Sukarno und die Idee Indonesiens

Die Geschichte des indonesischen Nationalismus

Axel Weber

• Verlag: Books on Demand
• Jahr: 2020
• ISBN drucken: 9783752605969
• eBook-ISBN: 9783752664805
• Auflage: 1
• Thema: Politik & Internationale Beziehungen
• Thema: Politik

Einem charismatischen Anführer gelingt es, in den Wirren des Unabhängigkeitskampfes und des Zweiten Weltkrieges die japanische Besatzungsmacht und die holländischen Kolonialherren zu besiegen. Wortgewandt eint der nationale Anführer den größten Archipel der Welt, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, bringt nationalistische, islamische und kommunistische Strömungen sowie das Militär hinter sich und erklärt schliesslich die Unabhängigkeit der viertgrößten Nation der Erde.Der Mann, der dies fertig brachte, war Sukarno. Das Land, das er schuf und auf die Landkarte brachte, Indonesien.Dieses Buch erzählt die Geschichte von Sukarno und die der Geburt des bevölkerungsreichsten muslimischen Landes der Erde.

TEIL II

Indonesien und der Nationalismus

"This country, the Republic of Indonesia, does not belong to any group, nor to any religion, nor to any ethnic group, nor to any group with customs and traditions, but the property of all of us, from Sabang to Merauke!"

Sukarno

Indonesien ist das nach der Zahl seiner Einwohner viertgrößte Land der Erde und ist geprägt von der Vielfalt seiner Minoritäten und geographischer, ethnischer, religiöser und politischer Unterschiede.⁴⁵ Der Vielvölkerstaat ist Heimat und Vaterland für eine Vielzahl von Ethnien, die aus Indonesien ein sprachliches Babylon machen.⁴⁶ Der weltweit größte Archipelago zwischen dem Indischen und Pazifischen Ozean kämpft aus diesem Grund an verschiedenen Orten in seinem Hoheitsgebiet gegen den Zerfall seines Territoriums.⁴⁷ Am meisten Kopfzerbrechen bereitet der Zentralregierung in Jakarta die Provinz Nanggroe Aceh Darussalam (NAD), kurz Aceh, im Norden Sumatras, die weder den holländischen Kolonialismus noch die Zentralgewalt in Jakarta anerkannt hat und deren Bestreben nach Unabhängigkeit ein zunehmender Faktor für die Instabilität im Lande darstellt. Ähnlichen Problemen sieht sich Indonesien im Osten des Landes in West Papua ausgesetzt: die dortigen Minderheiten streben gegen die Ausbeutung durch die Eliten aus Jakarta, die mit großen Minen- und anderen Rohstoffunternehmen aus dem Westen zusammenarbeiten und den Reichtum der Region veruntreuen. Seit 1960 hat dieser Konflikt mindestens 100.000 Papuanern das Leben gekostet.⁴⁸ Auf den Molukken bekämpfen sich Christen und Muslime, die sich für einen islamischen Staat stark machen. Des weiteren wird Indonesiens geographische Integrität von Außen bedroht: die Abspaltung Ost-Timors 1999 und erfolgreiche Staatsgründung im Jahre 2002 ließen die Befürchtung erwachen, dass sich nun weitere Regionen positiv zu Referenden über eine Unabhängigkeit aussprechen würden, die ein Momentum erzeugen könnten, dem Jakarta nicht gewachsen wäre. Nach einem Urteil des Internationalen Gerichtshofes im Jahre 2002 musste Jakarta eine Entscheidung hinnehmen, die zwei bislang indonesische Inseln, Sipadan und Ligitan, Malaysia zusprach. Dies zog eine Reise der damaligen Präsidentin Megawati Sukarnoputri auf die kleine unbewohnte Insel Nipah an der Grenze zu Singapur nach sich, die bei Flut vollkommen unter dem Meeresspiegel liegt. Dort wurde eine Plakette installiert, welche die Insel klar als indonesisches Hoheitsgebiet ausweist.⁴⁹

Angesichts der Vielzahl und Stärke der hier wirkenden Fliehkräfte ist daher die Frage berechtigt, wie der Staat Indonesien, der vor der Kolonialzeit durch die Holländer als politische und verwaltungstechnische Einheit nicht existierte,⁵⁰ überhaupt entstanden ist. Diese Kapitel gehen den zentralen Begriffen und Gedanken nach, die zur indonesischen Unabhängigkeit und somit zur indonesischen Einheit als territorialem Nationalstaat geführt haben. Und mehr noch: ich beschäftige mich auch mit der Frage, in wie fern Ex-Kolonien die Chance hatten, nach ihrer formellen politischen Unabhängigkeit auch wirtschaftlich unabhängig zu bleiben. Der Kontrast der Zeit der Herrschaft Sukarno’s und der Diktatur Suharto’s könnte dabei nicht größer sein. Diesem Kapitel der modernen indonesischen Geschichte und des Machtübergangs von der “Guided Democracy” zur “The New Order” mit bis zu einer Millionen Toten im Land, und den Tätern noch immer auf freiem Fuß, schenken wir Beachtung.⁵¹

Dabei bietet sich Indonesien als Paradebeispiel für Nationalismus-Studien in der (post-) kolonialen Welt geradezu an: denn in Java fand seit 1912 eine Entwicklung statt, “die in der Geschichte moderner Unabhängigkeitsbewegungen keine Parallele kennt.“⁵² In Indonesien, ausgehend von Java, lässt sich nachvollziehen, was es für ein Kolonialgebiet bedeutet, mit der Idee der Unabhängigkeit und des Nationalstaatsgedankens umzugehen, wo sowohl diese Begriffe wie auch die Idee der Zusammengehörigkeit eines sich über mehrere tausend Inseln ausbreitenden Inselteppichs fremd waren. Noch in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts wussten die meisten Marhaen⁵3 nichts mit den Begriffen Unabhängigkeit und Staat anzufangen. Eine Anekdote aus der Biographie Sukarnos belegt dies wunderschön:

"In 1946 and 1947 people didn't understand what a President's duties were. They also didn't understand exactly what independence meant. Following our declaration that everybody was free we had difficulty making the Marhaens pay passage in the tram cars. 'Why?' they'd cry with a hurt and bewildered look. 'We're free, aren't we?'"⁵⁴

Sukarno, Staatsgründer, erster Präsident Indonesiens und Vater der fünften Präsidentin des Landes, nimmt in unserer Betrachtung eine Schlüsselstellung ein. Er ist es, der in seiner Person die verschiedenen Strömungen der Unabhängigkeit und die Bewegungen in Richtung eines gesamtheitlichen Indonesiens vereint hat. Neben einigen weiteren schillernden Figuren, die sich um Indonesiens Unabhängigkeit und Staatswerdung verdient gemacht haben, ist es Sukarno, dem die Indonesier ihr tanah air, ihr “Land und Wasser“, ihr Vaterland, zu verdanken haben. Der Grund jedoch, warum wir Sukarno am meisten Aufmerksamkeit schenken, ist: er wurde zum staatsphilosophischen Begründer seines Landes, indem er Elemente aus der javanischen Mythologie und Geschichte mit Gedanken eines modernistischen Islam und dem Sozialismus verschmolz. Seine Begriffe Marhaenismus und Pancasila sind Ausdruck dieser Staatsphilosophie; letztere ist bis heute in der Verfassung verankert. Sukmawati Soekarnoputri, ebenfalls Tochter Sukarnos und Schwester der ehemaligen Präsidentin Megawati Sukarnoputri, zog 2004, wenn auch mit geringem Erfolg, in den Parlamentswahlkampf mit ihrer neugegründeten Partei Partai Nasional Indonesia Marhaenisme (PNI Marhaenisme), mit der sie direkt an das Programm ihres Vaters anschließen wollte.⁵⁵ Denn für viele Indonesier, die vom korrupten Führungsstil Suharto’s desillusioniert sind, stellt die Sukarno-Ära - und seine Person - ein goldenes Zeitalter Indonesiens in der Vergangenheit dar, so wie es das vergangene Königreich Majapahit für Sukarno war.⁵⁶

Die Programmatik, die Indonesien zur Einheit verhalf, ist aktuell und politisch im Lande immer präsent. Daher ist ein Ausflug in die Geschichte des Nationenwerdens Indonesiens interessant und wirft Licht auf die moderne Geschichte eines Landes, welches in der westlichen Presse viel zu wenig Beachtung findet.

Im folgenden Kapitel gehen wir Indonesien als politischer Idee und politischem Begriff nach. Wir sehen uns dazu wichtige Stationen der indonesischen Entwicklung an, und werden zentrale Merkmale eines Nationalstaates, wie zum Beispiel die Sprache, herausarbeiten. Anschließend konzentrieren wir uns auf Begriffe, die für das Verständnis des indonesischen Nationalismus unter Sukarno’s Führung notwendig sind, wie zum Beispiel das Wayang. Denn aus diesen formte Sukarno eine genuin indonesische Staatsphilosophie, die in der Pancasila und im Gotong-Royong-Staat ihren Zenit fand. Später wenden wir uns der Vielschichtigkeit des indonesischen Staatsgründers und seinem enormen Einfluss zu.

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45 Strassner 1998, S.313.

46 Vgl. z.B. Anderson, Benedict R. 2003, S.120ff.

47 Vgl...

Inhaltsverzeichnis

• Bereits erschienen von Axel Weber
• Widmung
• Motto
• Inhaltsverzeichnis
• Vorwort
• Teil I
• Teil II
• Teil III
• Nachwort
• Literaturverzeichnis
• Danksagung
• Weitere Informationen
• Impressum