Selbst Götter können die Vergangenheit nicht ändern -
nur Historiker sind dazu in der Lage.
Nach Agathon (450 - 400 v. Chr.)
Der Februar-Putsch 2014 und der Bürgerkrieg. - Eine Chronologie
Verfolgt man die Ereignisse, die sich in der Ukraine seit dem vergangenen Jahr abspielen, mit mehr Aufmerksamkeit als der üblichen, mit der man Fernseh- oder Zeitungsberichte heutzutage wahrnimmt, so drängen sich besorgniserregende Vermutungen zum politischen Maßstab des Geschehens auf. Selbst eine oberflächliche Analyse zeigt, dass es hier zu einem Show down zweier Großmächte kommen wird, der zu einem neuen Kalten Krieg führen könnte, wenn nicht sogar zu einer heißen kriegerischen Auseinandersetzung wiederum auf europäischem Boden. Eine solche Prognose und einige sie stützende Argumente sind in der obigen Darstellung 27 gegeben worden. Es ist nunmehr beabsichtigt, eine Chronologie der darauffolgenden Ereignisse niederzuschreiben. Sie folgt sachlich und zeitlich unmittelbar den Schilderungen in der genannten Darstellung. Dabei sollte das Ende offen gehalten werden, sofern nicht ein bestimmter Vorgang den betrachteten Abschnitt der Entwicklung selbst abschließt.
Der Zweck der Darlegungen besteht in einer Zusammenfassung von Begebenheiten im Sinne „Wider das Vergessen“. Die Notizen ergeben sich aus einer persönlichen Sicht, und ihr Einzugsbereich ist sehr beschränkt. Sie werden chronologisch in jener Abfolge aufgeschrieben, wie sie dem Chronisten bekannt werden, und sie werden später weder inhaltlich noch argumentativ korrigiert werden. Auch sind sie in dem Sinne subjektiv, dass sie widerspiegeln werden, was von außen erkannt, gesichtet und als bemerkenswert angesehen wird. Es versteht sich von selbst, dass eigentliche Ursachen der offen zutage tretenden Dinge, Entwicklungen, die vom Laien nicht entdeckt werden können, Verknüpfungen, subjektiven Möglichkeiten und Bestrebungen historisch handelnder Personen weitgehend im Dunkeln bleiben werden. Es ist wie das Wurzelwerk eines Baumes, das für den Wuchs seines Stammes, seiner Äste und Blätter sorgt. Auch ist zu beachten, dass selbst die Wahrnehmung des Sichtbaren stets weitestgehend subjektiv ist. Ein und dasselbe Ereignis kann von verschiedenen Beobachtern unterschiedlich gesehen und bewertet werden. Wahrnehmungsweise und Wissen, Denkfähigkeit und politisch-kultureller Standpunkt beeinflussen - und zwar nicht allein - die Widerspiegelung des Geschehens; sie ist nicht naturwissenschaftlich determiniert. Dennoch ist es möglich, tiefere Zusammenhänge zum Gang von Ereignissen zu erkennen. Dem sollen die folgenden chronologischen Notizen dienen.
Die Geschichte lehrt uns allenthalben, dass sie seit Menschengedenken immer wieder umgeschrieben, verfälscht, utilitaristisch aufgearbeitet und den Zielen der herrschenden Gewalten angepasst und dienstbar gemacht wird. Man geht wohl nicht fehl anzunehmen, dass angesichts der geostrategisch-politischen Größe der ukrainischen Angelegenheiten derartige Missbräuche auch hier eine bedeutende Rolle spielen. Vielleicht gelingt es hin und wieder, solches in der Projektion von Geschehnissen auf eine noch bekannte Vergangenheit aufzudecken. Und schließlich werden nach einiger Zeit auch die Tatsachen des zu beschreibenden Prozesses in ähnlicher Weise unter den Schichten vielfacher historischer und journalistischer Abhandlungen bzw. wunschgerechter Interpretationen weitgehend verloren gehen - mindestens so, wie dies bereits im Transfer von der Wirklichkeit in diese Chronologie durch den Außenstehenden nicht willentlich geschehen sein wird.
17. Dezember 2013: Der Präsident der Republik Ukraine Viktor Janukovich hatte am 16. November 2013 mit dem Präsidenten der Russischen Föderation, RF, Vladimir Putin ein Hilfspaket für die finanziell angeschlagene Ukraine ausgehandelt und mitgeteilt, dass er den Assoziierungs- und Freihandels-Verträgen zwischen der Republik Ukraine und der Europäischen Union, EU, vorerst nicht unterzeichnen werde. Die RF wolle US-$ 15 Milliarden (€ 10,9 Milliarden) in ukrainische Staatsanleihen investieren und seinem westlichen Nachbarn billigeres Erdgas zur Verfügung stellen (US-$ 268,5 anstelle der im Jahre 2013 gezahlten US-$ 404 für 1 000 Nm3 Gas). Außerdem erhalte die Ukraine von russischen Banken mit Beginn des Jahres 2014 eine Kreditreserve in Höhe von US-$ 6 Milliarden für den Ausbau der Bereitstellung von Kernenergie. Die Ukraine hatte wegen Gaslieferungen hohe Schulden bei Russland und stand kurz vor dem Staatsbankrott. Die EU hingegen hatte der Ukraine eine Hilfe von lediglich € 610 Millionen zugesagt.
Diese Vereinbarung mit Russland wurde von den Kiewer Oppositionellen wütend attackiert. Ein erster Runder Tisch zwischen Regierung und Opposition am 14. Dezember 2013 brachte keine Annäherung, da letztere alles vom Rücktritt der Regierung, die sie der Gewaltanwendung bei Demonstrationen bezichtigte, abhängig machte. Der neue deutsche Außenminister F.-W. Steinmeier kritisierte das Vorgehen Russlands in der Ukraine-Frage. Es sei „völlig empörend, wie die russische Politik die wirtschaftliche Notlage der Ukraine für sich genutzt hat, auch um den EU-Assoziationsvertrag zu verhindern“, stellte er fest. Ein sowohl vorher als auch anschließend wiederholtes, an die EU gerichtetes Hilfegesuch der ukrainischen Regierung, das nach Presse-Mitteilungen von V. Janukovich in summa mit ca. € 20 Milliarden beziffert worden war, war von jener abgelehnt worden.
Die deutsche und europäische Außenpolitik definiert offenbar V. Putin als ihren wesentlichen Gegner, „ … der sich der überfälligen Modernisierung seines Landes in den Weg stellt und alles einsetzt, diese aufzuhalten.“ 28
1. Januar 2014: Die Opposition feierte mit einer großem Kundgebung in Kiew die Wiederkehr des 105. Geburtstages von Stepan A. Bandera (1909 - 1959), einer der umstrittensten Figuren des politischen Lebens der Ukraine im 20. Jahrhundert. Einerseits als Nationalheld geehrt, andererseits als Verbrecher und Nazi-Kollaborateur verurteilt, ist Bandera die Bannerfigur der ukrainischen Nationalisten und Neofaschisten. V. Klitshko, dessen Vater als sowjetischer KGB-General politischer Feind Bandera’s war, distanzierte sich von dieser Aktion.
7. Januar 2014: Eine Rede von V. Klitshko anlässlich der Silvester-Veranstaltung auf dem Kiewer Majdan am 31. Dezember 2013 lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Taktik der sofortigen Machtübernahme durch „Udar“ auf dem Wege der Ausübung von Druck allein durch Demonstrationen gescheitert sei. Vielmehr werde nun auf das gebündelte Auftreten der verschiedenen oppositionellen Parteien und „weiterer Kräfte“ orientiert. Diese sollten zunächst ein gemeinsames Programm ausarbeiten und mit diesem in die nächsten Parlamentswahlen gehen, die sie dann zu gewinnen gedächten. Man werde dann wohl mit der Forderung nach vorgezogenen Wahlen wiederholt auf die Straße gehen. Allerdings stellten sich die „Svoboda“-Aktivisten des Antisemiten O. Tjagnibok dieser Taktik entgegen. Sie setzen auf verstärkte physische Konfrontation.
10. Januar 2014: Bei Auseinandersetzungen zwischen oppositionell gestimmten Demonstranten und der Polizei wurde der frühere ukrainische Innenminister J. Lucenko, Stellvertreter von J. Timoshenko in der Partei „Vaterland“, verletzt. Dies führte zu weiteren Krawallen auf den Straßen Kiews, in deren Ergebnis auch Demonstranten versehrt wurden. Anlass war der Abtransport von drei Personen, die wegen der vorgesehenen Sprengung einer Lenin-Statue zu sechs Jahren Haft verurteilt worden waren. Die Zusammenstöße begannen, als die Demonstranten die Polizei mit Steinen bewarfen, um sie bei deren Überführung zu behindern. Dies führte zu weiteren Massendemonstrationen.
12. Januar 2013: In Kiew hat V. Klitshko vor einigen Zehntausend Menschen zu einem landesweiten Generalstreik für vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen aufgerufen. „Wir beginnen mit einem kurzen Warnstreik. Wenn die Regierung uns nicht erhört, dann wird er erheblich länger werden“, kündigte er an. Man werde friedlich protestieren, rief er der Menge zu.
13. Januar 2013: V. Klitshko hat die EU eindringlich zu einem internationalen Boykott des „Polizeistaates“ Ukraine, wie er sich ausdrückte, und der „Regierung von V. Janukovich“ aufgerufen. Sein entsprechendes Interview der Bild-Zeitung diente dem Druck auf die deutsche Regierung, ihn darin zu unterstützen. Dieser Aufruf bedeutet eine Nötigung der Staaten des Westens, speziell der EU, sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einzumischen. Er zeigt gleichermaßen die Eskalationsgefahr, die von dem Aufruf zum Generalstreik ausgeht, und eine gewisse Hilflosigkeit der Opposition, mit der von ihr geschaffenen Situation zurande zu kommen.
16. Januar 2014: Das ukrainische Parlament, die Verchovna Rada, hat ein Gesetzespaket zum Schutz der Gesellschaft vor einem Umsturz verabschiedet, nach welchem auch die Demonstrationen auf dem Majdan, die nunmehr als „Euro-Majdan“ firmieren, als ungesetzlich gelten. Diese für die Ukraine neuen Gesetze entsprechen im Wesentlichen den seit langem gesetzlich fixierten Gegebenheiten in den EU-Mitgliedsländern und in den USA 29. Die Russische Agentur für internationale Informationen RIA Novosti publizierte hierzu am 18. Januar 2014 die folgende Mitteilung, in der wichtige Details wiedergegeben werden:
„Евромайдан“ вне закона: Рада защитила Украину от переворота
Парламент внес изменения в 21 закон и кодекс страны, которые фактически сделают невозможным продолжение „евромайдана“, значительно усложнят деятельность оппозиции, работу оппозиционных СМИ и финансируемых из-за рубежа общественных организаций.
КИЕВ, 18 янв, РИА Новости, Дмитрий Жмуцкий. Изменения в законодательстве Украины, которые фактически сделают невозможным продолжение „евромайдана“, значительно усложнят деятельность оппозиции, работу оппозиционных СМИ и финансируемых из-за рубежа общественных организаций, - это ответ власти на акции протеста, более двух месяцев продолжающиеся в Киеве.
Утвердив законопроект, который разр...