England
Barton-upon-Humber, St. Peter
Barton-upon-Humber ist eine Kleinstadt in North Lincolnshire an der Ostküste Mittelenglands am Südufer der Humber-Mündung.
"In Barton-upon-Humber sind zwei mittelalterliche Kirchen erhalten geblieben, St. Peter und St. Mary, die nur etwa 170 Meter voneinander entfernt sind. St. Peter ist eine große, vorwiegend angelsächsische Kirche und stammt aus der Zeit vor St. Mary's - die möglicherweise als Kapelle auf dem ursprünglichen Marktplatz entstanden ist, die erweitert wurde und mit dem Aufblühen des Handels der Stadt im 12. und 13. Jahrhundert an Bedeutung gewann."
[https://en.wikipedia.org/wiki/Barton-upon-Humber]
Die Pfarrkirche von Barton-upon-Humber besitzt einen angeblich angelsächsischen Westturm ähnlich dem in Earls Barton, nur nicht ganz so reich dekoriert.
"Die Kirche war ursprünglich turmförmig: das Erdgeschoss des Turms diente als Kirchenschiff. Der Turm zeigt typische Merkmale der sächsischen Architektur: Wände aus verputztem Bruchstein, mit dekorativen Lisenen sowie long and short work." [ebd.]
Der Turm hatte zwei Annexbauten, einen im Westen, als Baptisterium gedeutet, und einen im Osten, angeblich ursprünglich ein Altarraum.
Barton-upon-Humber, St. Peter. Grundriss mit Datierung der Bauteile. Entnommen aus [RODWELL/ATKINS, 413]
"Die Datierung der Kirche ist etwas umstritten. Das English Heritage (Organisation, die die in Staatsbesitz befindlichen Denkmäler und archäologischen Stätten Englands verwaltet - MM) datiert die Taufkapelle in das neunte Jahrhundert und das Turmschiff in das zehnte Jahrhundert. Einige andere Quellen geben eine etwas spätere Datierung an, zwischen 970 und 1030. Insbesondere ist unsicher, ob die Taufkapelle vor dem Turm liegt oder ob die beiden zeitgenössisch sind.
Um das Baudatum herum wurde der Graben im Osten zugeschüttet, so dass ein ebener Zugang zwischen der Halle und der Kirche möglich war. Ungewöhnlich ist, dass Gräber, die durch die Fundamentierung gestört wurden, sorgfältig verlegt wurden." [https://en.wikipedia.org/wiki/Barton-upon-Humber]
"Die Kirche liegt unmittelbar östlich der Überreste einer nahezu kreisförmigen Umfriedung, die eine Halle enthielt. Diese hat im Durchschnitt einen Durchmesser von 250 m (820 Fuß) und war ursprünglich von einem Graben und einer Holzpalisade umgeben, die bereits vor 900 nachweisbar waren." [ebd.]
Barton-upon-Humber. Etwa kreisförmige Grabenanlage (orange) um Tyrwhitt Hall mit Eintragung der Kirchen St. Peter und St. Mary und frühe Straßen und der mögliche erste Marktplatz (gelb). Nach RODWELL. Entnommen aus [RODWELL/ATKINS, 160]
"Die Ausgrabungen ergaben, dass die Kirche unmittelbar westlich einer großen etwa kreisförmigen Umwallung mittelsächsischen Datums errichtet wurde. An der Stelle der Kirche befanden sich ursprünglich frühsächsische Holzbauten, die durch eine Erdplattform versiegelt worden waren. Die Plattform war später die Stelle eines spätsächsischen Friedhofs gewesen. ... Die Leichen in den Gräbern des späten sächsischen Friedhofs wurden systematisch exhumiert, bevor die erste Kirche zu Beginn des elften Jahrhunderts gebaut wurde. Es handelte sich um einen dreistöckigen Bau mit einem turmförmigen Schiff, flankiert von einem Langhaus und einem Baptisterium."
[https://archaeologydataservice.ac.uk/archives/view/bartonhumber_eh_2010/index.cfm]
"Die Ausgrabungen erbrachten auch Beweise für zwei der drei in Barton vorhandenen Verteidigungskreise. Der westliche Bogen der mittelsächsischen subkreisförmigen Umfriedung verläuft unterhalb des Petersdoms, und am Rande des Friedhofs wurde ein Verteidigungsgraben aus dem zwölften Jahrhundert ausgehoben. Dies wird als eine Erweiterung der Verteidigungsanlagen der Burg interpretiert. Dabei handelte es sich um eine kurzlebige normannische Burg, die während der Zeit der Anarchie errichtet wurde." [ebd.]
RODWELL/ATKINS haben 2011 eine sehr ausführliche und fast 600-seitige Publikation vorgelegt, die erfreulicherweise im Internet verfügbar ist (siehe [https://books.casematepublishing.com/St_Peters_Barton-upon-Humber Volume_1_Human_Remains.pdf]), wo die umfangreichen Untersuchungen in Barton-upon-Humber ausgewertet sind.
Die dort enthaltene deutsche Zusammenfassung (auch hier verfügbar:
[https://archaeologydataservice.ac.uk/archiveDS/archiveDownload?t=arch-1030-1/dissemination/pdf/18-Volume_1_Summary.pdf]) liefert einige wichtige Informationen:
"Die 100m entfernte zweite Kirche – St.Mary’s – wurde ca. 1100 AD als Marktkapelle gegründet. Sie wurde rasch vergrößert und verherrlicht, so daß am Ende des Mittelalters die beiden Kirchen von der Größe und architektonischer Komplexität gleichgestellt waren; beide gehörten zur Bardney Abtei. ...
Von Anfang an wurde erkannt, daß die Geschichte von St. Peter mit der von St. Mary und der Stadt selbst, so miteinander verbunden sind, daß ein Verständnis der Kirche nur ermöglicht wird, indem man das ganze kollektiv untersucht. ... Der ursprüngliche Kirchenraum war in drei Zellen geteilt, ein turmartiges Kirchenschiff, geflaggt (sic) vom Chor und einem Baptisterium: Mehrere Hinweise deuten auf ein Erbauungsdatum zu Anfang des 11.Jahrhunderts (oder Ende des 10.) als Zubau zum nahegelegenen Herrschaftshauses von Barton. Es befand sich direkt östlich der Kirche, innerhalb einer großen halbkreisförmigen Einfriedung aus der mittleren Angelsachsenzeit: das heutige Herrenhaus, Tyrwhitt Hall, sein Nachfolger.
Das zum letzteren dazugehörigen, weitläufige Gräberfeld aus dem sechsten bis siebten Jahrhundert ist nur eine kurze Distanz, bei Castledyke South. Einige der späteren Beisetzungen hatten reiche Beigaben.
Die erste Kirche wurde direkt westlich der Grenze von Tyrwhitt Hall errichtet, auf einer Fläche, wo sich ursprünglich Fachwerkgebäude aus der frühen Angelsächsischen Zeit befanden, die danach durch eine Erdaufschüttung versiegelt wurden, und auf der das Spätangelsächsische Gräberfeld gegründet wurde. ... Das Baugelände für die Kirche wurde systematisch ‘bereinigt’, indem die Gräber innerhalb des Kirchenfundaments exhumiert wurden. Im späten elften Jahrhundert wurde die kleine Kapelle abgerissen und am selben Ort eine neue Kirche erbaut, sie bestand aus einem Kirchenschiff, Chor und einer Altarnische. Das alte turmförmige Kirchenschiff wurde der Westturm, und durch den Zubau einer Glockenstube erhöht. ... Während der Normannischen Eroberungen wurde das Kirchenschiff verdoppelt und es wurde ein neuer Chor gebaut." [RODWELL/ATKINS, XXV]
"Die Ausgrabungen haben unerwartet Angelsächsische und Normannische Verteidigungsanlagen aufgedeckt. Diese Entdeckungen haben beachtliche Folgen für die Geschichte und die Entwicklung von Barton im allgemeinen, und sie ermöglichen eine Reihe von kleineren Ausgrabungen und beiläufigen Beobachtungen, die über viele Jahre hin gemacht wurden, in einen größeren Zusammenhang zu bringen. In Barton gibt es drei, zur Verteidigung angelegte, Enceintes (geschlossene inneren Ringe). Der früheste war eine Mittelsächsische, eine als Halbkreis angelegte Einfriedung von 3 Hektar, die sich um Tyrwhitt Hall befindet: der westliche Bogen seines Grabens geht direkt unter St. Peter hindurch. Vom Zweiten wurde die gesamte Stadt an drei Seiten durch ein D-förmiges Erdwerk umschlossen, auch Castledykes genannt; das Marschland vom Humber hat die vierte Seite geschützt. Dieses enigmatische Erdwerk, das ca. 45Hektar umschließt, ist noch nie zufriedenstellend gedeutet oder datiert worden. Es wird hier argumentiert, daß es ein Wikingerlager war, daß mit den Raubzügen des neunten Jahrhunderts ins Zentrale England in Verbindung gebracht werden kann. Diese Erdwälle wurden als Stadtwälle im Mittelalter weiterunterhalten. Auch eine kurzlebige normannische Burg wurde von Gilbert de Gaunt während einer Periode der Anarchie errichtet. Topographische und historische Quellen deuten darauf hin, daß sie auf einem Hügel im Süden der Stadt lag, wo die Erdwälle eine Erweiterung der Einfriedung aufweisen. Ein Verteidigungsgraben aus dem zwölften Jahrhundert, der am Rand des Friedhofs von St. Peter ausgegraben wurde, ist vermutlich ein Kontinuum der Burgverteidigungsanlage, und grenzt den unbesiedelten östlichen Teil der Stadteinfriedung ab. Der Kirchturm war ein günstiger Aussichtspunkt in dieser neuen Verteidigungslinie: die Hauptgefahr für Barton kam aus dem Osten, wo die Grafen Aumale im benachbarten Barrow-upon-Humber eine Burg besaßen." [ebd., XXVI]
"Da die Kirchengeschichten von St. Peter und St.Mary so eng miteinander verflochtenen sind, sie so nah aneinander liegen und ihre architektonische Geschichte teilen, liegt es an, die Baugeschichte von St. Mary nicht zu ignorieren." [ebd., XXVI]
"Die früheste Erwähnung von St. Mary's - damals unter dem Namen Allerheiligenkapelle bekannt - findet sich in der Bardney Abbey Cartulary, verkörpert in einer Urkunde von Walter de Gant, datiert auf das Jahr 1115. Aus dieser Urkunde geht hervor, dass Walter der Abtei das Herrenhaus von Barton zusammen mit der Kirche St. Peter mit all seinen Ländereien und Zehnten, einschließlich der Allerheiligenkapelle in derselben Stadt, schenkte. Er erzählt uns ferner, dass die Kapelle "gemäß den Gelübden in unseren Tagen errichtet wurde" (Capella Omnium Sanctorum in eadem villa his diebus nuncupata) (Brown 1906, 81-2). Dies deutet darauf hin, dass die Kapelle von Walters Vater, Gilbert de Gant, in den frühen Jahren des zwölften Jahrhunderts oder möglicherweise spät im elften Jahrhundert gegründet wurde. ... Die Widmung der Kapelle wurde während des Bischofsamtes von Robert Grosseteste, Bischof von Lincoln 1235-53, der Heiligen Maria der Jungfrau Maria zugedacht. Die Wiedereinweihung war bis 1246 nicht erfolgt, und sie kann daher einem Datum innerhalb der Klammer 1246-53 zugeordnet werden (Brown 1908, 83). Die steigende Popularität des Marienkultes im dreizehnten Jahrhundert führte zu vielen neuen Widmungen zu ihren Ehren, aber auch zu Umwidmungen." [ebd., 69]
Alternative Rekonstruktion der Baugeschichte
Der Ursprung war die etwa kreisförmige Grabenanlage mit der Tyrwhitt Hall als Haupthaus. Vielleicht noch im 11. Jh. wurde westlich der Tyrwhitt Hall ein neuer, repräsentativerer Turm errichtet, dem vermutlich nur wenig später Annexbauten im Westen und Osten hinzugefügt wurden. Die traditionelle Forschung sieht in diesem Bau die angelsächsische Turmkirche. Ich halte dagegen diesen Bau zugehörig zu der bestehenden Verteidigungsanlage. Nach meiner Auffassung hatte dieser Bau ursprünglich keine sakrale Funktion. Die kreisförmige Grabenanlage wurde für diesen Neubau nach Westen erweitert. Zuvor sind offenbar die Gräber sorgfältig umverlegt worden.
Dieser Bau war vermutlich schon bei seiner Errichtung eher ein Repräsentationsbau als ein Wehrbau, worauf der Fassadenschmuck hinweist. Der Verteidigungswert solcher Grabenanlagen war zur Zeit des Baus des Turmes vermutlich nur noch gering.
Der Turm in Barton-upon-Humber dürfte um 1100 oder in der ersten Hälfte des 12. Jh. erbaut worden sein.
Ich bezeichne diesen Bau als Bau I. (Die folgenden Bezeichnungen Bau II, III/IIIa sind von mir gewählte Bezeichnungen.)
Barton-upon-Humber. Bau I (Turm mit Annexbauten). Erdgeschoss-Grundriss. Entnommen von [RODWELL/ATKINS, 248]
Vermutlich nur kurze Zeit später wurde die ursprüngliche Grabenanlage aufgegeben. Ihre Funktion als Verteidigungsanlage war obsolet. Jetzt erfolgte der Umbau des ursprünglichen Wehrturms zur Kirche, indem der Ostannex abgebrochen und ein Kirchenschiff, zunächst ein Saal, mit einem eingezogenen Altarraum und einer Apsis im Osten angebaut wurden. Diesen Umbau sehe ich um die Mitte des 12. Jh. Westtürme an Pfarrkirchen kommen erst um die Mitte des 12. Jh. auf. Dieser Bau wurde war vermutlich von Anfang an St. Peter geweiht.
Barton-upon-Humber. Bau II (erst...