Uneigentlichkeit
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Uneigentlichkeit

Philosophische Besichtigungen zwischen Metapher, Zeugenschaft und Wahrsprechen. Ein Essay

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Uneigentlichkeit

Philosophische Besichtigungen zwischen Metapher, Zeugenschaft und Wahrsprechen. Ein Essay

Über dieses Buch

Uneigentlichkeit ist nicht Inhalt, sondern Form des sich vollziehenden dritten Jahrtausends. Wie ein unsichtbarer Bedeutungsraum, der sich über ein Territorium spannt. Quer über die Fläche hinweg sind zahlreiche Begrenzungspunkte miteinander verbunden. Nahe der Schnittpunkte dieser Verbindungslinien entfaltet sich die Uneigentlichkeit. Sie gründet in der Eigenart der sich ständig aufs Neue konstituierenden Relationen. In der gegenwärtigen Welt drohen geistesgeschichtliche Spuren verloren zu gehen. Als Fährten stellen diese besondere Formen des Sichtbarmachens und des Verweisens dar, da sie sowohl zu einem Ursprung zurück, als auch von dieser Anfängnis emporführen. Derjenige, der vom Anfang weiß, kann Zeugnis ablegen. Doch ein aus Zeugnissen gewonnenes Wissen ist uneigentlich, es ist nicht durch autonomes Denken zustande gekommen, sondern verkörpert Wissen durch die Worte anderer. Vor diesem Hintergrund wird das Geheimnis des Ursprungs einer neuen Lektüre unterzogen und im Kontext des Spurenhaften und Auratischen diskutiert. In seinem philosophischen Essay lotet der Autor zahlreiche Grenzen zwischen Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit aus. Jene der Parrhesia, des Wahrsprechens, und jene der Parerga, der begrenzenden Rahmen. Grenzen sind als Phänomene uneigentlich, weder Teil des einen noch des anderen, wie flüchtige Un-Orte zwischen Stillstand und Geschwindigkeit.

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1. Spurenlesen:
Der drohende Verlust des Ursprungs
Jedem Worte klingt
Der Ursprung nach, wo es sich her bedingt.1
Goethe
Sobald das Ursprüngliche zur Sprache gelangt, beginnt der Sprechende Schutz bei Metaphern zu suchen. Die Bedeutung des als Ursprung Bezeichneten entzieht sich zunächst jeglichem verbalen Zugriff. Die vermeintliche Ein- Deutigkeit wird brüchig und muss stets aufs Neue eingeholt und sprachlich behutsam umgrenzt werden, um nicht durch vorschnelle Grenzziehungen eine Schmälerung seines unvergleichlichen, einmaligen Bedeutungsfeldes zu erfahren. Der Ursprung nimmt als Phänomen eine ausgezeichnete Position ein, er ist als Beginn einer Abfolge unvergleichbar, ein einzigartiger Anfang. Sowohl der Zeitpunkt, als auch das Wie des Ursprungs erscheinen gleichermaßen fern, kaum erreichbar zu sein. Demgemäß bezieht sich das Denken sowohl auf den Inhalt als auch auf die Form der Genese, auf die Art und Weise des anfänglichen Anhebens, dem Aspekte des zeitlich konnotierenden Vorstellens innewohnen. Das Ursprüngliche ist als erstes Einsetzen dessen denkbar, von dem sich alles Weitere herschreibt, gleichzeitig jedoch auch als das Wie des Anbeginns, auf das sich alles Erinnern bezieht.2 Die Retrospektion als erinnernde Bezugnahme ist stets von besonderer Art, denn das Rekurrieren erfolgt entlang von Spuren, die sich der Anfänglichkeit des Ursprungs nähern, um an das Beginnen heranzureichen und dieses sogar zu berühren. Spuren sind in einem solchen Kontext von eminentem Wert, denn ohne diese droht die Fühlung zum Ursprung verloren zu gehen, das autonome Wissen um die je eigene Herkunft in Gefahr zu geraten. Physischen Fährten gleich repräsentieren Spuren jene Verbindungslinien, die sicherstellen, dass ein tragfähiges Bewusstsein individueller Identität bestehen bleibt. Sie versichern und bezeugen, dass ein Anbeginn statthatte und nicht immerzu neue Gründungen unablässig Anfang mit Anfang überschrieben.
Vita brevis – Gespräche in Saïs
Das Leben ist kurz, verglichen mit den langen Zeiträumen, welche der Rückblick durchmisst. Kritias, der gleichnamige Großvater des platonischen Kritias – aus dessen Dialog Timaios – erzählte als Greis von nahezu 90 Jahren seinem erst zehnjährigen Enkel von einem solchen anfänglichen Anfang. In seinen Ausführungen erinnerte der hochbejahrte Kritias an seinen eigenen Vater, Dropides, den Urgroßvater des platonischen Kritias. Letzterer war ein Freund Solons gewesen, jenes frühen gesellschaftsphilosophischen Staatsmannes und antiken Berichten zufolge bedeutendsten der Sieben Weisen Griechenlands. Solon erzählte dereinst von einer seiner Begegnungen mit ägyptischen Priestern, in der Stadt Saïs im damaligen Nildelta. Seine Gespräche mit den Geistlichen hatten unter anderem die ältesten Zeiten zum Inhalt, waren doch beide Städte, Saïs und Athen, den Mythen zufolge Gründungen derselben Göttin Neïth, die den griechischen Namen Athene trug.3
In ihrem Gespräch über den Ursprung und die ferne Geschichte entdeckte Solon, dass er im Vergleich zu den ägyptischen Priestern nur fragmentarische Kenntnisse hinsichtlich der eigenen griechischen historischen und kulturgeschichtlichen Ursprünge besaß. Die Ägypter konnten hingegen auf schriftliche Zeugnisse Bezug nehmen und ohne Schwierigkeiten – entlang von Spuren, gleichsam mit sicherem Geleit – zu den weit zurückliegenden Anfängen schreiten; nicht nur zu deren eigenen, sondern auch zu jenen der Hellenen. Die Griechen hingegen wären gezwungen gewesen, so der Befund der Ägypter, die Lücken in ihrem Geschichtswissen mit Narrationen zu füllen, um die Leerstellen zu vervollständigen. Kriege und Naturkatastrophen hätten die Spuren in die Vergangenheit vielfach unterbrochen. Mythen müssten daher den Griechen als Substitute für beschädigte Spuren dienen; als Narrationen, die eine durchgängige Erzählung von den Ursprüngen her, und sohin die je eigene Identität reproduzierend, sicherstellen sollten. Einer der hochbetagten ägyptischen Priester meinte, an Solon gewandt:
Solon, Solon, ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder, ... ihr seid alle jung an Geiste, denn ihr tragt in ihm keine Anschauung, welche aus alter Überlieferung stammt, und kein mit der Zeit ergrautes Wissen. ... Zahlreich und mannigfaltiger Art sind die vernichtenden Verheerungen, die über das Menschengeschlecht hereingebrochen sind und hereinbrechen werden, die gewaltigsten durch Feuer und Wasser, andere geringere durch tausenderlei andere Ursachen.4
Kaum sei die hellenische Kultur bis zur Herausbildung des Schriftwesens emporentwickelt worden, so der Ägypter zu Solon, sei jedes Mal aufs Neue eine Katastrophe hereingebrochen und hätte meist nur jene Robusten überleben lassen, die von Bildung und Schriftwesen keine Ahnung gehabt hätten:
So kommt es, dass ihr immer wieder gleichsam von Neuem jung werdet, ohne jede Kunde von dem, was sich in alten Zeiten, sei es hier bei uns oder sei es bei euch ereignet hat.5
Zahllose versehrte und unterbrochene, jedoch auch unbeschädigte, vollständige Spuren kennzeichnen die Retrospektion, als Rückweg zu jenem Ursprung, an dem das Anheben als Anfänglichkeit des Anfangs stattfand. Und auch diese Anfänglichkeit des Anfangs entzieht sich dem phänomenologischen Zugriff. „Chōra“6 lautet die platonische Metapher für jene dritte Dimension der Anfänglichkeit, zu der es keinen direkten Sprachweg des Bezeichnens gibt. In ihrem Dialog stellen Timaios und Sokrates hinsichtlich des Ursprungs zunächst zwei Dimensionen fest: das immer Werdende, das prozesshaft zu denken ist und daher mit Notwendigkeit einen Ursprung zur Voraussetzung haben muss sowie das „immer Seiende, welches kein Werden zulässt“7. Chōra ist eine dritte Entität, zu der keine sprachlichen Denotationen führen, sondern nur Spuren und verweisende Metaphern. Dieses Dritte bezeichnet als immaterielle Entität nicht den Ursprung selbst, sondern dessen Ursprünglich-Werden. Ein Begriff, in dessen Bedeutungsraum die Möglichkeit und der Grund für das überhaupt Ursprünglich-Sein des Anfangs enthalten sind. Dies umfasst jene Vorstellung einer Möglichkeit, die den Grund dafür legt, dass sich ein Ursprung hinsichtlich seiner Anfänglichkeit zu entfalten vermag. Chōra ist bei Platon ein metaphorisches tertium, je nach Übersetzung auch Aufnehmerin bzw. Empfängerin und „Amme alles Werdens“ genannt. Um sich diesem tertium begrifflich anzunähern, lässt Platon daher auch Timaios eine dritte Gattung, tríton génos, dialogisch ins Spiel bringen.8 Indem sich die Anfänglichkeit des Ursprungs jedoch einem bezeichnenden Zugriff widersetzt, bleiben auch die bildlichen Annäherungen an eine dritte Gattung nur Versuche, die Aspekte der Bedeutung des Nomens Anfänglichkeit des Ursprungs hinüberzutragen, metaphérein, um diese dem Verstehen zuzuführen.9 Die Amme alles Werdens ist demzufolge eine die „Anfängnis des Anfangs10 sprachlich ermöglichende Entität. Sie erfüllt zudem die Rolle jener verbalen Substitute, die in die unterbrochenen Stellen der retrospektiven Erzählung, zwischen dem Urbild und dessen Abbildern, narrativ eingefügt werden. Als überschreibender Neubeginn, der in die Lücken des diskontinuierlichen, unvollständigen Rückblicks auf die eigene Geschichte eingefügt wurde, wie der ägyptische Priester einst dem Solon vorwarf.
Spuren konstituieren jeweils einen Rückweg unter vielen möglichen Fährten. Sie sind daher stets entlang jener Verläufe zu profilieren, die von einem Anfang ihren Fortgang nahmen. Da jedoch das Fortschreiten aufgrund seines Entwurfcharakters niemals festgelegt ist, sondern eine von zahlreichen Möglichkeiten darstellt, die im Ursprung ihren Ausgang nahmen, sind auch Spuren jeweils nur einer von vielen rückblickenden Verweisen auf die Anfängnis des Anfangs. Den Ursprung demnach nur auf ein temporäres Beginnen festzulegen, käme einer unzulässigen Reduktion gleich, denn das Ausgezeichnete des Anfangs besteht im einzigartigen Möglich-Werden, das gleichzeitig auch eine Einfachheit des Anfänglichen darstellt. Alles weitere Werden und Geschehen ist zwar im Ursprung angelegt, doch nur Weniges, wie beispielsweise das Wesen der Kunst, ist dem Ursprung selbst zugehörig, von dem aus es sich wachsend ereignet. Spuren sind demzufolge weder Teil des Anfangs, noch entspringen sie aus diesem, sie führen jedoch zum sich Ereignenden des Ursprungs zurück und an diesen heran. Die Gewissheit, die sich mit dem Sichtbarmachen und Vor-Augen-Führen des ersten Ereignens einstellt, entspricht einer Sicherheit im Range der Unumstößlichkeit hinsichtlich des anfänglichen „so war es“.
Das Verwischen von Spuren als Verlust der Aura
Gerade deshalb, weil „das Bedeuten der Spur darin besteht, zu bedeuten, ohne in die Erscheinung zu rufen11 entzieht sich diese dem phänomenologischen Zugriff. Die Spur ist – metaphorisch gewendet – gegen jeglichen phänomenologischen Zugriff imprägniert; der Zugang zum Begriff der Spur gründet geradezu auf deren Nicht-Zuordenbarkeit zur Phänomenologie. In gleichem Maße, wie sich ihr Verbergen nahezu lückenlos vollzieht, bleibt die Funktion ihres Bezeichnens erhalten; doch nicht als herkömmliches, sondern als besonderes, als ausgezeichnetes Denotieren, das einer verweisenden Bezugnahme-auf entspricht. Spuren begünstigen das Entstehen von Relationen; ihr Rekurrieren-auf ähnelt jener Funktion, die auch Metaphern erfüllen, indem sie sich sprachlich auf Aspekte eines anderen, fremden Nomens beziehen.12 Kraft ihrer hinweisgebenden Funktion stellen Spuren Verbindungen her, Anspielungen auf jenes Dritte, dem E. Lévinas, einen Neologismus zu Hilfe nehmend, „Illeität13 attestiert.
Doch Spuren sind auch in der Lage zu verunsichern und zu erschüttern, denn im Unterschied zu den Zeichen im Sinne von C.S. Peirce, die sowohl Abwesendes als auch Anwesendes repräsentieren, verweisen Spuren auf eine andere Qualität des Abwesens. Diesem unvergleichlichen Fernsein haften Aspekte jenes endgültigen, absoluten Abwesens an, zu dem Spuren wie vorgestellte Verbindungslinien oder unauflösbare Verschränkungen führen. Im Unterschied zu herkömmlichen Zeichen pragmatischer Provenienz stellen Spuren intentionsloses Repräsentieren dar.14 Während das Zeichen nicht ohne Bedeutungsintention vorstellbar ist, bedeutet die Spur intentionslos, losgelöst von Interesse, per effectum. Ihr Bedeuten geht hervor, es ergibt sich als ein zu Stande Kommen von Vorstellungen, als Gegenstehen vor einem denkenden Anschauen. Doch trotz ihrer grundlegenden Intentionslosigkeit fordern Spuren als Indizien von Vorübergegangenem implizit dazu auf, den gedanklichen Weg zum Abwesenden keinesfalls zu verlassen und dieses zumindest als Schema oder als „Simulacrum eines Anwesens15 vorzustellen. Erst eine Synthese von Gedächtnis und Vorstellung bringt es zuwege, in eine Spur des Abwesenden hineinzugelangen und sich fortan in dieser zu halten. Die Leistungsfähigkeit der Spur zeigt sich in ihrer nahezu mühelos-intentionslosen Weise zu bedeuten, in ihrem gleichsam unaufdringlichen Anbieten von Bedeutung, um auf das Abwesende, das Vergangene oder die Ferne des Ursprungs hinzuweisen.
Im komplexen Geflecht von W. Benjamins Passagenwerk sind direkte materielle aber auch indirekte Verweise...

Inhaltsverzeichnis

  1. Coverpage
  2. Author
  3. Title
  4. Copyright
  5. Contents
  6. Vorrede
  7. 1. Spurenlesen: Der drohende Verlust des Ursprungs
  8. 2. Zeugenschaft: Das Vertrauen in die Worte anderer
  9. 3. Wahrsprechen: Parrhesia, Rhetorik und Metaphorik
  10. 4. Grenzen: Zur Phänomenologie der Parergonalität
  11. 5. Anbruch: Zwischen Stillstand und Geschwindigkeit
  12. Anmerkungen
  13. Literaturverzeichnis
  14. Personenindex