Historismus und die Malerfürsten von München
Franz von Lenbach (1836 -1904)
Im späten 19. Jahrhundert gilt München als ein zentraler Ort der Kunst. Diesen Mythos verdankt die Stadt nicht zuletzt Franz von Lenbach. Er kommt aus relativ einfachen Verhältnissen und erhält eine Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in München, die seit 1808 besteht. Großherzog Carl Alexander von Weimar macht ihn 1860 zum Professor an der Weimarer Großherzoglichen Kunstschule, der Schule, die 1919 mit der Kunstgewerbeschule von van de Velde zum Bauhaus zusammengelegt wird. Er ist dort zusammen mit Arnold Böcklin, mit dem es aber später zum Bruch kommen wird. 1862 verlässt er Weimar. Er hat das Gefühl, sich noch weiterbilden zu müssen. Er geht nach Italien und widmet sich dem Studium Alter Meister, offenbar mit großem Gewinn, denn zurück in München wird er in den 1870er Jahren zum gefeierten Porträtmaler. Er malt sowohl den Kaiser als auch Otto von Bismarck, er formt das Gesicht der höheren Gesellschaft der Zeit. In einem Porträt des Architekten Gottfried Semper zeigt er die Ambivalenz eines schwierigen Charakters. Er verfügt offenbar schon sehr früh über psychologische Einsichten, die in die Zukunft weisen. Die Großen der Gesellschaft gehen in seinen Räumen ein und aus. Sein Malstil entspricht dem der Alten Meister. Er orientiert sich an Tizian und Veronese, vielleicht noch mehr an den Niederländern, an Rubens. Auch bedient er sich schon der Fotografie als Vorlage für seine Porträts, die die Individualität betonen.
1875-1876 bereist er mit Hans Makart, dem Wiener Maler, Ägypten. In seinen Räumen im Lenbachhaus hängt ein Porträt eines Arabers und ein Gemälde, das das Interieur eines Palastes in Kairo zeigt: sehr exotisch anmutende Bilder, die den Vorstellungen der Zeit entsprechen.
1887 heiratet er die Gräfin Magdalena Moltke. Mit ihr hat er eine Tochter, die vielgeliebte Marion. Doch kommt es 1896 zur Scheidung, Marion bleibt beim Vater, die jüngere Tochter geht mit der Mutter. Im selben Jahr heiratet er in zweiter Ehe Charlotte (genannt Lolo) von Hornstein. 1899 wird ihnen die Tochter Gabriele geboren, die in die Verlegerfamilie Du Mont einheiraten wird. Zu Lenbachs Freunden gehören die Maler Hans Makart und Friedrich August von Kaulbach, das Ehepaar Cosima und Richard Wagner, sein Lehrer an der Akademie Friedrich Piloty und der Schriftsteller und Nobelpreisträger Paul Heyse. Lenbach selbst wird mit seiner inszenierten Lebensweise zum Malerfürsten, eine Stellung wie sie etwas später auch Franz von Stuck für sich in Anspruch nehmen wird.
Im Jahr der Heirat, 1887, beginnt Lenbach mit dem Bau eines der italienischen Renaissance nachempfundenen Palastes. Es ist die Zeit des Historismus, in der die Stile der Vergangenheit ins 19.Jahrhundert übertragen werden. Schon 1885 verkündet er nicht gerade bescheiden: „Ich gedenke, mir einen Palast zu bauen, der das Dagewesene in den Schatten stellen wird; die machtvollen Zentren der europäischen großen Kunst sollen dort mit der Gegenwart verbunden sein.“ In unmittelbarer Nähe zum Königsplatz und den Propyläen, direkt an der Straße, die von der königlichen Residenz nach Schloss Nymphenburg führt, wird die Villa entstehen, die er in Zusammenarbeit mit dem damals renommierten Architekten Gabriel von Seidl verwirklicht. Auch die staatlichen Kunstsammlungen sind in unmittelbarer Nähe. Die Anlage orientiert sich an toskanischen Villen. Im Zentrum steht der Wohntrakt mit Mittelrisalit, zu dem von zwei Seiten eine Treppenanlage empor führt, darüber ist ein Balkon, von dem Otto von Bismarck 1890 die Ovationen der Bevölkerung entgegengenommen haben soll. Daneben steht der als erstes entstandene prachtvolle Flügel des Ateliergebäudes. Beide Gebäude werden 1900 miteinander verbunden. 1927 wird ein weiterer Flügel hinzugefügt, der das Bauwerk zu einer herrschaftlichen Dreiflügelanlage werden lässt.
Heute sind einige Räume der Beletage der Villa renoviert (1996) und so hergerichtet, dass der Besucher einen Eindruck erhält von der Pracht der ehemaligen Künstlerresidenz. Es ist Gründerzeit. Es herrscht ein üppiger Dekorationsstil mit historischen Versatzstücken, und dennoch erhält er eine ganz spezielle Prägung, die der Persönlichkeit des Künstlers entspricht. Im Gegensatz zu dem meist rückwärtsorientierten Blick wird hinter den Kulissen ein für die damalige Zeit ungewöhnlich funktionaler Ansatz verfolgt. Es gibt Elektrizität, und die Räume werden von einer Dampfheizung bedient, zudem gibt es Badezimmer und ein Fotoatelier. Die neue Technik der Fotografie wird vom Hausherrn für seine Gemälde benutzt, was auch für das zu besprechende Familienporträt zutrifft. Davon abgesehen steht Lenbach der neuen Kunst, die sich nach der Jahrhundertwende anbahnt, äußerst reserviert gegenüber.
Zwei Frauenporträts sind auffallend positioniert, wovon eines die Gemahlin seines jüngeren Kollegen Franz von Stuck, Mary Stuck (geb. Lindpainter), aus dem Jahr 1898 darstellt, im Profil, dem Eingangsportal zum Grünen Raum zugewandt, das andere etwas nachdenklicher vielleicht, doch so, als hüteten sie beide die Schwelle zum privatesten Raum mit dem familiären Hausaltar der von Lenbachs, den Laren, den römischen Hausgöttern, nachempfunden. Zum Grünen Raum führt eine ganz besondere Pforte aus Balken mit zarten Schnitzereien, seitlich floral und in der Höhe von einem Figurenfries geschmückt. Der Besucher passiert eine hybride Wächterfigur im Profil, einen geflügelten Löwen in der Funktion einer Karyatide, und steht dann dieser Wand gegenüber, die frei dem Aufbau eines Altars folgt. Auf einer Truhe mit Stuckdekor, die in der ersten Hälfte des 15.
Grüner Raum im Lenbachhaus in München
Jahrhunderts in der Toskana gefertigt wurde, steht die Büste des Matteo Palmieri, ein Gipsabdruck des Originals von Antonio Rossellino (heute im Bargello) ebenfalls aus dem Florenz des 15. Jahrhunderts. Die Büste erinnert in ihren Umrissen schon an solche von Giacometti. Flankiert wird die Truhe von einer japanischen Deckelvase aus der Meiji-Zeit (1868-1912), gefirnisst im chinesischen Stil, und einer antiken Amphore aus der Zeit um 345 v.Chr. Über dem zentralen Gemälde hängen das Porträt von Lenbachs Mutter (1864) und ein Porträt eines Mannes aus der zweiten Hälfte der 1880er Jahre. Doch was den Besucher sofort gefangen nimmt, ist das zentrale Bild. Es weist eine für diese so sehr auf Repräsentation ausgerichtete Zeit ungewöhnliche Struktur auf. Fast möchte man an ein Selfie denken, so spontan erscheint ihr Aufbau, und in der Tat gibt es drei fotografische Vorlagen für das Gemälde. Judith Milberg fühlt sich, ähnlich wie wohl die meisten Besucher, von diesem letzten Familienporträt angezogen, das Franz von Lenbach 1903, ein Jahr vor seinem Tod, gemalt hat.
„Von links beugt sich der Malerfürst Franz von Lenbach zu seiner Familie, er stellt sich dazu, so als hätte er soeben den Selbstauslöser einer Kamera bedient, und fixiert gespannt die Linse. Rechts neben ihm - als zentraler Blickfang - sieht man im roten Kleid mit Pelzkragen seine Tochter Marion aus erster Ehe, gemalt wie eine entrückte präraffaelitische Schönheit. Sein oft gemaltes und innig geliebtes Kind wurde ihm nach der Scheidung zugesprochen. Schräg über Marion sieht man ihre Stiefmutter Lolo von Lenbach, auch im Pelzchen, die eng an sich gezogen, die gemeinsame Tochter Gabriele umarmt. Fast hat man den Eindruck, als wende sie sich von der restlichen Familie ab. Eine klassische Patchworkfamilie?“ 1
Die Mutter drückt das eigene Kind hingebungsvoll an sich, während sie ihrer Stieftochter gegenüber Distanz wahrt. Die wird aber vom Vater eindeutig in den Mittelpunkt des Bildes gerückt. Dennoch bilden die drei Frauen eine Einheit. Lenbach selbst beugt sich zu ihnen herab, wird aber nicht wirklich Teil der Gruppe, bleibt außerhalb. Es ist aber doch wohl so, dass er sich dazugehörig sehen möchte. Andererseits steht auch Marion, die Tochter aus erster Ehe, ganz für sich. Wahrscheinlich ist dies das modernste Bild, das Lenbach je gemalt hat.
Die Räume, wie sie sich heute zeigen, sind Repräsentation. Außer in diesem letzten Familienbild wird nirgends eine Geschichte erzählt. Ornamentierte Tapeten in Rot, Gold und Grün, Balkendecken, Kassettendecken, geschnitzt, bemalt mit Medaillons. Die gezeigten Porträts in prunkvollen, vergoldeten Rahmen. Originale, oder, wenn die nicht zu erwerben waren, Kopien, von antiker Kunst, aus dem Mittelalter, der Renaissance – Sammelobjekte, die Lenbach von seinen Reisen mitgebracht hat. Eine weitere Nische, hervorgehoben durch einen vergoldeten und ornamentierten Bogen, von geriffelten Pilastern getragen, davor ein quadratischer Tisch mit großen Muscheln aus exotischen Gewässern an der Stelle eines Altartisches. Darunter befindet sich eine Nautilusmuschel, deren spiralige Windungen annähernd der Goldenen Spirale entsprechen und die damit einen Bezug zur Schöpfung aufweist: Der Künstler stellt sich in ihre Fußstapfen. An der Wand ein prunkvoller ausladender Sekretär, eine Art Altarwand vor der wiederum golden ornamentierten Wand.
Im Vordergrund liegend eine Nautilusmuschel
Aber nicht nur die Renaissance, auch das Mittelalter spielt herein: ein Flügelaltar, der von Lenbach in dieser Form zusammengestellt wurde. In der Mitte die thronende Gottesmutter mit Kind, aus Oberitalien, um 1440. Auf den Flügeln eine Heilige Barbara und ein Heiliger Joseph, aus Antwerpen, um 1520. Ein großer Gobelin zeigt eine höfische Jagdgesellschaft, vom Beginn des 15. Jahrhunderts, eine bemalte Holzfigur den Heiligen Martin, aus dem oberschwäbischen Raum. Möbel aus verschiedenen Jahrhunderten: ein prächtiger barocker Hocker aus dem späten 17. Jahrhundert. Und dann sind da die Porträts der Großen der Zeit, Bismarck und Kaiser Wilhelm II., alles, was Rang und Namen hat, lässt sich von ihm malen. In seinen Selbstporträts betrachtet er sich ernst und kritisch. Altmeisterlich dunkel entsprechen sie den Erwartungen seiner Zeit. Erst ganz spät lichtet sich seine Palette wie im besprochenen letzten Familienbild. „Wir müssen uns in der Technik auch stets daran erinnern, dass wir nur sehr mangelhaftes Material haben. Wir können nicht Licht auf unsere Paletten spritzen, sondern eben nur Farben.“ Franz von Lenbach
Franz von Stuck (1863 – 1928)
Wie Franz von Lenbach stammt der eine Generation jüngere Franz von Stuck aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater ist Müller. Doch zeigt er offenbar früh Talent, so dass er von 1878 bis 1881 Unterricht an der Kunstgewerbeschule in München bekommt, worauf er für vier Jahre an die Akademie der Bildenden Künste wechselt. Schon 1889 kann er ein eigenes Atelier in der Theresienstraße beziehen. Drei ...