
- 500 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Anna Karenina
Über dieses Buch
Anna Karenina ist ein Roman von Lew Tolstoi, der in den Jahren 1873 bis 1878 in der Epoche des russischen Realismus entstand und als eines von Tolstois bedeutendsten Werken gilt. Das Buch wurde 1877/78 veröffentlicht und handelt von Ehe und Moral in der adligen russischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts.
Häufig gestellte Fragen
Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
- Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
- Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Anna Karenina von Lew Tolstoi im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatur & Altertumswissenschaften. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.
Information
Thema
LiteraturZweiter Teil
1
Gegen Ende des Winters fand bei Schtscherbazkis eine ärztliche Beratung statt, durch die festgestellt werden sollte, wie es mit Kittys Gesundheit stehe und was zur Hebung ihrer dahinschwindenden Kräfte zu unternehmen sei. Sie war krank, und mit dem Herannahen des Frühlings verschlimmerte sich ihr Gesundheitszustand nur noch mehr. Der Hausarzt hatte ihr Lebertran, dann Eisen, darauf Höllenstein verordnet; aber da weder das erste noch das zweite noch das dritte Mittel geholfen und da er geraten hatte, zum Frühjahr ins Ausland zu reisen, so wurde noch eine erste Kraft zu Rate gezogen. Dieser berühmte Arzt, ein noch nicht alter, sehr schöner Mann, forderte eine Untersuchung der Patientin. Energisch und, wie es schien, mit besonderem Vergnügen sprach er seine Ansicht aus, daß mädchenhafte Scham nur ein Überrest altbarbarischer Vorurteile sei, und es erschien ihm als die natürlichste Sache von der Welt, daß ein noch nicht bejahrter Mann den nackten Körper eines jungen Mädchens betaste. Er fand das natürlich, weil er es jeden Tag tat und dabei, seiner Ansicht nach, weiter nichts Schlimmes fühlte und dachte, und darum hielt er Schamhaftigkeit bei einem jungen Mädchen nicht nur für einen Überrest von Barbarentum, sondern auch für eine gegen ihn gerichtete Beleidigung.
Man mußte sich ihm fügen; denn obgleich alle Ärzte dieselben Universitätskurse durchmachen und aus denselben Büchern dieselbe Wissenschaft studieren und obgleich manche Leute behaupteten, diese erste Kraft sei ein schlechter Arzt, so galt es doch bei der Fürstin wie in ihrem ganzen Bekanntenkreise aus nicht näher nachweisbaren Gründen als ausgemacht, daß einzig und allein dieser berühmte Arzt etwas Tüchtiges verstehe und daß nur er Kitty retten könne. Nach eingehender Besichtigung und längerer Beklopfung der vor Scham ganz verstörten und wie betäubten Patientin wusch sich der berühmte Arzt sorgfältig die Hände und ging dann in den Salon und sprach mit dem Fürsten. Der Fürst zog ein finsteres Gesicht und räusperte sich wiederholt, während er dem Arzt zuhörte. Als ein Mann von Lebenserfahrung, von gutem Verstande und vortrefflicher Gesundheit glaubte er nicht an die medizinische Wissenschaft und war in tiefster Seele ergrimmt über diese ganze Komödie, und zwar um so mehr, als er vielleicht der einzige war, der die Ursache von Kittys Krankheit völlig erkannt hatte. ›Du Blaffköter!‹ dachte er, indem er im stillen diesen Ausdruck der Jägersprache auf den berühmten Arzt übertrug, dessen Geschwätz über die Krankheitsmerkmale bei seiner Tochter er anhörte. Unterdessen hielt der Arzt seinerseits nur mühsam auf seinem Gesichte einen Ausdruck der Geringschätzung gegen diesen rückständigen alten Junker zurück und ließ sich nur ungern zu dem tiefen Stand seiner Fassungskraft herab. Er war sich darüber klar, daß es eigentlich keinen Zweck habe, mit dem Alten zu reden, und daß die Hauptperson in diesem Hause die Mutter sei. Vor ihr beabsichtigte er seine Perlen auszuschütten. Da trat die Fürstin mit dem Hausarzt in den Salon. Der Fürst trat zur Seite, bemüht, es sich nicht merken zu lassen, wie lächerlich ihm diese ganze Komödie vorkam. Die Fürstin war verlegen und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie hatte Kitty gegenüber ein Schuldbewußtsein.
»Nun, Doktor, entscheiden Sie über unser Schicksal!« sagte die Fürstin. »Sagen Sie mir alles!« Sie wollte noch hinzufügen: »Ist noch Hoffnung?«, aber ihre Lippen bebten, und sie brachte es nicht fertig, diese Frage auszusprechen. »Nun, wie steht es, Doktor?«
»Ich werde mich sofort mit meinem Kollegen besprechen, Fürstin, und dann die Ehre haben, Ihnen meine Ansicht vorzutragen.«
»Dann sollen wir die beiden Herren also wohl allein lassen?«
»Wenn es Ihnen so gefällig ist.«
Seufzend ging die Fürstin hinaus; auch der Fürst verließ das Zimmer.
Als die beiden Ärzte miteinander allein geblieben waren, begann der Hausarzt schüchtern seine Meinung darzulegen, die dahin ging, daß hier der Beginn eines tuberkulösen Prozesses vorliege, daß aber . . . und so weiter. Der berühmte Arzt hörte ihm zu und sah auf einmal während der Auseinandersetzungen des anderen auf seine dicke goldene Uhr.
»Ja«, sagte er. »Aber . . . «
Der Hausarzt verstummte achtungsvoll mitten in seiner Darlegung.
»Den Beginn eines tuberkulösen Prozesses genau festzustellen, sind wir, wie Sie wissen, nicht imstande; vor dem Auftreten von Kavernen läßt sich nichts Zuverlässiges sagen. Aber wir können Vermutungen hegen. Und Merkmale sind ja vorhanden: schlechte Ernährung, nervöse Erregtheit und so weiter. Die Frage ist die: Was ist bei Verdacht eines tuberkulösen Prozesses zu tun, um die Ernährung zu fördern?«
»Aber Sie wissen ja, daß da immer geistige, seelische Ursachen dahinterstecken«, erlaubte sich der Hausarzt mit einem feinen Lächeln einzuschalten.
»Ja, das versteht sich von selbst«, erwiderte der berühmte Arzt und sah dabei wieder nach der Uhr. »Verzeihung, ist die Jauski-Brücke schon fertig, oder muß man immer noch den Umweg fahren?« fragte er. »So! Sie ist fertig. Nun, dann kann ich in zwanzig Minuten da sein. Also wir sagten, daß die Aufgabe so zu stellen sei: die Ernährung fördern und die Nerven stärken. Eines hängt mit dem anderen zusammen; wir müssen von beiden Seiten her zu wirken suchen.«
»Wie wäre es mit einer Reise ins Ausland?« fragte der Hausarzt.
»Ich bin ein Gegner solcher Reisen ins Ausland. Und beachten Sie, bitte, dies: Wenn wirklich der Beginn eines tuberkulösen Prozesses vorliegt, was wir nicht wissen können, so hilft eine Reise ins Ausland nichts. Es ist unbedingt ein Mittel erforderlich, das die Ernährung fördert und nicht schädlich wirkt.«
Und nun setzte der berühmte Arzt seinen Plan einer in Moskau durchzuführenden Kur mit Sodener Brunnen auseinander; bei der Entscheidung für diesen Brunnen war offenbar der Hauptgesichtspunkt der, daß er nicht schaden könne.
Der Hausarzt hörte ihm aufmerksam und achtungsvoll bis zu Ende zu. Dann bemerkte er:
»Zugunsten einer Reise ins Ausland möchte ich doch auf die Veränderung der gewohnten Lebensweise hinweisen sowie auf die Entfernung aus einer Umgebung, die mancherlei Erinnerungen wachruft. Und dann wünscht es die Mutter«, fügte er hinzu.
»Ah so! Nun, wenn es so ist, schön, dann mögen sie meinetwegen reisen. Nur werden diese deutschen Pfuscher Schaden anrichten. Die Leute müssen sich streng an unsere Weisungen halten. – Nun, dann mögen sie reisen.«
Er sah wieder nach der Uhr.
»Oh, es wird für mich Zeit!« Und er ging zur Tür.
Der berühmte Arzt erklärte der Fürstin (sein Gefühl für ärztlichen Anstand veranlaßte ihn dazu), er müsse die Kranke noch einmal sehen.
»Wie, noch eine Untersuchung?« rief die Mutter erschrocken.
»O nicht doch, ich brauche nur noch ein paar Einzelheiten, Fürstin.«
»Dann bitte, kommen Sie!«
Von dem Arzte begleitet, ging sie zu Kitty. Mit eingesunkenen, geröteten Wangen und einem eigentümlichen Glanz in den Augen infolge der ausgestandenen Schmach, stand Kitty mitten im Zimmer. Beim Eintritt des Arztes wurde sie dunkelrot, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihre ganze Krankheit und deren ärztliche Behandlung erschienen ihr als etwas so Dummes, als etwas geradezu Lächerliches. Diese Bemühungen der Ärzte kamen ihr ebenso lächerlich vor, wie wenn jemand die Scherben einer zerbrochenen Vase wieder zusammensetzen wollte. Ihr Herz war zerbrochen. Und da wollten sie es mit Pillen und Pulvern heilen? Aber sie durfte die Mutter nicht kränken, um so weniger, da diese sich schuldig fühlte.
»Bitte, nehmen Sie Platz, Prinzessin!« sagte der berühmte Arzt.
Er setzte sich lächelnd ihr gegenüber, fühlte ihren Puls und begann wieder seine lästigen Fragen zu stellen. Sie antwortete ihm; aber plötzlich stand sie zornig auf.
»Entschuldigen Sie, aber das hat wirklich keinen Zweck. Sie fragen mich zum dritten Mal dasselbe.«
Der berühmte Arzt zeigte keine Spur von Empfindlichkeit.
»Krankhafte Gereiztheit«, bemerkte er der Fürstin gegenüber, als Kitty hinausgegangen war. »Übrigens bin ich fertig.«
Und nun setzte er der Fürstin, der er damit zu verstehen gab, daß er sie als eine Dame von ganz ungewöhnlicher geistiger Begabung betrachte, den Zustand der Prinzessin in wissenschaftlicher Form auseinander und schloß mit einer genauen Anweisung, wie der Brunnen getrunken werden müsse, der doch in Wirklichkeit vollständig unnütz war. Auf die Frage, ob wohl eine Reise ins Ausland zweckmäßig sein werde, versank der Arzt in tiefes Nachdenken, wie wenn es sich um die Lösung eines sehr schwierigen Rätsels handele. Endlich verkündete er die Entscheidung, zu der er gelangt war: sie sollten reisen, möchten sich aber nicht den deutschen Pfuschern anvertrauen, sondern sich in allem an ihn wenden.
Es war, als hätte sich mit dem Wegfahren des Arztes etwas Erfreuliches ereignet. Die Mutter war, als sie zu ihrer Tochter zurückkehrte, wieder wesentlich heiterer geworden, und Kitty stellte sich, als sei bei ihr das gleiche der Fall. Sie sah sich jetzt häufig, fast dauernd, dazu genötigt, sich zu verstellen.
»Wirklich, ich bin gesund, maman. Aber wenn Sie gern reisen möchten, so könnten wir es ja tun«, sagte sie, und um ihr Interesse für die bevorstehende Reise an den Tag zu legen, begann sie von den dazu nötigen Vorbereitungen zu sprechen.
2
Bald nachdem der Arzt fort war, kam Dolly. Sie wußte, daß an diesem Tage eine Beratung der beiden Ärzte stattfinden sollte, und obwohl sie erst vor kurzem vom Wochenbett aufgestanden war (sie war gegen Ende des Winters von einem Mädchen entbunden worden) und obwohl sie viel eigenen Kummer und eigene Sorgen hatte, verließ sie ihr Baby und ein anderes erkranktes Töchterchen und kam, um sich nach Kittys Schicksal zu erkundigen, das sich heute entscheiden sollte.
»Nun, wie steht es?« fragte sie, als sie in den Salon trat; sie hatte den Hut gar nicht abgenommen. »Ihr seid ja alle so fröhlich. Da steht es gewiß gut?«
Man versuchte nun, ihr zu erzählen, was der Arzt gesagt habe; aber obgleich dieser sehr lange und in wohlgesetzter Rede gesprochen hatte, erwies es sich doch als ein Ding der Unmöglichkeit, das, was er nun eigentlich gesagt hatte, wiederzugeben. Das Interessanteste war ohne Zweifel, daß die Reise ins Ausland beschlossene Sache war.
Dolly mußte unwillkürlich seufzen bei dem Gedanken, daß ihre beste Freundin, ihre Schwester, nun reisen sollte. Und ihr eigenes Leben war so wenig heiter. Ihr Verhältnis zu Stepan Arkadjewitsch hatte sich nach der Versöhnung noch unwürdiger gestaltet. Die von Anna vorgenommene Zusammenkittung hatte sich nicht als dauerhaft erwiesen, und die Eintracht des Familienlebens war an derselben Stelle von neuem zerbrochen. Etwas Bestimmtes lag nicht vor, aber Stepan Arkadjewitsch war fast nie zu Hause; Geld war gleichfalls kaum je vorhanden, und Dolly wurde beständig von dem Verdacht gemartert, daß er ihr wohl wieder untreu sei; nur suchte sie diesen Verdacht jetzt absichtlich zu verscheuchen, um nicht von neuem die Qualen der Eifersucht durchmachen zu müssen. Der erste Anfall von Eifersucht konnte, nachdem er einmal überstanden war, sich allerdings nicht in gleicher Heftigkeit wiederholen, und nicht einmal die tatsächliche Entdeckung einer neuen Untreue hätte auf sie so wirken können wie das erste Mal. Eine solche Entdeckung hätte aber doch eine Störung in ihre gewohnte häusliche Tätigkeit hineingebracht, und so ließ sie sich denn betrügen und verachtete ihn und noch mehr wegen dieser Schwäche sich selbst. Überdies quälten sie fortwährend allerlei Sorgen um die große Familie: bald wollte die Ernährung des Säuglings nicht recht vonstatten gehen, bald ging ein Kindermädchen ab, bald wurde, wie das gerade jetzt der Fall war, eines der Kinder krank.
»Nun, wie geht es bei dir zu Hause?« fragte die Mutter.
»Ach, maman, wir haben viel Kummer. Lilly ist krank geworden, und ich fürchte, es ist Scharlach. Darum bin ich gleich jetzt hergekommen, um mich nach Kitty zu erkundigen; denn wenn die Krankheit sich wirklich zu Scharlach entwickeln sollte, was Gott verhüten möge, so kann ich das Haus nicht mehr verlassen.«
Auch der alte Fürst kam jetzt, nachdem der Arzt weggefahren war, aus seinem Arbeitszimmer, hielt seiner Tochter Dolly seine Backe zum Kusse hin, wechselte mit ihr ein paar Worte und wandte sich dann an seine Frau:
»Was habt ihr denn beschlossen? Werdet ihr reisen? Nun, und ich? Was wollt ihr mit mir anfangen?«
»Ich möchte meinen, du bleibst am besten hier, Alexander«, antwortete seine Frau.
»Wie ihr wollt.«
»Maman, warum soll denn Papa nicht mit uns fahren?« fragte Kitty. »Dann hat er mehr Vergnügen und wir auch.«
Der alte Fürst stand auf und strich mit der Hand freundlich über Kittys Haar. Sie hob das Gesicht in die Höhe und blickte, sich zu einem Lächeln zwingend, ihn an. Sie hätte immer die Empfindung, daß er sie besser als alle anderen in der Familie verstehe, obgleich er meist nur wenig mit ihr sprach. Als die Jüngste war sie des Vaters Lieblingstochter, und es schien ihr, als mache seine Liebe zu ihr ihn scharfblickend. Als ihr Blick jetzt seinen guten, blauen Augen begegnete, die sie prüfend ansahen, da war es ihr, als durchschaue er sie durch und durch und verstehe alle ihre traurigen Gedanken. Errötend reckte sie sich zu ihm auf, in Erwartung eines Kusses; aber er streichelte ihr nur ein paarmal das Haar und bemerkte:
»Diese dummen Chignons! Bis zu seiner wirklichen Tochter kommt man gar nicht durch; man liebkost nur die Haare toter Weiber. Nun, wie ist's, liebe Dolly?« wandte er sich an seine älteste Tochter. »Was macht dein Matador?«
»Es ist nichts Besonderes davon zu sagen, Papa«, antwortete Dolly, die verstand, daß er ihren Mann meinte. Und sie konnte sich nicht enthalten, mit einem spöttischen Lächeln hinzuzufügen: »Er ist immer außer dem Hause; ich bekomme ihn fast gar nicht mehr zu sehen.«
»Ist er denn noch nicht auf das Gut gefahren, um den Wald zu verkaufen?«
»Nein, er hat es immer vor.«
»Soso!« murmelte der Fürst. »Soll ich mich also auch reisefertig machen? Ganz wie du befiehlst«, wandte er sich an seine Frau und setzte sich wieder hin. »Weißt du was, Katja?« fuhr er, sich seiner jüngsten Tochter zuwendend, fort. »Du solltest einmal eines schönen Tages beim Aufwachen zu dir sagen: ›Ach, ich bin ja ganz gesund und vergnügt; ich will wieder einmal mit Papa in der frischen, kalten Morgenluft einen Spaziergang machen.‹ Wie denkst du darüber?«
Was der Vater da sagte, klang durchaus harmlos; und doch geriet Kitty bei diesen Worten in die größte Verlegenheit und verlor völlig die Fassung wie ein ertappter Verbrecher. ›Ja, er weiß alles, er durchschaut alles und will mir mit diesen Worten sagen, daß, wenn man sich auch schämt, man doch seine Schmach überstehen muß.‹ Sie fand nicht den Mut, etwas zu antworten. Sie setzte dazu an, brach aber plötzlich in Tränen aus und stürzte aus dem Zimmer.
»Das kommt von deinen Späßen!« schalt die Fürstin ihren Mann ärgerlich. »Und so machst du es immer.« Und nun folgte eine Reihe von Vorwürfen.
Der Fürst hörte diese Vorwürfe ziemlich lange an, ohne ein Wort darauf zu erwidern, aber sein Gesicht wurde immer finsterer.
»Sie ist in einem so bedauernswerten Zustande, das arme Kind«, sagte die Fürstin; »aber du merkst gar nicht, daß ihr jede Anspielung auf die Ursache ihres Kummers schmerzlich ist. Ach, wie man sich in den Menschen irren kann!« An dem veränderten Tone, in dem sie die letzten Worte sprach, merkten Dolly und der Fürst, daß sie Wronski meinte. »Es ist mir unbegreiflich, daß es keine Gesetze gegen so schändliche, unedle Menschen gibt.«
»Ich mag das gar nicht mehr anhören!« erwiderte der Fürst finster und stand von seinem Sessel auf, als ob er hinausgehen wollte; aber an der Tür blieb er stehen. »Gesetze gibt es schon, Mütterchen; aber da du mich nun doch einmal dazu herausforderst, offen zu sein, so will ich dir sagen, wer an alledem schuld ist: du, du, du allein! Gesetze gegen solche Herrchen hat es immer gegeben und gi...
Inhaltsverzeichnis
- Erster Teil
- Zweiter Teil
- Dritter Teil
- Vierter Teil
- Fünfter Teil
- Sechster Teil
- Siebenter Teil
- Achter Teil
- Anmerkungen