesem Punkt herrscht in der Forschung allerdings immer noch Uneinigkeit darüber, was genau unter dem „Freemason“ zu verstehen ist. Es wurde viel debattiert und intensiv nachgedacht, dennoch gibt es unterschiedliche Deutungsversuche. Eine Lehrmeinung betrachtet den „Freemason“ als den höher qualifizierten Bauarbeiter, der den free-stone, den zum Schmuckstück vorgesehenen härteren Stein, zu bearbeiten hatte im Gegens...