Literatur, Kunst, Musik, Porzellan und Kultur
Helmut Tews
Ich sammle signierte Bücher
Sicher trennen mich Welten von einem durch und durch passionierten Sammler, denn weder habe ich die Antiquariate Deutschlands systematisch durchforstet, noch weite Fahrten auf mich genommen, um in den Besitz einer Unterschrift zu gelangen. Trotzdem haben im Laufe der Jahre mehr als zweihundert weltweit oder auch nur lokal bekannte Schriftsteller, bildende Künstler und Politiker ihre Bücher für mich mit einer Widmung oder mindestens ihrer Unterschrift versehen. Vor allem natürlich in Deutschland, aber auch in Pakistan, Thailand, Israel und Irland.
Angefangen hat es in den 60er Jahren während meiner Studienzeit in Braunschweig, wo die Literarische Vereinigung jeden Winter im stilvollen Rahmen des Gewandhauses Lesungen anbot. Dazu kamen die Vorträge im AudiMax der Technischen Universität und die Veranstaltungen der Buchhandlungen.
Von Mal zu Mal fand ich mehr Gefallen daran, den Umgang der Autoren mit ihrem Werk zu verfolgen, ihre Stimme zu hören und bei der eigenen Lektüre mitklingen zu lassen.
Interessant war natürlich auch die Art des Vortrags, das Spiel, oft auch das Kokettieren mit der Leserschaft. Etwa, wenn Alain Robbe-Grillet, einer der Väter des Nouveau Roman in Frankreich, während der gesamten Lesung mit einem abgenutzten Küchenmesser spielte, oder die junge Gabriele Wohmann, ganz Lehrerin, die Zuhörer in den hinteren Reihen erst einmal anwies, nach vorne zu kommen.
Ingeborg Bachmann, gerade von der Fachwelt entdeckt, die Anrufung des Großen Bären dicht vor die Augen haltend, so verletzlich dem Publikum ausgesetzt. Genau wie Paul Celan, die Tragik seines Volkes verkörpernd, mit leiser Stimme und hingetupfter Unterschrift.
Ganz anders Stefan Andres, der im Künstlerhaus am Lenbachplatz in München weniger mit der Scheu vor dem Publikum als mit dem anscheinend vor der Lesung genossenen Wein zu kämpfen hatte, und dies bravourös meisterte.
Im äußeren Erscheinungsbild ähnlich der knorrige Rudolf Hagelstange, als ehemaliger Leistungssportler Kraft und Geist in Einklang bringend. Sein Spielball der Götter war lange Zeit mein Lieblingsbuch.
Für einige Schriftsteller durchbrach ich mein Prinzip, ihnen persönlich ein Buch zur Unterschrift vorzulegen. Die Nobelpreisträger Heinrich Böll und Günter Grass gehörten dazu. Ebenso zwei hochbetagte, politisch durchaus umstrittene Autoren, Ernst Jünger und Hermann Claudius. Der Urenkel von Matthias Claudius unterschrieb sein Buch Unterm weißen Haar als Hundertjähriger.
Carl Zuckmayers Erinnerungen Als wär`s ein Stück von mir hatte ich als Weihnachtsgeschenk für meinen Vater gekauft, der sich mühevoll von den Folgen eines Schlaganfalles erholte. Ich schickte es Zuckmayer in die Schweiz und bat um eine Widmung für meinen Vater. Rechtzeitig zum Fest war das Buch wieder da: Für Richard Tews mit guten Wünschen! Weihnachten 1968, Carl Zuckmayer.
Manche Lesung bleibt auch wegen der Duplizität der Ereignisse im Gedächtnis haften. Am 22. November 1963 las Frank Thiess im AudiMax der TU Braunschweig. Kurz bevor ich für den Studentenfunk ein Interview mit ihm führte, verbreitete sich die Nachricht von der Ermordung des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy.
Einmal erhielt ich mit der Unterschrift ein politisches Statement. Der schwarze südafrikanische Bürgerrechtler James Mattthews versah sein Buch Flügel kann man stutzen. Gedanken im Gefängnis mit dem Zusatz Helmut: The struggle is never over while one is still in chains. James Matthews, 25/11/83.
Als ich 1969 mit der Familie nach Karachi/Pakistan zog, um an der Deutschen Schule zu unterrichten, hatte ich schon eine ansehnliche Sammlung signierter Bücher der angesagten deutschen Schriftsteller dieser Zeit beisammen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Gerd Gaiser, Albrecht Goes, Manfred Hausmann, Helmut Heißenbüttel, Uwe Johnson, Heiner Kipphardt, Peter Rühmkorf, Peter Weiss, Luise Rinser, Siegfried Lenz, Günter Kunert.
In den vier Pakistan-Jahren kamen drei Autoren hinzu, die einen besonderen Erinnerungswert haben. Der Pakistaner Ibne-Insha stellte im Goethe-Institut seine Übersetzung von Wilhelm Buschs Abenteuer eines Junggesellen vor. Irgendwie seltsam, Wilhelm Busch auf Urdu vorgelesen zu bekommen, aber bei der weltweiten Verbreitung seiner Bildergeschichten wiederum kein Wunder.
In den Sommerferien entflohen wir dem mörderischen Klima in Karachi. Meine Frau flog mit den Kindern nach Rawalpindi, ich durchquerte Pakistan mit dem Wagen von Süd nach Nord, um dann mit ihnen nach Murree, 2500 Meter hoch im Himalaya, zu fahren. Auf dem Weg nach Norden besuchte ich in Lahore Kims Kanone. Die Leser von Rudyard Kipling wissen, dass sie vor dem dortigen Museum steht. Der irischstämmige Bettlerjunge Kim nutzt sie in dem gleichnamigen Roman Kiplings als Reittier.
Schon vor der Abfahrt in Karachi hatte ich die Adresse von Rahman Chughtai, dem wahrscheinlich bedeutendsten pakistanischen Maler des 20. Jahrhunderts, in Erfahrung gebracht. Ich fand sein Haus in Lahore und klopfte an. Er erschien im Hausmantel an der Tür und signierte lächelnd sein Buch Chughtais Paintings.
Murree ist seit der Zeit der englischen Kolonialherren die beliebte Sommerresidenz all derer, die es sich leisten können, der Hitze in der Indusebene zu entfliehen. Auch der pakistanische Präsident hat hier seinen Sommersitz. Sichtbare Polizeipräsenz zeigt an, wann er anwesend ist.
Ich hatte zufällig zwei Bücher von Zulfikar Ali Bhutto als Weiterbildungslektüre mit in die Ferien genommen. The Myth of Independence und The Great Tragedy. Da ich dem Präsidenten wahrscheinlich nie wieder so nahe kommen würde, nahm ich beide Bücher auf einem Spaziergang mit und stand bald unschlüssig vor der Residenz. Ich wanderte ein wenig an der abwehrenden Mauer entlang hin zum Haupteingang. Bevor ich ihn erreichte, nahmen mich zwei dezent europäisch gekleidete Herren in die Mitte und fragten mit Nachdruck nach dem Zweck meines Herumlaufens, und ob ich meinen Ausweis dabei hätte. Als ich ihn zusammen mit den beiden Büchern vorwies und meinen Wunsch nach einer Widmung des Präsidenten vortrug, wurden die beiden Herren überaus freundlich. Sie waren sogar bereit, beide Bücher anzunehmen und an den Präsidenten weiter zu leiten. Ich übergab sie ihnen zusammen mit meiner Visitenkarte und dem handschriftlichen Zusatz „Zur Zeit im Gästehaus der Deutschen Botschaft“. Sie wünschten einen guten Tag, verschwanden mit meinen Büchern und ließen mich mit dem nagenden Zweifel zurück, ob ich diese je wiedersehen würde. Drei Tage später überbrachte ein Bote des Präsidenten die Bücher mit Widmung. With best wishes, Zulfikar Ali Bhutto, June 16th 1972, To Mr. Helmut Tews
Fünf Jahre später wurde Bhutto unter seinem Nachfolger Zia ul-Huq, nach einem umstrittenen Gerichtsurteil, wegen Anstiftung zum Mord an einem politischen Widersacher dem Galgen übergeben. The Great Tragedy, der Titel seines Buches, erhielt damit eine völlig neue Bedeutung.
Die Weihnachtsferien verbrachten wir in Thailand. Dort traf ich den buddhistischen Mönch Dhammasaro Bhikhu. Auf den Stufen eines Tempels sitzend, tauschten wir uns, übrigens in perfektem Deutsch, über unsere Religionen aus. Zum Schluß des Gespräches reichte er mir eine von ihm verfaßte, geheftete Druckschrift mit dem Titel Warum leben wir nach der buddhistischen Lehre? und schrieb Ich wünsche Ihnen zum neuen Jahr und Weihnachten alles Gute. Dann entließ er mich mit der beruhigenden Aussage: „Wenn Du ein guter Christ bist, dann bist Du auch ein guter Buddhist“.
An den Büchern von Politikern war ich höchstens wegen ihrer politischen Aussage, weniger wegen der literarischen Qualität interessiert. Schließlich konnte ich nicht ausschließen, dass sie im Grunde nur die Niederschrift ihrer Ghostwriter signierten. Als ich allerdings einem Bekannten alle drei Bände von Konrad Adenauers Erinnerungen, signiert und mit Widmung, abkaufen konnte, war der Bann gebrochen. Von nun an schickte ich jeweils kurz nach Amtsantritt dem neu gewählten Kanzler, zuletzt der Kanzlerin, einen Glückwunsch zur Wahl, legte ein Buch bei und erhielt postwendend das signierte Exemplar zurück.
Wenn das bei den Kanzlern funktionierte, warum dann nicht bei den Bundespräsidenten? Ein signiertes Buch von Theodor Heuss fand ich im Antiquariat, alle anderen Präsidenten schrieb ich an. Nur Heinrich Lübke fehlt in meiner Sammlung, offenbar hat er kein Buch veröffentlicht.
Johannes Rau war Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Kanzlerkandidat der SPD, als meine Frau und ich ihm 1986 in Jerusalem beim Osterfrühstück in der evangelischen Propstei gegenüber saßen. In meinem Anschreiben erinnerte ich ihn Jahre später daran. Seine Widmung fiel daraufhin sehr persönlich aus.
Für Ingrid und Helmut Tews mit vielen guten Wünschen und in Erinnerung an Jerusalem Johannes Rau 6.1.2000
Überraschend war für mich, wie viele deutsche Schriftsteller in Jerusalem Lesungen abhielten, so u. a. Peter Härtling und Hans Magnus Enzensberger.
Die über Jahre in Jerusalem lebende Angelika Schrobsdorff trafen wir zufällig auf einer Veranstaltung, hatten aber keines ihrer Bücher dabei. Später entdeckte ich Die Reise nach Sofia in einer Buchhandlung. Versehen mit einer ausführlichen Widmung für eine mir unbekannte Fanny:
Wenn Sie auch die Letzte sind, die mein Buch bekommen, so sind Sie die Erste, der ich eine Widmung hineinschreibe. So gleicht sich alles wieder aus, liebe Fanny, manchmal sogar auch im Leben. In 22jähriger unverminderter Freundschaft, Angelika. Jerusalem 23.1.1984
Ich hoffe nur, dass die unverminderte Freundschaft nicht in die Brüche gegangen ist, und die „liebe Fanny“ das Buch aus Wut darüber verkauft hat.
Drei Bücher brachte meine Frau mit in die Ehe. Als junge Germanistikstudentin in Freiburg beschäftigte sie sich mit dem Werk von Karl Heinrich Waggerl. Angetan von der bodenständigen, direkt ins Herz gehenden Dichtkunst Waggerls, beschloß sie, ihn in seinem Heimatort Wagrain zu besuchen. Mit einer Tafel Schokolade in der Tasche (irgendwo in seinen Büchern erwähnt Waggerl seine Leidenschaft dafür) klopfte sie bei ihm an, wurde eingelassen und erhielt als Gegenleistung für die Schokolade drei Bücher mit guten Wünschen, alles Liebe und freundlicher Erinnerung.
Lesungen in Irland sind etwas Besonderes. Ich kenne kein anderes Land mit einer solchen Dichte von Künstlern, vor allem Schriftstellern, die aus der Geschichte, den Sagen, Mythen und der Landschaft ihrer Heimat soviel Inspiration und Gestaltungskraft schöpfen. Und wo Leser und Autoren so ungezwungen und selbstverständlich miteinander umgehen.
Wenn irgend möglich, verbringt die Familie im Sommer einige Wochen in einem alten Cottage im rauen Nordwesten der Insel, im County Sligo. Das ist Yeats Country. Hier lebte und schrieb der Literatur-Nobelpreisträger von 1923, und hier wurde er zu Füßen des Tafelberges Benbulben under rare Benbulbens head begraben.
Studentinnen und Studenten aus aller Welt kommen im Sommer zur YEATS INTERNATIONAL SUMMER SCHOOL nach Sligo, hören Vorträge und nehmen an den Workshops internationaler Fachleute teil. Für uns sind die öffentlich zugänglichen Lesungen interessant.
Den Grundstock für den irischen Teil meiner Sammlung legte ich 1988 mit John McGaherns Kurzgeschichtenband Nightlines.
McGahern, Jahrgang 1934, wurde als Grundschullehrer wegen des Vorwurfs, Pornografie geschrieben zu haben, 1965 aus dem Dienst entlassen. Die Schulbehörde folgte damit dem Irish Censorship Board und der katholischen Kirche, die sein zweites Buch The Dark auf den Index setzte.
Ebenso erging es Edna O`Brian, die ich Jahre später auf einer ihrer Lesungen treffe. Mittlerweile fast 70jährig und Professorin für englische Literatur am University College in Dublin, war sie jahrelang das enfant terrible der irischen Literatur gewesen. Ihre Trilogie The Country Girls wurde in den 60ern verboten und soll sogar, glaubt man Wikipedia, vor einer Kirche verbrannt worden sein. Grund dafür war die für die damaligen Kirchenoberen allzu freie Beschreibung des Liebeslebens der weiblichen Romanfiguren.
Doch zurück zu John McGahern, den wir am Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn erleben. Nach seinem Tode im Jahre 2006 wird man ihn als einen der bedeutendsten irischen Autoren der Gegenwart würdigen.
Wir sitzen prominent in der ersten Reihe des Veranstaltungsraumes. Vor uns an zwei Tischen Mitglieder des Vorstandes der Yeats Society. McGahern steht bescheiden daneben und wartet darauf, vorgestellt zu werden. Zeit verrinnt. Schließlich rafft sich einer der Herren am Tisch auf, entschuldigt den Vereinspräsidenten, der offensichtlich aufgehalten wurde, und bittet McGahern, mit der Lesung zu beginnen.
Während er liest, kommen weitere Zuhörer in den Raum und füllen die hinteren Sitzreihen. McGahern liest unbeirrt weiter, auch als ein älterer Herr im abgetragenen Parka sich nicht mit einem der hinteren Plätze zufrieden gibt, sondern ungeniert bis nach vorne durchmarschiert und sich mit an den Vorstandstisch setzt.
Wir sind gespannt, wie man am Tisch reagieren wird. Eigentlich gar nicht. McGahern liest weiter. Der Mann fängt an, in den Taschen seines Parkas zu kramen, zieht einen Zettel nach dem anderen hervor, betrachtet ihn und legt ihn vor sich auf den Tisch. McGahern liest weiter. Der Mann öffnet seinen Parka. Es kommt ein Priesterkragen zum Vorschein. McGahern macht eine Pause, und der Sprecher von vorhin ergreift die Gelegenheit, den Mann im Parka als Präsidenten der Yeats Society zu begrüßen.
Es gibt nur wenige ideale Tage im Jahr für die Überfahrt zur Insel Inishmurray vor der Küste Sligos. Im Juli 1995 ist ein solcher Tag. Die Sonne scheint, die See ist ruhig, der Wind ist eingeschlafen.
Insgesamt sind wir acht Personen, die im Hafen von Mullaghmore an Bord der nicht mehr ganz frischen „Excalibur“ gehen. Skipper ist Joe McGowan. Er verspricht, dass wir in gut einer Stunde in den Naturhafen Clashymore von Inishmurray einfahren werden. Die Insel wurde 1948 evakuiert. Die letzten damals noch dort lebenden zwölf Familien zogen auf das Festland. Ihre Häuser verfielen zu Ruinen und unterscheiden sich heute kaum noch von den Resten der Klosteranlage aus dem 6. Jahrhundert.
Joe McGowan als Skipper zu haben, ist ein Glücksfall. Er ist einer der kompetentesten Kenner der Insel. 1944 in einer Farmerfamilie in Mullaghmore geboren, wanderte er in den 60er Jahren in die USA aus, diente dort in der Armee, kehrte wieder zurück, arbeitete als Maurer und Fischer und begann gleichzeitig, sich intensiv mit der Geschichte seiner Heimat zu beschäftigen. An den langen Winterabenden hielt er auf dem Tonbandgerät seine Gespräche mit den Menschen in und um Mullaghmore fest, sammelte so einen Schatz von Erinnerungen und Beschreibungen des Alltags in der „guten alten Zeit“. All das verarbeitete er zu einem Buch, das 1993 unter dem Titel In the Shadow of Benbulben: A Portrait of Our Storied Past erschien. Mittlerweile ist es ein Standardwerk, dem in den vergangenen Jahren acht weitere Bücher folgten. Aus dem anfangs belächelten Idealisten ist ein renommierter Chronist seines Landes geworden.
Ganz anders als Joe McGowan beschreibt Patrick McCabe das Leben in Irland. Bekannt wurde er durch seinen international beachteten und bald nach der Veröffentlichung verfilmten Roman The Butcher Boy, der in Deutschland unter dem Titel Der Schlächterbursche erschien. Dazu Wikipedia: „Das Buch gilt vielen Kritikern als die „Antipastorale“ des häufig in romantischem Licht beschriebenen irischen Landlebens.“
McCabe liest in der St. John´s Cathedral in Sligo. Ein ungewöhnlicher Ort für eine Dichterlesung, besonders mit dem Butcher Boy, und nach den Erfahrungen der irischen Schriftsteller mit dem Kunstverständnis ihrer Kirche. Erklären läßt sich das nur dadurch, dass St. John`s Cathedral keine katholische Kirche ist, sondern zur Church of Ireland gehört und darüber hinaus eine besondere Beziehung zur irischen ...